Urbane Ökologien in Aotearoa: Was bedeutet es, mehr-als-menschliche Verwandtschaft dekolonial zu denken?

Eine illustrierte Übersicht der Taonga o Aotearoa (Vögel des vorkolonialen Neuseelands), überlagert von der Karte Neuseelands und dem Logo der neuseeländischen Polizei. Vor diesem Hintergrund erscheinen Demonstrierende in einer größeren Stadt in Aotearoa und halten das Banner Aotearoa is not for sale (Aotearoa steht nicht zum Verkauf) hoch. Artwork: Colnate Group, 2024 (cc by nc)
Artwork: Colnate Group, 2024 (cc by nc)

Als die englischen Siedler*innen begannen, Aotearoa zu erobern und zu kolonisieren, um daraus Neuseeland zu machen, begannen sie einen Prozess der Auslöschung. Sie wollten ein unbeschriebenes Blatt, auf dem sie ihre Geschichte schreiben konnten: die Geschichte blühender Städte und gezähmter Natur, bevölkert von Kreaturen, die wie alles andere aus ihrer Heimat importiert worden waren. In ihrem Beitrag zur Reihe „Kin City“ imaginiert Christine Winter dekoloniale Stadtökologien – innerhalb und gegen diese Gewaltverhältnisse.

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Whenua – Land.
Whenua – Plazenta.

Ko au te whenua, te whenua ko au.
Ich bin das Land, das Land bin ich.

Ich schreibe aus der Heimat meiner Vorfahren, Aotearoa. Ich schreibe aus dem Land meiner anderen Vorfahren, Neuseeland. Ich schreibe von einem einzigartigen Ort. Ich schreibe von einem Ort, der nach dem Vorbild Großbritanniens umgestaltet wurde. Ich frage: Wessen Verwandtschaft (Kin) ist die Verwandschaft der Städte in diesem Siedler*innenstaat?

Te reo Māori ist die Sprache, die auf und mit diesem Land gewachsen ist. Sie ist linguistisch mit den Sprachen des Te Moana-a-Kiwa (des Pazifischen Ozeans) verwandt und wäre beinahe ausgestorben, hätte es nicht konzertierte Bemühungen gegeben, sie wieder zu beleben und zu sprechen. Heute sprechen dreißig Prozent der Neuseeländer*innen kaum mehr als ein paar Worte dieser Sprache, acht Prozent sprechen sie ziemlich gut. Und etwa 25% der Māori (die Ureinwohner*innen dieser motu (Inseln)) sprechen te re Māori als eine ihrer ersten Sprachen. Eine Studie der Universität von Canterbury hat gezeigt, dass selbst diejenigen, die diese Sprache nicht fließend sprechen, 70 oder mehr Wörter des te reo definieren können.

Bis zur Mitte des 18. Jahrhunderts wurden die Orte auf diesen Motu in den Dialekten des te reo benannt. Benannt nach Ereignissen. Benannt nach Tupuna (Vorfahr*innen). Benannt zur Warnung. Benannt zur Erinnerung. Benannt nach Verwandten. Benannt nach Verwandtschaft. Wohin gehen diese Ereignisse, tupuna, taniwha, Erinnerung und Verwandtschaft, wenn sich Siedler*innen über das Land ausbreiten und die Namen ersetzen? Bis zur Mitte des 18. Jahrhunderts gehörte dieses Land allein dem Clan von Māori, es war Whenua. Whenua, der Lebensspender: whenua Land: whenua Plazenta. Dann kamen die Siedler*innen, die meisten von ihnen freiwillig, und lösten die Bindung an ihre Heimat. Doch während sie das Land finanzialisierten und das Verwandtschaftskonzept von whenua/Land und die Bindungen der Māori leugneten, manifestierte sich ihre eigene Bindung an ihre Heimatverwandtschaft in ihrem Bedürfnis, ‚Heimat‘ neu zu erschaffen, indem sie vertraute Pflanzen und Tiere, ihre nicht-menschlichen Verwandten, mitbrachten, um ihre Nostalgie zu befriedigen.

Durchsetzung eines Siedler*innenregimes

Siedler*innen siedeln. Aber die Siedler*innen wurden/werden durch diese Whenua verunsichert. Ihre Geschichten wurden an anderen Ufern geschrieben, in anderen Stadtlandschaften, mit einer anderen Flora und Fauna. Es sind diese Orte, Geomorphologien und nicht-menschlichen Verwandte, die in ihren Zellen und Erinnerungen verankert waren/sind. Unbekannte Siedler*innen kamen, um sich an diesen Ufern, auf diesem Land, auf diesem Whenua niederzulassen und ihr Leben neu aufzubauen. Ich habe den Großbuchstaben L im englischsprachigen Wort Land von Max Liboiron übernommen, um zu zeigen, dass das Wort ‚Land‘ nicht nur ein Stück Land ist, das in Grad, Minuten und Sekunden von Längen- und Breitengraden beschrieben wird, sondern vielmehr ein Ort, an dem das Leben, die Geschichten, die Beziehungen und die Verpflichtungen mehrerer Spezies zusammenkommen und träumen. Das große L kommt der Bedeutung von whenua in der Māori-Kultur näher als das Wort land.

Die Siedler*innenstädte Aotearoas ersticken die Whenua. Die Siedler*innenstädte Neuseelands sind die Städte einer anderen Hemisphäre, eines anderen Ortes, anderer Stimmen, anderer Geschichten, anderer mehr-als-menschlicher Verwandtschaft. Die Siedler*innen wollten, ja sie brauchten das Gefühl, dazuzugehören. Natürlich taten sie das: Menschen werden mit und durch ihre nicht-menschlichen Verwandten geschaffen. Hemisphärische Reisen können die zelluläre Sehnsucht nach den Anblicken, Gerüchen, Empfindungen, Geschmäckern und Klängen vergangener Häuser, Heimatländer und Verwandten nicht besiegen. Um sich niederzulassen, müssen sich die Siedler*innen „zu Hause“ fühlen.

1851 hielt Gouverneur George Grey, der Vertreter Königin Victorias in der jungen britischen Kolonie eine Rede vor dem neuseeländischen Parlament: „Die Natur hat Neuseeland für die Briten geschaffen: Es ist unsere Pflicht, es zu erobern.“ Und diese Pflicht bestand darin, es nach einem fremden Bild umzugestalten. Bäume und Blumen, Nahrungspflanzen, Tiere – Haus- und Nutztiere, Vögel und Fische – wurden importiert und ‚akklimatisiert‘, um das zu ersetzen, was an diesen Küsten fremd erschien: um diese Inseln vertraut zu machen. So konnten sich die Siedler*innen niederlassen, sich heimisch fühlen.

Die Aneignung der ‚Wildnis‘

Für die Siedler*innen war die südliche Hemisphäre ein Reich, in dem alles durcheinander war. Die Jahreszeiten stimmten nicht mit den Monaten überein, das geologisch neue Land war zerklüftet (nicht das alte, geglättete Land Englands). Erschreckenderweise war dieses Land ‚Wildnis‘, jener Zustand der Natur, den die Vorfahr*innen der Siedler*innen mit ihren Städten und Farmen in ihrer Heimat ausgelöscht hatten. Aotearoa war von dichten, feuchten, immergrünen Wäldern bedeckt, die ungewohnte Anblicke, Geschmäcker, Gerüche und taktile Eindrücke boten. Obwohl es keine wirkliche Bedrohung gab, keine Menschenfresser*innen, keine giftigen Schlangen, keine irdische Gefahr, die über den Menschen hinausging, schüchterten die dunklen, dichten Wälder ein.

Die Whenua mussten gezähmt werden, sie mussten sich selbst finanzialisieren, sie mussten ‚produktiv‘ sein, sie mussten die Siedler*innen mit vertrauten Nahrungsmitteln versorgen und das ‚Heimatland‘ mit den Produkten des Siedlungsbetriebs, die aus abgeholzten Flächen, Landumwandlung, Beton und Asphalt hergestellt wurden. Mit anderen Worten, sie schufen ein System, das die Menschen von den Whenua, vom Land, von Pflanzen und Tieren, von Bächen, Flüssen, Seen und Meeren trennte. Sie trennten die Menschen von den verwandtschaftlichen Beziehungen, auf die sich die Begriffe Whenua-Land und Whenua-Plazenta beziehen.

Die Städte der Siedler*innen, die brutal umgestaltet wurden, sind Räume der Geometrie, der geraden Linien, die unregelmäßigen Landschaften aufgezwungen wurden, Räume der bewussten Auslöschung: Orte erzwungener Vertrautheit. Es sind Orte, an denen die Herstellung von Verwandtschaft die rasche Eliminierung des ‚Eingeborenen‘ (des Menschen und des Anderen auf der Erde) erforderte: und die Verpflanzung europäischer Arten und europäischer Landschafts- und Gebäudearchitekturen, die das auslöschten, was die Natur ‚für die Briten gemacht‘ hatte.

Die Gewalt der Kolonialstädte

Beginnen wir mit dem Oberfläflichen: der Umbenennung der Orte, die heute Aotearoa | Neuseelands vier Großstädte sind – von Norden nach Süden: Auckland, Wellington, Christchurch und Dunedin. Wessen Verwandtschaft, welche Verwandtschaft steckt in diesen Namen? Oder mit Hamilton, Gisborne, Napier, New Plymouth, Picton, Invercargill? Diese Namen stellen keine Verwandtschaft mit diesen Whenua her, sondern zwingen ihnen ein fremdes Regime und fremde Geschichten auf, um das Unbekannte, die verstörende Andersartigkeit dieses Ortes auszulöschen. Aber diese Namen, Geschichten und Erzählungen wurden einem Ort aufgezwungen, der bereits voller Geschichten und Geschichte ist. Sie verleugnen Jahrhunderte des Wissens, des Lernens, des Lachens und des Schmerzes, des Geborenwerdens und des Sterbens. Sie entleeren die Vergangenheit dieses Landes und erzwingen eine flache Gegenwart und eine leere Zukunft.

Was waren diese Orte, bevor die koloniale Fremdherrschaft sie unterdrückte? Jede Stadt, die nach britischen Würdenträgern, Kriegshelden oder Herkunftsorten benannt wurde, breitete Tentakel aus, die zu viele Orte der Zugehörigkeit aufsaugten, um sie benennen zu können: Dörfer, Gärten, Vulkane, Flüsse, Buchten, Meeresarme, Schlammbänke, Küste und Meer, Wälder, Fischgründe, Landeplätze der Vorfahr*innen, Bootsanlegestellen, Wege und Pfade, befestigte Hügelkuppen, Schlachtfelder und Friedhöfe. Verschwunden sind die Orte der Vorfahr*innen und der künftigen Generationen, die mythischen Landschaften der Liebe und der Gerechtigkeit, der Verantwortung und der Pflichten, des Heiligen und des Profanen. Verschwunden sind die Verwandten der Whenua.

Verloren sind die Praktiken, die auf die Harmonie zwischen den Menschen und den anderen Bewohner*innen der Erde zielten, die Praktiken, Protokolle und Verfahren, die in den letzten mehr als 800 Jahren auf diesem Motus gewachsen sind, die sich um das Wohlergehen aller Verwandten sorgten und die sich vor der Macht der Natur demütig verhielten. In der Hybris der Kolonisation haben die Siedler*innen die Orte der Eingeborenen finanzialisiert und die verwandtschaftlichen Beziehungen, die immer bestanden haben, zerschnitten. Der Ort wurde ausgelöscht, der Raum aufgezwungen. Sie stellten sich unser geschichtsträchtiges Land als leeren Raum vor, eine Leere, die mit ‚Kultur‘ und ‚Kultiviertem‘ gefüllt werden sollte, mit zivilisierten Pflanzen, vertrauten Kreaturen, geraden Linien und asphaltierten Straßen, imposanten Gebäuden, Häfen und Eisenbahnen. Die Whenua sollten gezähmt werden.

Universelles nicht-menschliches Leben?

Die Verwandten der Siedler*innen: Katzen, Hunde, Amseln und Spatzen, Elstern und Tauben, Hühner und Enten, Gänse und Schwäne, Hermeline und Frettchen, Mäuse und Ratten, Kaninchen und Rehe, Opossums und Wallabys, Forellen und Lachse sind nicht die Verwandten der Whenua. Sie konkurrieren mit den Verwandten der Whenua, töten und verstümmeln sie. Der Vogelgesang, der mit Autohupen und Motorradgeräuschen konkurriert, ist selten der Gesang der Manu (Vögel) von Aotearoa – mit einer außergewöhnlichen Ausnahme. In Wellington, einer Stadt, die nach einem britischen Helden benannt ist, erklingt nun die europäische Kriegsgeschichte, die englische Geschichte, zu den Klängen der tui, ringt mit dem jugendlichen Übermut der kākā, spürt das Rauschen der kereru-Flügel.

Diese manu, in Aotearoa heimische Vögel, kommen aus Zealandia Te Māra a Tāne, einem 225 Hektar großen städtischen Naturschutzgebiet, das auf 500 Jahre angelegt ist, um ein Tal wieder in ein gesundes Ökosystem zu verwandeln, eine Enklave mit einheimischen Wäldern und Süßwasser; manu, mokomoko (Eidechse), tuatara (ein in Aotearoa einzigartiges Reptil), Frösche und einheimische Süßwassermuscheln. Und wie? Indem aus Europa eingeschleppte Arten, die einheimische Vögel und Reptilien bedrohen, aus dem Parkgebiet entfernt werden. Hohe Zäune und regelmäßige Kontrollen sorgen dafür, dass sich die einheimischen Arten frei von den Fängen der eingeschleppten Raubtiere entwickeln können. In etwas mehr als 30 Jahren ist Zealandia vom Traum zur Wirklichkeit geworden. Verwandelt könnte bedeuten, dass die Umwandlung leicht und ohne Arbeit vonstatten ging. Dem ist nicht so. Tausende Stunden Planung, Lobbyarbeit, Arbeit und Hunderte von Freiwilligen haben die Vision eines Mannes Wirklichkeit werden lassen. Das Ergebnis ist der Stolz der Einwohner*innen Wellingtons, die aus den unterschiedlichsten Ländern stammen.

Die Siedler*innen treten in eine neue Beziehung zu ihren indigenen Verwandten, den Whenua, die den Himmel über einer Stadt zurückerobern, die in England als englische Stadt für englische Einwanderer*innen geplant wurde, auf einem Land, das bereits voller Geschichten und Vorfahren, voller Verwandtschaft und Beziehungen ist. Wenn die Manu der Whenua, die Wellington unterdrückt haben, wieder auferstehen, entsteht eine neue, hybride Verwandtschaft an einem Ort, der die britische Heimat nie genau wiedergeben konnte. Mit dem Wiederaufleben des te reo blüht auch die Verbindung zum Land der Whenua für die Verwandten, die bereits hier waren, und die Plazenta der Whenua wächst für die Nachkommen der ungeborenen Siedler*innen, die auf der Suche nach einem Zuhause kamen.

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