Alle Lebensgrundlagen der kapitalistischen Inwertsetzung zu unterwerfen, bedeutet nicht einfach, ‚uns‘ zu rauben, was ‚uns‘ gehört. Vielmehr bedeutet es, ‚uns‘ die Infrastruktur des Lebens (Luft, Klima, Gesundheitsversorgung, Bildung, öffentlicher Raum etc.) zu entziehen und damit zu verhindern, das ‚wir‘ menschliches und mehr-als-menschliches Leben demokratisch und nachhaltig gestalten können, argumentiert Svjetlana Nedimović in ihrem Beitrag zur Reihe „Kin City“, in dem sie Kämpfe für den Erhalt von Gemeingütern in Sarajevo beleuchtet.
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In der Silvesternacht wurde die Kleinstadt Zavidovići von einem echten Weihnachtsfilm im Hollywood-Stil der 1950er Jahre heimgesucht, als ein älterer Mann, der von einer Rente lebt – was in Bosnien und Herzegowina (BiH) normalerweise ein bescheidener monatlicher Betrag ist, der die ältere Bevölkerung (zumindest einige von ihnen) von extremer Armut fernhält, aber ihr nahe kommt – den Jackpot der nationalen Bingo-Lotterie knackte. Er gewann über 750.000 Euro. In einem anonymen Interview erklärte der Rentner, dass er einen Teil des Geldes zurücklegen werde, um seinen Lebensabend in angemessenem Komfort zu verbringen.
Wer nach Einbruch der Dunkelheit durch die Stadt Sarajevo geht, dem erscheinen viele der neuen Wohnblocks, die fast ausnahmslos riesig sind oder zumindest im älteren Teil der Stadt in keinem Verhältnis zum verfügbaren Grundstück und zu den Proportionen des Stadtteils stehen, in dem sie errichtet wurden, hohl und gespenstisch. Tagsüber suggerieren die belebten Straßen und Cafés der Innenstadt etwas anderes, doch nachts frage ich mich, ob ich nicht durch die Gassen der Stadt gehe, sondern durch die aufwendigen Glas-, Beton- und Stahlkonstruktionen des Finanzdistrikts in einem Computerspiel.
Wie können wir für die Stadt als Gemeingut kämpfen, wenn die Stadt in eine gigantische Baustelle verwandelt wird, auf der die herrschende Klasse, die Kriegsgewinnler*innen und die verarmte Bevölkerung alle nach Vermögenswerten suchen, um die Ungewissheit der Zukunft zu bewältigen?
Befriedung durch Privatisierung
Nach dem Krieg Anfang der 1990er Jahre erlebte Sarajevo ein Jahrzehnt relativ schneller Deindustrialisierung, genauer gesagt eine systematische Zerstörung aller größeren Unternehmen mit lukrativeren Vermögenswerten, insbesondere Land. Diese anfängliche Kampagne der Landnahme war das Werk der politischen und wirtschaftlichen Elite, aber auch internationale Akteur*innen spielten eine wichtige Rolle durch verschiedene Umstrukturierungsprogramme, die alle zur wirtschaftlichen Zerstörung der Industrie in Bosnien und Herzegowina führten.
Es gab Widerstand. Das erste Nachkriegsjahrzehnt war geprägt von zahlreichen Streiks, in denen die verbliebenen Arbeiter*innen um ihre Arbeitsplätze kämpften. Die Streiks führten jedoch nicht zur Wiederaufnahme der industriellen Produktion. Nicht nur wurde der Öffentlichkeit, einschließlich der Arbeiter*innen selbst, das vorherrschende Narrativ von den ‚irreparabel unrentablen sozialistischen Dinosaurierbetrieben‘ eingehämmert, sondern auch die letzten Überreste der alten Klassenorganisationsstrukturen wurden zerstört oder ausgehöhlt, so dass sich die Arbeiter*innen oft damit begnügen mussten, den Anteil des Unternehmens an ihrer Kranken- und Sozialversicherung zu bezahlen, wenn die Unternehmen durch gut vorbereitete Manöver von Konkursverwalter*innen, neuen Eigentümer*innen und Bänker*innen in den Bankrott getrieben wurden.
Was in diesen Jahrzehnten mit der Stadt geschah, ist ein Klischee für ehemals sozialistische Städte im Kapitalismus. Seit gut drei Jahrzehnten verschwindet Sarajevo, dieses eher kleine und enge Tal, das sich behaglich zwischen die Dinariden schmiegt, in einer manischen Superurbanisierung mit monströsen Bauten und immer mehr Hochhäusern, die sich zwischen die älteren Wohnblöcke drängen, sich dicht an dicht um die ohnehin engen Straßen und Fußgängerzonen reihen, kleinere Einfamilienhäuser verdrängen und Grünflächen verschlucken. Die Gründe für die Gewinne aus Investitionen in gigantische Wohn- und Bürogebäude sind weltweit bekannt: Neben den üblichen Überschüssen und den unvermeidlichen Kriegsgewinnen sind es Geldwäsche durch Drogenkartelle, Steuerflucht und Nearshoring. Und Standorte gab es viele. Es gab natürlich ehemalige Fabrikgelände; es gab Grundstücke, die von Leuten verkauft worden waren, die die Stadt für immer verlassen hatten, oder die über undurchsichtige Papiere erworben worden waren; und es gab riesige öffentliche Flächen, die einst für das gute individuelle und kollektive Leben der wachsenden Stadtbevölkerung bestimmt waren; und es gab Flächen, die für den Bau von Bürogebäuden genutzt wurden.
Der nervöse Bauboom hat auch die umliegenden Berge erfasst, einst Stolz der Sarajevoer*innen als ‚unberührte Wildnis‘ vor den Toren und sogar innerhalb der Stadt, heute Tummelplatz des Immobilienmarktes, begraben unter Hochhäusern und Betonklötzen. Die Blöcke beherbergen die Investitionsambitionen der neuen Elite, aber auch der einfachen Mittelschicht.
Jahrelang riefen diese Tendenzen kaum Reaktionen hervor, abgesehen von einem wachsenden Geschäftsinteresse der wohlhabenderen Gesellschaftsschichten. Was schließlich eine öffentliche Reaktion auslöste, war das wachsende Bewusstsein für die Probleme der Luftverschmutzung und der immer häufiger auftretenden Hitzewellen. Ironischerweise erkannte die Mittelschicht, die mit neoliberalen Vorstellungen von persönlichem Wohlergehen und Gesundheit als Selbstverantwortung aufgewachsen war, dass sie eine wesentliche Voraussetzung für das Überleben und ein gutes Leben – nämlich Luft und Klima – nicht einfach kontrollieren konnte. Wasser in Flaschen können gekauft, Fitnessstudios können gebucht, Bio-Lebensmittel können bestellt, Aktivurlaube und Auszeiten können bezahlt werden. Aber Luft und Klima entziehen sich der privaten Kontrolle. Luftfilter und Klimaanlagen können hier nur wenig ausrichten.
An diesem Punkt werden Grünflächen wie Baumalleen und Parks zu Brutstätten des Konflikts und der Infragestellung des herrschenden Paradigmas städtischen Lebens und städtischer Entwicklung. Aber wie weit kann das gehen, wie weit können gelegentliche Kämpfe um Parks das hegemoniale Modell der Stadt und der Urbanisierung als Hauptinstrument der Profitakkumulation durchkreuzen?
Umweltschutz in urbanen Kämpfen – ein mageres Versprechen
In „Rebel Cities“ (2012) argumentiert David Harvey, dass urbane Kämpfe von fragmentierten und themenspezifischen Bemühungen zu einer einheitlichen antikapitalistischen Herausforderung gelenkt werden können, wenn wir uns auf „jene Momente kreativer Zerstörung konzentrieren, in denen die Ökonomie der Reichtumsakkumulation gewaltsam auf die Ökonomie der Enteignung aufprallt und dort im Namen der Enteigneten ihr Recht auf die Stadt proklamiert – ihr Recht, die Welt zu verändern, das Leben zu verändern und die Stadt nach ihren Wünschen neu zu erfinden.“
In diesem Sinne mag die Zerstörung öffentlicher Grünflächen nicht wie ein direkter Fall von Enteignung erscheinen, wie z.B. eine echte Gentrifizierung. Aber die Privatisierung öffentlicher Räume für privaten Profit hat die Dimension einer Enteignung der Gemeinschaft. So war die einzige Mobilisierung in Sarajevo, die aus einer wirklichen Enteignung resultierte, nach den viel früheren Kämpfen um Fabriken und Arbeitsplätze, die Protestkampagne im Januar 2016 gegen die versuchte Schließung des städtischen Krankenhauses, eines der beiden wichtigsten medizinischen Zentren. Der drohende Verlust dringend benötigter öffentlicher Gesundheitskapazitäten mobilisierte vor allem die unteren sozialen Schichten, da die Mittelschicht und die Elite zunehmend auf private Gesundheitsversorgung in Verbindung mit verschiedenen Formen der Lebensversicherung angewiesen sind. Es gab starke Anzeichen dafür, dass das Gelände und die Gebäude des Krankenhauses in ein luxuriöses Kurhotel umgewandelt werden sollten. Es schien eine Bedrohung darzustellen, der Bevölkerung den Zugang zu einer angemessenen öffentlichen Gesundheitsversorgung in einer öffentlichen Einrichtung zu verwehren.
Die Umwandlung städtischer Grünflächen in privates Bauland hat jedoch eine weitreichendere Bedeutung als die Privatisierung des Öffentlichen. Einerseits handelt es sich um die private Gewinnerzielung aus öffentlichem Eigentum auf Kosten der öffentlichen Gesundheit, da die neuen Gebäude öffentliches Land in Anspruch nehmen und Bäume fällen, die für die Luftreinigung und die Temperaturkontrolle unerlässlich sind. Außerdem sind die neuen Gebäude immer so hoch, dass sie die wichtigen Luftströme im engen Tal der Stadt Sarajevo blockieren.
Zweitens wird deutlich, wie die administrativen Verfahren, die im Rahmen des demokratischen Übergangs mit stillschweigender Billigung internationaler Akteur*innen entwickelt wurden, die Stadtbevölkerung effektiv von der Planung und Organisation des städtischen Lebens ausschließen. Während meiner Arbeit im Rahmen dieser Mobilisierungen habe ich persönlich das echte Erstaunen der so genannten einfachen Bürger*innen aller Generationen im Moment der Erkenntnis erlebt, dass ihr Einfluss auf die Stadtpolitik mehr oder weniger auf den Wahltag beschränkt ist – wobei die Wahlen selbst eine kompromittierte demokratische Institution sind, nicht nur auf dem Balkan. Wir wissen gar nicht, wie wenig institutionelle Macht wir haben, und wenn wir uns dessen bewusst werden, kommen wir unweigerlich zu dem Schluss, dass diese Entmachtung zur Enteignung der Stadt führt. Es ist nicht nur das Eigentum, das weggenommen wird, sondern die Infrastruktur und die autonome Praxis des gesamten kollektiven städtischen Lebens.
In diesem Sinne könnten diese Mobilisierungen ein gewisses Potential für einen breiteren antikapitalistischen Kampf haben: als Kampf gegen wirtschaftliche Arrangements, die es einer Minderheit erlauben, von der Ausbeutung und sogar Zerstörung der gemeinsamen Ressourcen zu profitieren. Aber dieses Potenzial wird oft untergraben. In den letzten zehn Jahren gab es mehrere erfolgreiche Bürger*inneninitiativen in ganz Sarajevo – eine Reihe von Grünflächen, Parks und Bäumen wurden verteidigt, ebenso wie eine Reihe von öffentlichen Schulen und das bereits erwähnte Krankenhaus. Aber diese Initiativen haben sich nie zu einer einheitlichen Front zusammengeschlossen, um die Stadt von der Herrschaft kapitalistischer Rationalität und Ordnung zurückzuerobern.
Jenseits des Umweltschutz-Dogmas
Ich denke, dass dieses Scheitern damit zusammenhängt, dass der Umweltschutz in gewisser Weise die Grundlage für diese Kämpfe bildet. Der Umweltschutz dient oft als ideologische Falle und kann in der Tat eine antikapitalistische Mobilisierung behindern. Kämpfe, die sich als strikt ökologisch bezeichnen, beharren oft auf der Natur als primäres Anliegen, das über aller Politik steht, was einerseits nichts anderes ist als eine Entpolitisierung, während andererseits die Bewegungen schließlich in zutiefst konservative und geradezu reaktionäre Impulse der frühen grünen Bewegungen abgleiten und sogar Tendenzen einer romantisierten ‚Rückkehr zur Natur‘ aufgreifen, die ein exkludierendes und elitäres Projekt darstellt. Solche Mobilisierungen erweisen sich auch als anfällig für neoliberale Moralisierungen von Problemen, die an die Eigenverantwortung appellieren, anstatt das herrschende Paradigma in Frage zu stellen.
Die Kämpfe um städtisches Grün lassen sich jedoch nicht so einfach in die Schublade des Umweltschutzes stecken, denn sie umfassen eine ganze Reihe von Themen: Grüner, öffentlicher Raum als Gemeingut, öffentliche Gesundheit, Gleichberechtigung, Dekommodifizierung und so weiter. Als solche sollten die Kämpfe eine ausgezeichnete Grundlage für die Radikalisierung der Kämpfe in Bezug auf Ziele und Strategien bieten.
Der Prozess verläuft jedoch nicht linear. Sarajevoer Gruppen, die sich für die Verteidigung von Parks einsetzen, neigen beispielsweise dazu, nur ihre eigene Nachbarschaft als legitimes und dringendes Anliegen zu betrachten. Es ist fast so, als ob das Eintreten für lokale Gemeingüter paradoxerweise zu einer Art Privatisierung führt – sowohl eines bestimmten Territoriums als auch des Kampfes um dieses Territorium. Das Ziel ist lokal und konkret. Daher können die Forderungen lokal und konkret sein und sich an das System richten, nicht gegen es. Aber genau das begrenzt die politische Vorstellungskraft solcher Gruppen und ihr Potenzial, sich zu einer größeren antisystemischen Bewegung zusammenzuschließen. Unsere Bemühungen bleiben innerhalb prozeduraler Grenzen und wagen sich nie in einen offenen Raum, der das System selbst in Frage stellt oder zumindest Fragen aufwirft: Warum sind Parks immer noch Allgemeingut? Warum wird Stadtentwicklung auf kommerzielle Bebauung reduziert? Wie kommt es, dass Raum zu einem finanziellen Spekulationsobjekt wird?
Diese weitergehenden Fragen werden durch die vorherrschende Investitionskultur, die sich als Stadtentwicklung ausgibt, verdeckt. Diese Kultur verschleiert die Tatsache, dass der städtische Raum durch den Immobilienmarkt privatisiert und in der Finanzwelt verflüssigt wird. Wie David Harvey schreibt: „Die kapitalistische Urbanisierung tendiert immer dazu, die Stadt als soziales, politisches und lebenswertes Gemeingut zu zerstören. […] Urbanisierung ist die fortwährende Produktion eines städtischen Gemeingutes (oder seiner Schattenform öffentlicher Räume und öffentlicher Güter) und seine fortwährende Aneignung und Zerstörung durch private Interessen“.
Die Stadt als Werk aller Bewohner*innen
Diese Diagnose ist bekannt, aber ihre Auswirkungen auf die städtischen Kämpfe werden oft übersehen. Gruppen, die sich zur Verteidigung von Grünflächen erheben, übersehen, dass Bäume und Parks (in der Nachbarschaft) nicht die einzigen legitimen Gemeingüter der Stadt sind. Wohnraum, Gesundheitsversorgung, Bildung und vieles mehr bilden ‚unsere‘ Infrastruktur des Lebens. Gleichzeitig sehen die Umweltschützer*innen nicht, dass ihr eigener Anspruch, Entscheidungen über die Stadt (den Raum) zu treffen, auf einer anderen Grundlage beruht als dem Besitz von Eigentum und möglicherweise finanziellen Transaktionen wie Steuern oder Einkäufen. In diesem Sinne stärkt ihre Rebellion die Hegemonie der Abgrenzung, Fragmentierung, Privatisierung und Finanzialisierung des Interesses an der Stadt.
In der besten Tradition der bürgerlichen Revolutionen geht es darum, die politischen Rechte auf den finanziellen Status zu gründen. Diese Tendenz ist nicht zuletzt auf die kapitalistische Restauration der 1990er Jahre zurückzuführen, die den sozialen Wohnungsbau in Privateigentum überführte, so dass aus selbstverwalteten Hausgemeinschaften Agglomerationen von Eigentümer*innen (oder deren Mieter*innen) geworden sind, deren Anspruch auf ‚ihre‘ Grünflächen auf dem Eigentum an den Wohnungen im Block beruht. Hier gibt es kein Verständnis von Henri Lefebvres Stadt als Arbeit aller ihrer Bewohner*innen, in der der Stadtbewohner*innen in erster Linie Arbeiter*innen ist. Die Investitionen, die in die Städte gepumpt werden, werden durch die bezahlte und unbezahlte Arbeit der Menschen gewonnen, und sie erhalten diese Gewinne durch Mieten und Immobilienverkäufe.
Wenn sich die Kämpfe nicht gegen die kapitalistische Investitionskultur als solche richten, sondern nur gegen ihre Ziele und Auswirkungen, dann haben wir es mit Entfremdung im streng marxistischen Sinne zu tun: mit der Entfremdung der Arbeiter*innen von ihrer Arbeit, von den Früchten ihrer Arbeit und auch von ihrer existentiellen Sozialität, die sie als vernetzte Kollektive städtischen und mehr-als-städtischen, menschlichen und mehr-als-menschlichen Lebens leben. Es ist nicht ein bestimmtes Thema, wie etwa die Klimakrise, das an sich dazu beitragen kann, die Vorstellung wiederzugewinnen, dass städtisches Leben und städtische Entwicklung eng mit menschlicher (und mehr-als-menschlicher) Arbeit im weitesten Sinne verbunden sind und von ihr hervorgebracht werden. Es gibt keine Abkürzung, um die Idee der Stadt als lebendige und greifbare Realität wiederzugewinnen, als die Realität, die der Immobilie zugrunde liegt und über sie hinausgeht, in direkter Konfrontation mit dem vorherrschenden Paradigma der Stadt als Tempel des Kapitalismus. Die Situation der Klimakrise wird sie nicht hervorbringen. Nur das Verständnis ihrer Wurzeln. Die Wurzeln, die einen glücklichen Rentner aus der bosnischen Provinz, der den Jackpot geknackt hat, dazu bringen, mit einer lebendigen Stadt Monopoly zu spielen.