Nach Berlin kam ich zum ersten Mal auf einer dieser typischen Eurail-Touren. Zu der Zeit, 1993, war ich mit drei alten Freunden aus New Mexico unterwegs und ich muss sagen, niemand von uns hielt damals sehr viel von der Stadt. Es war nur irgendein Ort auf dem Weg zu dem, was wir fuer ein weit fantastischeres Ziel hielten: Prag. Fuenf Jahre spaeter kam ich wieder nach Berlin und dieses Mal sah ich die Stadt mit ganz anderen Augen.
Ich hielt mich in Potsdam auf und kampierte zusammen mit 15 anderen Leuten in einem leer stehenden Buero mitten in der Innenstadt neben der Hauptpost. Wir waren eingeladen worden, in einem Fabrikgebaeude eine Gruppenausstellung fuer den neu gegruendeten Brandenburger Kunstverein auf die Beine zu stellen. Ich war Teil eines vierkoepfigen Teams, gemeinsam mit den drei alten Weggefaehrten von vor fuenf Jahren. Fuer mich und die meisten anderen an der Ausstellung beteiligten Leute war es eine Zeit hyperaktiver Kreativitaet.
Der Plan unseres Ausstellungsbeitrags war inspiriert durch jene mit Buchstaben bemalten Holzkloetze, mit denen Kinder buchstabieren lernen, indem sie sie zu Woertern aneinander reihen. Unser Konzept war, viel groessere Kuben von ungefaehr 1,5 Quadratmetern herzustellen und diese mit einem Zeichencode zu bemalen – das Ganze ging auf die Erfahrung zurueck, die Sprache unserer Umwelt nicht zu verstehen und alle schienen diese Erfahrung auf eine aehnliche Weise zu verarbeiten. Unter uns gab es jedenfalls eine klare gemeinsame Tendenz: Unsere Zeichen waren primitiv und karikativ, wie von Stummen gemalt, die mit Grunzen und Gesten nach dem einfachsten Wege suchten, einen Gedanken rueberzubringen.
Dies meine erste Auseinandersetzung mit der deutschen Sprache. Sie blieb nicht ohne Folgen. Als ich in die USA zurueck ging, um meinen Master in Architektur zu machen, beschloss ich, fortgeschrittene Seminare in Kunstgeschichte fuer einen Anfaengerkurs in Deutsch aufzugeben. Das Thema der Sprache hatte andere intellektuelle Interessen fuer mich in den Schatten gestellt und ich war durch meine Erfahrungen in Potsdam nicht nur inspiriert, sondern in jenem Augenblick auch irgendwie verzweifelt, endlich ernsthaft eine fremde Sprache zu lernen – etwas, das ich in vier Jahren Franzoesisch an der High School sehr gut umgangen hatte. Deutsch zu lernen war Teil einer groesseren Erwartung an mich selbst, nicht fuer meine akademische oder berufliche Karriere, vielmehr fuer das Leben, das ich leben wollte, von dem ich mir bereits vorstellte, dass es in Berlin sein wuerde.
Und tatsaechlich: Ich ging bald wieder nach Berlin und ich wollte nicht mehr weg. Ich hatte ein bisschen Startkapital im Wunderland der New Economy zusammengerauft und konnte nur kurz nach meiner Ankunft >Dr. Pong< aufmachen. Die Idee zu diesem hybriden Ort entwickelte sich aus meiner Masterarbeit in Princeton. Der Titel hiess >Recreating Recreation<, zu deutsch >Erholung neu erfinden< und bezeichnete ein Erholungszentrum, in dem die Freizeiterfahrungen Sport, Einkaufen, Tourismus und Feiern zusammen fielen. In >Dr. Pong< findet sich dieser Anspruch auf einfache Weise verwirklicht: Im Zentrum steht eine Tischtennis-Platte, an der meistens wahnsinnig engagiert Rundlauf gespielt wird, ein DJ legt Tanzbares auf und an der Bar werden vornehmlich alkoholische Getraenke serviert. Ich bin noch immer vom tagtaeglichen Ergebnis ueberrascht. Ein Aspekt ist, dass das >Dr. Pong<-Publikum extrem international ist. Im Durchschnitt sprechen, denke ich, etwa 60 bis 70 Prozent der Leute Deutsch. Es gibt auch Naechte, in denen Deutsch in der Minderheit ist. Dann dominieren englische Muttersprachler beziehungsweise Schweden und Daenen, die mit Akzent Englisch sprechen oder Gruppen von Spaniern, Franzosen, Argentiniern, Portugiesen, Polen, etc. Wilde Sprachmischungen sind dabei ein quasi selbstverstaendlicher Nebeneffekt. Unter den englischen Muttersprachlern gibt es nicht so viele, die Deutsch in ihre Sprache integrieren. Man kann es einfach daran festmachen, dass es bedauerlicherweise nicht so viele von uns gibt, die die Sprache ueberhaupt sprechen; zuweilen fuehlt es sich noch ganz neuartig an, wenn ich Deutsch rede. Aber diejenigen von uns, die es dann doch tun, gebrauchen deutsche Woerter oft wie eine Art Slang. Manchmal gibt es Woerter, die einem auf Deutsch leichter einfallen - ein Beispiel, das auf der Hand liegt, waere >Auslaenderbehoerde<. Das war uebrigens auch der Name, den meine auslaendischen Freunde und ich vor zwei Jahren unserem kurzlebigen aber nicht gaenzlich unerfolgreichen Fussballclub gegeben haben. Ich denke, es ist ziemlich interessant, in welcher Art deutsche und englische Muttersprachler die Entsprechungen eines Wortes aus der anderen Sprache in ihrer eigenen sehen. Ein Wort kann sehr verschiedene Dinge bedeuten, abhaengig vom Kontext, in dem es gebraucht wird. Wenn ich Deutsch rede, versuche ich um jeden Preis englische Woerter zu vermeiden und finde es ziemlich lahm, wenn ich Deutsche hoere, die das tun. Normalerweise hat es keinen anderen Zweck als zu beweisen, dass der Sprecher die englische Bedeutung des Wortes kennt - uebrigens koennen jene Leute allzu oft leider nicht richtig Englisch. Deutsch zu sprechen, ist fuer mich ein Spiel und ein Experiment. Es ist ein Spiel, das ich gewinnen will und ein Experiment, von dem ich mir erhoffe, im Prozess von Versuch und Irrtum, zur Wahrheit vorzustossen. Neulich hoerte ich von jemandem die Redewendung von einem Geschaeftsberater und Motivationstherapeuten: >Perfection is a direction<, Perfektion ist eine Richtung. Das ist schrecklich einfach, aber auch schrecklich wahr. Seit langem schon habe ich den Glauben daran aufgegeben, jemals perfekt Deutsch zu sprechen, aber man weiss ja nie. Mein Ziel besteht vielmehr darin, versunken zu sein in Situationen, was bedeutet, dass man entweder in der Sprache versinkt oder schwimmt. Ich habe immer Letzteres probiert und der Trick war, wie beim Sport oder Feiern, all mein Selbst-Bewusstsein abzuwerfen, niemals in Verlegenheit zu geraten und den grammatikalischen Fehlern, wie ich sie aus meinem Mund kommen hoerte, keine Beachtung zu schenken.