Ich habe eine ganze Liste von Buechern, die ich schon immer lesen wollte. Leider komme ich nie dazu und die Liste wird immer laenger – die Zeit, die fuers Lesen bleibt, immer kuerzer. “À la recherche du temps perdu” von Marcel Proust hat bis jetzt eigentlich nicht dazu gezaehlt. Sieben Baende, mehr als 3000 Seiten. Nein, nicht mal in meinen wilden Lesejahren, also mit 14, 15 haette ich mich da ran gewagt. Seit einiger Zeit verfolge ich jedoch Jochen Schmidts Blog Schmidt liest Proust und muss sagen: Ich bekomme immer mehr Lust auf die “Recherche”.
Der Schriftsteller Jochen Schmidt begann im Juli 2006 jeden Tag 20 Seiten des >Monsterwerks< [so Prousts Bruder ueber die Recherche] zu lesen und ist inzwischen beim 7. Band angelangt. Jeden Tag dokumentiert Schmidt seine Leseeindruecke und leitet diese mit ausschweifenden Alltagsbeschreibungen ein. Um in der >Recherche< nicht verloren zu gehen, hat der berliner Autor praktische Kategorien eingefuehrt, mit denen er die Proust'sche Prosa ordnet: >Unklares Inventar<, >Verlorene Praxis< , >Verstorben< oder >Bewusstseinserweiterndes Bild< [Dazu bei Proust: >Die sterbenden Augen standen noch verhaeltnismaessig lebendig in der damit kontrastierenden furchtbaren Knochenmaske und glaenzten schwach wie eine Schlange, die zwischen Felsen schlaeft.<] Was passiert eigentlich in diesem Blog? Die Zitate aus der Recherche vermischen sich immer mehr mit den Worten Schmidts, waehrend seine Alltagserfahrungen und deren Wahrnehmung von der Lektuere Prousts beeinflusst werden. Literatur und Leben verschmelzen auf unterschiedlichen Ebenen. Aber auch zwischen Texten und ihren Ebenen entsteht ein engmaschiges Netz an Verweisen und Bedeutungsueberlappungen. Was als Dokumentation einer Leseerfahrung daherkommt, ist deshalb nicht zuletzt auch ein eigenstaendiges literarisches Werk Cyberliteratur. Ich koennte mir durchaus vorstellen, es als >richtiges< Buch zu lesen, mit Seiten aus Papier usw. Ob ich fuer meine Leseeindruecke einen Blog anlegen wuerde, ist allerdings fraglich. Aber wer weiss.