Städte sind nicht wie Raumschiffe auf einem fremden Planeten gelandet, sondern historisch gewachsen. Das wird immer wieder vergessen, gerade weil sie oft losgelöst von der Umwelt gedacht und geplant wurden – einer Umwelt wohlgemerkt, von der sie in vielerlei (oft ausbeuterisch-zerstörerischen) Hinsicht abhängig sind. Nicht zuletzt der Klimawandel erinnert uns an diese Interdependenz und zwingt uns, die Frage der Multispezies-Umweltgerechtigkeit in der Stadtplanung zu stellen. Um das sinnvoll angehen zu können, bedarf es eines mehrfachen Paradigmenwechsels, wie Sandra Huning in ihrem Beitrag zur Textreihe „Kin City“ argumentiert.
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In einem Kommentar in der Zeitschrift Environmental Humanities setzte sich die Wissenschaftstheoretikerin, Biologin und Geschlechterforscherin Donna Haraway im Jahr 2015 für eine Multi-Spezies-Umweltgerechtigkeit (multispecies ecojustice) ein: „[A]lle Erdlinge sind im tiefsten Sinne verwandt [i. O.: kin], und es ist höchste Zeit, besser für Arten-als-Assemblages zu sorgen (nicht für eine Spezies nach der anderen)“ (2015; Übersetzung hier und folgend SH). Multi-Spezies-Gerechtigkeit (multispecies justice) lässt sich nach Celermajer et al. (2021) als Versuch definieren, die Beziehungen zwischen Menschen und anderen nicht-menschlichen Wesen gerechter zu gestalten, aufbauend auf der Überzeugung, dass Menschen, andere Lebewesen, Flüsse, Boden etc. voneinander und von der Lebensfähigkeit ökologischer Systeme abhängig sind.
Weder Haraway noch Celermajer sprechen über Stadtplanung. Doch es gibt bereits seit mehreren Jahren (vor allem akademisch geführte) stadtentwicklungspolitische und planungstheoretische Debatten, zu denen sich interessante Bezüge herstellen lassen. In diesem Beitrag möchte ich in aller Kürze Bezüge zu vier Debatten aufzeigen und erste Ideen formulieren, wie sich Stadtplanung im Sinne einer Multi-Spezies-Gerechtigkeit und der Verwandtschaft aller Lebewesen weiterdenken ließe.
Feministische Stadtkritik und die gerechte Stadt
Die Stadt- und Planungswissenschaftlerin Susan Fainstein kritisierte bereits im Jahr 2005 abstrakte und undifferenzierte Normen von „Fairness, individuellen Rechten und richtigem Verhalten“ in der Stadtplanung, weil diese in keiner Weise die Auswirkungen von sozialen Beziehungen, zwischenmenschlichen Abhängigkeiten und Verpflichtungen auf individuelle Lebensentscheidungen berücksichtigen. Davon betroffen sind nach wie vor vorrangig Frauen, die solche Verpflichtungen gegenüber anderen Menschen, z. B. betreuungsbedürftigen Kindern, in der Regel freiwillig, aber häufig ohne realistisch wählbare Alternativen eingehen. Der planerische Fokus auf ökonomische Rationalitäten blendet solche sozialen Beziehungen aus und verengt damit den Blickwinkel auf sozialräumliche Problemlagen und ihre potenziellen Lösungen (Fainstein 2005).
Fainsteins Antwort ist das Leitbild der gerechten Stadt (2010). Demnach sollen drei Kriterien – Fairness (equity), Demokratie und Diversität – die Erstellung und Umsetzung von städtischen Plänen und Programmen sowie deren Evaluierung leiten. Konkret kann dies z. B. bedeuten, Wohn- und Mobilitätskosten für Geringverdiener zu senken, verschiedene öffentliche Räume für unterschiedliche soziale Gruppen zu schaffen und Wertsteigerungen von Immobilien- und Bodenwerten, die in Folge von Investitionen der öffentlichen Hand zustande kommen, abzuschöpfen.
Für eine Multi-Spezies-Gerechtigkeit reichen diese Kriterien noch nicht aus. Die Überlebensfähigkeit von Ökosystemen und nicht-menschlichen Geschöpfen fehlen bislang in den meisten Debatten zur gerechten Stadt (Davy 2023). Neben einer Überwindung des anthropozentrischen Blicks braucht es hierzu auch eine Reflexion des Umgangs mit der Ressource Boden in der Stadtplanung.
Stadtplanung und Privateigentum
Das moderne Verständnis von Stadtplanung entstand im 19. Jahrhundert, in dem gesellschaftliche Umbrüche, verbunden mit der Entstehung einer kapitalistischen Industriegesellschaft, es erforderlich und wünschenswert machten, städtische Entwicklung in geordnete Bahnen zu lenken. Beim Wandel um die Jahrhundertwende vom 19. zum 20. Jahrhundert hin zu einer visionären Stadtplanung spielten, wie die Architekturtheoretikerin und Kulturwissenschaftlerin Christa Kamleithner (2020) zeigt, Statistik und Kartographie eine wichtige Rolle.
Mithilfe von Statistiken und Karten konnten nicht nur aktuelle städtische Zustände (auch im zeitlichen und internationalen Vergleich) abgebildet werden; diese unterstützten außerdem die Entstehung idealer Stadtmodelle und normativer Orientierungen einer guten Stadtgestalt und wünschenswerten (ökonomischen) Stadtentwicklung. Eine zentrale Säule bei der Umsetzung normativer Stadtmodelle war die Umwandlung ehemals kollektiv bewirtschafteter Flächen in privates Bodeneigentum. Um die Kräfte des Marktes freizusetzen, musste die endliche Ressource Boden jemandem zur freien Verfügung stehen oder gar „gehören“ können.
Damit dürfte auch zusammenhängen, dass Diskurse über die gerechte Stadt in einer „anthropozentrischen Haltung“ verharren (Davy 2023). Der Bau- und Bodenrechtswissenschaftler Benjamin Davy stellt dieser Haltung die Bodenethik von Aldo Leopold auf der Grundlage einer Bodengemeinschaft (land community) gegenüber. Leopold spricht Menschen das Recht ab, den Boden (und andere Lebewesen) auszubeuten, und fordert sie auf, die Integrität, Stabilität und Schönheit der biotischen Gemeinschaft zu schützen: „Nicht die einzelnen Mitglieder der Bodengemeinschaft sind wichtig, sondern die Gesamtheit der Bodengemeinschaft oder biotischen Gemeinschaft“. Daraus lassen sich Forderungen nach subjektiven Rechten für die Natur und für Tiere ableiten. Es stellt sich die Frage, welche Folgen sich daraus für eine ‚mehr-als-menschliche‘ Stadtplanung ergeben.
‚Mehr-als-menschliche‘ Stadtplanung
Eine mögliche Antwort darauf geben u. a. die Planungswissenschaftler*innen Houston et al. (2018) vor dem Hintergrund des globalen Umweltwandels. Sie problematisieren Dualismen wie Natur/Kultur, Stadt/Land, Körper/Geist, Mann/Frau etc., die planerisches Denken strukturieren und es Planer*innen erschweren, über die Koproduktion des Städtischen durch Menschen, Tiere, Pflanzen nachzudenken. Die Überhöhung des Menschen gegenüber anderen Lebewesen lehnen die Autor*innen ab und betonen hingegen die Multi-Spezies-Verstrickungen (multi-species entanglements) von Menschen und anderen Lebewesen. Sie plädieren für relationale Planungsverständnisse, die Menschen, Pflanzen, Boden, Mikroben, Pilze etc. in ihrer Koproduktion städtischer Räume und Interaktionen zusammen und im Kontext denken. Es geht ihnen um ein Verständnis der Verbundenheit und Verwobenheit von Lebewesen und Ökosystemen und dafür, dass Eingriffe und „Kontrolle“ einer Spezies unweigerlich Folgen für andere haben. Dies gilt auch dann, wenn diese nicht körperlich sichtbar sind, wie z. B. Mikroben.
Daraus ergeben sich (mindestens) zwei Fragen für Stadtplaner*innen: „1) wie Multi-Spezies-Beziehungen ethisch und politisch in Planungsentscheidungen über Flächennutzungen einbezogen werden können und 2) wie sozial und ökologisch gerechte Planung nicht-menschliche Akteure sinnvoll in deliberative Praktiken einbinden kann, ohne sie zu Objekten oder Symbolen politischer Kämpfe zu reduzieren“. Planer*innen müssten dafür 1) sich verabschieden von der Überzeugung, dass politische Rechte nur für Menschen gelten, 2) sich dem Problem zuwenden, wie politische Subjekte neu definiert werden können und 3) politische Argumentationen auf nicht-menschliche Wesen ausweiten, ohne diese isoliert zu betrachten. Daraus ergeben sich wiederum neue ethische Probleme, die planungstheoretisch adressiert werden müssen. In Anlehnung an Haraway fordern die Autor*innen alle Planer*innen auf: „Make kin, not cities!“. Stadt müsse in ihren komplexen Verstrickungen gedacht werden, nicht von der Natur und dem Land getrennt.
Stadtplanung als Fürsorge/Care
Ein letzter Ausgangspunkt für ein Stadtplanungsverständnis, das offen für ein Nachdenken über Multi-Spezies-Gerechtigkeit ist, ist das Nachdenken über Planen als (Für-) Sorgen (Care). Bereits seit den 1970er Jahren kritisieren Feminist*innen wie die politische Philosophin Silvia Federici die stereotype Nicht-Beachtung von Sorgearbeit, die bis heute zum Großteil unbezahlt von Frauen erbracht wird. Städte wie Barcelona (Spanien) oder Bogotá (Kolumbien) haben unter unterschiedlichen Vorzeichen unter dem Label Caring City Projekte und Maßnahmen entwickelt, um Sorgearbeit als Teil städtischer Ökonomie aufzuwerten. Sorgetragende – egal ob bezahlt oder unbezahlt – sollen unterstützt, gestärkt und vernetzt werden. Zudem soll Sorgearbeit demokratisiert werden, so dass diejenigen, die betreut, gepflegt und unterstützt werden, ein höheres Selbstbestimmungs- und Gestaltungsrecht zugesprochen bekommen.
Im Diskurs gibt es mehr und mehr Stimmen, die Stadtplanung selbst als Care verstehen, weil diese durch die Gestaltung von städtischen Räumen im Allgemeinen und die Bereitstellung von urbanen Sorge-Infrastrukturen im Besonderen einen großen Anteil daran hat, wie Sorgearbeit geleistet werden kann. Kurze Wege, soziale Infrastrukturen und Einrichtungen sowie für diverse Zielgruppen sicher nutzbare öffentliche Räume erleichtern unabhängige Mobilität und die Vereinbarkeit unterschiedlicher Lebensbereiche. Doch ist die Haltung einer sorgenden Stadtplanung keineswegs der Status Quo. Sie erfordert vielmehr ein grundsätzliches Umdenken, das unter den aktuellen Rahmenbedingungen höchstens ansatzweise zu realisieren ist.
Eine Erweiterung der Perspektive – von der Sorge für Menschen hin zur Sorge für die Erde/die Natur und nicht-menschliche Wesen – ist bereits in der Diskussion. Allerdings stellt sich auch hier die Frage, wie der Dualismus zwischen ‚sorgenden Planer*innen‘ und ‚passiver Natur‘ überwunden und das Verhältnis als ein wechselseitiges gedacht werden kann.
Multipler Paradigmenwechsel
Die genannten Debatten zeigen hier in aller Kürze und notwendigerweise unvollständig, dass in der Stadtplanung etwas in Bewegung gekommen ist. Es gibt aber noch viele Baustellen. Stadtplanung ist eingebettet in ein System, das potenziell hierarchisch, wachstumsorientiert und ausbeuterisch ist. Die Grundlagen dafür wurden im 19. Jahrhundert geschaffen und seither kontinuierlich erweitert und verfestigt. Insofern übertreibt Benjamin Davy sicherlich nicht, wenn er für das Thema Bodenethik argumentiert, ein Wandel zur Multi-Spezies-Gerechtigkeit habe ähnlich dramatische Folgen wie die Abschaffung der Sklaverei. Gleiches gilt für eine stärkere Orientierung von Stadtplaner*innen an den Sorge-Erfordernissen in Städten.
Es ist davon auszugehen, dass ein multipler Paradigmenwechsel unausweichlich ist, um die Transformation zu erreichen, die angesichts von Klimawandel und Umweltzerstörung aktuell so notwendig erscheint. Weiterhin braucht es sicherlich auch einen inter- und transdisziplinären Diskurs, um Komfortzonen zu verlassen und Denkmuster und Strukturen, die ein Umdenken verhindern, überhaupt zu erkennen. An vielen Stellen wird, wie gezeigt, bereits ausgelotet, welche Potenziale, aber auch welche Grenzen ein Perspektivwechsel für die Stadtplanung mit sich bringen kann.
Anmerkung der Redaktion: Die Bibliographie des Artikels ist hier zu finden.