Mauern sind in der Tat etwas anderes als Grenzen. Sie trennen kein >Innen< von einem >Aussen< eines politisch und rechtlich unabhaengigen Systems, sondern funktionieren als ein Apparat, der die Bewegung durch ein bestimmtes Gebiet zu verhindern sucht. In der gesamten israelischen Geschichte zog es der Staat immer vor, temporaere Sicherheitsvorkehrungen zu benutzen, um politische Tatsachen zu schaffen. Wenn es nach Ariel Sharon ginge, wuerden diese als temporaere Sicherheitsmassnahmen begonnenen Absperrungen zu einer permanenten, politischen Tatsache werden.
Vor kurzem gab Sharon oeffentlich sein Bestreben bekannt, die Mauer nicht nur westlich der palaestinensisch bewohnten Gebiete der Westbank, sondern auch dahinter [oestlich] und durch das Tal des Jordan verlaufen zu lassen – also das palaestinensische Gebiet vollstaendig zu umschliessen. Das daraus resultierende >Layout< wuerde fast vollstaendig dem >H<-Muster, das Sharon mit seinem Plan von 1982 vorsah, entsprechen, so als wenn es in der Zwischenzeit weder die Osloer Vertraege, noch die >Roadmap< gegeben haette. Anstelle der versprochenen Trennung, die solch einer Abgrenzung zugrunde zu liegen scheint, wird dadurch ein Eindaemmungsprojekt verwirklicht. Sowohl in den palaestinensischen als auch in den israelischen Bereichen der Westbank wird es Inseln oder Enklaven geben, die zur anderen Zone gehoeren. Eine Linie, die Israelis und Palaestinenser voneinander trennen wuerde, ist geometrische unmoeglich geworden, es sei denn grosse Siedlungen wuerden entfernt werden. Das waere etwas, wozu die israelische Regierung nicht die Befugnis hat. So ergibt sich ein Zustand doppelter Geschlossenheit. Israelische Siedlungen werden zum Selbstschutz eingezaeunt, waehrend palaestinensische Staedte von aussen abgesperrte werden, um die Sicherheit nicht zu gefaehrden. Durch diese Anordnung verliert die traditionelle Wahrnehmung des politischen Raums als kontinuierliche raeumliche Flaeche, die klar durch eine Grenze abgesteckt ist, ihre Relevanz. Auf dem Hintergrund dieser fragmentarischen Geografie hat Sharon letztlich die beiden Extreme, die Israels Beziehung zu seinen Raendern ausmacht, verbunden. Die Mauer ist dabei keine Niederlage fuer seine Geo-Strategie, sie scheint vielmehr auf der historischen Ablehnung einer permanenten Staatsgrenze zu basieren. Als gewundener Weg, der in die Logik seines strategischen Denkens eingeschrieben ist, ist diese Schranke als direkte und logische Konsequenz fuer Sharons >free frontier<-Mentalitaet anzusehen, durch die die Grenzen des Staates eher verwischt als gefestigt werden. Wenn die Absperrung fertig gebaut ist und die temporaeren, aber bestaendigen Sicherheitsmassnahmen zur Abgrenzung eines >permanenten, palaestinensischen Staates mit temporaerer Grenze< und unverbundenen Inseln gefuehrt haben, wird es ein anderes territoriales Paradox zu loesen geben. Die Fragmentierung der Zustaendigkeit ueber das Gebiet wird sich mit Sharons oeffentlicher Zusicherung nicht vereinbaren lassen. Es wird kein verbundenes Gebiet in der Westbank sein, dass es Palaestinensern erlauben wuerde, von Jenin nach Hebron zu reisen, ohne israelische Strassensperren passieren zu muessen. In der Westbank dienen Bruecken nicht nur als Mittel, um natuerliche Grenzen zu ueberwinden oder unmoegliche Punkte zu verbinden, sondern sie werden selber zur Grenze. Die Region laesst sich nicht laenger als die zweidimensionale Oberflaeche eines einzigen Gebiets begreifen, sondern als eine grosse, >hohle<, dreidimensionale Oberflaeche, innerhalb der sich die Westbank physisch in zwei getrennte, sich aber ueberschneidende nationale Geografien unterteilen liesse. Innerhalb dieses Volumens sind separate Sicherheitskorridore, Infrastrukturen, Bruecken und Tunnel zu einem escherhaften Raum verwoben. Die >Politik der Vertikalitaet<, die Israels Besetzung der palaestinensischen Gebiete als dreidimensionale Umhuellung beschreibt, hat sich durch die Konstruktion einer zweidimensionalen Schranke nicht aufgeloest. Diese Schranke dient nur als Oberflaechenkomponente in einer Besetzung, die sich unterhalb der Oberflaeche fortsetzt - in der effektiven Kontrolle der Wasservorraete unter palaestinensischem Gebiet durch Israel und in Israels Verfuegung ueber die Luftwege und elektromagnetischen Felder, wodurch eine fortwaehrende Kontrolle des Luftraums durch israelische Flugzeuge moeglich ist. Der Versuch, sich ein raeumlich-technisches Design vorzustellen als Loesung des Konflikts - basierend auf Schranken, Bruecken und Tunneln - scheint damit zu einer groesstmoeglichen Dystopie geworden zu sein. Die Situation ist zu komplex, als das sie fuer Sicherheit sorgen koennte, zu aggressiv, um Aussicht auf eine gerechte Loesung zu geben und zu teuer, um oekonomisch laengerfristig lebensfaehig zu sein. Entgegen der endlose Suche nach der Form und dem Mechanismus einer perfekten Trennung muss man realisieren, dass eine lebensfaehige Loesung nicht auf der Seite des Design liegt. Wenn eine Loesung fuer diesen territorialen Kampf des Jahrhunderts ernsthaft in dieser merkwuerdigen Art vorgeschlagen wird, dann scheint der einzige Gegenvorschlag nicht aus mehr planerischer Kreativitaet in Ariel Sharons Manier zu bestehen, sondern aus einem nicht-territorialen Ansatz und aus anderen Prinzipien als einer Teilung. Die essentielle Bedingung fuer die Praxis einer gerechten, sowie ehrlichen Planung und Entwicklung, ist nicht ein weiteres Spiel mit Identitaetspolitik auf den Ebenen komplexer Geometrie, sondern die Schaffung eines einzelnen demokratischen, nicht diskriminierenden und nicht ethnisierenden Staates, basierend auf Gegenseitigkeit, Gleichheit und fundamentaler politischer und menschlicher Rechte, die sich ueber die alle Grenzen von Israel und Palaestina erstrecken.