Welche Rolle spielen Nachbarschaften beim Aufbau der Infrastruktur für autonome, soziale Bewegungen und gesellschaftlichen Widerstand? Angesichts der vielen Zwangsräumungen im Zuge der COVID-19-Pandemie muss über diese Frage neu nachgedacht werden. Der Literaturwissenschaftler Joseph Turner berichtet über den aktuellen Stand im Kampf gegen Vertreibung.
*
Ich möchte mit dem beginnen, was Stadtplaner*innen negativ als “Problemviertel” bezeichnen, was aber positiv als “unregierbare Viertel” bezeichnen werde. Unregierbare Viertel sind Bezirke, die sich der Gentrifizierung widersetzt haben; wo Blockpartys zu jeder Stunde stattfinden, Straßenökonomien wuchern, um den Lebensunterhalt zu sichern, und die Polizei von niemandem willkommen ist. Mit anderen Worten, wo eine nicht kodifizierbare Freiheit existiert. Viertel, in denen die Konsumgewohnheiten der Wohlhabenden nicht ökonomisch eingesetzt wurden. Das sind Gegenden mit “gefühlter Kriminalität”, weil unregierbare Nachbarschaften am Rande der Wirtschaft existieren und weil vor allem schwarze Lebensformen vom Staat als illegal eingestuft wurden. Solche Viertel sind Ziel von “Revitalisierungsprojekten” und von Verdrängung (und Ersetzung) der ehemaligen Bewohner*innen durch Menschen aus der Mittelschicht.
Die Frage, der ich nachgehen möchte, ist nicht der offensichtliche Trend der Gentrifizierung, sondern die heimtückischere Arbeit von Community Development Corporations (CDCs; manchmal umbenannt in Community Development Organizations, oder CDOs) und wie sie Beziehungen in unregierbaren Nachbarschaften entpolitisieren, besonders in kleineren Städten. Was sind CDCs und warum bilden sie sich, um für bestehende Gemeinschaften zu sprechen? Historisch gesehen gehen CDCs auf die Bürgerrechtsära in den Vereinigten Staaten zurück, als ein Mittel zur Bekämpfung des so genannten Redlining in Städten. Dieses Erbe scheint jedoch zugunsten des Bestrebens, sowohl die Eigentums- als auch die ästhetischen Werte in einkommensschwachen Gemeinden zu erhöhen, hinter sich gelassen worden zu sein.
Die Rolle der Community Development Corporations
Jetzt agieren sie als Verwaltungsorgane, um unregierbare Nachbarschaften zu verwalten, indem sie als Vermittler zwischen den Stadtplaner*innen und den Bewohnern*innen existieren. CDCs führen die Stabilisierung und Förderung der Gentrifizierung durch, indem sie ein Viertel planen und polizeiliche Maßnahmen in einer Nachbarschaft einsetzen. Mit anderen Worten, sie schaffen ein Verwaltungskörper für eine schweigende Gemeinschaft, die jegliche Form der Partizipation ablehnt. Wie Autor*innen zum Thema Gentrifizierung bereits erklärt haben, sind es die Widersprüche zwischen den Kräften von Nutz- und Tauschwert, die zur ständigen Verdrängung armer Bewohner*innen führen (Peter Moskowitz erklärt dies sehr deutlich in How to Kill a City: Gentrification, Inequality, and the Fight for the Neighborhood).
Das Problem wird manchmal in Fragen der Beschäftigung und der wirtschaftlichen Möglichkeiten verlagert. Aber die Konzentration auf die Erhöhung der Arbeitsmöglichkeiten wird diese Widersprüche nicht auflösen. Stattdessen müssen Netzwerke der gegenseitigen Hilfe, der Gemeinschaftsverteidigung und der Infrastruktur für soziale Bewegungen aufgebaut werden, um Nachbarschaften zusammenzubringen. Plattformen, die sich für bezahlbaren Wohnraum einsetzen, müssen gleichzeitig mit der Macht der Mieter*innen und autonomen sozialen Bewegungen entstehen, sonst werden sie nur zu leeren Versprechungen.
Aus diesen Gründen müssen CDCs als Hindernisse für den Aufbau jeglicher Art von kollektiver Macht identifiziert werden. CDCs benötigen Feedback und Legitimität auf verschiedenen Plattformen. Social-Media-Kampagnen sind zunehmend einflussreich geworden, wenn es darum geht, Bilder von gemeinschaftlichem Engagement zu projizieren, während Kunstausstellungen und “Kaffee mit einem Polizisten”-Einsätze physisch versuchen, eine Gemeinschaft in einen Dialog mit denen zu bringen, die sie zu verdrängen versuchen.
Vorgetäuschter Aktivismus
Der Haken an der Sache ist, dass es nicht auf die Quantität der Stimmen ankommt, sondern auf die Projektion repräsentativer Stimmen und eine gezielte Einbeziehung nur ausgewählter Gemeindemitglieder als Gesicht der “progressiveren” CDCs. Der Einsatz von Verschönerungsprojekten neben “Community Boards” oder Online-Formularen geben der Gentrifizierung den Konsens, den sie benötigt, um als progressive Sanierung oder “demokratisch” zu erscheinen. Andernfalls riskieren CDCs, die Bedingungen für die sozialen Bewegungen zu schaffen, die den Widerstand gegen die systemische Gewalt entfachen werden, die diese Organisationen selbst zu verbergen suchen. Anders ausgedrückt: CDCs müssen eine aktivistische Identität vorspielen, aber sie sollen eben kein Umfeld für eine Massenmobilisierung schaffen.
Ich möchte die Vorstellung vertreten, dass die Arbeit der CDCs als eine Art Polizeiarbeit bezeichnet werden sollte – eine Abstraktion der Zusammenarbeit zwischen Stadtentwicklung, Polizeiarbeit und dem, was Cedric J. Robinson als “rassischen Kapitalismus” bezeichnet hat. Michael Hardt und Antonio Negri bezeichnen diese Operationen als “moralische Interventionen”, die einen ideologisch gerechten Krieg um ein bestimmtes Territorium führen. Während Hardt und Negri sich eindeutig auf globale Kriege des Imperiums beziehen, behaupte ich, dass diese moralischen Interventionen auf Graswurzelebene Nachbarschaften auf mehr Polizeipräsenz und Vertreibung vorbereiten. Es reicht nicht aus, jemanden hinzusetzen, um die Sprache der Sanierungspläne zu lesen; stattdessen muss man erkennen, dass das Fehlen einer kollektiven Macht ein Vakuum für CDCs hinterlässt, um ein Simulakrum von Gemeinschaft zu schaffen. Eine sich selbst polarisierende Gemeinschaft. Doch das Produkt dieser Abstraktion ist eine Zunahme von Verhaftungen auf niedriger Ebene (was zu mehr zukünftigen Verhaftungen führt) und eine Identifikation und ein Gefühl der Vertrautheit mit der Besatzungsarmee in den Nachbarschaften – der Polizei. Die Interessen von Staat, Markt und Gesellschaft, die die Gentrifizierung vorantreiben, werden durch den Einsatz der Polizeilogistik geschützt.
Die unsichtbare Arbeit, die hier geleistet wird, findet im sozialen Körper statt – die Arbeit der “Gemeinschaft” selbst. Verschönerungsprojekte, Nachbarschaftswachen und Gemeinschaftsgärten sind nur einige Beispiele für das, was ich als “Gemeinschaftsarbeit” bezeichne. Je mehr Selbstkontrolle eine Nachbarschaft betreibt, desto sicherer ist sie für die wirtschaftliche Entwicklung und für die Interessen der Mittelschicht, die sich durchsetzt. Diese Arbeit wird im Wesentlichen von dem Wunsch angetrieben, die Ästhetik der Gemeinschaft zu kultivieren, aber wie Jacques Camatte behaupten würde, ist die einzige Gemeinschaft, die angeboten wird, grundlegend vom Kapital konstruiert und vermittelt. Meine Analyse unterscheidet sich hier von den meisten Diskussionen über Gentrifizierung. Wenn Polizeiarbeit der Einsatz von Logistik ist, der die Illusion ständiger Überwachung erzeugt (eine Unmöglichkeit, wie uns Benjamin Heisenberg in seinem Birds Clone Stamp mit dem Bezug zur “Arbeit des Hinschauens” in Erinnerung ruft), dann muss das vorrangige Angriffsziel der Anti-Gentrifizierungsbewegungen die Polizei selbst sein und, noch wichtiger, die Operationen der Polizeiarbeit, weil es möglich ist, diese Grenzen auszureizen.
Polizeiarbeit, Verdrängung und KI
Wie Petero Kalulé und AM Kanngieser in ihrem kürzlich bei Silent Works erschienenen Audio-Essay argumentiert haben, “hat KI die Aufgabe, das Unerkennbare zu erfassen und zu beherrschen. Dies ist eine polizeiliche Funktion; KI wird zu einer Operation der Gesetzeskraft, die absichtlich, aber unmerklich durchgeführt wird.” Auf lokaler Ebene ist das Unbekannte die unregierbare Nachbarschaft und die Revitalisierung ist ein Weg, eine Nachbarschaft zu schaffen, die vorhersehbar und ruhig ist – dieser Prozess ist von Natur aus mit antischwarzer Gewalt verbunden. Wenn die Polizeiarbeit ohne Störungen funktionieren kann, dann wird Verdrängung unvermeidlich. Wenn sich jedoch eine Nachbarschaft der Polizei kollektiv durch Proteste widersetzt, die Polizei filmt oder ihre Rechte kennt, wenn es um die Interaktion mit der Polizei geht, dann wird eine völlig andere Kultur rund um die Polizeiarbeit geschaffen.
Normalisierende “Community Safety”-Apps wie Ring Doorbells oder Nextdoor konstruieren eine sich selbst überwachende Gemeinschaft, die die Undurchsichtigkeit transparent macht, die die Bildung sozialer Bewegungen erfordert. CDCs sind es, die den Boden abtragen und die Saat in einer Nachbarschaft legen, damit es einen Einstieg für Tech-Arbeit gibt und die Tür für KI-kapitalistische Technologien öffnen, um Operationen der Polizeiarbeit zu intensivieren. Das Auftauchen von Türklingeln in einkommensschwächeren Vierteln gibt der Polizeiarbeit eine neue Richtung, um ihre Operationen zu projizieren. Gemeinwesenarbeit entpuppt sich unter der Oberfläche als Polizeiarbeit oder, wie Micol Seigel es nennt, als Gewaltarbeit. Polizeiarbeit und soziale Medien kollidieren auf eine Art und Weise, die die Gewalt verschleiert, die “Community Work” verewigt, indem sie Gebiete der Unregierbarkeit anvisiert und marginalisierte Gemeinschaften illegalisiert. Dies muss jedoch nicht die einzige Form sein, die eine Nachbarschaft annehmen kann. Eine Unterbrechung der Kommunikationskanäle durch die Bewohner*innen könnte sicherlich das vorgetäuschte Bild des Konsenses erschüttern und das Projekt als die Operation der Verdrängung entlarven, die die Gentrifizierung vorantreibt.
Polizei abschaffen, Nachbarschaften retten
Da die Allgegenwart von Staat und Wirtschaft nicht allumfassend ist, muss es Wege geben, diese Grenzen auszureizen und soziale Bewegungen zu inspirieren, die es erlauben, dass Nachbarschaften unregierbar bleiben. Nach dem Aufständen, die durch die Ermordung George Floyds 2020 in den Vereinigten Staaten aufflammten, ist die Abschaffung der Polizei im Diskurs populär geworden. Der populäre Slogan “starke Gemeinschaften machen die Polizei obsolet” klingt wahr und der Kampf gegen die Abschaffung muss aus autonomen sozialen Bewegungen entstehen, die Nachbarschaften mit ihrer Macht in Kontakt bringen.
Non-Profit-Organisationen und lokale Politik können als Werkzeuge eingesetzt werden, um eine begrenzte “kommunale” Macht zu erlangen, aber sie ersetzen nicht (und können das auch nicht) die direkte Aktion und die sozialen Bewegungen an sich. Der Vermittlung von CDCs muss nicht nur widerstanden, sondern bekämpft werden, damit gegenseitige Hilfe und Nachbarschaftsverteidigungsprojekte sich in dem Raum, den CDCs in den Gemeinden einnehmen, ausbreiten können. Die Ablehnung von Community Policing ist von entscheidender Bedeutung, und die Nachbarschaften müssen aktiv alle Formen der Polizeiarbeit im Alltag stören und eine Kultur der Abschaffung in der Praxis schaffen. Schließlich muss die Arbeit der Polizeiarbeit als das anerkannt werden, was sie ist: Gewalt- und Gemeinschaftsarbeit.
Anm. d. Red.: Lesen Sie mehr zu dem Thema in dem zweiteiligen Essay von Katja Schwaller (Teil 1, Teil 2) und schauen Sie sich hier Schwallers Video-Statement an.