Tausch und Opfer: Das koloniale Erbe der Kartografie in Bosnien und Herzegowina

Auf einem Screenshot aus der Serie „Geospatial Revolution“ der WPSU, Episode 3, sind spektrale Spuren eines Wasserkraftwerks in Bosnien und Herzegowina und ein Protest gegen das Wasserkraftprojekt im Neretva-Tal überlagert. Zu sehen sind die 3D-Geländesimulation und Slobodan Milošević im Kartenraum von Dayton, mit Richard Holbrooke hinter ihm. Die Bildunterschrift auf dem Screenshot der „Geospatial Revolution“-Folge lautet: „Er hatte dieses Gelände nie betreten.“ Artwork: Colnate Group, 2025 (CC BY NC)
Artwork: Colnate Group, 2025 (cc by nc)

In den westlichen Balkanstaaten arbeiten Kapitalist*innen und Ethnonationalist*innen zusammen, um sich Mineralvorkommen anzueignen und zu verteilen – unterstützt von der EU und anderen geopolitischen Akteur*innen. Ihre pragmatischen Strategien der Parzellierung, des Tauschs und der Opferung von Land perpetuieren eine kartografisch distanzierte Sichtweise auf ‚Andere‘ als Muster, die es zu beseitigen gilt. In ihrem Beitrag zur „Pluriverse of Peace“-Serie analysiert Mela Žuljević die Macht von Karten in diesem Zusammenhang und zeigt auf, wie Eliten des privaten Sektors (und ihre politischen Verbündeten) Karten nutzen, um das Erbe der Gewalt aus den 1990ern neu zu gestalten und Prozesse der Akkumulation und Ausbeutung voranzutreiben.

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Die Memoiren internationaler Unterhändler wie Richard Holbrooke, die die Friedensgespräche in Bosnien und Herzegowina (BiH) leiteten, geben Einblicke in die Sichtweise auf das Land, die maßgeblich zur Teilung des Landes beitrug. Die Unterhändler beschreiben das Land als ‚wichtig‘ oder ‚wertlos‘ und vergleichen es mit einem ‚Ei‘ oder einer ‚Tasche‘. Sie beschreiben die verzweifelte Suche nach Landparzellen zum Tauschen als Suche nach ‚etwas‘, ‚irgendetwas‘ oder ‚nichts‘, das man abgeben oder gewinnen kann. In einem entscheidenden Moment, als es darum ging, den Kriegsverbrecher Slobodan Milošević durch die Eingliederung der Republika Srpska in die Grenzen Bosniens zu beschwichtigen, untersuchte Holbrooke eine 3D-Simulation des bosnischen Lands und stellte fest, dass „auf dem Bildschirm kaum etwas zu sehen war – keine Häuser oder Dörfer, nur Berge und Felsen“. Diese Berge und Felsen sowie andere unbewohnte Gebiete konnten im Streben nach Frieden leichter geopfert werden.

Land für den ‚Frieden‘: Sehen, Tauschen und Opfern

Diese US-zentrierten Darstellungen der Friedensstiftung betonen, dass Land nur dann als wertvoll angesehen wurde, wenn es von den ‚richtigen‘ Menschen bewohnt war und sich auf Karten als leicht identifizierbare, miteinander verbundene Parzellen darstellen ließ. Die Suche nach diesen Parzellen trieb die Entwicklung der Kartografie voran und machte Karten und Geländesimulationen zu einem zentralen Bestandteil der Friedensverhandlungen. Dies veranlasste lokale und internationale Wissenschaftler:innen, den Krieg als kartengesteuert zu beschreiben.

Bosnien und Herzegowina war geprägt von einem multiethnischen Flickenteppich: Die Menschen waren in Städten, Dörfern, Häusern und Ehen untrennbar miteinander vermischt. Um die in der Geschichte der internationalen Diplomatie verankerten ethnisch-territorialen Visionen zu verwirklichen, teilten die Verhandlungsführer das Land auf Karten in stereotypisch farbige Gebiete auf: Rot stand für Serb*innen, Grün für Bosniak*innen und Blau für Kroat*innen. Der Fokus der Friedensgespräche lag auf einer kartografischen Lösung: der Erstellung einer Karte, mit der alle zufrieden sein würden und die, so glaubten sie, den Krieg beenden würde. Die Suche nach einer Lösung hatte jedoch reale Konsequenzen: Sie verstärkte die ethnischen Säuberungen, da die Kriegsparteien versuchten, gemischte Gemeinschaften, die durch langjährige Koexistenz geprägt waren, auszurotten. Dies sollte uns daran erinnern, dass Friedensabkommen und Karten keine Visionen des Friedens sind, sondern Teilungen von Territorien und der Austausch von Land, das durch Gewalt gewonnen wurde.

Historisch betrachtet wurde die Sprache der Karten dazu genutzt, die Eroberung von Territorien und Ressourcen als Frage konkurrierender nationaler und ethnischer Gerechtigkeit darzustellen. Die koloniale Vorstellung von Land als leer und wertlos, das nur darauf wartet, eingenommen zu werden, ist jedoch grundlegend für die Logik der kapitalistischen Landakkumulation sowie für die territoriale Expansion ethnisch-nationalistischer Bewegungen. Im Nachkriegs-Bosnien-Herzegowina hat die ethnisch-nationalistische Oligarchie das geteilte Land durch neoliberale Friedensförderung und den Übergang zur Demokratie als ethnisches Eigentum an sich gerissen und konsolidiert. Dadurch wurde gesellschaftliches Eigentum aufgelöst und in privates Kapital umgewandelt. In jüngster Zeit haben sich diese Oligarch*innen mit ausländischem Kapital zusammengetan, um das Land erneut zu kartieren, die ‚wertlosen‘ Berge auf ihren Mineralgehalt zu untersuchen und Flüsse und Wälder in ethnische Landschaften aufzuteilen, um die Ausbeutung zu erleichtern. Diese Partner*innenschaften profitieren von der durch das Dayton-Friedensabkommen festgelegten territorialen Aufteilung, da neue Rohstoffprojekte auf den Kriegsbeuten aufbauen, die durch das Abkommen legitimiert wurden.

Das Erbe der Gewalt für neue Rohstoffgewinnung

Nachdem 1995 in Dayton, Ohio, endlich Frieden geschlossen worden war, wurde die sogenannte Inter-Entity Boundary Line (IEBL) gezogen, um Bosnien und Herzegowina in die zwei Entitäten ‚Föderation Bosnien und Herzegowina‘ (FBiH) und ‚Republika Srpska‘ (RS) zu teilen. Die IEBL wurde nach ethnischen und militärischen Kriterien festgelegt. Sie entsprach jedoch keiner historischen oder natürlichen Teilung des Landes. Die Anwendung dieser Kriterien auf die komplexe räumliche Realität des Landes führte dazu, dass die Grenze Städte, Stadtteile und Straßen teilte. Sie durchquerte auch Wälder, Berge, Flüsse und alle Gebiete, die auf der Karte als ‚wertlos‘ galten. Das DPA veränderte die regionale Entwicklung und die lokale Verwaltung vollständig, sodass sie nun entlang ethnischer Grenzen verliefen. Dies hatte die Schaffung neuer Gemeinden, geteilte Landnutzungsvorschriften, parallele Energielandschaften und die Aufteilung der Wasserversorgungssysteme zur Folge.

Die Untersuchung, wie die Eliten der Nachkriegszeit das Erbe der Gewalt – wie beispielsweise die IEBL – umgestalten, offenbart die Mechanismen, durch die Kriegsführung Ordnungen etabliert werden, die neue Prozesse der Akkumulation und Ausbeutung aufrechterhalten. Diese Ordnungen basieren auf der Vorstellung, dass Land etwas ist, das man parzellieren, tauschen und opfern kann. Dadurch wird die territoriale Teilung für die Umsetzung großer Bau-, Energie- und Bergbauprojekte nutzbar. Eliten und Investoren nutzen die IEBL, um administrative, rechtliche und ethische Verfahren zu umgehen oder zu ignorieren. So kommt die IEBL beispielsweise denjenigen zugute, die Wälder ausbeuten. Aufgrund der geringeren Überwachung dieses ‚peripheren‘ Landes kommt es entlang der Linie häufiger zu illegalem Holzeinschlag.

In Ruište, in der Nähe von Mostar, plündern Holzfäller aus beiden Entitäten den Wald. Es gibt jedoch auch ‚legale‘ Mechanismen, durch die mächtigere Holzfäller die komplexe territoriale Aufteilung von Bosnien und Herzegowina ausnutzen. So entwickeln Bauunternehmen Luxuswohnungsprojekte auf dem Berg Trebević, den die IEBL in zwei Entitäten und zwei Kategorien von Schutzgebieten unterteilt hat. An diesen Projekten sind oft politische und wirtschaftliche Eliten aus beiden Entitäten beteiligt, die im Rahmen von Quid-pro-quo-Vereinbarungen Landzugang erwerben. So erschließen beispielsweise von Politiker*innen der Föderation Bosnien und Herzegowina unterstützte Unternehmen Waldflächen in der Republika Srpska, wobei sie von lokalen Behörden unterstützt werden, die Genehmigungen erteilen und Umweltvorschriften aufheben.

Politik der Grenzkonflikte

Die Logik des Austauschs erstreckt sich auch auf Wasserkraftprojekte. Laut Aktivist*innen im Neretva-Tal haben die politischen Eliten eine stillschweigende Vereinbarung getroffen, sich gegenseitig den Bau von Wasserkraftwerken auf beiden Seiten des von der IEBL durchquerten Flusses zu gestatten. So genehmigte die Regierung der Republika Srpska den Bau des Wasserkraftwerks Ulog neben der IEBL. Dies wird verheerende Auswirkungen auf den Neretva-Fluss stromabwärts in der FBiH haben. Das Bauprojekt profitiert von seiner Lage in einem entvölkerten Randgebiet der Republika Srpska, wo Aktivist*innen in der FBiH nur über begrenzte rechtliche Möglichkeiten verfügen. Der Investor behauptet, dass künftige Wasserkraftwerke in der FBiH den Schaden mindern werden. Dies gibt den dortigen Behörden Anlass, den Wert ihres Teils des Austauschs aufzublähen.

Bei der Ausarbeitung der IEBL verwendeten die Kartografen von Dayton Stifte, deren Größe einer 50 bis 100 Meter breiten Grenzzone im tatsächlichen Gelände entsprach. In den anschließenden Verhandlungen wurde eine Kommission eingerichtet, um die genaue Linie festzulegen und Eigentumsstreitigkeiten beizulegen. In vielen unbewohnten Gebieten ist diese Linie jedoch bis heute ungenau. Besonders absurd wird dieses Problem im Fall ausländischer Investitionen in Wasserkraftwerke am Ugar-Fluss, der zwischen den Entitäten verläuft. Ein österreichisches Energieunternehmen erhielt Genehmigungen in der Republika Srpska und profitierte von deren Gesetzgebung, obwohl sich einige seiner Wasserkraftwerke in die andere Entität erstrecken. Die Mobilisierung der territorialen Teilung geht in beide Richtungen: von der Ausnutzung der Unklarheiten der IEBL bis hin zur Beanspruchung exklusiver, ethnisch-nationalistischer Rechte auf Rohstoffgewinnung. So wurde kürzlich ein großes Wasserkraftwerksprojekt in der Republika Srpska zu einem wichtigen Interesse der Entität erklärt, um Flüsse als ethnische Landschaften im Sinne des IEBL zu definieren und sie somit als ‚innere Hoheitsgewässer‘ der Republika Srpska einzustufen.

Während die Eliten des Privatsektors (und ihre politischen Verbündeten) unter dem Deckmantel ethnischer Gerechtigkeit weiterhin Handel treiben, um Reichtum zu extrahieren und anzuhäufen, betrachten sie Teile des Landes als wertlos und entbehrlich. So wurden beispielsweise Waldflächen in Vareš zu einem extrem niedrigen Preis an das britische Bergbauunternehmen Adriatic Metals verkauft. Der Premierminister der Föderation Bosnien und Herzegowina behauptete, dass dieses Gebiet ohne diese ‚vielversprechende Investition‘ lediglich ‚nutzloses Buschland‘ bleiben würde. Die Exploration kritischer Rohstoffe wie Lithium im Majevica-Gebirge findet in Gebieten statt, die Holbrooke als ‚wertlos‘ ansah. Nachkriegszeitliche Rohstoffprojekte definieren Land, das als Staatseigentum ausgewiesen ist – darunter Wälder, Berge und Gewässer – neu und beanspruchen es für sich, um Gemeingüter in das Eigentum von Entitäten oder Privatpersonen zu überführen. Dies wird als lebenswichtiges ethnisches Interesse gerechtfertigt und es wird behauptet, dass Land durch den Übergang in das Eigentum von Entitäten an Wert gewinnt. Wie in Dayton erleichtert die Einstufung von Land als wertlos dessen Tausch und Opferung.

Kartografie von Ressourcen und Gegenkartografien im Entstehen

In den letzten zehn Jahren ist der Sektor der erneuerbaren und ‚grünen‘ Bergbauindustrie in den westlichen Balkanstaaten gewachsen und wurde in Landraubprozesse integriert. Kartografie ist ein nützliches Instrument für die schnelle Suche nach Ressourcen, aber sie ist auch grundlegend für die Bildung von Ressourcen. Karten schaffen buchstäblich Ressourcen, indem sie Wissen über sie produzieren, es in räumliche Daten und Legenden umwandeln und es gleichzeitig losgelöst von seinem Kontext darstellen. Sie haben die Macht, Menschen, Landschaften und Natur als in Kategorien unterteilbar darzustellen, statt sie als integriert und voneinander abhängig zu zeigen. Karten visualisieren Ressourcen als aus ihrer Umgebung herausgerissen und bereit zur Gewinnung. Eine kürzlich durchgeführte, von der EU finanzierte Studie über kritische Rohstoffe im Westbalkan erstellte eine Karte, die das Land als reich an Ressourcen darstellt, jedoch ohne Hindernisse für die Gewinnung.

In den westlichen Balkanstaaten arbeiten Kapitalist*innen und Ethnonationalist*innen zusammen, um sich mithilfe der EU und anderer geopolitischer Akteure schnell Mineralvorkommen anzueignen und zu verteilen. Mit ihren pragmatischen Strategien der Parzellierung, des Tauschs und der ‚Opferung‘ von Land perpetuieren sie eine kartografisch losgelöste Sichtweise auf ‚Andere‘ als Muster, die es zu beseitigen gilt, sowie auf ihr Land als leer. Kartografie kann diese Logik jedoch auch aufdecken. David Harvey sagt: „Die Macht, die Welt auf die eine oder andere Weise zu kartografieren, ist ein entscheidendes Instrument in politischen Kämpfen.“ Die Landschaften, die in den Kriegs- und Nachkriegskarten von Bosnien und Herzegowina zum Schweigen gebracht wurden, tauchen heute wieder auf – als wertvolle Orte, aber auch als Orte des Kampfes. Diese Kämpfe sind geprägt von einer Geschichte der Ausbeutung und Gewalt, die sowohl brutal als auch langsam ist. In Bosnien und Herzegowina diskreditieren politische Eliten den Widerstand gegen Ausbeutungsprojekte, indem sie ihn als ethnisch motiviert bezeichnen und behaupten, er werde von Feinden der Interessen der Entität kooptiert. Sie befürchten, dass die Proteste Menschen über Entitätsgrenzen hinweg vereinen und zu grenzüberschreitenden Widerstandsbewegungen führen.

Diese Bewegungen sind multiethnisch und werden von lokalen Gemeinschaften angeführt. Sie vereinen verschiedene Identitäten und Klassen in einem politischen Projekt, an dem Umweltaktivist*innen, Wissenschaftler*innen, Landwirt*innen und Bergleute beteiligt sind. Die Unsichtbarmachung dieser Pluriversen auf Karten ähnelt der kartografischen Abwesenheit von Landschaftsbeziehungen. Beide produzieren dominante Visionen aktiv als nicht existent. Um der kolonialen Land-Vision zu widerstehen, müssen wir aufdecken, wie sie das georäumliche Erbe von Krieg, Profit und Gewalt in der Nachkriegszeit legitimiert und mobilisiert. Gegenkartografien bieten auch Werkzeuge, um latente Verbindungen zu artikulieren und die Hürden zu überwinden, die das Pluriversum als politisches Projekt behindern. Mithilfe von Gegenkartografien können wir eine komplexe Vision entwickeln, die notwendig ist, um die Schichten und Geschichten zu verstehen, die diejenigen verbinden, die von Krieg und Umweltschäden betroffen sind. Sie können uns dabei helfen, die zentralen Verbindungen der Pluriversen des Friedens zu erkennen.

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