Behinderte Sportler oder Sportler mit Behinderung? Ein Blick auf die Paralympics 2012

Bei den Paralympics wollen SportlerInnen Rekorde brechen. Was die Para-Olympioniken dafür aufbieten, ist famos: sie sind leidenschaftlich, wettbewerbsorientiert und professionell. Doch die Massenmedien sehen nur behinderte Sportler, statt über Sportler mit Behinderung zu berichten. Berliner Gazette-Gastredakteurin Leonie Geiger kommentiert.

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Während der Olympischen Spielen in einem Medienhaus: durch eine Glaswand abgetrennt, in einem eigenständigen Raum, schuftet ein riesiges Olympia-Team. Sie schauen rund um die Uhr den Livestream und berichten über die Spiele. Sie produzieren täglich Sonderseiten. Leben täglich Ausnahmezustand. Wie bei einem globalen Großereignis eben üblich.

Sie zeigen sich knallhart. Sie wollen “deutsche Helden” und “weltbeste Leistungen” sehen. Voraussetzung: Die Sportler sollen weder gedopt sein, noch Lebenspartner in der rechten Szene haben. Doch sie werden enttäuscht. Medaillen werden in so manchen unnatürlich langen letzten Sekunden hart erkämpft. Die erste Goldene läßt erstaunlich lange auf sich warten.

Dann kommt die Abschlussparty mit Pep und Pop. Und man geht zur Tagsordnung über. Oder war da noch was? „Sagt mal, war nicht morgen schon die Eröffnungsfeier der Paralympics?“ Verhaltenes Gemurmel. „Es ist keine Reaktion dafür vorgesehen oder?“ Zustimmendes Gemurmel. „Aber wir können doch nicht nach der fetten Berichterstattung über die Olympischen Spiele die Paralympics einfach so übergehen.“ Betretenes Schweigen.

Hatte man die Paralympics vergessen, verdrängt, übersehen? Die Paralympischen Spiele begannen am 29. August ohne auch nur ansatzweise so viel Beachtung zu bekommen, wie sie man den Spielen der Sportler ohne Behinderung geschenkt hatte. Und sie werden am Sonntag, ohne viel Aufsehen erregt zu haben, zu Ende gehen.

Ambition und Inklusion

Dabei sind die diesjährigen Paralympics die Größten, die es jemals gab. 164 Nationen, 503 Wettkämpfe und 20 Sportarten. 420 Sportler stellen sich der größten athletischen Herausforderung, die es für Menschen mit Behinderung gibt.

Nehmen wir Oskar Pistorius als Beispiel. Er ist natürlich nicht der einzige Mensch mit Behinderung, der bei Olympischen Spielen mitgekämpft hat, aber der erste beidseitig amputierte. Vergangenen Sonntag wurde er im 200m Sprint von einem unbekannten 20-jährigem Brasilianer überholt. „Das war unfair, einfach lächerlich.“ war seine erste Reaktion auf den 20 jährigen Alan Oliveira. Dessen Stelzen seien 10 Zentimeter zu hoch gewesen.

Diese Reaktion unterstreicht den neuen Geist der Paralympics – leidenschaftlich, wettbewerbsorientiert, professionell. Es geht hier wie bei den olympische Spielen zu. Umso drängender stellt sich die Frage: Warum werden die Olympischen Spiele, die Paralympics und konsequenter Weise auch die Special Olympics für Menschen mit geistiger und Mehrfach-Behinderung nicht zusammengelegt? Diese Entwicklung wäre im Zuge der UN Behindertenrechtskonvention wichtig. Inklusion ist schließlich ein Menschenrecht.

Aber die Zusammenlegung dieser Sport-Events: Wir sind weit davon entfernt. Und die Massenmedien untermauern das. Sie unterstreichen die Trennung. Die meisten Beiträge zu den Paralympics drehen sich um alles mögliche, nur nicht um Weltrekorde und Spitzenleistungen. Wir lesen etwas über die Länge der Stelzen, über Schicksalsschläge und das Drama der Inklusion. Dabei werde ich das Gefühl nicht los, dass die Massenmedien behinderte Sportler sehen und nicht Sportler mit Behinderung. Dass sie nicht objektiv über Wettkämpfe berichten können. Sich nicht trauen, vom deutschen Team mehr Medaillen einzufordern oder Leistungen lauthals zu kritisieren.

Der Stoff, aus dem Helden sind

Kaum eine Zeitung druckt den Medaillenspiegel ab wie es ständig bei den Olympischen Spielen gemacht wurde. Kein Medium feiert Deutschland mal wegen herausragender Sportler mit Behinderung. Ein Beispiel unter vielen: Als Sportschützin Manuela Schmermund die erste Medaille für Deutschland gewann, war das der FAZ in der rechten unteren Ecke eine winzige 18-zeilige dpa-Meldung wert. Müsste sie nicht als Heldin gefeiert werden?

Herausragende Athleten werden von der Gesellschaft normalerweise vergrößert, mit Macht ausgestattet und ins Übermenschliche erhoben. Die Medien können dabei als Katalysator dienlich sein. Natürlich sehen Philosophen wie Gunter Gebauer diesen Prozess der Heroisierung kritisch. Denn die Gefahr besteht, dass das Ich sich allmächtig fühlt durch die Macht, die es von der Masse bekommen hat. Doch die Frage bleibt: Warum versagen die Medien als Katalysator der Heroisierung bei den Paralympics?

Die Medien, aber auch die Gesellschaft können sich offenbar nicht davon lösen, in den Athleten der Paralympics zuerst einen Menschen mit Behinderung und erst dann einen Sportler zu sehen. Wann werden wir über den kindlichen Instinkt hinwegkommen, uns als erstes zu fragen, was diesem Menschen zugestoßen ist, dass er beispielsweise amputiert ist? Wann werden wir bereit sein, Sportler mit Behinderung als Helden zu feiern?

Anm.d.Red.: Das Foto stammt von jo_sal77 und steht unter eine Creative Commons Lizenz.

13 Kommentare zu “Behinderte Sportler oder Sportler mit Behinderung? Ein Blick auf die Paralympics 2012

  1. für mich stellst sich die Frage: können die Medien nicht anders auf Sport und Höchstleistungen reagieren als mit Heroisierung? Anders gefragt: sollten wir nicht die olmypischen Spiele als Vorbild verneinen und stattdessen die Paralypmics als Beispiel nehmen und stärker auf menschliche Faktoren eingehen, auf persönliche Geschichten anstatt dem Leistungsdenken zu frönen und Helden am Fließband zu fordern?

  2. was ist denn eigentlich derzeit in unserer Gesellschaft das politisch korrekt Wort für Menscvhen, die bei den Paralympics auftreten? doch nicht “Behinderte” oder?

  3. die Olympiade ist ein Schaufenster für die Nationen, ihre Strahlkraft, Wirtschaftspotenz, etc. Eine Kritik dieser Ideologie vermisse ich ein wenig an dieser Stelle.

  4. @btbw
    Ja das könnte man vielleicht. Aber ist das nicht Sport, dass Menschen zu Helden werden? In der Antike zum Beispiel wurden die Sieger der Olympischen Spiele mit einem Standbild im olympischen Hain belohnt. Damit waren sie die einzigen Menschen, die neben Göttern dort verewigt wurden. Sport war schon immer Heroisierung. Das ist unsere Kultur und auch Sportler mit Behinderung haben ein Recht darauf von den Massenmedien als Helden wegen ihrer sportlichen Leistung gefeiert zu werden.

  5. @naira: Ich habe Sportler mit Behinderung benutzt. Interessante Informationen dazu findest du unter leidmedien.de

  6. @ Moritz Rinken: Ja vielleicht, aber hier geht es aber nicht um die Ideologie. Das ist ein anderes Thema. Hier geht es erst mal um mediale Gleichberechtigung.

  7. @Leonie #8: “Sport war schon immer Heroisierung” –> das ist eine sehr einseitige Sicht der Dinge: Sport war schon immer Erholung, Spaß, Freude, etc. könnte man genauso sagen. Die Heroisierung in der Antike muss uns auch kein Beispiel sein. Wir könnten uns ja auch mal weiter entwickeln. Aber Zivilisation heißt ja nicht zwingenderweise Fortschritt. Was die Massenmedien helfen aus Heroisierung zu machen, ist jedenfalls ziemlich krank. Das müssen wir den Sportlern mit behinderung nicht antun, vielleicht sollten sie froh sein, dass die Massenmedien nicht so über sie herfallen, vielleicht leben sie im Augenblick ein seeliges Leben in dieser Abgeschiedenheit. Der Respekt für Menschen mit Behinderung muss anders in der Gesellschaft sich etablieren. Heroisierung wäre am Ende auch nur eine scheinheilige Lösung: Seht her, wir haben doch Helden aus ihnen gemacht! und die anderen werden noch immer so behandelt wie immer.

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