Verkehr als ‚Klimaproduktion‘: Treiben Elektroautos die Kommodifizierung von Arbeit und Natur voran?

Von größter Bedeutung für die “Klimaproduktion” ist das Verkehrssystem, in dessen Mittelpunkt wiederum der Pkw steht. Es ist daher nicht verwunderlich, dass die viel gepriesene Mobilitätswende von konkurrierenden Autoindustrien dominiert wird – einer der umsatzstärksten Industrien der Welt. Aber auch Akteur*innen der Zivilgesellschaft sowie Arbeiter*innen und Gewerkschaften im Allgemeinen sind an den Übergangskämpfen beteiligt. Es gibt Stimmen, die eine Veränderung des gesamten Produktionssystems fordern. Wäre dies nicht ein Ansatzpunkt für klassenübergreifende Bündnisse, die einen Übergang vom ausbeuterischen und umweltverschmutzenden Kapitalismus zu einer ökosozialistischen Gesellschaft katalysieren? In seinem Beitrag zur BG-Textreihe “Allied Grounds” zeichnet der Forscher John Szabo den Konflikt nach.

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Die Verbrennung fossiler Brennstoffe geht weiter, und die Emissionen erreichten 2022 einen neuen Höchststand, so dass das von den Regierungen in Paris vereinbarte 1,5°C-Ziel zunehmend außer Reichweite gerät. 23 % dieser Emissionen stammen aus dem Verkehrssektor, wovon der überwiegende Teil auf den Straßenverkehr entfällt. Die Schuldigen sind Personenkraftwagen. Individualisierte Verkehrsmittel, die auf dem erdölverschlingenden Verbrennungsmotor basieren, sind das Herzstück und der Mittelpunkt der “Klimaproduktion“.

Der Pkw steht dem weiteren Ausbau des fossilen Kapitalismus im Wege, da die Anzahl und Materialintensität der Fahrzeuge ein nicht nachhaltiges wachstumsorientiertes Paradigma unterstützt. Die Dekarbonisierung des Transportwesens scheint unaufhaltsam voranzuschreiten, da Elektrofahrzeuge (EVs) sowohl die Märkte als auch die Vorstellungskraft der Verbraucher erobert haben, die darin einen Beitrag zu einer kohlenstoffarmen Zukunft sehen. Dadurch wird der fossile Kapitalismus in eine etwas weniger kohlenstoffintensive Zukunft geführt, aber der Wandel selbst birgt das Risiko, soziale Ungleichheiten zu verschärfen und sozial-ökologisch ausbeuterische Praktiken aufrechtzuerhalten: Er ist ein Wolf im Schafspelz.

Das Automobil wird als technisches Wunderwerk gepriesen, das seit Beginn des 20. Jahrhunderts einen schnelleren Transport ermöglichte. Es wurde zu einem Objekt des auffälligen Konsums, das die Wohlhabendsten im öffentlichen Raum nutzten. Diese Objekte der Begierde bildeten eine Dialektik mit der Expansion des Erdölsektors: Die Produzent*innen bohrten Millionen von Bohrlöchern und die Raffinerien setzten komplexe Technologien ein, um den Kraftstoff bereitzustellen.

Zentral für die “Klimaproduktion”

Das Auto ist ein technisches Artefakt, das die Umwandlung von fossilen Brennstoffen in Mobilität und Emissionen vermittelt. Sein Aufstieg ist eng mit dem industriellen Kapitalismus verknüpft. Die Hersteller*innen übernahmen weitgehend die Grundsätze des Taylorismus, rationalisierten die Produktion und ermöglichten die vollständige Entfremdung der Arbeit. Parallel dazu ebnete der Fordismus den Weg für die Konsumgesellschaft, indem er dafür sorgte, dass Produktion und Konsum eine Wachstumsspirale in Gang setzten. Das Rezept war einfach: Einem Teil der Arbeiter*innen sollte so viel Lohn gezahlt werden, so dass sie diese Gegenstände selbst kaufen konnten. Dies würde eine größere Verbraucher*innenbasis ermöglichen, die die Beschleunigung der Kapitalakkumulation gewährleisten würde.

Der Pkw wurde zu einem wesentlichen Bestandteil des täglichen Lebens in den Industrieländern, als deren Anzahl und die entsprechende Infrastruktur wuchsen. Sie standen im Mittelpunkt des anhaltenden Wirtschaftswachstums in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts, als Unternehmen wie Toyota eine Schlüsselrolle im “japanischen Wirtschaftswunder”, General Motors im “Goldenen Zeitalter des Kapitalismus” in den USA oder Volkswagen im deutschen “Wirtschaftswunder” spielten. Arbeit und Kapital wurden in ihrem Streben nach Wirtschaftswachstum gleichgeschaltet, während die Auswirkungen der Produktion auf die Umwelt vernachlässigt wurden.

Artwork: Colnate Group (cc by nc)

Ein boomender Automobilsektor wurde zum zentralen Faktor der “Klimaproduktion”, da die Emissionen aus Raffinerien und Auspuffrohren in den 1960er und 1970er Jahren spürbare Auswirkungen hatten. Einflussreiche Werke wie Rachel Carsons “Silent Spring” oder die “Grenzen des Wachstums” des Club of Rome beschäftigten sich mit den ökologischen Folgen eines ungebremsten Wirtschaftswachstums und forderten Maßnahmen zur Begrenzung der Ausbeutung natürlicher Ressourcen und der Emissionen giftiger Stoffe in die Ökosphäre.

Länder auf der ganzen Welt haben Maßnahmen zur Verringerung der Umweltverschmutzung ergriffen, die jedoch von der steigenden Zahl der Fahrzeuge überschattet wurden. Deutschland und Frankreich führten in den 1960er Jahren Umweltvorschriften ein, während der US-Kongress 1965 erstmals Schadstoffe regulierte. Diese waren notwendig, weil die Erdölprodukte (Benzin oder Diesel) Schwefel enthielten und bei ihrer Verbrennung Schwefeldioxid in die Atmosphäre freisetzten. Dies führte zur Versauerung des Wassers und zu saurem Regen, was 1972 auf der Konferenz der Vereinten Nationen über die Umwelt des Menschen in Stockholm ein wichtiges Thema war. Hier wurde die Autonutzung nicht als Teil der “Klimaproduktion” in dem Sinne gesehen, wie wir sie derzeit im Zusammenhang mit dem globalen Klimawandel diskutieren. Aber man war sich schon bewusst, dass er gravierende lokale Klima- und Umweltauswirkungen hat. Insofern wurden damals gewisse Voraussetzungen für das heutige Verständnis der Problematik geschaffen.

Fortschrittliche Technologie vs. Arbeit

In der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts verschärften die Regierungen schrittweise die Umweltvorschriften für Personenkraftwagen. Nach den Ölkrisen der 1970er Jahre konzentrierte sich Europa auf die Kraftstoffeffizienz, was sich tendenziell auch positiv auf die Kohlendioxidemissionen auswirkte. Dieselkraftstoff wurde zur bevorzugten Technologie, die als effizienter und angesichts der allgemeinen Steuerpolitik der EU in Bezug auf diesen Kraftstoff auch als kostengünstiger aus Sicht der Verbraucher*innen angesehen wurde. Gleichzeitig widersetzten sich die Hersteller*innen anderen strengen Umweltvorschriften. Auf der anderen Seite des Atlantiks zielten die US-Regulierungsbehörden auf NOx- und Partikelemissionen ab, während sie dem Gesamtverbrauch weniger Bedeutung beimaßen. Bei beiden Ansätzen wurde ein wichtiger Faktor vernachlässigt: die Größe. Die US-Vorschriften ließen die Autos und ihre Motoren wachsen, während die EU-Kohlendioxidvorschriften, die im Zuge ihrer Umweltpolitik eingeführt wurden, gewichtsbezogene Emissionsnormen einführten. Die Fahrzeugflotte wurde in beiden Märkten schwerer, materialintensiver und leistungsfähiger.

Personenkraftwagen wurden zu einem Hauptbestandteil der “Klimaproduktion”, aber da diedamit verbundenen Industrien Millionen von Menschen beschäftigen und eine wichtige Triebkraft des Wirtschaftswachstums sind, schien es wenig Bereitschaft zu geben, sie abzubauen und den Verkehrssektor von Grund auf neu zu überdenken. Dies zeigte sich auch an den Positionen der Gewerkschaften. Diejenigen in Europa, die noch Einfluss auf die Führung der jeweiligen nationalen Automobilsektoren haben, neigten dazu, den Zusammenhang zwischen Arbeitsplätzen und Emissionen als Nullsummenfrage zu betrachten. Die allgemeine Auffassung war, dass die höhere Technologie- und Kapitalintensität der E-Fahrzeuge die relative Macht der Arbeiter*innen in diesem Sektor weiter schwächen und Arbeitsplätze überflüssig machen würde.

Die Gewerkschaften lehnten den “grünen Übergang” ab, weil die Technologieintensität der E-Fahrzeugherstellung die Waage weiter zugunsten des Kapitals kippt und es kaum Anzeichen für eine angemessene Sozialpolitik seitens der Staaten gibt, um dies auszugleichen. Die Staaten selbst haben sich auf einen Wettlauf nach unten eingelassen, um die E-Märkte zu erobern und ihre geoökonomische Vorherrschaft zu sichern. Sie stehen in einem globalen Wettbewerb gegeneinander, der ihre relative Macht in globalen Angelegenheiten untergraben könnte, wenn sie ihn verlieren. Um die E-Märkte zu erobern, investierten die USA massiv in Tesla, Deutschland unterstützte nationale Champions, während China seit Jahren staatliche Mittel in den Sektor fließen lässt. Die Staaten unterstützten die Aktivitäten der Unternehmen, indem sie Industrie-, Bildungs- und eine Reihe anderer Politikbereiche den Bedürfnissen dieser privaten Akteur*innen unterwarfen, damit diese auf den globalen Märkten erfolgreich sein konnten.

Warum aber sollten wir in diesem Kontext von einem Wolf im Schafspelz sprechen? Der Umstieg auf Elektrofahrzeuge beinhaltet eine Form der “Klimaproduktion”, die weniger direkt mit den Auspuffemissionen verbunden ist. Es sind nicht die Autofahrer*innen, die Emissionen verursachen, wenn sie pendeln, sondern die verkörperten Emissionen – also nicht der Verbrauch, sondern die produktionsbedingten Emissionen. Die Herkunft des Stroms und der Materialien werden für die “Klimaproduktion” von zentraler Bedeutung sein. Im besten Fall wird dies kohlenstoffarm sein. Die Elektrizität wird bei den derzeitigen Entwicklungen irgendwann dekarbonisiert werden, und sogar der Bergbau, der für die Bereitstellung der Materialien für die Fahrzeugproduktion erforderlich ist, könnte relativ emissionsfrei werden. In diesem Prozess können die Lebenszyklusemissionen von Elektrofahrzeugen sinken, aber ihre Produktion wird weiterhin auf zutiefst ungleichen, ausbeuterischen Praktiken beruhen, die Arbeiter*innen und derUmwelt schaden.

Nehmen wir die Batterieproduktion, bei der wichtige Rohstoffe wie Kobalt in der Demokratischen Republik Kongo und Lithium in Australien und Chile konzentriert sind. Diese Ressourcen müssen abgebaut werden, in der Regel unter laxen Umwelt- Arbeitsvorschriften, also zum Nachteil der Arbeiter*innen, der lokalen Bevölkerung und der Umwelt. Anschließend müssen sie verschifft werden – ein schwer zu dekarbonisierender Sektor, der auf Schweröl angewiesen ist –, um dann raffiniert zu werden, in der Regel in China. Kohle dominiert hier weiterhin den Energieeinsatz, da sowohl die Arbeits- als auch die Umweltgesetze weiterhin lax sind. Danach müssen Batterien hergestellt werden, was nicht nur ressourcenintensiv ist, sondern auch eine hohe Wasser-, Energie- und Abfallintensität aufweist. Länder, die Gefahr laufen, im Zuge der Abkehr vom Verbrennungsmotor Arbeitsplätze und Wachstumsperspektiven zu verlieren, sind der Batterieindustrie entgegengekommen, haben dabei aber fragwürdige Praktiken eingeführt. Letzteres spiegelt sich nicht zuletzt in der wachsenden sozialen Opposition in Fällen wie Ungarn und Polen wider.

Die Herausforderungen für Arbeiter*innen

Das neue technologische System wird eine Reihe von Lock-Ins in Gang setzen, die den Einfluss der Arbeiter*innen – und damit die demokratische Entscheidungsfindung – auf die Energiewende und eine kohlenstoffarme Gesellschaft weiter aushöhlen werden. Alle Prozesse, die an der Produktion von E-Fahrzeugen beteiligt sind – vom Bergbau über die Batterieproduktion bis hin zur Herstellung dieser Fahrzeuge – sind hoch automatisiert und erfordern weniger Arbeit. Dies könnte durch eine steigende Produktion kompensiert werden, doch damit wird ein wachstumsorientiertes Paradigma aufrechterhalten, das weiterhin extrem materialintensiv ist. Das Gleichgewicht zwischen Kapital und Arbeit wird sich weiter zugunsten der ersteren verschlechtern, und eine Umkehrung wird immer schwieriger. Die Gewerkschaften sind davon abgekommen, den Übergang als Nullsummenspiel zwischen der Produktion von Fahrzeugen mit Verbrennungsmotoren und einem kohlenstoffarmen Übergang zu betrachten, aber sie konzentrieren sich noch immer auf ihren eng definierten Auftrag, Arbeitsplätze für ihre Mitglieder*innen zu sichern.

Die Gewerkschaften müssen die Gunst der Stunde nutzen und auf eine länder- und branchenübergreifende Organisation drängen, die darauf abzielt, den Übergang mit der Abschaffung anderer ausbeuterischer Praktiken und der Einführung alternativer Lösungen zu verbinden. Die Technologie wird die Arbeitsintensität der Produktion verringern und damit Länder, Unternehmen und Arbeiter*innen gegeneinander ausspielen. Anstatt zu versuchen, dieses System zu verlängern, müssen sozialpolitische Maßnahmen, die sich mit dieser Entwicklung befassen, ganz oben auf der Tagesordnung stehen. Jene sollte sich nicht nur auf die Frage des allgemeinen Grundeinkommens beschränken, sondern auch die Möglichkeit eines allgemeinen Grundauskommens, d. h. einer allgemeinen Grundversorgung, in Betracht ziehen. Und die universelle Grundversorgung sollte nicht eine Frage des “ob”, sondern des “wie bald” und des “wie umfassend” sein.

Die Gewerkschaften sind auch in der Lage, bei den Unternehmen darauf hinzuwirken, dass sie von einem Profil abrücken, das sich weiterhin auf den Individualverkehr konzentriert, und sich für eine größere Rolle des öffentlichen Verkehrs, ein Umdenken in den Städten und Vorstädten, den Ausbau des Fahrradverkehrs und der Fahrradinfrastruktur usw. einsetzen. Die Gewerkschaften und damit die Arbeiter*innen im Allgemeinen müssen den derzeitigen Bruch im gesellschaftspolitischen System als einen erkennen, der nicht durch die Ersetzung von 3+°C-Klimaproduktionsverfahren durch solche, die mit dem 1,5°C-Ziel vereinbar sind, zu beheben ist. Diese sind schließlich zutiefst ausbeuterisch und sozial-ökologisch nicht nachhaltig und verleihen dem Kapital weiterhin Macht über die Arbeiter*innen, wodurch Ungleichheiten verschärft werden. Insofern sollten Arbeiter*innen, solange sie noch eine gewisse Macht haben, diese nutzten, um sich dem Aufstieg des grünen Kapitalismus zu widersetzen und einen proto-sozialistischen Übergang zu ermöglichen.

Anmerkung der Redaktion: Dieser Text ist ein Beitrag zur Textreihe “Allied Grounds” der Berliner Gazette; die englische Fassung finden Sie hier. Weitere Inhalte finden Sie auf der englischsprachigen “Allied Grounds”-Website. Werfen Sie einen Blick darauf: https://berlinergazette.de/de/projects/allied-grounds

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