
Autoritäre Politiken, die mit affektiv aufgeladenen, Angst schürenden Untergangsszenarien arbeiten und von Verzweiflung, Ohnmacht und Vereinzelung profitieren, scheinen zunehmend in offenen Faschismus zu münden. Die faschistische Bedrohung der demokratischen Gesellschaft stellt die erkämpften egalitären Errungenschaften in Frage. Wir kommen daher nicht umhin, wie Jule Govrin argumentiert, über Gleichheit zu sprechen und nach Spuren eines Universalismus von unten zu suchen.
*
Autoritär-fossile Allianzen sind auf dem Vormarsch. Politiker*innen wie Donald Trump und Giorgia Meloni befeuern in offen zelebrierter Unvernunft ausgediente, fossilindustrielle Extraktions- und Energiemodelle. Ihr Zusammenwirken zeitigt zutiefst zerstörerische Züge. Die autoritären Allianzen zwischen faschistischen Akteur*innen, Tech-Milliardär*innen und radikalisierten Konservativen streben an, das Recht auf körperliche Selbstbestimmung und das Versprechen der Menschenrechte abzuräumen. Dabei stellen sie Migrant*innen, arme Menschen und trans und queere Menschen als Quelle allen Unheils dar und setzen sie mit dieser Ressentimentbewirtschaftung gewalttätigen Angriffen aus. Die sündenbocklogische Rhetorik, die über faktenfreie Skandalisierungseffekte verfährt, lenkt die Aufmerksamkeit weg von dem Umbau der Gesellschaft im Zeichen autoritärer Austerität, die darauf abzielt, ohnehin marode sozialstaatliche Strukturen weiter zu zersetzen.
Fortschrittsgläubigkeit des Faschismus
Die unzeitgemäßen fossilindustriellen Allianzen treten in fortschrittsverliebtes Bündnis mit Tech-Milliardären wie Elon Musk oder Peter Thiel, die von der Abschaffung der Demokratie träumen. Bevor er auf der Flucht vor dem Nationalsozialismus verstarb, warnte Walter Benjamin vor den Gefahren der Fortschritts- und Technikgläubigkeit. Faschist*innen, so Benjamin, machen sich Technologie für ihre Zwecke zunutze, um medial den Führerkult zu verbreiten. Zudem befördere dieser Glaube an den Fortschritt durch die Supermacht der Technologie die Hörigkeit gegenüber denen, die Verfügungsgewalt über technische Mittel besitzen und sich als Retter*innen der Menschheit aufschwingen.
Benjamins Thesen sind aktueller denn je. Dass sich Tech-Milliardäre wie Musk nicht scheuen, offen als Oligarchen mit Machtanspruch aufzutreten, ist ein überdeutliches Warnzeichen. Mit der ‚Broligarchie‘ autoritärer Politiker*innen und Tech-Milliardäre fusionieren Führer*in- und Geniekultur, imperiale Fantasien im Namen eines Fortschritts, der rückwärts schreitet, weil er die emanzipatorischen Errungenschaften vergangener Kämpfe auslöschen will. Was sie anstreben, ist nicht die Freiheit der Vielen, sondern die Freiheit der Wenigen.
Neue Sachlichkeit und strategischer Optimismus
Um dem etwas entgegenzusetzen, braucht es einen strategischen Optimismus, wie es der Soziologe Erik Olin Wright einst nannte. Dieser entspringt keiner Naivität, er ist der politischen Notwendigkeit geschuldet, sich den disruptiven, destruktiven Kräften der Rechten entgegenzustellen und radikaldemokratische Wege der sozialökologischen Transformation zu erkunden. Für linke Politik war Pessimismus nie weiterführend. Ganz anders bei autoritären Politiken, die mit affektgeladenen, angstschürenden Apokalypsenszenarien arbeiten und von Verzweiflung, Ohnmacht, Vereinzelung profitieren.
So sehr das Vergeblichkeitsempfinden zum resignierten Rückzug ins Private verleiten mag, so sehr bleibt dieser Ausweg versperrt, denn das Leben der Menschen wird sich unweigerlich verändern, wenn auch für manche mehr als für andere. Menschen mit Migrationsgeschichte, queere Menschen, jüdische Menschen, Menschen mit Behinderung, armutsbetroffene Menschen und nicht zuletzt Frauen sehen sich mit konkreten Gefahren und materiellen Einschnitten konfrontiert. Doch auch alle anderen werden den Wandel spüren. Die Krisen – allen voran die Klimakrise – machen nicht vor der Haustür halt. Ebenso wenig lässt der Faschismus das Leben der Einzelnen unberührt. Um uns krisenfest zu machen, um uns antifaschistisch zu verbünden, ist es notwendig, über Gleichheit zu sprechen, sie anzustreben, als gelebte Gleichheit, die es vielerorts schon gibt.
Radikale Gleichheit statt negative Freiheit
Warum Gleichheit – und nicht Gerechtigkeit? Ein kapitalkonformer Gerechtigkeitsbegriff wird häufig als Argument gegen Gleichheit ins Felde geführt, um Ungleichheit zu legitimieren. Marktliberale verwenden ein Vokabular der Leistungsgerechtigkeit, um ungleiche Vermögen und Steuervorteile zu rechtfertigen. Allerdings vermehrt sich Reichtum zuallererst durch Vererbung, nicht durch Arbeit.
Im Zeitalter eines autoritären Neoliberalismus gibt es Gründe, warum Gleichheit aus dem politischen Vokabular verschwunden ist. Gleichheit ist unbequem. Sie erinnert daran, dass Menschen gesellschaftliche Grundstrukturen brauchen, um selbstbestimmt handeln zu können. Gleichheit ist unabdingbar an Freiheit gebunden: Um einander als Gleiche zu behandeln, müssen Menschen frei sein. Und um frei zu sein, benötigen sie geteilter Basisbedingungen, wie sicherere Wohnverhältnisse, gute Bildung und Gesundheitsfürsorge. Diese sind elementar für das demokratische Miteinander, wenn wir Staat und Gesellschaft nicht Oligarchen überlassen wollen, die das politische Geschehen zu ihren Gunsten zu lenken.
Neoliberale Austerität, die gesellschaftlicher Kerngerüste zugunsten von Vermögensungleichheit zerstört, wird im Namen der Freiheit vorangetrieben, wobei wohlgemerkt Marktfreiheit gemeint ist. Diese einseitige Befürwortung negativer, vom Sozialen losgelöster Freiheit findet sich aufseiten von Marktfundamentalist*innen sowie offen Autoritären. Deshalb führen neoliberale Diskurse die Freiheit an erster Stelle, um die Frage der Gleichheit vergessen zu machen. Doch Freiheit ist sozial bedingt und von Gleichheit untrennbar. Umso dringlicher ist es daher, wieder von Gleichheit zu sprechen – nicht im liberalen Sinne der Chancengleichheit, sondern im Gedanken einer radikalen Gleichheit, die das gute Leben für alle will.
Egalitäre Sorge
Ein Beispiel für egalitäre Praxis und Demokratie als nachhaltige Lebensform bieten die Sorgenden Städte. Neben Städten wie Zaragoza oder Rosario verfolgte auch die Regierung von Ada Colau (2015 bis 2023) in Barcelona diesen kommunalpolitischen Ansatz. Aufbauend auf dem Wissen aus feministischen Bewegungen wurde Sorge zum Angelpunkt sozialökologischer Transformation. Das beinhaltete eine Bandbreite an gemeinwohlorientierten Maßnahmen, vor allem den Ausbau staatlicher Versorgungsstrukturen. Kernanliegen war es, Wirtschafts- und Sozialpolitik sowie Stadtplanung von Grund auf zu ändern, die öffentliche Infrastruktur auszubauen, um die Lebensbedingungen für alle zu verbessern, wie durch Familienzentren und mehr Angebote für Pflege und Gesundheit. Für Menschen – meist Frauen –, die in ihren Familien viel Sorgelast tragen, wurde eine Care-Karte eingeführt, mit der sie bevorzugten Zugang zu staatlicher Versorgung erhielten. Zudem wurde die urbane Architektur verändert, durch Grünflächen, die im Sommer vor Hitze schützen und Begegnungsräume bieten.
Dieser Wandel des Stadtlebens bestand nicht bloß aus Top-Down-Maßnahmen. Ada Colaus aus der Occupy-Bewegung heraus gegründete Partei Barcelona en Comú hielt enge Rücksprache mit sozialen Vereinen und Initiativen. Sie unterstützte Nachbarschafts- und Gemeinschaftsprojekte, die sich ihrerseits in die Umgestaltung der Stadt einbringen konnten. In solch einem radikaldemokratischen Kreislauf wird Teilhabe aktiv gestärkt. Demokratie erweist sich so als egalitäre Praxis der Gesellschaftsgestaltung und nachhaltige Lebensform.
Sicherlich sind Praktiken gelebter Gleichheit nicht vor dem Scheitern gefeit. Der Regierung Ada Colaus gelang es weder, den wirtschaftlichen Strukturwandel solidarökonomisch anzuschieben, noch sämtliche Bevölkerungsschichten anzusprechen. Gelebte Gleichheit ist eine prekäre Praxis. Sie besteht im Ausprobieren, im Einüben. Konkrete Vorschläge für eine gleichheitliche Gestaltung der Welt liegen auf dem Tisch – ob die Sorgenden Städte, die Vergesellschaftung der Lebensgrundlagen, die Verwandlung von Shopping Malls in Sorgezentren oder die Vier-Tage-Woche, die es erlauben würde Sorgearbeit besser zu verteilen und Zeit geben, sich gesellschaftsgestalterisch einzubringen. Und je mehr Menschen sich vielstimmig einmischen, desto lebendiger wird Demokratie, desto demokratischer und sozialer wird Wirtschaft.
Die prekäre Praxis radikaler Gleichheit
Es lohnt sich, nach Projekten und Praktiken zu suchen, die solch einen Wandel ein kleines Stück umsetzen. Statt sich von den affektgeladenen Angstnarrativen autoritärer Kräften treiben zu lassen, ist es wegweisend, Wissen über gelebte Gleichheit sichtbarer zu machen und linke Gegenerzählungen für eine geteilte Zukunft zu setzen.
Es geht nicht darum, Solidarität zu romantisieren, bestehende Ungleichheiten oder die Gefahren des sich anbahnenden Faschismus zu leugnen. Um den Bedrohungen zu begegnen, müssen wir uns den großen Zukunftsfragen stellen und Wege zu einer anderen möglichen Welt aufzeigen, statt uns fatalistisch in bloßen Abwehrkämpfen zu verfangen. Statt nach abstrakten Idealen einer gerechten Gesellschaft oder nach fernen Utopien zu fragen, sollten wir aus dem Wissen über egalitäre Organisation lernen – und zusammen ausprobieren und Gleichheitspraxis einüben, im konkreten Nahbereich der Nachbarschaft, im Kiez und auf Kommunalebene. Ebenso gilt es, kommunale Schutznetze zu entwickeln – als antifaschistische Sorgepraxis. Wenn staatliche Institutionen vor autoritären Übergriffen nicht sicher sind, liegt der Schutz, den wir uns selbst geben können, in den radikaldemokratischen Strukturen der Zivilgesellschaft. Demokratie beginnt im vielfältigen Miteinander, als Lebensform. Deshalb kommt ihre Kraft aus den sozialen Beziehungen. In diesen Beziehungen beginnt die Gleichheit.
Radikale Gleichheit wird nicht durch Gesetze gewährt, wir schaffen sie gemeinsam, indem wir uns solidarisieren – mit denen, die uns nahe, und jenen, die uns fern stehen. Dabei baut Gleichheit auf Vielfalt und Vielheit auf. Es geht nicht um ein Gleichsein, es geht auch nicht um die beste Lebensweise. Vielmehr geht es darum, im Wissen über unsere Verbundenheit und Verschiedenheit die egalitäre Sorge um alle in den Vordergrund zu stellen. Diese allgemeine Angewiesenheit bindet uns bei all unseren Unterschieden aneinander. Hierin liegt, wenn man so will, der kleinste egalitäre Nenner – in unserer verkörperten Verbundenheit. Gleichheit erweist sich als radikalrelationale Praxis. Als solidarische Sorgepraxis.
Für einen Universalismus von unten
In all dem zeichnet sich ein Universalismus von unten ab. Er entsteht dort, wo sich Menschen in ihrer Unterschiedlichkeit verbünden und sich als Gleiche begreifen. In Benjamins Thesen zur Geschichte wird ein solcher Universalismus von unten zwischen den Zeilen sichtbar. Im Gedanken eines anarchistisch gewendeten, jüdischen Messianismus spricht Benjamin vom messianischen Aufblitzen in der Geschichte. Es leuchtet auf, wenn wir uns inmitten katastrophischer Ereignisse der widerständigen Bewegungen der Vergangenheit bewusst werden – als „Zuversicht, Mut, Humor, List, Unerschütterlichkeit“, die „in der Ferne der Zeit“ nachwirken.
Anzeichen eines Universalismus von unten lassen sich erahnen, wenn sich Menschen der überkreuzten Gewaltgeschichten gewahr werden –im Widerstand gegen die Versuche, Menschen zu verwalten und verwerten, im Zeichen des Fortschritts, die im 20. Jahrhundert in den Faschismus geführt haben und einmal mehr dorthin führen können. Nach 1945 wurden die UN-Charta der Menschenrechte in die Welt gebracht. Obzwar die Menschenrechte ein Versprechen sind, das weiterhin auf Einlösung wartet, ist es umso dringlicher, sie zu verteidigen.
Gestern wie heute braucht es Antifaschismus aus Anstand. Er äußerst sich vielgestaltig und vielerorts, bei massiven Demos wie von der feministischen Bewegung in Buenos Aires oder bei kleinen CSDs in Brandenburg, die gewaltbereiten Nazis entgegentreten. Darin blitzt ein Universalismus von unten auf. Proteste wie CSDs, die oftmals als Identitätspolitiken abgetan werden, kämpfen für eine demokratische Gesellschaft der Vielen. Sie sind antifaschistischer Widerstand. Hierhin zeigt sich ihr egalitärer, universeller Gehalt.
Ein Universalismus von unten setzt bei den konkreten Kämpfen um Gleichheit an, er verbindet transversal die Bewegungen und baut auf ihrer Vielfältigkeit auf. Er schreibt keine Lebensweise vor, hat kein fixes Set sich universalistisch gebender Prinzipien, trachtet nicht nach Gleichsein. Er manifestiert sich in Momenten, in denen sich Menschen solidarisieren. Statt den Wettstreit und seine sozialen Wertordnungen weiterzutreiben, wie es die kapitalistische Beziehungsweise vorgibt, probieren sie andere „Beziehungsweisen“ aus, um einem Begriff von Bini Adamczak aufzunehmen, die Selbstbestimmung, Freiheit, Gleichheit, Verschiedenheit und Verbundenheit nicht als Gegensätze, sondern als einander bedingend betrachten.
In ihrer Vielstimmigkeit äußern egalitäre Proteste und Praktiken ein geteiltes Begehren nach einer anderen möglichen Welt. Das Wissen über solidarökonomische Beziehungs- und Wirtschaftsweisen ist da, ja, sie werden bereits an vielen Orten der Welt verwirklicht. Bei aller Bedrohlichkeit, aller Schwere der Gegenwartslage: Sobald wir uns organisieren, um uns zusammen krisenfest zu machen, verändert uns dies affektiv. Die Hoffnung, die wir einander geben, der Trost, den wir einander spenden, die einfache Freude des Zusammenseins: Darin leuchtet ein Universalismus von unten auf, der sich mit den menschlichen Fähigkeiten zu List, Hoffnung und Solidarität durch die Geschichte bewegt und in die Zukunft trägt.