Silent Works: Zur Politisierung verborgener Arbeit im KI-Kapitalismus

Unter den Vorzeichen des KI-Kapitalismus scheint menschliche Arbeit – klassen- und kontextübergreifend – allmählich ausgelöscht zu werden, obwohl sie in der Tat tiefgreifende Veränderungen durchläuft. Hier setzt das SILENT WORKS-Projekt an und fragt nach der verborgenen Arbeit von Menschen. Das von Magdalena Taube und Krystian Woznicki kuratierte Projekt umfasst eine Ausstellung, eine Konferenz und eine Textreihe. Im folgenden Essay beschreiben sie die Ideen des Projekts.

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Bevor künstliche Intelligenz (KI) als Technologie erfunden wurde, wurde der Kapitalismus im Allgemeinen von etwas angetrieben, das man als KI-Fantasie bezeichnen könnte. Das bedeutet, dass die wichtigsten wirtschaftlichen Prozesse – von der Entscheidungsfindung bis zur Produktion – nach und nach an eine höhere, magisch autonome Intelligenz delegiert wurden, die beispielsweise als “unsichtbare Hand” imaginiert worden ist, die den “selbstregulierten Markt” steuert. Im neoliberalen Zeitalter hat diese KI-Fantasie den Weg für den Aufstieg der tatsächlichen KI-Technologie geebnet. Schließlich wurde exakt an der Schnittstelle zwischen KI als Fantasie des Kapitalismus und KI als Technologie des Kapitals, etwas geboren, das man als KI-Kapitalismus bezeichnen könnte.

Heute befördert diese weitreichende Vermischung von kapitalistischer Fantasie und kapitalistischer Technologie diverse Prozesse der “marktfreundlichen” Privatisierung und der “markttransformativen” Disruption – beides Vorgänge, die im Kontext der Klimakrise mit dem KI-getriebenen Geo-Engineering ihren Höhepunkt erreichen. Dabei wirken sich die Folgen des KI-Kapitalismus auf immer mehr gesellschaftliche Bereiche (Finanzen, Logistik etc.) und nicht zuletzt auf die Gestaltung, Valorisierung und Wahrnehmung menschlicher Arbeit aus.

Auf den ersten Blick besteht das dringendste Problem darin, dass im KI-Kapitalismus die menschliche Arbeit – klassen- und kontextübergreifend – allmählich ausgelöscht zu werden scheint, obwohl sie in der Tat tiefgreifende Veränderungen durchläuft. Letztlich geht es also darum, den Auslöschungsmythos zu entzaubern und zu erforschen, wie er die weitreichende Umstrukturierung der Arbeit verschleiert. Mit anderen Worten: Anstatt den Mythos der menschlichen Arbeit als eine verblassende Realität hinzunehmen, ist es notwendig, die Arbeit als eine verschüttete Realität zu behandeln, die aus den dominanten Erzählungen und Machtstrukturen ausgegraben werden muss.

KI-Hypes und der Anstieg der Finanzialisierung

Natürlich hat diese Geschichte viele Anfänge. Einer von ihnen entfaltet sich während des ersten großen KI-Hypes, der ein breiteres Publikum affizierte. Angetrieben in den 1960er Jahren durch die Schriften von Norbert Wiener und J. C. R. Licklider, verbreitete sich die Idee von KI-Technologien wie ein Lauffeuer an den US-Universitäten, was zu dem populären Bild des “maschinellen Superhirns” führte – und in Stanley Kubricks “2001: A Space Odyssey” (1968) sogar zu einem Filmstar wurde. Nur wenige Jahre nach dem “KI-Winter”, der 1984 ausgerufen worden war, folgte ein neuer KI-Hype.

Diesmal nahmen Manager- und Bänkerkreise KI-Technologien in großem Stil auf, was dazu beitrug, “neuronale Netze als das allmächtige Allheilmittel des Kapitalismus” zu etablieren. Rückblickend haben die beiden großen KI-Hypes einen Übergang katalysiert, bei dem der Kapitalismus als ein sich selbst reproduzierendes, selbst laufendes und letztlich “smartes” System neu erfunden wurde.

Eine langsame Art von Gewalt

In dieser Zeit machte das Kapital einen Sprung in eine neue, immaterielle Ära, die auf die allumfassende Instrumentalisierung der Arbeit ausgerichtet ist. Dabei sollte sowohl die Arbeit als auch Arbeitskämpfe, z.B. in Form von Arbeiter*innen- (und Student*innen-) Revolten, aber auch den Widerstandsbewegungen in den (ehemaligen) Kolonien, von den neuralgischen Punkte der Bereicherungsmaschine entkoppelt werden. Dieser Versuch, Profitabilität mit Immunität in einem erweiterten Bereich kapitalistischer Magie zu verschmelzen, wird durch den Aufstieg der Finanzialisierung indiziert.

In den 1990er Jahren wurde eine große Anzahl von Handbüchern zur Finanz-KI veröffentlicht, zum Beispiel “Neural Networks in Finance and Investing: Using Artificial Intelligence to Improve Real-World Performance” (1992), “Trading on the Edge: Neural, Genetic, and Fuzzy Systems for Chaotic Financial Markets” (1994), “Neural Networks in the Capital Markets” (1995), “Artificial Intelligence in Finance & Security” (1995), and “Neural Networks for Financial Forecasting” (1996). Diese unternehmerfreundlichen Bücher suggerierten, dass der Kapitalismus ein optimierbares, selbst laufendes System sei, frei nach dem Motto “Sie müssen KI nur an den entscheidenden Knotenpunkten des Kapitalismus korrekt implementieren … wie z.B. Ihrem Unternehmen”.

Ein Jahrzehnt später zeigte die Finanzkrise von 2007-2008 das Risiko auf, das diesem weit verbreiteten Glauben zu Grunde liegt. Sie verursachte überall auf der Welt unmittelbare Schocks (der Zusammenbruch von Banken, Millionen, die ihre Häuser verlieren, etc.), doch die langfristigen Verwüstungen der Finanzkrise sind noch in vollem Gange und müssen sich erst noch manifestieren. Diese langsame Gewalt ist vergleichbar mit dem, was der Kapitalismus in den Kolonien als eine Spur der Zerstörung hinterlassen hat – lesbar in Bezug auf Charakter und Ausmaß auch noch Hunderte von Jahren später.

Man würde annehmen, dass die Finanzkrise eine tiefgreifende Befragung und kritische Theoretisierung von Finanz-KI ausgelöst hätte, die sich z.B. auf die oben erwähnte Literatur aus den 1990er Jahren stützt. Die meisten kritischen Analysen vermeiden es jedoch, die Rolle der KI in der Finanz- und Wirtschaftskrise zu untersuchen. Wenn Technologie diskutiert wird, dann nur unter allgemeinen Gesichtspunkten. Wenn Fantasie diskutiert wird, dann nicht (explizit) in Verbindung mit KI. So bleibt die tiefere Verbindung zwischen KI und Kapitalismus ein blinder Fleck. Und die Vorstellung, dass “menschliche Arbeit am Rande der Auslöschung” steht, bleibt weitgehend unumstritten. Mit anderen Worten, der Fall der Finanzialisierung zeigt, dass der von der KI-Kapitalismus erfolgreich neue Kapazitäten mobilisiert, um neue Profitmargen und Immunitätsmechanismen gegen Kritik, Krise und (Arbeiter-)Widerstand zu schaffen.

Blackbox-Zirkulation und die Neuerfindung der Fabrik

Die immaterielle Wende, die durch die Finanzialisierung gefördert wird, privilegiert die Zirkulation von Derivaten und anderen immateriellen Produkten als das neue Profit-Paradigma. Aber die Zirkulation – als “Alternative zur krisengeschüttelten Produktion” – ist mehr als das, was in digitalen Netzwerken “verschwindet”. Zirkulation umfasst auch materielle Produkte, Güter und Ressourcen und soll praktisch überall stattfinden.

Städte sind in diesem Zusammenhang als entscheidende Knotenpunkte zu betrachten. Hier werden die meisten Dinge auf den “verborgenen” Wegen der logistischen Infrastruktur bewegt – und damit unter dem Radar der Wahrnehmung und Repräsentation. Kurz gesagt, Black-Box-Politik regelt die Infrastruktur für materielle und immaterielle Bewegungen und somit die Grundlage des heutigen Lebens. Diese Tendenz wird noch verstärkt, wenn Alphabet, Uber und Amazon ihre KI-gestützte logistische Infrastruktur ausbauen und die Privatisierung ehemals öffentlicher Dienstleistungen und die Umwandlung von Städten in smart cities beschleunigen. Im Zuge dessen werden Arbeitsprozesse – und deren Kontrolle sowie Anfechtung – zunehmend der öffentlichen Kontrolle entzogen.

Es ist bezeichnend, dass auch die Schwergewichte der “Old Economy” die Chancen dieses Dilemmas entdeckt haben. Mit überarbeiteten Geschäftsmodellen holen sie auf und schließen sich dem Trend zur Modularisierung der Fabrik an. Ein Katalysator in diesem Zusammenhang ist “Industrie 4.0” – oder das, was man als “die smarte Fabrik” bezeichnen könnte. Nach der Finanzkrise 2008 wurde die CeBIT (damals “die größte und international repräsentativste Computermesse”) von Deutschland als Plattform genutzt. Die vage Vision von “Industrie 4.0” wurde schnell von anderen Ländern wie den USA (“Industrial Internet”), Frankreich (“Usine du futur”), China (“China 2025”) und Japan (“Industrial Value Chain Initiative”) übernommen. Es überrascht nicht, dass “Labor Justice 4.0” nicht gerade auf ihrer Agenda steht.

Wenn man die verschiedenen Fäden dieser Entwicklung berücksichtigt, muss man Folgendes anerkennen: Die logistische Infrastruktur soll nicht nur die Zirkulation von Produkten, sondern auch einen zirkulierenden Produktionsmodus – einschließlich der hier beteiligten Arbeiter*innen – erleichtern. Mit anderen Worten: Nicht nur die Produkte der Fabrik sollen zirkulieren, sondern auch die Fabrik als solche, weniger als Ganzes und mehr als zerlegte Einheiten, die immer wieder teilweise zusammengesetzt werden.

Dabei sollen die Einheiten der Fabrik schnell entlang der logistischen Infrastruktur an Orte gebracht werden, wo sie voraussichtlich die Gewinne steigern, z.B. aufgrund eines günstigen Regulierungsrahmens. In diesem Zusammenhang ist es entscheidend, sich an das Hauptmerkmal der Infrastruktur zu erinnern: Wenn sie ohne Reibung funktioniert, wird sie unmerklich. In Anbetracht des oben Gesagten könnte man sagen, dass die logistische Infrastruktur der Fabrik und die von ihr mobilisierten Arbeitskräfte so designt sind, dass sie flüssig sind, um Wahrnehmung und Repräsentation sowie Kritik und Widerstand zu vermeiden. Letztlich verschleiert dieses Design, wie die materielle und immaterielle Arbeit unter diesen Bedingungen neu kalibriert wird.

‘Etwas aus Nichts erzeugen’

Bei der Entwicklung digitaler Technologien geht es im Kern wohl um die Entwicklung logistik-basierter Technologien. Die von Silicon Valley geführte Wiedereinführung der KI zu Beginn des 21. Jahrhunderts basierte auf den Anforderungen der Logistik – und stellt somit eine Radikalisierung der Logistik dar. Es gilt also zu erforschen, was es bedeutet, dass Unternehmen wie Alphabet, Uber und Amazon im Herzen logistische Unternehmen sind. Schließlich wird ihre Vision einer reibungslosen Logistik durch smarte Technologien unterstützt. Das bedeutet u.a., dass hier Algorithmen eingesetzt werden, um “ihre eigenen” Algorithmen zu schreiben oder deren Variablen zu bestimmen. Wenn dieser reflexive Prozess in einen Algorithmus integriert wird, wird dieser “selbstlernend”.

Die Programmierer*innen definieren nicht die Regeln für seine Ausführung, sondern Regeln, nach denen der Algorithmus lernen soll, ein bestimmtes Ziel zu erreichen. In vielen Fällen sind seine Lösungsstrategien so komplex, dass sie auch im Nachhinein nicht nachvollziehbar sind. Sie können nur noch experimentell, nicht mehr logisch getestet werden. “Solche [selbstlernenden] Algorithmen sind [daher] im Grunde genommen Black Boxes, Objekte, die nur durch ihr äußeres Verhalten verstanden werden können, deren innere Struktur sich aber der Erkennung entzieht”, wie Felix Stalder in seinem Buch “Kultur der Digitalität” (2016) betont.

Der Blackbox-Charakter dieser Technologien trägt zu der weit verbreiteten Annahme bei, dass solche selbstlernenden Algorithmen quasi-autonom arbeiten, als ob kein menschlicher Input, kein Training und keine Aufsicht nötig wären, um sie tatsächlich an den Punkt zu bringen, an dem sie quasi-autonom arbeiten. Angeblich sind sie in der Lage, “etwas aus dem Nichts zu erzeugen”. “Keine menschliche Arbeit erforderlich!” Diese eklatante Vorstellung enthüllt die Agenda des KI-Kapitalismus, der sich letztlich der Wiederbelebung des Ziels eines “reibungslosen Kapitalismus” verschrieben hat. Hier soll in logistisch optimierten und von menschlicher Arbeit emanzipierten Prozessen Wert geschaffen werden. Dies impliziert nicht zuletzt einen Prozess, der sich von dem Ärger (lies auch: Reibung) emanzipiert, den unbändige Arbeiter*innen durch Streiks, Revolten und andere Formen des Ungehorsams immer wieder der Wirtschaft zugefügt haben. Verdächtig praktisch, nicht wahr?

Schlaflose Arbeit in der sozialen Fabrik

Internet-Bots, auch bekannt als “Web-Bots” oder einfach “Bots”, sind derzeit die häufigste Form der KI. Über die Hälfte der Bewegungen im Internet werden von Bots produziert; sie sind praktisch überall am Werk, von Dating-Plattformen wie Wild bis hin zu Community-Räumen wie Wikipedia. Als Maschinen sind Bots von der Hardware entkoppelt – sie sind Maschinen, die buchstäblich nur aus Text oder Code bestehen. Als Arbeiter sind Bots von den herkömmlichen Vorstellungen von Arbeit abgekoppelt – sie können Tag und Nacht arbeiten, wie beispielsweise die US-Firma BlackBeltHelp verspricht: “Unser KI-fähiger Bot bietet unseren Endbenutzern sofortigen Zugang zu Support rund um die Uhr, jederzeit und überall”. Ein solcher schlafloser, rund um die Uhr funktionierender Arbeitszyklus von Maschinen ist zum dominierenden Modus der heutigen digital vernetzten “sozialen Fabrik” geworden, in der die gesamte Gesellschaft zur Fabrik und die Produktion des Sozialen zu einem vorrangigen kapitalistischen Ziel geworden ist.

Der 24/7-Modus der “sozialen Fabrik” ordnet heute die Arbeit im Allgemeinen der Logik der autonomen Maschine unter. Im Zuge dessen wird die menschliche Arbeit entmenschlicht, entwertet und erscheint in der Folge als veraltet – so oder so nicht mehr in der Lage, mit den Maschinen zu konkurrieren, da der Körper und das Gehirn der Arbeiter*innen auf Schlaf und andere Formen der Erholung angewiesen sind. Aber haben die Arbeitskämpfe in den 1970er Jahren nicht bereits gezeigt, dass beispielsweise weibliche Reinigungskräfte in Großbritannien praktisch rund um die Uhr wie Maschinen arbeiteten – nachts Büros putzten und tagsüber Haus- und Pflegearbeiten verrichteten – praktisch ohne Schlaf? Die Existenz solcher Arbeitskämpfe – wie auch ihr Echo im globalen Süden – wird durch die dominante Erzählung, die Arbeit der Maschinenlogik unterordnet, der Wahrnehmung entzogen.

Wenn man also die logistische Infrastruktur untersucht, kommt man nicht umhin zu bemerken, dass beispielsweise das Amazon-Imperium nur scheinbar vollständig robotisiert ist und dass die durch den Algorithmus des maschinellen Lernens angetriebenen Prozesse auch von menschlichen Arbeiter*innen ausgeführt werden, die hier als versteckte Assistent*innen der Maschinen agieren. Darüber hinaus ist es bei der Frage, wie materielle und immaterielle Arbeit heute neu kalibriert wird, entscheidend, den Techno-Fetischismus herauszufordern, der die Arbeit des Rechnens zur “letzten und einzigen wertvollen Form der Arbeit” erhebt.

Praktisch unhinterfragt soll sich der KI-Kapitalismus auf das Sammeln, Zählen und Analysieren von Daten, also das “Öl des 21. Jahrhunderts”, konzentrieren. Aber werden durch diese Aufwertung des Kalkulatorischen die vielfältigen und miteinander verbundenen Facetten der Arbeit nicht unterdrückt? Webinterfaces zum Beispiel erwecken nur den Eindruck, als würden sie magisch von Bots betrieben, weil Menschen die stille Arbeit der Optimierung im Hintergrund verrichten (einschließlich der Arbeit der “Reinigung”). Auch die immaterielle Arbeit, auf Bildschirme zu schauen, z.B. beim Posten, Sharen und Liken in sozialen Netzwerken, muss berücksichtigt werden, da gerade diese Arbeit für die 24/7-Kapitalproduktion unverzichtbar geworden ist. Darüber hinaus vernachlässigt die Fetischisierung der kalkulatorischen Arbeit die materielle Arbeit bei der Herstellung von Bildschirmen sowie bei der Montage ihrer Komponenten – und die Tatsache, dass diese Arbeit an Standorte außerhalb des globalen Nordens verlagert wurde, von denen es heißt, dass dort “die kapitalistische Extraktion immer noch Gewinne erzeugen kann, ohne zur Rechenschaft gezogen zu werden”.

Ein automatisiertes Weltspiel?

Etwas anderes macht die Ausgrabung verschütteter Arbeitsrealitäten und -Kämpfe noch komplizierter. Gemeint ist die rasche Skalierung automatisierter Mikrostrukturen des Alltagslebens (beispielsweise wird KI auch als vermeintlich gefügiger Diener im Alltag dargestellt, der in Gestalt von “persönlichen Assistenten” wie Siri, Cortana, Bixby und Alexa auftritt). Besonders problematisch daran ist, dass diese Skalierung automatisierter Mikrostrukturen des Alltags komplementär zur Automatisierung von Makrostrukturen globaler Prozesse erscheint. An diesem Punkt gewinnt die Vorstellung, dass “der Kapitalismus ein selbstverwaltetes System” ist, eine totale, allumfassende Qualität – genau wie der Klimawandel.

Und in der Tat: der KI-Kapitalismus ist mit dem Klimawandel verwoben und untrennbar mit ihm verbunden. Der Anstieg des Meeresspiegels, extreme Wetterereignisse und andere Umweltindikatoren haben immer eine politische, soziale und nicht zuletzt wirtschaftliche Dimension. In diesem Sinne sind Umweltfragen untrennbar mit dem Kapitalismus als einer wirtschaftlichen Praxis verbunden, die einerseits von der Gewinnung von Ressourcen und Arbeitskräften abhängt, und andererseits mit dem Kapitalismus als einem “globalen System”, das seit Jahrhunderten den Planeten umgestaltet. In der Folge haben bewusste und groß angelegte Eingriffe in das Klimasystem der Erde einen neuen Markt geschaffen. Und es überrascht nicht, dass dieser Markt nichts weniger als technologische Lösungsansätze privilegiert – mit künstlicher Intelligenz ausgestattetes Geo-Engineering erscheint hier als das große Heilsversprechen am Horizont.

Gleichzeitig neigen Akteure in Massenmedien, Politik und Wirtschaft dazu, den Klimawandel als ein “außer Kontrolle geratenes Monster” darzustellen – eine “soziale Konstruktion” des “Klimawandels als Frankenstein”, die eindeutig das Wesen des KI-Kapitalismus widerspiegelt und nur die Unvermeidbarkeit von Maßnahmen unterstreicht, die der heute wohl “undurchsichtigsten autonomen nicht-menschlichen Intelligenz” auf Augenhöhe begegnen können.

Als zwei Seiten ein und derselben Medaille evozieren der Klimawandel und der KI-Kapitalismus ein Weltspiel, das sich selbst spielt – die Spieler*innen (lies auch: die Arbeiter*innen) scheinen aktiv beteiligt zu sein, obwohl die meisten sich der tatsächlichen Auswirkungen ihrer Beteiligung nicht bewusst sind. Die KI scheint sich selbst überlassen zu sein. Es überrascht nicht, dass der Mythos des “automatisierten Weltspiels” die Verwüstung verschleiert, die die Agenda der global expandierenden KI als Phantasie und Technologie des Kapitalismus verursacht hat und immer noch verursacht.

Während die verheerenden Gewalten des Kapitalismus sich scheinbar jeder Kontrolle entziehen – obwohl sie hauptsächlich von (weißen, männlichen) Menschen geschaffen wurden, werden sie oft als gottähnliche Mächte dargestellt – wirken sie auf alles/jeden auf diesem Planeten, aber nicht auf die gleiche Weise. Diejenigen, die am wenigsten zum Aufstieg dieser Gewalten – z.B. in Form der globalen Erwärmung – beigetragen haben, sind oft am wenigsten in der Lage, mit ihren Folgen umzugehen, und daher auch am stärksten betroffen. Diese kolossale Ungerechtigkeit sollte uns dazu drängen, den Mythos der sich der menschlichen Kontrolle entziehenden Gewalten zu entzaubern und die dem “automatisierten Weltspiel” zugrunde liegenden Machtstrukturen zu bekämpfen.

Das politische Potenzial der Arbeit

Heute findet eine deliröse Intensivierung des KI-Kapitalismus statt: KI-getriebene Imperien, die von Global Playern wie Alphabet (ehemals Google) geführt werden, auf der einen Seite, KI-Fantasien, die Regionen wie Afrika als Testfelder für die “transformatorische Effizienz” maschineller Intelligenz projizieren, auf der anderen Seite. Ein Neudenken der Politik der Arbeit ist somit zu einer ethischen und politischen Notwendigkeit geworden. Darauf deutet auch eine schnell wachsende Menge an kritischer Literatur hin, darunter “Cyber-Proletariat” (2015), “Automatische Gesellschaft” (2016) und “Software, Infrastruktur, Labor” (2016). Doch harrt dieser Diskurs der Dekolonisierung im Allgemeinen und der Dekolonisierung der Arbeit im Besonderen. Wo soll man also anfangen?

Cedric J. Robinson zum Beispiel weist in seinem Buch “Black Marxism” (1983) auf “die Vorstellung von der Natur als konstantes Kapital und die Tatsache, dass die Organisatoren des kapitalistischen Weltsystems die schwarze Arbeitskraft als konstantes Kapital vereinnahmt haben”. Françoise Vergès schlägt unter Bezugnahme auf Robinson in ihrem Artikel “Racial Capitalocene” (2017) vor, dass die Verbindung “zwischen der westlichen Vorstellung von der Natur als “billig” und der globalen Organisation einer “billigen”, rassifizierten, entbehrlichen Arbeitskraft” hergestellt und reflektiert werden muss. Das Herstellen und Reflektieren solcher Verbindungen ist um so wichtiger, als KI-getränkte Narrative von sich der menschlichen Kontrolle entziehenden Gewalten nicht nur von der Modularisierung der Fabrik, sondern auch von der Reterritorialisierung von Teilen der Fabrik in den globalen Süden ablenken und damit die “billige” Arbeit der Arbeiter*innen dort ins Dunkel tauchen.

Eine der wichtigsten Folgen des KI-Kapitalismus ist daher, dass Arbeitskämpfe herausgefrodert sind, ihre Verhandlungsmacht neu zu erfinden. Die Frage ist, wie man sich den verschiedenen Strategien widersetzen kann, die darauf abzielen, die politischen Realitäten der Restrukturierung von Arbeit zu verschleiern, und wie man die verborgene Arbeit im KI-Kapitalismus politisieren kann. Was wäre, wenn wir anfangen würden, Erfahrungen und Praktiken der Arbeit im Alltag auf der ganzen Welt zu teilen? Und was wäre, wenn wir im Zuge dessen ein kollektives Bewusstsein für unser Zusammenleben als Arbeiter*innen schaffen würden? Könnten wir dann in der Lage sein, die Machtstrukturen zu emanzipatorischen Zwecken neu zu kodieren – und den KI-Kapitalismus gegen sich selbst zu wenden?

Wenn zudem der KI-Kapitalismus als “automatisiertes Weltspiel” den Klimawandel erzeugt und moduliert und wenn die Produktionsmittel (und die Zirkulation) zu Mitteln der Klimaproduktion geworden sind, dann stellt sich die Frage, welche Auswirkungen die menschliche Arbeit hat. Kann menschliche Arbeit den Verlauf des betreffenden Spiels nur unterstützen oder auch verändern? Letzteres scheint unmöglich zu sein. Aber was wäre, wenn man sich der Hoffnungslosigkeit der Klimakrise und der Unvermeidbarkeit eines KI-Kapitalismus nicht unterwerfen würde? Was wäre, wenn die ArbeiterInnen die Produktionsmittel (und die Zirkulation) als Mittel der Klimaproduktion beschlagnahmten? Was, wenn sie diese Mittel in den Dienst der Umweltbedürfnisse und der Gerechtigkeit stellen würden? Die menschliche Handlungsfähigkeit würde nicht mehr am Nullpunkt erscheinen – und dasselbe gilt für die Arbeit.

Schließlich liegt folgendes auf der Hand: Je mehr wir uns bewusst werden, wie die Rede von der vermeintlichen Bedeutungslosigkeit der menschlichen Arbeit die Machtstrukturen konsolidiert, die Ungleichheit und Ungerechtigkeit ständig verschärft, desto mehr gewinnen wir eine Perspektive, wie Arbeit von innerhalb des Arbeitsplatzes und gegen die Machtstrukturen selbst, die ihn begrenzen, mobilisiert werden könnte. Dies könnte das Potenzial der wachsenden “Reservearmee” von Arbeiter*innen aktivieren. Denn wenn menschliche Arbeit unentbehrlich ist, aber als entbehrlich und sogar als nicht existent dargestellt wird, dann hat die Abhängigkeit des Kapitalismus von der menschlichen Arbeit eine kritische Grenze erreicht. An dieser Grenze gewinnt Arbeit eine einzigartige politische Qualität.

Anm.d.Red.: Magdalena Taube moderiert gemeinsam mit Krystian Woznicki im Rahmen des SILENT WORKS-Auftakts bei der transmediale eine Diskussionsveranstaltung über die Fragestellungen dieses Texts. Ebenfalls auf der Bühne: Der Filmemacher und Medienkünstler Benjamin Heisenberg und die Philosophin Janina Loh. Ort: Volksbühne – Roter Salon. Datum: 31.1.2020. Uhrzeit: 19:00 Uhr.

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