Transparenz und Verantwortung: Wie muss eine ideale Whistleblowing-Plattform aussehen?

Wie muss eine Whistleblowing-Plattform aussehen, die nicht die Fehler von WikiLeaks wiederholt? Dieser Frage gingen Dienstagabend bei einer Diskussion in der Heinrich-Böll-Stiftung Berlin Daniel Domscheit-Berg (ehemaliger Sprecher von WikiLeaks, jetzt beteiligt an OpenLeaks), Constanze Kurz (Informatikerin und Sprecherin beim Chaos Computer Club) und Konstantin von Notz (MdB, Bündnis 90/Die Grünen) nach. Berliner Gazette-Gastredakteur David Pachali war vor Ort.

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Was an der WikiLeaks-Diskussion auffällt, sind die unterschiedlichen Geschwindigkeiten. Die breite Öffentlichkeit hat durch die Assange-Saga gerade erst „WikiLeaks” buchstabieren gelernt, die Politik gewöhnt sich langsam an den Gedanken, dass man Leaking wohl nicht mehr los wird. Und währenddessen sind Leute wie OpenLeaks-Gründer Daniel Domscheit-Berg sozusagen schon eine Runde weiter, stellen neue Plattformen vor, die es anders als WikiLeaks machen sollen. Man sucht sich einfach passende nationale Jurisdiktionen für die neuen Projekte, während hierzulande der Whistleblower-Schutz immer noch nicht richtig vorankommt.

Diese unterschiedlichen Geschwindigkeiten trafen bei der Veranstaltung „Whistleblowing, WikiLeaks und die neue Transparenz” aufeinander, was der Diskussion gut tat – speziell im Vergleich zu dem Realitätsabstand etwa einer Anne-Will-Sendung zum Thema. Assange, ob man ihn nun als Helden- oder Anti-Helden-Figur stilisiert, hat WikiLeaks anschlussfähig für das Medientheater gemacht. Auch Daniel Domscheit-Berg steht in dem Theater eine Rolle bereit (“Der Aussteiger packt aus”). Zumindest auf der Veranstaltung gestern erfüllte er sie aber kaum.

Domscheit-Berg erklärte stattdessen die Idee des Projekts OpenLeaks: Eine Art Briefkasten, in den Whistleblower Dokumente werfen und an einzelne oder alle mit der Plattform verbundenen Partner (Medien, NGOs usw.) adressieren können. Domscheit-Berg zieht damit eine Lehre aus den Problemen von WikiLeaks, alles zugleich leisten zu wollen: Material auswerten, zu einer eigenständigen Geschichte verarbeiten (wie bei „Collateral Murder”) und Kooperationspartner suchen (wie bei den Afghan War Diaries und den Diplomatenkabeln).

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OpenLeaks versucht es nun sozusagen mit Arbeitsteilung in der Leaking-Kette: Es soll Informationen aufnehmen und die Quelle anonymisieren, also die Empfangsseite bearbeiten. Die Publikationsseite, also das Prüfen, Aufbereiten und Veröffentlichen sollen die Partner der Plattform übernehmen. (Netzpolitik.org kommentierte: OpenLeaks wird NUR sicherer Briefkasten, kein Hafen.) Diese Partner, so die Idee, bekommen durch den Informationsvorsprung ihre Exklusivgeschichte, das geleakte Material wiederum eine Art Zeitstempel, nach dessen Ablauf es weiterverteilt werden soll.

Eine Ironie steckt schon darin: Denn Informationsasymmetrien waren ja genau das, was Julian Assange in seinem Text „Conspiracy as Governance” (PDF) „Verschwörungen” nannte. Nicht unbedingt finstere Pläne irgendwelcher Drahtzieher, sondern ein Netz von Informationsflüssen – egal ob in Regierungen, Kegelvereinen oder Parteivorständen –, dessen Leute mehr wissen als andere, was dem Netzwerk dann wiederum „conspirational power” verleiht. OpenLeaks soll also die Asymmetrie zunächst in einen Recherche- und Publikationsanreiz umwandeln, bis sie im eigentlichen Leak aufgelöst wird. Ein Zugeständnis an die Mechanismen der Medien- und Aufmerksamkeitsökonomie, wie Domscheit-Berg einräumt.

Ob es funktioniert? Keine Organisation der Welt, meinte Constanze Kurz, hätte das Risiko aufnehmen können, die Diplomatenkabel zu veröffentlichen – außer WikiLeaks, denn das juristische Risiko könne niemand eingehen. Und fraglich bleibt wohl auch, ob OpenLeaks nicht ein anderes Problem von WikiLeaks wiederholt: man feilt an technischen Lösungen für „konnektierte Entitäten” (Domscheit-Berg), ein Ingenieurs-Traum von perfekten Mechanismen und reiner Technik. Für die Whistleblower sind sichere Mechanismen natürlich wichtig. Aber die Frage nach der Verantwortung gibt man wie bisher an die anderen weiter.

Foto: autowitch (cc by-nc-sa)

12 Kommentare zu “Transparenz und Verantwortung: Wie muss eine ideale Whistleblowing-Plattform aussehen?

  1. neben theoretischen Betrachtungen: Weltdeutungen der Welt nach Cablegate … ist es wichtig, sich über solche konkreten Fragen auszutauschen, wie der Frage nach “Wie muss eine ideale Whistleblowing-Plattform aussehen?” und natürlich der Frage nach dem juristischen Rahmen für den Whistleblower-Schutz.

    Neben dem angesprochenen Phänomen der unterschiedlichen Geschwindigkeiten gibt es also auch ein Phänomen der unterschiedlichen Diskurs-Höhen -> Bodenständigkeit, Pragmatik sollten in diesem Zusammenhang nicht unter_schätzt werden.

  2. via dpa ist ein Bericht der Veranstaltung in Umlauf, den ich auf stern digital fand:

    WikiLeaks-Alternative – Briefkasten statt Propaganda

    Den Namen von Julian Assange nimmt der ehemalige Weggefährte nicht in den Mund. Aber alle wissen, wen Daniel Domscheit-Berg meint, wenn er sagt: «Macht sollte verteilt werden, nicht in einer Hand liegen.»

    Berlin (dpa) – Den Namen von Julian Assange nimmt der ehemalige Weggefährte nicht in den Mund. Aber alle wissen, wen Daniel Domscheit-Berg meint, wenn er sagt: «Macht sollte verteilt werden, nicht in einer Hand liegen.»

    Kurz vor Veröffentlichung seines Buchs mit dem Titel «Inside WikiLeaks» wendet sich Domscheit-Berg bei einer Diskussionsrunde der Heinrich-Böll-Stiftung mit taz.de auch dagegen, dass die von Assange gegründete Internet-Plattform Ankündigungen neuer Enthüllungen der Welt wie eine Drohung serviert habe – «das ist alles nur politische Agitation».

    Mit dem eigenen Angebot Openleaks will Domscheit-Berg lediglich einen Briefkasten anbieten, wie er bei der Veranstaltung zum Thema «Whistleblowing, WikiLeaks und die neue Transparenz» am Dienstagabend in Berlin erklärt. Es gehe allein um die Bereitstellung einer anonymen Infrastruktur für Whistleblower, also für Informanten, die öffentlich relevante, aber firmen- oder behördeninterne Dokumente einreichen wollen. Das Veröffentlichen sollen dann andere machen, Medien und Nichtregierungsorganisationen (NGO), die als Partner an Openleaks angeschlossen sind – bislang stehen diese laut Domscheit-Berg aber noch nicht fest.

    Eine solche NGO ist auch der Chaos Computer Club, für den Constanze Kurz in der Diskussionsrunde mit dabei ist. Sie macht mit der ihr eigenen Offenheit deutlich, dass die eigentliche Veröffentlichung der Dokumente, wie es Wikileaks mit den Botschaftsdepeschen getan hat, schon von kritischer Bedeutung ist: «Wir hätten es auch nicht gemacht, also den Arsch in der Hose muss man erst mal haben.»

    Nach der Eskalation um die Botschaftsdepeschen habe Wikileaks jetzt ein Vakuum hinterlassen, konstatiert Kurz. Das Portal könne seine ursprüngliche Aufgabe nicht mehr erfüllen. Jetzt gebe es die Frage, wer diese Lücke schließen könne. Dabei sollte es «ein paar ethische Standards» geben, sagt die CCC-Vertreterin und kritisiert Domscheit-Bergs Briefkasten-Konzept: Man könne sich nicht darauf zurückziehen, dass man nur eine technische Plattform bereitstelle.

    Auch Wikileaks will sich aber die Handlungsfähigkeit nicht absprechen lassen. «Wikileaks ist arbeitsfähig», ließ Assange am Mittwoch einen deutschen Anwalt erklären. Hintergrund ist ein Streit um Datenbestände, die Domscheit-Berg nach eigenem Bekunden bei seinem Abschied von Wikileaks mitgenommen hat – weil sie bei seinen früheren Mitstreitern nicht mehr sicher seien. Assange fordert nun ihre Rückgabe. «Die Materialien sind selbstverständlich bei Wikileaks sicher», betonte Assanges Anwalt. «Wikileaks ist “berechtigt”, diese Materialien zu verwahren.»

    Vor dem Hintergrund dieses Streits klingt der Aufruf des Grünen- Bundestagsabgeordneten Konstantin von Notz besonders aktuell, die Leaking-Plattformen dürften nicht diskreditiert werden. Denn ihre Entstehung sei ein deutliches Indiz dafür, dass die Menschen mehr Transparenz wollten.

    Das Thema Wikileaks will Domscheit-Berg für sich abschließen. Mit seinem am Freitag erscheinenden Buch wolle er zeigen, «wie es abgelaufen ist», erklärt der ehemalige Sprecher der Enthüllungsplattform, der das Projekt im September vergangenen Jahres nach einem Streit mit Assange verlassen hat. Die größte Errungenschaft von Wikileaks sieht der Informatiker im Nachhinein darin, dass nun allenthalben über Geheimhaltung, Transparenz und die Frage diskutiert werde, «was wir geheimhalten müssen und was wir nicht geheimhalten dürfen».

  3. danke!

    apropos: “Der Aussteiger packt aus”

    Wikileaks responds to one of the Wikileaks tell all books
    ( http://wlcentral.org/node/1254 )

    Frank rieger spricht angesichts dessen von einer Schlammschlacht:

    ( http://frank.geekheim.de/?p=1519 )

    ich hoffe, dass diese “Schlammschlacht” nicht komplett vergessen macht, worum es eigentlich geht: Platformen zu betreiben!

    Speziell Domscheit-Berg sollte zusehen, dass ihn das ganze nicht zu sehr abhält sein neues Projekt aufzubauen!

  4. bei MEEDIA ist ein eigenständiger Bericht von der Diskussion erschienen, der im Teaser für meinen Geschmack etwas zu sehr auf das Sensationspotenzial dieser Geschichte abhebt:

    “Wikileaks-Aussteiger Daniel Domscheit-Berg hat seine Pläne für das Alternativportal OpenLeaks konkretisiert. Auf einer Veranstaltung in Berlin sagte er am Dienstagabend: “Wir werden niemals auch nur ein einziges Dokument veröffentlichen.” Dem Stern erzählte Domscheit-Berg zudem, er und andere Aktivisten hätten bei ihrem Abgang im Spätsommer sowohl Dokumente als auch Teile des Systems von Wikileaks mitgenommen – und die Plattform des Julian Assange damit geschwächt.”

    http://meedia.de/nc/details-topstory/article/openleaks-will-nicht-selbst-leaken_100033123.html

  5. im gegenwärtigen Post-Cablegate-Diskurs zu wenig Beachtung findet die Figur und Funktion des Whistleblowers.

    1) Bradley Manning
    2) ehemalige Whistleblower (Personen des öffentlichen Lebens)
    3) potenzielle Whistleblower

    was treibt diese Menschen?
    warum handeln sie wie sie handeln?
    welche Situationen in der Gesellschaft ermöglichen/erzwingen ihre Existenz?
    wer schützt diese Menschen?
    was ist die rechtliche Grundlage für ihr Schaffen?

    Diese Fragen gilt es prominenter zu bearbeiten als bislang geschehen.

    Auch auf der durchaus guten Diskussionsveranstaltung in der Böll-Stiftung kam das Thema zu kurz.

    Lediglich Constanze Kurz ist an einer Stelle darauf eingegangen, um besser nachvollziehbar zu machen,
    welche Kriterien eine Whistleblower-Plattform erfüllen muss — vom Whistleblower her gedacht.

    Vom Whistleblower her gedacht ist OpenLeaks ja durchaus, nur: stellt sich die Frage, ob das Recht der Mitbestimmung
    an den Auswertungs- und Veröffentlichungsprozessen, das dem Whistleblower bei OpenLeaks eingeräumt wird, tatsächlich im Sinne des Whistleblowers ist!

  6. @Krystian (#6): ja, wichtiger Punkt. Eigentlich erstaunlich, auch weil die Motivationen von Whistleblowern schon vor Wikileaks z.B. soziologisch gut untersucht wurden. Und was bei der Rede von Twitter- oder Facebook-Revolutionen ähnlich ist: die Motivation verschwindet irgendwie darin.

    Malcolm Gladwell gerade passend dazu:
    „We now believe that the “how” of a communicative act is of huge importance. We would say that Mao posted that power comes from the barrel of a gun on his Facebook page (…)”
    http://www.newyorker.com/online/blogs/newsdesk/2011/02/does-egypt-need-twitter.html

  7. Domscheit-Berg is all over now. Er hat Daten. Aus seinem Leben und von WikiLeaks. Ist er jetzt auch Großhändler?

    Ein Interview über Freundschaft, Missgunst und die Frage, ob Wikileaks technisch am Ende ist (mit Video):

    ( http://www.zeit.de/digital/internet/2011-02/domscheit-berg-inside-wikileaks-interview )

    Daniel Domscheit-Berg antwortet Julian Assange (Video & Audio):

    ( http://www.netzpolitik.org/2011/video-daniel-domscheit-berg-antwortet-julian-assange/ )

  8. Sehr geehrte Damen und Herren,

    das Institut zur Förderung publizistischen Nachwuchses (ifp) setzt seine Veranstaltungsreihe „ifp im Gespräch“ am *Dienstag, 22. Februar 2011, um 18.30 Uhr* fort. Unter dem Titel „Totale Transparenz. Wie Wikileaks die
    Gesellschaft verändert“ diskutieren *Mitchell Moss*, Presseattaché der amerikanischen Botschaft, Berlin, *Dr. Heribert Prantl*, Ressortleiter Innenpolitik und Mitglied der Chefredaktion der Süddeutschen Zeitung,
    München*, Dr. Gregor Peter Schmitz*, Washington-Korrespondent des Nachrichtenmagazins „Der Spiegel“ u*nd Guido Strack*, Vorsitzender des Whistleblower-Netzwerks, Köln. Moderiert wird das Gespräch von *Claudia
    Schick*, ARD-Report München.

    Veranstaltungsort ist das Institut zur Förderung publizistischen Nachwuchses (ifp), Kapuzinerstr. 38, 80469 München.

    Nähere Informationen entnehmen Sie bitte der angefügten
    Pressemitteilung. Wir würden uns freuen, wenn Sie auf die Veranstaltung hinweisen und darüber berichten würden.

    Hinweis zur Berichterstattung: Da die Plätze begrenzt sind und der Andrang schon sehr groß ist, wären wir dankbar, wenn Sie sich bei Interesse vorher anmelden könnten.

    Herzlichen Dank und freundliche Grüße

    Margit Kolakowska

    *Jetzt bewerben! Bis 1.3. für Volontariate in der Katholischen Presse, bis 31.5. für die Studienbegleitende Journalistenausbildung. *

    *Weitere Infos unter http://www.ifp-kma.de/Ausbildung/Ausbildung.html
    *

    ______________________________

    Margit Kolakowska

    Institut zur Förderung
    publizistischen Nachwuchses e.V. (ifp)

    Kapuzinerstraße 38

    80469 München

    Telefon: 089-549103-10

    Fax: 089-5504486

    E-Mail: kolakowska@ifp-kma.de

    Internet: http://www.ifp-kma.de

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