Wer nicht mit Klarnamen unterwegs ist, der wird ausgesperrt. Diese rigide Hauspolitik von sozialen Netzwerken wie Google+ verstört immer mehr Menschen. Deutlich wird, wie unverzichtbar die Präsenz in einem sozialen Netzwerk für manche geworden ist. Jedoch auch, wie wichtig Gegenentwürfe sind. Die Netzaktivistin Vera Bunse zeichnet ein Stimmungsbild.
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Es will sich mir nicht offenbaren, warum das soziale Netzwerk Google+ ohne weiteres Federlesen pseudonyme Nutzer aussperrt – zuletzt Ennomane und Kixka.
Den Betreibern scheint egal zu sein, wie bekannt jemand unter seinem Pseudonym ist, welche Reputation er genießt, welchen Wert er als Multiplikator hat – wenn er sich nicht an die fragwürdige Klarnamen-Politik Googles hält, wird er ausgeschlossen. Googles Kalkül: Man braucht ja nicht dort zu sein, wie Eric Schmidt bereits geäußert hat. In bestimmten Berufen kann man sich aber genau das nicht leisten.
Kixka verdient unter dieser pseudonymen Identität Geld. Enno ist eine Netzgröße als Blogger. Beide sind bekannt und gelten als wichtige Multiplikatoren. Ihre Meinungen und Empfehlungen werden akzeptiert und verbreitet. Wichtig ist ein blödes Wort, weil die Netzbewohner selbstreferentiell sind, aber es gibt einen größeren Kreis von Menschen, die “Meinung machen”. Sascha Lobo, Deutschlands “Symbolfigur für irgendwas mit Internet” (Passig), spricht in diesem Zusammenhang von “digitaler Deutungshoheit” und der “Macht der Vernetzung”.
Was sind die Folgen der rigiden Hauspolitik?
Enno macht aus seiner Verbannung ein Kunstprojekt: unter seinem tatsächlichen Namen führt er ein Profil mit erdachten Merkmalen. Kixka will zurückkommen, sobald Firmenprofile erlaubt sind. Beiden gehen die Follower verloren, die sie nach Sascha Lobos Aktion German Essentials hinzugewonnen hatten (er hatte dazu aufgerufen, bestimmten Google-“Plussern” zu folgen, weil sie gute Inhalte liefern). Wenn man publiziert, tut so etwas weh, zumal, wenn man damit Geld verdient.
Es bleibt die Wahl zwischen Beelzebub und dem Teufel – Facebook hat nur andere Nachteile. Wir bekommen gerade einen Vorgeschmack auf die schnell zunehmende Macht der Social Media-Konzerne. Es wird Zeit für Gegenentwürfe. Viele sind sauer und möchten etwas ändern, aber es sind Viele mit vielen Meinungen. Fest steht: Google so weiter machen zu lassen, das geht nicht. Wenigstens sollte der Versuch unternommen werden, Google zum Einlenken zu bewegen.
Burn Out im Netz? Nein, es ist gerade vieles in Bewegung. Nach außen sieht man davon nichts oder kaum etwas. Doch durch die Vernetzung in den letzten zwei Jahren haben sich Kreise und Gruppen gebildet, die sich jetzt in neuen Zusammenstellungen weiter beziehungsweise neu vernetzen – es wäre ein gefundenes Fressen für Soziologen. Wieviel Einfluss von ihnen ausgeht, wird sich zeigen.
Mittlerweile hat das soziale Netzwerk Diaspora regen Zulauf auch von bekannteren Leuten, die stinksauer auf Google+ sind. Auch einer wie Sascha Lobo würde Google+ verlassen, wenn er es nicht (wie so viele) von Berufs wegen brauchte. Das ist der casus knaxus: Facebook und Google verlassen sich darauf, dass sie unverzichtbar sind. Einiges weist darauf hin, dass sie sich irren.
Anm.d.Red.: Das Foto oben stammt von Noritoshi Hirakawa.
was hälst du von aktionen wie “quit facebook day”? wurde dieses jahr NICHT wiederholt… und f+r g+ hat es auch noch keiner gewagt sowas zu starten…
http://www.quitfacebookday.com/
Hauptsache die Gegenentwürfe sind benutzerfreundlich! Können das die politisch korrekten sozialen Netzwerke denn überhaupt leisten oder können dass sowieso nur die grpoßen Social-Network-Unternehmen mit ihrem ganzen Geld um Programmierer zu bezahlen?
—Kreis von Menschen, die “Meinung machen”— das irritiert mich als Aussage schon. Es klingt nach Kader, Elite und allen möglichen Dingen aber nicht nach Demokratie: Wenige bestimmen das Denken von Vielen. Kann das gewollt sein? Ich dachte das Netz steht für einen anderen Gedanken.
@+1: Leute wie Anonymous hätten schon den Mut und wohl auch die Mittel. Haben die nicht auch ein Vorgehen gegen Facebook angekündigt?
http://www.youtube.com/watch?v=ww2GhqeQMoo
http://www.youtube.com/watch?v=YzAhY6MUl8s
Offenbar soll es am 5.11. soweit sein… Wird die Welt danach besser sein? Oder geht es dabei eher um das “die da oben zum Einlenken bewegen”-Moment einer Druckkulisse, die erzeugt werden soll mit so einer Warnung?
@iuza
Hat es wohl am 31. Mai gegeben, außerdem ist etwas unter “National Unfriend Day” für den 17.11. gepant – allerdings sind die Websiten dazu schon vom letzten Jahr. Die Termine werden aber dennoch in den sozialen Netzwerken verbreitet. Und natürlich wird es, wie unten schon von @töpfer geschrieben, die Anonymous-Aktion geben. Ich halte es nicht für ein Wagnis, so etwas zu starten, sondern für eine gute Idee.
@Alfred
Bei Diaspora werden jeden Monat Vorschläge von Benutzern umgesetzt, im Moment schreiben sich die Jungs anscheinend die Finger wund. :)
@töpfer
Das ist eine Feststellung. In jedem Medium wird es immer Meinungsmacher geben. Frank Schirrmacher oder Heribert Prantl erreichen mehr Menschen als Lieschen Müller oder ich. Wenn ein Blogger oder Journalist (oder beides) gute Inhalte hat, wird er von Vielen gelesen, und sein Wort gilt als vertrauenswürdig. Es interessieren sich mehr Menschen für Gadgets als für bestickte Portemonnaies, darum werden Techblogs mehr gelesen als Handarbeitsblogs.
danke für den Einblick.
mit Blick auf die Suche nach Alternativen und den “Quit Facebook Day” habe ich damals (kurz vor dem 31.5.2010) geschrieben, dass man bleiben solle, um sich in diesem Netzwerk für ein wacheres Bewusstsein einsetzen sollte hinsichtlich der politischen Bedingungen etc.
Hier mein Text dazu:
http://berlinergazette.de/am-31-mai-ist-facebook-day/
Ich bin mir nicht sicher was ich erreicht habe in dieser Hinsicht, ich glaube, ich bin nicht aktiv genug gewesen, um den Tee-Trink-Modus meines Umfelds zu unterbrechen. Dafür ist die Redaktion der Berliner Gazette weitaus umtriebiger gewesen und hat versucht u.a. Diskussion über Politik und soziale Netzwerke zu initiieren.
Heute denke ich: meine damalige Forderung danach zu bleiben und politisch aktiv zu sein, ist wichtiger denn je, da solche soziale Netzwerke für immer Menschen zu einem Internet-Ersatz mutieren (das zeichnete sich bereits in dem Sommer 2010 recht deutlich ab, spätestens nachdem “fb” search eingeführt hatte): so wie es Internet-Aktivisten gibt, muss es auch facebook (oder eben G+) Aktivisten geben.
Und diese arbeiten nicht im armchair von Aussen, sondern von Innen, in den Eingeweiden jener Umwelt, die sie kritisieren und gerechter machen wollen.
Abgesehen davon brauchen wir Alternativen. Kurz: ich plädiere für “doppelte Staatsbürgerschaft”.
Was denkt ihr darüber?
@Krystian #7: ich sehe das so ähnlich – um etwas zu verändern, bringt es vermutlich nichts, Facebook einfach zu verlassen. (es sei denn man ist ein Promi und kann das eigene Austreten nutzen, um awareness zu erzeugen).
Genau dann ist es besonders zweischneidig, denn dann bestehen auch die besten Aussichten, von innen etwas zu ändern.
Hier ein Kreis von Usern, die sich mit Diaspora beschäftigen bzw. dort registriert sind. Es würde mich freuen, wenn sich noch weiter Personen in diesen Kreis eintragen würden. Mir dazu einfach eine Nachricht/Info zukommen lassen und ganz wichtig, die Diaspore Userkennung (z.B. johndoe@joindiaspora.com) mitschicken. ;)
@#10: Ist diese Zweischneidigkeit busines as usual (im Sinne von: das Leben war schon immer ambivalent, die Wirklichkeit schon immer paradox) — oder haben wir es hier mit einer neuen Form, neuen Dimension von Zweischneidigkeit zu tun?
@krystian: die frage ist okay. wir sprechen hier über das netz wie über die welt, analogen raum: es gibt den ozean (internet), die gated community (facebook und so (ich weiss, die bg hat das auch mal so genannt)) und du fragst, ob und wie man sich da engagieren sollte, weil immer mehr leute in der gated community aufwachsen, okay, und dann den ozean gar nicht mehr kennenlernen wollen, weil ihr horizont zu ist, dicht. also gehen wir in die gated communities und machen ein bisschen auf clown, agitator, aufklärer — warum nicht, das finde ich easy, so vom kopf her, aber wer glaubt, allein die eigene anwesenheit (der eigenen dissidenten denke und handhabe) in der gated community sei schon der große bang, der irrt sich gewaltig.
andererseits besteht die welt nicht nur aus ozean und gated community — auch das müssen wir uns klar machen, wenn wir ernsthaft über poltik im netz reden wollen.
@#13: du sagst, die “welt besteht nicht nur aus ozean und gated community” und spielst damit, wenn wir bei den räumlichen Metaphern bleiben, auf den “Underground” als weitere Kategorie an? Also auf Netzwerke wie Darknet (http://de.wikipedia.org/wiki/Darknet) und Tor (http://de.wikipedia.org/wiki/Tor_%28Netzwerk%29). Klar, die müssen wir auch in den Blick nehmen. Die bieten interessante Möglichkeiten, u.a. anonyme Vernetzung…
Hier ist wichtig: solche Infrastrukturen haben einen sehr schlechten Ruf. Sie gelten als Inbegriff für das Böse des Netzes — jenseits jeglicher rechtsstaatlicher Kontrolle.
@Vera: Wäre das trotzdem oder gerade deswegen ein solcher Gegenentwurf von dem du da sprichst in deinem Text?
@#13: mir fällt noch gerade auf (aber das ist vielleicht nebensächlich), dass in deinen Analogien (Ozean, Gated Community) die Stadt fehlt oder auch die Provinz, sprich: Zivilisation, die im Gegensatz zu der Gated Community in breiten Teilen der Bevölkerung positiv aufgeladen ist.
@12
Das bezog ich nur auf die Ambivalenz, ob man nun – gerade als Promi – drin bleibt oder rausgeht. Die Dimension verändert sich nur in Bezug auf die berufliche Abhängigkeit.
@14, Krystian
Nein, es ist eine Alternative, die aber nur Leuten offen steht, die sich ein bisschen mit Anonymität im Netz beschäftigen. Der Vorgang an sich ist einfach. Der Betrieb wird aber langsamer, und es gibt einige Einschränkungen in der normalen Benutzung. Sinnvoll wäre sicher, mehr Leuten erst mal klar zu machen, was Verschlüsselung ist und wie man sie sinnvoll anwendet. ABer einer wirkliche breiten Masse die Benutzung hvon TOR o.ä. schmackhaft zu machen, halte ich für utopisch.
Gegenentwurf heisst für mich – ohne darüber schon ausreichend nachgedacht zu haben – Daten noch sparsamer anzugeben, Posts etwa lieber Diaspora statt facebook oder Google+ in den gierigen Rachen zu werfen und wieder mehr mein Blog als Ausgangspunkt zu benutzen.
Dabei habe ich immer im Hinterkopf, dass alle Daten, die irgendwer irgendwann über mich gesammelt hat, möglicherweise von einer künftigen Rgierung gegen mich verwendet werden können, mit Hilfe von Algorithmen, die Zusammenhänge herstellen, die es tatsächlich gar nicht gibt. Einfach, weil ich vielleicht irgendwann zur falschen Zeit mit der falschen Person am selben Ort war.
Ein Gegenentwurf wird immer hohen Selbstdatenschutz enthalten. Er wird auf Vernetzung setzen, die nicht für jedermann von außen einsehbar ist. Er wird kommerzielle Netzwerke möglichst meiden. Das Internet ist leider schon so kaputt, dass man darüber sehr lange nachdenken sollte.
Und ich gebe den Kommentatoren recht, die meinen, die nächste Generation wird nur noch walled gardens kennen. Wir kennen es aber noch anders und werden Alternativen suchen. Das mag auf Dauer zu zwei getrennten Netzen führen.
Mal eine andere Frage: würden die genannten Blogger kein Geld verdienen, wenn sie unter richtigen Namen auftreten? Wäre dann ihre Meinung nichts mehr wert?
Es gibt doch auch andere Beispiele, wie Stefan Niggemeier, Jonny Haeusler die unter ihrem richtigen Namen unterwegs sin d und damit “Geld verdienen”.
Ich habe mich bisher wenig mit der Klarnamen-Diskussion auseinandergesetzt, weil ich da bisher nur eine Argumentation von denen höre, die es ärgert, dass sie nicht unter ihren Pseudonym mehr auftreten dürfen und wie hier in dem Artikel richtig beschrieben wird, weil sie wohl Angst haben, dann nicht mehr so berühmt zu sein und damit Geld verdienen können. Für mich ist das nicht der Sinn vom Netz.
Ich würde es wichtig finden, dass Blogger aus Krisengebieten geschützt werden, in dem sie ihren Namen nicht preisgeben müssen, aber gegen einen Klarnamen in einem Netzwerk zu sein, weil man dann weniger Reputation besitzt, ist für mich keine Argumentation.
@andi
Es gibt einen Haufen weiterer Argumente, die Danah Boyd mal aufgeschrieben hat: http://www.zephoria.org/thoughts/archives/2011/08/04/real-names.html und http://www.zephoria.org/thoughts/archives/2010/05/14/facebook-and-radical-transparency-a-rant.html. Kommentierung und Übersetzung des zweiten Beitrags bei Anne Roth: http://annalist.noblogs.org/post/2010/05/16/danah-boyds-rant-ber-facebook-und-die-privatsph-re-das-beste-f-r-die-privilegierten/.
Der Sinn des Netzes sollte doch sein, dass sich darin jeder nach seinen Vorstellungen bewegen kann, ebenso ist es das Recht eines jeden Anderen, bestimmte Menschen/Aspekte zu ignorieren. Zudem: Wenn man im Netz unter einem bestimmten Namen bekannt ist, wird man unter einem anderen schlicht nicht gefunden. Du würdest Heidemarie Schmidt auch im Telefonbuch unter diesem Namen suchen.
@Vera, vielen Dank für die Links. Du hast natürlich vollkommen Recht, dass das Netz nicht uns, sondern wir das Netz bestimmen sollten.
Aber es geht hierbei ja um Google+ und das ist ja nur eine Insel im Netz. Die Klarnamen-Richtlinien sind zwar nervig, aber da hat Google nun mal Hausrecht.
Vielleicht bringt diese Entwicklung bei Facebook, Google+ und Co ja den dementsprechenden Zulauf zu Diaspora. :)
Das hoffe ich auch, daher nochmals mein Angebot, zu Diaspora einzuladen. Das mit dem Hausrecht hat übrigens Thomas Stadler im Hinblick auf §13 Abs. 6 TMG kommentiert.
Upps, der Stadler-Link ist mir verunglückt. Hier: http://www.internet-law.de/2011/07/verstost-der-ausschluss-von-pseudonymen-bei-google-gegen-deutsches-recht.html
Könnte das vielleicht schon ein letzter Versuch von Diaspora sein:
“Diaspora bittet Nutzer um 25 Dollar – Hat es noch eine Zukunft?”
http://t3n.de/news/diaspora-bittet-nutzer-um-25-dollar-hat-noch-zukunft-336877/
Ich bin noch nicht lange bei FB. Bedauerlicherweise habe ich mich unter meinem Echt-Namen angemeldet. Das tut mir inzwischen leid, und ich halte bestimmte INfos nur noch für einen engen Kreis bereit.
Ich habe mir auch schon überlegt, mein Profil so zu verändern, dass ich nicht mehr erkennbar bin. Letztendlich denke ich aber, das ist unnötig, ebenso unnötig wie Facebook selbst.
Es zahlt sich aus zu kämpfen: Salman Rushdie darf auf Facebook seinen Autorennamen benutzen – http://taz.de/Salman-Rushdie-auf-Facebook/!81915/