Eine Zeit lang habe ich Magazine gesammelt. Alte Ausgaben von Harpers Bazar – aus der Zeit als Brodovitch dort Art Director war. Hefte wie i-D, Purple, SZ-, FAZ- und Zeit-Magazine, Geo, … alles was irgendwie ein spannendes Bild von der Welt mitbrachte. Und von jedem Heft, das neu auf den Markt kam, nahm ich zumindest die erste Ausgabe mit.
Vor zwei, drei Jahren hat dieses Sammeln aufgehoert. Seit dieser Zeit erscheint auch alle paar Wochen ein neues Hochglanzheft und immer oefter werden Redaktionelles und Werbung bis ueber die Schmerzgrenze hinaus zu einem langweiligen, sich staendig selbst zitierenden Bild verschmolzen. Wenige Ausnahmen bestaetigen die Regel. Wenige Hefte erhalten sich ihre Ecken und Kanten, ihre Haltung, ihre Qualitaet. Vor diesem Hintergrund entstand Uebersee, ein Magazin, dass der Gestalten Verlag seit dem letzten Jahr herausgibt.
Bis lang hatte der Gestalten Verlag nur Buecher im Programm. Vor allem Monografien und Compilations. Eine Menge von dem spannenden Material, das bei der Recherche zusammen-getragen wird, passte nicht in diese Formate. Uebersee hat Platz dafuer. Wir verstehen das Heft aus editorialer und gestalterischer Sicht als Magazin, ohne jedoch Werbung zu plazieren. Das ist Luxus und eine Verantwortung zugleich.
In Uebersee soll visuelle Vielfalt, Widerspruechlichkeit und
Verschrobenheit stattfinden. Etwa so wie in diesem seltsamen Laden im Hamburger Hafen, in dem sich eine absurde Mischung von Puppen, Gewuerzen und Nippes aus aller Welt findet.
Vladimir Nabokov hat mal ein paar Erzaehlungen geschrieben, die in und um Berlin spielen, eine davon handelt von einem schrulligen Mann, der Zeit seines Lebens die Stadt nicht verlassen hat, aber durch sein Hobby, das Schmetterlingssammeln, ein grosses Detailwissen angesammelt hat ueber weitentfernte, exotische Laender. Wir sind ein bisschen so wie dieser Schmetterlingssammler. Und hoffen, dass sich auch bei denjenigen, denen Uebersee in die Haende geraet, durch dieselbe Leidenschaft – durch die ueber einen langen Zeitraum die Neugier am Detail erhalten bleibt – Wissen ansammelt und die Faehigkeit, geschaerft wird, Bilder zu verstehen. Nicht umsonst lautet der Untertitel von Uebersee exploring visual culture.
Darueber hinaus versuchen wir den Konflikt zwischen Theorie und Praxis oder zwischen Online Recherche und Recherche vor Ort zu umgehen. Daher sind wir nicht nur kontinuierlich mit Leuten in aller Welt im Kontakt, sondern laden sie immer wieder nach Berlin ein. Oder besuchen sie, wenn es die Zeit erlaubt, um einen direkten persoenlichen Eindruck zu gewinnen. Der steht ja oft genug in ueberraschendem Kontrast zum ersten Eindruck aus einer Email.
Anders als beim Schmetterlingssammler von Nabokov geht es uns nicht nur um Arbeiten aus einem Spezialgebiet, sondern darum Inhalte zu kombinieren, die sonst nicht im Zusammenhang stehen.
Wir sammeln, sichten und recherchieren kontinuierlich in den Bereich Grafikdesign, Kunst, Photographie, Architektur, Animation, Life Science, etc. Und diskutieren dann in der Redaktion die thematischen Zusammenhaenge. Daraus entstehen Schwerpunkte, zu denen wir dann weitere Arbeiten suchen. Ziel ist es ein vielfaeltiges und gerne auch wiederspruechliches Bild zu zeichnen. In der ersten Ausgabe gab es z.B. eine Strecke mit z.T. absurden, kranken, aggressiven Designerpuppen. Die Fragen, die wir uns zu diesen Puppen gestellt hatten kamen auch bei den Kinder Bildern von Loretta Lux auf: Was ist niedlich, schoen, kindgerecht? Ab wann und wodurch werden die Arbeiten beunruhigend?
Bilder, die fuer uns den spannenden Eindruck von Ferne und Fremde vermitteln, sind oft motivisch bei uns um die Ecke angesiedelt. Nehmen Sie zum Beispiel die Bilder, die auf der Website driftingfriends.de zu sehen sind, die Bilder von Michael Schmidt, die in der letzten Ausgabe von 032c erschienen oder die eigenen Kinderbilder.
Die Herausforderung des Magazinformates ist es, die unterschiedlichsten Bilder – und eben nicht nur Fotos, sondern besonders auch Grafikdesign, Illustrationen, Installationen, etc. – in einen unerwarteten Kontext zu bringen und dabei Autoren aus Laendern zu zeigen, die sonst wenig Praesenz haben. Im kommenden Heft beispielsweise den Argentinier Christian Montenegro.