Vor dem Siegeszug von Google hatte Suchen im Netz etwas Abenteuerliches. Es war eine Mischung aus Spielen und Lernen. Der Netzpionier und Medientheoretiker Konrad Becker blickt zurück und nach vorn.
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Meine Erfahrungen mit Computern beginnen mit den ersten Mikrocomputern. Mit dem späteren t0-Mitbegründer Francisco Webber programmierte ich in den frühen 1980er Jahren erste audiovisuelle Projekte auf exotischen Kleinrechnern (danach ZX, C64, Amiga, SGI usw.). Anfang der 1990er begann das Internet interessant zu werden. Als wir 1993 den ersten t0-Web-Server aufsetzten, konnten wir uns noch fast jede Webseite einzeln merken. Später wurden redaktionell betreute Links wichtig und in den frühen Tagen von Public Netbase haben wir thematische Listen zusammengestellt. Dann mussten wir immer häufiger suchen.
Spannend, wenn bei der Suche vielleicht etwas ganz anderes gefunden wird, als das, was man gesucht hat. Manchmal erscheint es so, als ob das, was besonders aufwändig gesucht werden muss, auch einen ganz besonderen Wert hat. Die Gefahr dabei ist, dass Dinge auch unsichtbar werden können, weil sie so naturalisiert sind, sich in allgemeinen Annahmen auflösen, in Gewohnheiten begraben werden und schließlich in einer Wolke der Trivialität verschwinden.
Listen vs. Wolken
Mich interessieren Systeme automatisierter Klassifizierung, die über Google hinausgehen. Dabei geht es mir nicht nur darum, inwieweit Rankings, die auf Popularität beruhen, nützlich sind oder ob man sich eher auf so genannte “schwache Verbindungen” stützen soll.
Grundlegend ist es so, dass die archaische Form einer gereihten Liste den Blick auf inhaltliche Zusammenhänge verstellt, die nicht als lineare Reihe dargestellt werden können. Doch nicht jede Datenwolke ist deswegen besonders aufschlussreich.
Schemata der Informationsanalyse umspannen ein weites Feld, das in viele Bereiche privater und öffentlicher Dienste hineinreicht und auch Fragen der sozialen Kategorisierung umfasst. Auffallend ist die extrem hohe Schwelle zu professionellen Werkzeugen. Proprietäre Software ist unbezahlbar und ihre “Open Source”-Gegenstücke kaum zu handhaben.
Kulturelle Intelligence vs. Business-Intelligence
In die kulturpessimistische Klage, dass Google (oder das Internet) den Untergang des Abendlands einleitet, kann ich nicht einstimmen. Was nicht heißen soll, dass es nicht jede Menge Unerfreuliches gibt. Immerhin wird durch digitale Netzwerke deutlich, dass Information und Desinformation, Bildung oder Propaganda oft nur eine Frage der Perspektive sind. Bildungsdünkel zu unterlaufen, schadet nicht. Und manchmal ist eine aus dem Netz zusammengebastelte Meinung besser als gar keine Meinung.
Mit World-Information.Org begannen wir in den späten 1990er Jahren, Modelle professioneller Informationsdienste zu untersuchen. Wir beleuchten militärische und private Business-Intelligence, den Military-Entertainment-Komplex oder interessengesteuerte Think Tanks mit politischem Einfluss.
Diesen Diensten und Technologien wollten wir Forschung und Vermittlung auf der Basis einer kritischen und unabhängigen kulturellen Intelligence entgegensetzen. Und zwar mit den neuen Möglichkeiten zur vernetzen Kooperation und Zusammenarbeit. Maßgeblich war die Bewusstmachung der Notwendigkeit nachhaltiger Informationslandschaften, das heißt von Vielfalt und Selbstermächtigung getragenen Wissensumgebungen.
Interventionen vs. Nachhaltigkeit
Doch wie kann so eine Selbstermächtigung entstehen? Jenseits von Interneterziehung als Schulfach muss es auch ausserhalb der Schule attraktive Angebote der Vermittlung aktueller Kulturtechniken und deren Zusammenhänge auf breiter Ebene geben. Vor allem geht es darum, eine kritische und mündige Rezeption von Medien und Partizipation zu fördern. Und zumindest im Netz muss es freien Zugang zu Bildung und Wissen geben.
Die interessanteren Positionen zu Kultur- und Technologiepolitik sind sicherlich marginalisiert, aber politische Wirksamkeit entsteht nicht nur durch vereinzelte interventionistische Taktiken, sondern durch nachhaltige Strategien der kooperativen Autonomie, die auch Fehlschläge in Kauf nimmt.
(Anm. d. Red.: Der Verfasser des Protokolls ist Medienforscher, Aktivist, Autor, Komponist und Produzent im Bereich Kunst und elektronische Medien. Er war Mitgründer und Leiter des Instituts für neue Kulturtechnologien/t0 und Public Netbase. Gegenwärtig ist er Direktor von World-Information.Org. Zuletzt erschien von ihm das Buch Deep Search. The Politics of Search beyond Google.)
Großartig, hier mal eine Perspektive aus der Frühzeit der Computer-Bewegung zu lesen, die ersten Rechner-Experimente, Links, die man sich noch merken kann, etc. Man merkt schon, finde ich, dass der Blick auf das heutige Internet ein anderer ist als von Leuten, die erst nach 2002 mit Web 2.0 mit dem Internet vertraut wurden.
ich fand den text auch sehr aufschlussreich und historische betrachtungen ohne nostalgie lese ich immer sehr gerne. einzig die frage nach der selbstermächtigung am ende, bleibt mir noch ein wenig zu schwammig: wie sollen diese bildungsangebote (auch außerhalb der schule) konkret aussehen? wir alle kennen die sozialzentren mit urzeit-pcs an denen keine ego-shooter-spiele gespielt werden dürfen. wie sieht das moderne medienzentrum für junge menschen aus und gibt es das schon irgendwo???
Eminent wichtiger Punkt: “Jenseits von Interneterziehung als Schulfach muss es auch ausserhalb der Schule attraktive Angebote der Vermittlung aktueller Kulturtechniken und deren Zusammenhänge auf breiter Ebene geben.”
@Leon, genau das meine ich, fällt euch etwas zu meiner Frage ein?
Es ist aber nicht nur eine historische Perspektive, die hier interessant ist, bzw. eine Perspektive, die aus der Geschichte und konkreter Teilhabe heraus entwickelt worden ist. Sondern: Konrad Becker ist Künstler, Bohemien und Medien(sub)politiker in einer Person — auch das, bzw. v.a. das macht seine Rede spannend.
An die Amiga-Zeiten kann ich mich auch noch erinnern — wir haben damit nach der Schule, Spiele gespielt — irre, dass Du darauf “audiovisuelle Projekte” programmiert hast! Was genau war das denn?