Eine Facebook-Statusmeldung zu schreiben gehört bei vielen zum Alltag, und dieser Facebook-Alltag ist nicht aufregender als das normale Leben. Doch wie gehen Facebook-Nutzer mit einem Todesfall um, wenn die Normalität auf einmal unterbrochen wird? Wie trauert man auf Facebook?
Am Mittwoch morgen, drei Tage vor ihrer Hochzeit, war Mada am Plac Konstytucji mit zwei Freundinnen verabredet. Sie hatte das Büro schon um drei verlassen und entschied sich, zu laufen. Es war heiß. Warschau sieht so erschöpft aus bei diesen Temperaturen, dachte Mada.
Madas Herz hört auf zu schlagen
“Ist doch gut, dass die Hochzeit außerhalb stattfindet. Dass sie je heiraten würde, hätte sie noch vor zwei Jahren nicht gedacht. Wie schnell sich alles ändern kann; was so abstrakt schien, wird auf einmal so echt, präsent und greifbar. Jetzt nur noch Blumen auswählen, und irgendwas mit den Haaren machen – bei dieser Hitze kann sie wohl unmöglich ihre wilden Locken wild sein lassen.
Ala und Iwona sind schon da – sie haben sich auch verändert, denkt Mada; sind ja auch schon sieben Jahre vergangen, seitdem wir zusammen Abitur gemacht haben. Wie gut, dass wir uns nie aus den Augen verloren haben. Lass uns mit der Tram fahren, sagt Ala, da kommt schon die Eins. Die Bremsen quietschen, Leute steigen aus, es gibt keinen Wind, die Luft steht unbewegt: erschöpft, wie die Stadt. Mada steigt ein.
Iwona, ich kann mein Handy nicht finden, oh Gott, was ist denn nun los, Mada, steh jetzt auf! Steh sofort auf, hörst du? Der Krankenwagen, ja, der kommt gleich, ja, Iwona hat angerufen. Wo steckt der bloß? Mada, was ist denn los? Ala weint hysterisch, Mada ist schon ein Mal ohnmächtig geworden, noch in der Schule, da war nach einigen Sekunden alles wieder gut.
Hier gibt’s nichts mehr zu retten, sagt der Arzt, wir können nichts tun. Die Tram fährt weg. Im Krankenhaus, in der Hitze, erfahren Madas Eltern, dass ihr Herz aufgehört hat zu schlagen, einfach so, nach 26 Jahren ungestörter Arbeit.”
Wann stirbt das virtuelle Ich?
Das war Madas Geschichte. Ihr Leben hörte plötzlich auf. Doch ihr Facebook-Account bleibt zugänglich. Jacek schreibt dort: “ich habe dir zu selten gesagt, dass ich dich liebe.”; “Mada, komm zurück”, schreibt ihre Schwester. “Schlaf schön, Mada”. Jacek veröffentlicht Informationen über die Beerdigung. “Ich komme”, schreibt Basia. “Oh Gott”, schreibt Zosia. Jemand verlinkt eine Konzertaufnahme von Ain’t No Sunshine von Bill Withers.
Auf Facebook lebt Mada noch – virtuell stirbt man wohl nicht so schnell. Madas Facebook-Seite wird zu einer seltsamen Zwischen-Dimension. Man kann ihr immer noch eine Nachricht schreiben, sich ihre Fotos vom Skiurlaub angucken. Ihre letzte Aktivität sehen: sie hat ihr Profilbild geändert.
Jemand, der offensichtlich nicht verstanden hat, was auf der Wand passierte, fragt auf Englisch, wie es Mada geht. Keiner kennt Madas Passwort – ihr Profil kann nicht einfach so gelöscht werden. Es sind drei Wochen vergangen. Wie lange es wohl dauert, bis man auch virtuell tot ist?
(Anm. d. Red.: Alle Namen wurden geändert.)
Sehr bewegend.
Vor einer Weile ist ein Blogger gestorben. Da hat sich ganz ähnliches abgespielt, Leute haben im Kommentarbereich Abschied genommen, sich bedankt, kondoliert.
gänsehaut. toller text.
Mit dem Trauern hatte ich schon immer Probleme… Facebook macht es einem da nicht einfacher… eher schwerer…
das hab ich zum glück noch nie erleben müssen. die situation ist so todtraurig und poetisch zugleich. und hier so wunderbar treffend ohne viel pathos beschrieben. merci!
Für MySpace gibts mitlerweile eine eigene Trauerseite, oder Friedhof, wenn man will:
http://www.mydeathspace.com/
Kommt irgendwann für Facebook auch. In 100 Jahren wirds mehr tote als lebendige Facebooker geben.
war gottseidank noch nie in so einer Situation
http://www.mydeathspace.com/
schlimme sache, gerade bei dieser tollen stimmung, die überall wg. den starken temperaturen herrscht, obwohl auch ich mich manchmal ziemlich schwindelig fühle.
einfühlsam geschrieben.
nur, drei sachen irritieren mich, ehrlich gesagt:
1) Das war Madas Geschichte.
das kann doch nicht ihre geschichte gewesen sein, ich meine auch selbst es sich hier um eine kunstvolle form der literarischen verknappung handeln sollte, mehr als das sollte ihre geschichte schon bieten.
2) der übergang von einsteigen und wachrütteln, ziemlich plötzlich, speziell im hinblick auf die verweise, der krankenwagen komme gleich: scheint so als sei sie das alles gewohnt gewesen? und man wollte sie so an das gewohnte erinnern?
3) die frage, mit der der artikel endet, ich bin mir nicht sicher, wie relevant die ist, ich meine: die beschreibung von dem nachleben auf fb ist gut, richtig und wichtig, das passiert und ist unheimlich oder wie auch immer … touching. nur am ende klingt es so als wollte man daraus eine fallstudie zum sterben auf facebook anregen — ist das vielleicht gar nicht gewollt?
@ Stefan: danke für den Link – unglaublich! Ich wusste nicht, dass so eine online-cementary bereits existiert.
@ tkp: 1) das ist ein Satz, der die Beschreibung von Madas letztem Tag mit der Facebook Welt und weiterem Teil des Textes verbindet.
2) die Frage verstehe ich leider nicht. Der Übergang war plötzlich und einen Krankenwagen in so einer Situation anzurufen ist eher ein instinktives Verhalten und Zeichen der Hilflosigkeit als Routine oder Gewohnheit.
3) Für mich ist die Frage sehr relevant – und es ist das erste Mal, dass ich sie stelle. Ich interessiere mich für Madas Facebook-Profil – und das, was auf ihrer Wand seit ihrem Tod passierte finde es erschreckend und furchtbar traurig. Es ist eine Frage, die mich eher persönlich als statistisch beschäftigt.