Deutschlands größte Partnerschaft von Politik und Wirtschaft zur Ausgestaltung der Informationsgesellschaft nennt sich “Initiative D21”. Stellt sie die Weichen für einen offenen Staat? Berliner Gazette-Redakteurin Sarah Curth geht der Frage nach.
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Die Worte “Ich bin…” zählen im Netz nicht viel. Im Internet kann jeder jeder sein. Alfred Zapp, Präsident der Initiative D21, demonstriert das ohne Umschweife. Während er die einführenden Worte zur Podiumsdiskussion Das “Ich” in der digitalen Welt spricht, postet jemand unter Zapps Namen Tweets auf die Twitterwall hinter ihm. Ist dies auch ein Beweis dafür, dass das Netz in seiner jetztigen Rechtsfreiheit ein Brutkasten für Kriminalität ist, wie Martin Schallbruch, IT-Direktor im Bundesinnenministerium, in seiner anschließenden Keynote sagt?
Eines ist sicher: Der neue Personalausweis für das Internet-Zeitalter soll noch in diesem Jahr eingeführt werden. Es handelt sich um einen elektronischen Ausweis, so groß wie eine Scheckkarte, auf der ein digitales Foto gespeichert wird. Er kann freiwillig für Internetkäufe sowie digitale Behördengänge genutzt werden und soll dafür sorgen, dass Authentifizierungsprozesse im Internet vereinheitlicht und letztlich auch sicherer werden. Webanbieter können nur dann auf die Daten zugreifen, wenn sie sich dafür bewerben. Schon jetzt seien 180 Unternehmen und Behörden an einem Probelauf beteiligt.
Kritik am “gläsernen Bürger”
Auch für die Manipulierbarkeit der klassischen Email habe der Staat eine Lösung gefunden: Die De-Mail, ein rechtsgültiges Kommunikationsmittel für Bürger, Unternehmen und Behörden, das elektronische Dokumente verschlüsselt versenden kann. Ende dieses Jahres wird man in Deutschland nicht nur authentifizierte Anträge im Netz ausfüllen, sondern auch noch authentifizierte Mails versenden können.
Konstantin von Notz, Grünen-Bundestagsabgeordneter aus Schleswig Holstein, ist gegen einen ePass. Der Bürger hätte ein Recht darauf, sich bei alltäglichen Dingen anonym bewegen zu dürfen – ob beim Bäcker oder im Online-Shop. Außerdem sei eine Feststellung der Identität im Netz sehr wohl möglich, denn immerhin würden 80 Prozent der Straftaten im Internet aufgeklärt.
Alfred Zapp kontert diese Attacke und spricht sich für zumindest deutschlandweite Regelungen aus. Das Problem sei global; viele Länder würden Deutschland um diesen neuen Ausweis “beneiden”. Und genauso wie der Straßenverkehr durch Verkehrsordnungen geregelt wird, müsse das auch im Internet erfolgen.
Goverment 2.0
Schließlich lässt der Moderator die einzige Frau in der Runde zu Wort kommen. Anke Domscheit von Microsoft schlägt ganz andere Töne an. Sie spricht von Government 2.0. Sich politisch zu beteiligen, würde im Netz vielfältiger und einfacher möglich sein. Dazu gehöre nicht nur die Einführung eines elektronischen Wahlvorgangs.
Es bedürfe mehr Transparenz in Regierungsgeschäften (Open Data) und eine stärkere Einbeziehung der Bürger in Entscheidungsprozesse. Dass das funktionieren kann beweisen zwei Pilotprojekte in Essen, die die Einwohner auf einer Online-Plattform aufriefen, Vorschläge zur Geräuscheindämmung und zu Sparmaßnahmen zu machen.
Interessant! Epass und so klingt aber unheimlich. Dir hat die Veranstaltung nicht so gefallen?
Das war alles interessant, doch was zu kurz kam, war das “Ich”. Eigentlich ging es um den “Staat in der digitalen Welt”. Der tapsige Staat, ein digitaler Immigrant, der die User, äh, Bürger auf seine Seite ziehen will.
habe mir diese initiative d21 mal angeschaut – wirkt auf den ersten blick ein bisschen unsympatisch. neoliberaler think tank, oder?
Evgeny Morozov spricht über geistesverwandte Fragen, wenn er erklärt: How to become an Internet freedom warrior
http://neteffect.foreignpolicy.com/posts/2010/05/12/how_to_become_an_internet_freedom_warrior
@Sarah: Ich kann Deine Enttäuschung verstehen. Der Staat und seine Instrumente im Internet sind doch aber immer verknüpft mit den Fragen rund um das ICH. Natürlich in erster Linie in einem politischen Sinne.
Ich musste gerade an das Geert Lovink Interview in der FAZ denken: Wem läuft die Netzavantgarde nach, Herr Lovink? und wie er davon erzählt, wie wichtig die Anonymität war für die Entwicklung und Dynamik des Netzes: “Alles wird inzwischen überwacht, Suchmaschinen sammeln unzählige Daten, man weiß sehr viel über die Nutzer. Viele Scheinidentitäten fliegen daher sehr schnell auf. Der Traum, im Internet ein anderer sein zu können, ist damit passé. Die Identität der Benutzer ist fast völlig transparent geworden.”
http://www.faz.net/s/Rub475F682E3FC24868A8A5276D4FB916D7/Doc~E79AF944A362840EFA2F82611380740ED~ATpl~Ecommon~Scontent.html
Ich widerum denke oft an Piroschka…