Wie können wir unabhängig und frei arbeiten und dennoch in einem Netzwerk erfolgreich sein? Wie lassen sich soziale Konzepte entwickeln, die sich auch finanziell tragen? Welche Rolle kann Theater bei diesen Prozessen spielen? Auf diese Fragen fand die Sozialunternehmerin Sandra Schürmann im Laufe ihres Lebens Antworten. In der Berliner Gazette spricht sie über ihre rebellische Phase und ihr Ziel, durch neue Geschäftsmodelle gesellschaftliche Gewinne zu erzeugen. Das Video oben entstand in unserem Büro, der nachfolgende Beitrag liefert das Gesprächsprotokoll als Text.
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Ich habe mich immer damit beschäftigt, ob das Angestelltenverhältnis für mich überhaupt die richtige Form ist. Deswegen habe ich nach der Schule stets versucht, frei zu arbeiten. Was ich heute tue, hat viel mit meiner Biografie zu tun. Ich bin ein klassischer Schulverweigerer. Nach der Schule war klar, dass ich in keinen normalen Kontext passe, keine klassische Ausbildung machen kann. Etwas anderes als zu studieren, ist mir allerdings nicht eingefallen. Studieren hat damals für mich Freiheit bedeutet.
Durch das Anerkennungsjahr nach meinem Studium war ich plötzlich das erste Mal angestellt. Damals konnte man sich noch nicht einfach selbstständig machen. Somit bin ich in den Bildungssektor gekommen und befand mich überraschenderweise auf der anderen Seite: Ich war nicht mehr diejenige, die rebellisch gegen das System stand, sondern musste bei einem klassischen Bildungsträger arbeitslosen Jugendlichen helfen, einen Job zu bekommen.
Das hat dazu geführt, dass ich mir grundlegend darüber Gedanken gemacht habe, wie man diesen Bereich verändern kann, beziehungsweise wie man Menschen, zu denen ich ja früher auch zählte, begegnet und auch darüber, wie ich weiterarbeiten und leben möchte.
Inspiration, Idee, Konzept
Eines Tages besuchte ich das Theaterstück einer Schulklasse in Witten. Dadurch, dass ich schon so viele Jahre auf der Suche und dieses Theaterstück so inspirierend war, fiel die Projektidee Jobact wie vom Himmel. Mir wurde klar, dass Theater die Methode ist, die ich brauche. Weil man künstlerisch arbeitet, man sieht, wie das Publikum darauf reagiert und weil das, was erarbeitet wird, auch präsentiert wird.
Direkt im Anschluss des Stücks bin ich zu dem Theaterpädagogen gegangen und habe ihm gesagt, dass wir uns treffen müssten, da ich eine Idee für ein Konzept hätte. Wir haben uns tatsächlich am nächsten Tag getroffen und das komplette Konzept, so wie es heute noch steht, geschrieben. Alles ist innerhalb von ziemlich kurzer Zeit entstanden. Seitdem gibt es mein Projekt „Jobact“.
Weil ich mir bewusst war, dass Bildung sich generell verändert, war für mich sicher, dass es kein Projekt werden soll, das nur an einem Ort für 20 Jugendliche durchgeführt wird. Deswegen entwickelte ich noch ein unternehmerisches Konzept, mit dem man diese Arbeit schnell und an möglichst vielen Standorten umsetzen kann. Anschließend versuchte ich, dieses Konzept verschiedenen Bildungsträgern zu übergeben. Aber keiner wollte es haben. Sie haben nicht an die Idee, die Methoden oder das Konzept an sich geglaubt. Eigentlich waren sie auch nicht bereit, über ihre normalen Modelle hinauszugehen.
Also musste ich mir eine eigene Form überlegen und habe relativ schnell einen eigenen Verein gegründet. Der ist irgendwann dann eine GmbH geworden. Wir haben unsere Zentrale in Witten, und von dort aus steuern wir alle Aktivitäten. Vor Ort arbeiten wir mit einem Bildungs- und einem Kulturträger zusammen. Wenn wir beispielsweise in Berlin ein Projekt installieren, suchen wir uns einen etablierten Bildungs- und einen Kulturträger, mit denen wir kooperieren. Das macht uns sehr flexibel. Wir steuern die Idee bei und stellen einen Projektleiter. Die Träger vor Ort kennen dagegen den Markt und die Stadt. Sie sind dort etabliert und führen deswegen das Projekt gemeinsam mit uns.
Vom eigenen Theaterstück zum ersten Job
Anfangs entwickeln wir mit arbeitssuchenden Jugendlichen ein komplettes Bühnenstück – von der Idee bis zur Premiere. Das dauert fünf bis sechs Monate. Die Jugendlichen schreiben ihr Stück selbst, erarbeiten es mit allem was dazu gehört, wie beispielsweise Schauspiel, Maske, Ton, Bild, Kostüme und Bühnenbild. Auch erarbeiten sie das Plakat und machen die Pressearbeit selbst. Es ist wie ein kleines Unternehmen. Parallel dazu arbeitet ein Sozialpädagoge mit den Jugendlichen und erstellt die kompletten Bewerbungsunterlagen mit ihnen zusammen.
Die Teilnehmer suchen sich schon während der Theaterarbeit, die Vollzeit an vier Tagen stattfindet, die ersten Praktikumsplätze. Nach fünf bis sechs Monaten kommt das Stück auf die Bühne. Wir versuchen immer, auf relativ großen Bühnen oder vor großem Publikum zu spielen. Wenn die Premiere stattgefunden hat, wechselt das Projekt und die Teilnehmer gehen noch mal fünf bis sechs Monate in ein betriebliches Praktikum. Es geht darum, eine Art Lebensgestaltung und künstlerische Prozesse für Persönlichkeitsentwicklung möglich zu machen. Die Entwicklung der Persönlichkeit steht bei uns im Zentrum der Arbeit.
Social Entrepreneurship als neue Sicht auf die Dinge
Ich wurde mal von der Schwab Foundation und Ashoka auf meine sozialarbeiterischen Tätigkeiten angesprochen. Sie sagten mir, dass es eigentlich Social Entrepreneurship sei, was ich mache. Ich führte damals schon ein Unternehmen mit 16 oder 17 Mitarbeitern, aber der Begriff Social Entrepreneurship ist erst durch diese Organisation in mein Leben getreten.
Social Entrepreneurship bedeutet heute für mich, unternehmerische Lösungen im sozialen Bereich zu finden. Das heißt auf der einen Seite, ein Produkt zu entwickeln, das Probleme lösen kann, und es auf der anderen Seite so einzusetzen, dass es nicht weniger materielle, sondern vielmehr gesellschaftliche Gewinne erzeugt. Allerdings muss sich ein solches Projekt auch tragen. Es muss auch ein Finanzkonzept dahinter stehen, das das Projekt stützt.
Wir haben eine komplett neue Projektform im Bildungssektor etabliert und greifen trotzdem auf die gleichen Finanztöpfe zurück, wie klassische Projekte. Wir haben nicht probiert, neue Strukturen dafür zu schaffen, sondern stattdessen versucht, einen Paradigmenwechsel im System zu vollziehen. Man kann natürlich auch überlegen, ganz neue Finanzierungsmodelle zu etablieren. Aber wir haben uns dafür entschieden, zu zeigen, dass man mit dieser anderen Art von Bildung auch im ganz normalen Markt agieren kann. Dazu haben wir entsprechende Fähigkeiten entwickelt, um Finanztöpfe auch für unsere Arbeitsform zu erschließen.
Spannende Idee! Mich würde mal interessieren, wie so die Erfolgs- und Vermittlungsquote von den arbeitslosen Jugendlichen ist… gibt es da Zahlen?
bravo! eine starke idee und eine starke frau. aber muss alles immmer gleich sich finanziell tragen, es ist die realität in der wir leben, alles muss mit geld gemacht aufgerechnet werden, keine idee, kein projekt, keine veränderungen ohne diese basis…
Hallo. Die Vermittlungsquoten in Ausbildung, Job oder weiterführende Bildungsmaßnahmen der JobAct Projekte liegen im Durchschnitt bundesweit bei 60%.
Sicherlich ist die Frage nach Kapitalformen sehr spannend. Wichtig ist auf jeden Fall, dass Projekte und Angebote aus den unterschiedlichsten Bereichen realistische Marktteilnehmer sind. So auch auf der Grundlage von monitären Werten. Etwas zu verändern ist dann vermutlich am ehesten möglich, wenn Teilnahme und Vernetzung stattfindet. Geld kann dabei als abstrahierte Wertform und Energie sicherlich sinnvoll sein. Nicht zur Anhäufung, sondern im Fluss.