Relikte des Internationalismus aneignen: Vom Bangalore-Platz zum dekolonialen Pluriversum der Solidaritäten

Der Bangalore Square in Minsk und Fragmente des Minsk Square in Bangalore, feministische Proteste in Belarus und der Anti-Atomkraft-Widerstand in Kudankulam. Artwork: Colnate Group, 2025 (cc by nc)
Artwork: Colnate Group, 2025 (cc by nc)

Der Umweltkatastrophen-Kriegskomplex, mit dem wir konfrontiert sind – sei es durch die Gefahr der nuklearen Vernichtung, den aggressiven Abbau von Ressourcen oder den ökologischen Kollaps – ist ein Erbe der langen Geschichte imperialer Expansion und kapitalistischer Ausbeutung. In ihrem Beitrag zur Reihe „Pluriverse of Peace“ argumentiert Tatsiana Shchurko, dass der Bangalore-Platz in Minsk diese vielschichtigen Geschichten widerspiegelt. Er ist ein Ort, an dem die Träume vom Widerstand gegen Atomkraft und staatliche Unterdrückung unerfüllt blieben – ein Raum, in dem marginalisierte und zum Schweigen gebrachte Gruppen versucht haben, sich eine andere, hoffnungsvollere Zukunft vorzustellen.

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Dieser Essay ist sowohl ein Gedankenexperiment als auch eine Reflexion über transnationale Solidaritäten, ortsbezogene Politik und die Möglichkeit einer lebenswerten Zukunft. In Minsk, Belarus, gibt es einen belebten Kreisverkehr mit einer Verkehrsinsel in der Mitte, die als Bangalore-Platz bekannt ist. Diese Insel ist für Fußgänger nicht zugänglich, da der Verkehr ununterbrochen um sie herumfließt und es keinen ausgewiesenen Weg dorthin gibt. Normalerweise ist sie mit Gras und Blumen bewachsen, in ihrer Mitte steht eine Werbetafel. Obwohl sie weder durch eine Gedenktafel gekennzeichnet ist noch in der öffentlichen Erinnerung präsent ist, ist die Verkehrsinsel ein Relikt des geopolitischen Schauplatzes des Kalten Krieges und ein unerfüllter Gestus globaler Solidarität.

Der 1986 benannte Bangalore-Platz erinnert an die indisch-sowjetische Städtepartnerschaft zwischen Minsk und Bangalore. Der Platz ist jedoch weniger ein Denkmal als vielmehr eine schwache Spur von Hoffnungen, die nie erfüllt wurden – eine bleibende Erinnerung an eine Zukunft, die durch sowjetische imperiale Interessen, getarnt als Freundschaft, verhindert wurde. Beim Bangalore-Platz ging es leider nie um echte Verbindungen zwischen Menschen aus verschiedenen Ländern. Er war vielmehr ein hohles Symbol für staatlich gelenkten sozialistischen Internationalismus: ein Kreisverkehr, der die Verbindungen zwischen ‚Partner*innenstädten‘ symbolisieren sollte, die nie zu Verwandten wurden. Doch sein Scheitern lädt auch zu einer anderen Betrachtungsweise ein: nicht, um das sowjetische Projekt wiederzubeleben, sondern um die ‚Saat‘ freizulegen, die dort hätten entstehen können – lokale Akte der Fürsorge, des Widerstands und des Überlebens –, die uns dabei helfen könnten, uns eine bessere globale Zukunft vorzustellen.

In diesem Sinne betrachte ich den Bangalore-Platz als einen Ort der „vitalen Neugestaltung“, wie Ann Stoler es ausdrückt – einen Ort, an dem imperiale Vergangenheiten, autoritäre Gegenwarten und Hoffnungen auf eine lebenswerte Zukunft im Alltag sedimentiert sind. Ausgehend von transnationalen feministischen Ideen von Wissenschaftler*innen wie Redi Koobak und Raili Marling, Enni Mikkonen und Chandra Talpade Mohanty und verankert in einem Ortsgefühl, das sich gegen dominante Formen der Zugehörigkeit wehrt, stelle ich die Frage: Was wäre, wenn wir den Bangalore-Platz nicht nur als Überbleibsel des Kalten Krieges betrachten würden, sondern als Teil eines größeren dekolonialen Netzwerks der Solidarität? Was können uns die verpassten Verbindungen zwischen Minsk und Bangalore über die gemeinsamen Kämpfe lehren, denen wir heute gegenüberstehen – insbesondere im Kontext von Umweltzerstörung und Krieg? Ich behaupte, dass wir diesen Ort als Ausgangspunkt für die Vorstellung neuer Formen der Solidarität gegen die Kräfte betrachten können, die den heutigen Umweltkatastrophen-Kriegskomplex prägen.

Der Umweltkatastrophen-Kriegskomplex, mit dem wir konfrontiert sind – sei es durch die Gefahr der nuklearen Vernichtung, durch Rohstoffabbau oder durch den ökologischen Kollaps – ist nichts Neues. Er setzt die lange Geschichte imperialer Expansion und kapitalistischer Ausbeutung fort. Der Bangalore-Platz ist mehr als nur ein Symbol: Er spiegelt die vielschichtige Geschichte der Atomkraft, staatlicher Repression und unvollendeter Träume vom Widerstand wider. Er ist auch ein Ort der Disruption – ein Raum, in dem Menschen, die heute zum Schweigen gebracht und marginalisiert werden, versuchen, sich eine andere, hoffnungsvollere Zukunft vorzustellen.

Ich nutze den Bangalore-Platz, um über das dekoloniale Pluriversum der Solidaritäten nachzudenken: eine Vision und Praxis globaler Solidarität, die in der dekolonialen Ethik verwurzelt ist. In dieser Vision werden vielfältige Lebens- und Wissensformen respektiert und Beziehungen durch gegenseitige Fürsorge und ortsbezogene Relationalität gepflegt statt durch Kontrolle oder Ausbeutung. Für die Umsetzung dieser Idee sind der Aufbau ortsbezogener Allianzen aus den Randbereichen, die Überwindung verschiedener Weltanschauungen und die Akzeptanz von Unterschieden – der einzigartigen sozialen, ökologischen und politischen Dynamik bestimmter Orte und Gemeinschaften – erforderlich.

Nuklearer Imperialismus und die Geister des Kreisverkehrs

Der Bangalore-Platz hat seine Wurzeln in der nuklearen Geopolitik. Er wurde nicht ins Leben gerufen, um die Solidarität der Basis zu feiern, sondern um die Beziehungen zwischen zwei Atommächten zu festigen. Im Jahr 1971 brachte der indisch-sowjetische Vertrag über Frieden, Freundschaft und Zusammenarbeit Indien in einer Zeit zunehmender Spannungen im Kalten Krieg in Asien auf die Seite der Sowjetunion. Dieser Vertrag verschaffte Indien Zugang zu Militär- und Nukleartechnologie, darunter die Pacht eines sowjetischen Atom-U-Boots Ende der 1980er Jahre. Der Vertrag spielte auch eine entscheidende Rolle für Indiens Erfolg im Bangladesch-Befreiungskrieg. Obwohl Indien einen nichtpaktgebundenen Kurs verfolgte, offenbarte diese Partnerschaft die Widersprüche zwischen seiner postkolonialen Identität und seiner Abhängigkeit von sowjetischer Unterstützung. Die sowjetische Unterstützung war nicht altruistisch, sondern diente Moskaus eigenen imperialen Ambitionen, den Einfluss im Globalen Süden auszuweiten.

Für sowjetische Funktionäre, die die indisch-sowjetischen Beziehungen symbolisch stärken wollten, wurde das sowjetische Belarus selbst ein Gebiet, das lange Zeit vom russischen Zarenreich und später von der Sowjetunion besetzt war, von entscheidender Bedeutung. Minsk und Bangalore wurden 1973 ‚Partner*innenstädte‘, obwohl der Bangalore-Platz erst 1986 angelegt wurde – wahrscheinlich als Folge des Besuchs von Premierminister Rajiv Gandhi in Minsk im Jahr 1985. Der Platz diente als symbolische Geste zur Bekräftigung der indisch-sowjetischen Beziehungen – nicht nur im Handel und in der Kultur, sondern auch in der militärischen Zusammenarbeit. Als Symbol für die militarisierten Allianzen des Kalten Krieges verdeutlicht der Bangalore-Platz, wie geopolitische Ambitionen Ökosysteme und Gemeinschaften prägen können. Nukleare Allianzen förderten ein Entwicklungsmodell, das sich auf Schwerindustrie, fossile Brennstoffe und militärische Expansion konzentrierte. Die ökologischen Kosten waren – und sind immer noch – erheblich: radioaktive Abfälle, Umweltverschmutzung und ökologische Schäden, insbesondere in den fragilen Regionen Indiens.

Heute tauchen die nuklearen Verbindungen, die einst das Bündnis hinter dem Bangalore-Platz prägten, mit neuer Kraft wieder auf. Russlands Invasion in der Ukraine und seine nuklearen Drohungen spiegeln dieselbe Machtlogik der Dominanz wider, die sich einst als ‚Freundschaft‘ tarnt. Russlands Beschuss und Besetzung des Kernkraftwerks Saporischschja (ZNPP) in der Ukraine sowie die Zerstörung des Kachowka-Staudamms im Jahr 2023, durch die lokale Gemeinden verwüstet und die Kühlsysteme des ZNPP gefährdet wurden, zeigen, wie leicht nukleare Infrastruktur zu einer Waffe werden kann. Dies unterstreicht die anhaltende Gefahr einer nuklearen Katastrophe.

Gleichzeitig werden globale Abrüstungsabkommen geschwächt. Autoritäre Regime wie Belarus setzen verstärkt auf nukleare Garantien. So begann Russland im Jahr 2023 damit, taktische Atomwaffen nach Belarus zu verlegen, um das Land als Vorposten für seine Militärstrategie zu positionieren. Noch vor der vollständigen Invasion der Ukraine durch Russland hatte Belarus sein Atomprogramm ausgeweitet, obwohl das Land noch immer mit den Folgen der Katastrophe von Tschernobyl im Jahr 1986 zu kämpfen hat. Das von einem russischen Unternehmen nahe der belarussisch-litauischen Grenze erbaute Atomkraftwerk Astravets wurde im Jahr 2021 trotz Protesten in Betrieb genommen. Anti-Atomkraft- und Umweltaktivist*innen in Belarus sind seit Langem Repressionen, Überwachung und Verhaftungen ausgesetzt. Dies zeigt, wie autoritäre Regime die imperiale Logik der Kontrolle über Land, Körper und Dissens aus der Sowjetzeit übernehmen und reproduzieren.

Auch Indien hat eine aggressivere nukleare Haltung eingenommen. Unter der hindu-nationalistischen BJP-Regierung werden Atomwaffen mit einer Vision von nationaler und zivilisatorischer Vorherrschaft in Verbindung gebracht. Der Staat nutzt die Atomkraft nicht nur zur Abschreckung, sondern auch als Instrument der politischen Identität und Kontrolle. Neben der anhaltenden Gefahr einer nuklearen Konfrontation mit Pakistan hat Indien die Überwachung, Militarisierung und Gewalt in Kaschmir und Nordostindien verschärft und geht mit alarmierender Konsequenz gegen Dissidenten vor. Ähnlich wie Belarus Proteste mit rechtlichen und physischen Mitteln kriminalisiert, setzt Indien auf Gesetze gegen Aufruhr, sorgt für digitale Überwachung und nutzt paramilitärische Gewalt, um Opposition zu unterdrücken.

Der Kalte Krieg spielte eine entscheidende Rolle bei der Etablierung des globalen Nuklearsystems, in dem wir heute leben. Dieses System festigt bis heute imperiale Hierarchien und lenkt Ressourcen von der Stärkung der Widerstandsfähigkeit der Umwelt ab. Für dieses System war die imperiale Logik der Sowjetunion und später Russlands von zentraler Bedeutung, da diese die Nukleartechnologie nicht nur als Instrument der Entwicklung, sondern auch als Mittel zur territorialen Kontrolle, Überwachung und geopolitischen Dominanz einsetzte. Vor diesem Hintergrund ist der Bangalore-Platz mehr als nur ein symbolisches Relikt des Kalten Krieges. Er erinnert uns an die Verflechtungen zwischen Militarismus, Umweltschäden und verpassten Chancen für echte Solidarität. Was würde es jedoch bedeuten, diesen Raum nicht als Relikt der Macht, sondern als Ort des Kampfes gegen Atomkraft, Imperialismus und für Umweltgerechtigkeit zurückzugewinnen?

Neugestaltung des Platzes für die Kämpfe ‚von hier‘

Die Regierungen von Belarus und Indien stützen sich auf Autoritarismus, invasive ‚Überwachungstechnologie‘ und extreme Repression, um ihre Macht zu erhalten. In Belarus ist die Herrschaft von Alexander Lukaschenko, der vom Kreml unterstützt wird, zum Synonym für staatliche Gewalt geworden – inklusive manipulierten Wahlen und strenger Kontrolle politischer Parteien und Akteure der Zivilgesellschaft. Der Bangalore-Platz in Minsk ist die einzige legale Protestzone und liegt strategisch günstig abseits des Stadtzentrums, umgeben von Verkehr und Überwachung. Paradoxerweise war dieser staatlich sanktionierte Ort jedoch Schauplatz einiger wichtiger Aufstände in Belarus: gegen Atomkraft (‚The Chernobyl Way‘), neoliberale Verordnungen (‚die Parasitensteuer‘) und geschlechtsspezifische Gewalt.

In Indien sind die Anzeichen von Autoritarismus weniger offensichtlich, aber nicht weniger gefährlich. Sie sind tief in der kolonialen Vergangenheit verwurzelt. Proteste gegen das Gesetz zur Änderung der Staatsbürgerschaft, aber auch die Bäuer*innnbewegung und Mobilisierungen gegen das Kastensystem werden mit brutalen Polizeieinsätzen beantwortet. Aktivist*innen werden häufig ohne Gerichtsverfahren inhaftiert, Bildungseinrichtungen werden zunehmend militarisiert und marginalisierte Gruppen werden zu Sündenböcken gemacht und sind oft rassistischer Gewalt ausgesetzt. Bangalore, das heute als Zentrum des technokratischen Kosmopolitismus gilt, ist auch zu einem Ort wachsender Ungleichheit, ökologischer Degradation und allgegenwärtiger ‚Überwachung‘ geworden. Diese Muster sind nicht neu, sondern spiegeln koloniale Kontrollstrategien wider: die Überwachung von Dissident*innen, die Regulierung von Institutionen und die Herrschaft durch Zwang. Unter dem Deckmantel von Entwicklung und nationaler Einheit werden diese Strategien nun wiederbelebt, um Widerstand zu unterdrücken und ausbeuterische Agenden aufrechtzuerhalten.

Diese Parallelen zwischen Belarus und Indien sind kein Zufall, sondern strukturell bedingt und geprägt vom sowjetischen, russischen, britischen und anderen imperialen Erbe. Die autoritäre Herrschaft beider Staaten ist eng mit der Geschichte der Imperien und der globalen nuklearen Ordnung verbunden, die diese Imperien mitgeschaffen haben. Nuklearer Imperialismus und Autoritarismus verstärken sich gegenseitig, da beide sich auf Geheimhaltung, Militarisierung und die Unterdrückung von Dissens stützen, um ihre Kontrolle aufrechtzuerhalten. Dies sind Formen der „Nekropolitik“ – der Macht, zu bestimmen, wer leben darf und wer sterben muss, wer wertvoll ist und wer entbehrlich ist. Nukleare Staaten sind Nekrostaaten. Sie rechtfertigen Gewalt im Namen des Fortschritts, erzwingen Schweigen im Namen der Sicherheit, löschen Erinnerungen im Namen der nationalen Einheit und verwandeln Solidarität in Spektakel.

In diesem Zusammenhang ist der Bangalore-Platz ein Ort, an dem imperiale, autoritäre und nukleare Logiken aufeinandertreffen – und bekämpft werden. Obwohl er marginalisiert und überwacht wird, war der Platz Schauplatz von Protesten gegen staatliche Gewalt und für die Rückeroberung von Raum für eine pluralistische, antikapitalistische und antikoloniale Zukunft. So wird er zu einem Raum, der für zeitgenössische Kämpfe umgestaltet und umfunktioniert wird, in dem neue Formen der Solidarität Fuß fassen können. Ausgehend von den miteinander verflochtenen Geschichten von Autoritarismus, nuklearem Imperialismus und Widerstand ist der Bangalore-Platz mehr als nur ein Denkmal. Er ist auch ein ortsbezogener Analysepunkt, durch den sich nachvollziehen lässt, wie Macht im Raum etabliert, infrage gestellt und neu gedacht wird. Seine marginale, aber sichtbare Lage, seine staatlich sanktionierte, aber subversive Nutzung und seine Verbindung zum Kalten Krieg machen ihn zu einem Ort, an dem Solidarität grundlegend neu gedacht werden kann.

In Belarus bietet beispielsweise das Konzept der tutejšasć, oder ‚Von-hier-heit‘, einen solchen ortsbezogenen Rahmen. Tutejšasć entstand im 18. Jahrhundert als Form der lokalen Selbstidentifikation jenseits imperialer oder nationaler Kategorien. Es widersetzt sich festen Identitäten und bekräftigt die relationale Zugehörigkeit zu Land und Gemeinschaft. Von den Eliten oft als unpolitisch oder rückständig abgetan, kann es laut Alex Pershai stattdessen als stiller Widerstand gegen imperiale Logiken gelesen werden. Es bietet eine Ethik der Präsenz, Fürsorge und des Überlebens, die sich der staatlichen Kontrolle entzieht.

Durch die Betrachtung des Bangalore-Platz aus der Perspektive dieser ortsbezogenen Ethik verändert sich seine Bedeutung: Er ist nicht länger ein passiver Überrest des sowjetischen Internationalismus, sondern wird zu einem lebendigen Archiv des Widerstands. Hier werden autoritäre Skripte von denjenigen am Rande der Gesellschaft neu geschrieben. Dieser Ansatz theoretisiert den Bangalore-Platz nicht nur als situativ und relational, sondern bekräftigt auch tutejšasć als eine von vielen dekolonialen Möglichkeiten, Solidarität zu verankern. Von hier aus können wir den Bangalore-Platz als Teil einer transnationalen Konstellation des Widerstands imaginieren. Was wäre, wenn er nicht nur mit seiner Namensgeberin, sondern auch mit Bhopal verbunden wäre, wo Überlebende eines industriellen Völkermords noch immer Gerechtigkeit suchen? Oder mit Kudankulam, wo Anti-Atomkraft-Proteste auf staatliche Gewalt treffen? Wie Tschernobyl und Saporischschja sind dies Opferzonen und nicht nur Katastrophengebiete – Orte, an denen gefährliche Technologien, die von imperialen und kapitalistischen Interessen gestützt werden, einer entbehrlichen Bevölkerung aufgezwungen werden.

In dieser neuen Perspektive lädt der Bangalore-Platz dazu ein, über den Nationalstaat und die Nostalgie des Kalten Krieges hinauszudenken. Er wird zu einem Knotenpunkt in einer pluriversalen Geografie der Verweigerung, einem Raum, in dem lokale Verwurzelung und transnationale Solidarität zusammenkommen, um nuklearen Imperialismus, ökologische Zerstörung und autoritäre Gewalt infrage zu stellen.

Auf dem Weg zu einem dekolonialen Pluriversum der Solidaritäten

Wie bereits gesagt, schlage ich vor, den Bangalore-Platz als Ausgangspunkt zu nehmen, um das Erbe des Imperialismus und der staatlich orchestrierten Politik, die Orte wie diesen hervorgebracht haben, zu überdenken. Zudem schlage ich vor, den Platz neu zu gestalten, um das lokale Verständnis von Widerstand in den Mittelpunkt zu rücken und eine Perspektive für neue, bodenständige Solidaritätsnetzwerke zu eröffnen.

Eine Neukonzipierung des Bangalore-Platz würde beispielsweise den Weg für menschenzentrierte und ortsbezogene Modelle der ‚Städtepartnerschaft‘ ebnen, wie es das Brooklyn Sister City Project mit San Juan del Río Coco in Nicaragua in den 1980er Jahren war. Im Gegensatz zur von oben verordneten Verbindung zwischen Minsk und Bangalore schuf die Basisbewegung in Brooklyn materielle und emotionale Solidarität, um die Gemeinden während des Bürgerkriegs in Nicaragua zu unterstützen. Durch medizinische Hilfe, Infrastrukturprojekte, gegenseitige Besuche und feministische Austauschprogramme wurde daraus eine bewusste Ablehnung von Imperialismus und Autoritarismus. Diese Ablehnung gründete sich auf gemeinsame Überlebenskämpfe und alltägliche gegenseitige Abhängigkeiten. Der Bangalore-Platz könnte diese Art von Relationalität noch immer verkörpern, wenn wir seine nicht verwirklichte Solidarität als Einladung und nicht als Versagen interpretieren würden.

Weitere basisdemokratische und fantasievolle ‚Schwesternschaften‘ sind beispielsweise Ferguson to Gaza, Detroit to Puerto Rico, Palestine to Kashmir, Detroit to Standing Rock und Chiapas to Rojava. Diese Konstellationen von Verbindungen bilden ein dekoloniales Pluriversum der Solidarität – ein globales Netzwerk des Widerstands, das in konkreten Orten verwurzelt ist und nicht in abstrakten Idealen. Der Bangalore-Platz widersetzt sich, wie viele andere von imperialen Trümmern geprägte Orte, einer klaren historischen Abschließung. Er spiegelt die Widersprüche des sozialistischen Internationalismus und der Geopolitik des Kalten Krieges wider, deutet aber auch auf zukünftige Allianzen hin, beispielsweise zwischen indischen Feministinnen, die sich gegen Rohstoffabbau wehren, und queeren belarussischen Aktivist*innen, die Autoritarismus bekämpfen.

Die Frage ist also nicht, ob der Bangalore-Platz rehabilitiert werden kann, sondern wie er einer neuen Nutzung zugeführt werden kann. Welche Gemeinschaften entstehen, wenn Solidarität von unten wächst und nicht von oben aufgezwungen wird? Wie könnten wir ‚Partner*innenstädte‘ neu denken – nicht als diplomatische Inszenierung, sondern als radikale Verbundenheit und ortsbezogenen Widerstand? Ein dekoloniales Pluriversum der Solidarität erfordert eine solche Vision: eine Vision, die diejenigen verbindet, die am stärksten von Krieg, Ausbeutung und Vertreibung betroffen sind; diejenigen, die sich an den Rändern wehren; und diejenigen, die alternative Zukünfte aufbauen. Dabei stellt sich die Frage: Wie machen wir diese Kämpfe füreinander sichtbar? Der Bangalore-Platz bietet keine einfachen Antworten. Aber es wirft eine wichtige Frage auf: Welche Solidaritäten hätte es geben können – und welche könnte es noch geben?

Sich vorstellen, was möglich und notwendig ist

Indem wir unsere Vision in ortsbezogenem Widerstand verankern – zum Beispiel im Ethos der ‚Von-hier-heit‘ mit seinem Fokus auf Kompliz*innenschaft und Widersprüchen –, können wir ‚Partner*innenstädte‘ nicht mehr als Relikte der Diplomatie des Kalten Krieges betrachten, sondern als potenzielle Knotenpunkte in einem emanzipatorischen Netzwerk. In diesem Licht ist der Bangalore-Platz kein totes Denkmal, sondern ein lebendiger Ort, der Raum für Erinnerung, Dissens und Neudenken bietet. Feministische und ökologische Bewegungen in Indien und Belarus weisen bereits auf diese Möglichkeit hin. Beispiele hierfür sind der Widerstand gegen Atomkraft in Kudankulam, queere und feministische Organisationen in Minsk sowie Arbeitskämpfe, die sich nationalistischen Silos widersetzen. Dies sind keine peripheren Kämpfe, sondern sie sind zentral für das Projekt, eine lebenswerte und gerechte Zukunft zu entwerfen.

Die sich daraus ergebende Frage ist nicht nur, wie solche Bewegungen anerkannt werden können, sondern auch, wie sie miteinander verbunden werden können – nicht als symbolische Schwestern, sondern als echte Verbündete im Kampf. Ich behaupte nicht, diese Herausforderung in diesem Essay lösen zu können. Mein Ziel ist es jedoch, einen Raum zu schaffen, in dem eine solche Solidarität als möglich und notwendig gedacht werden kann.

Wir kehren also zum Bangalore-Platz zurück – nicht, um über Vergangenes zu trauern, sondern um uns vorzustellen, was sein könnte. Nicht, um eine von Imperien geprägte Vergangenheit wiederherzustellen, sondern um die Möglichkeit der Solidarität zurückzugewinnen, die ihr im Gefolge folgte. Das dekoloniale Pluriversum der Solidaritäten ist genau das: eine Konstellation ortsbezogener Allianzen, die in Fürsorge, Verantwortlichkeit und der gemeinsamen Ablehnung von nuklearem Imperialismus und autoritärer Herrschaft verwurzelt sind. Es schreibt kein einziges Modell vor, sondern würdigt viele. Es lädt uns ein, über Grenzen, Geschichten und Kämpfe hinweg Solidaritäten aufzubauen, die Unterschiede begrüßen und die Verantwortung in Beziehungen vertiefen.

Seit den Aufständen von 2020 sind Orte wie der Bangalore-Platz noch unzugänglicher geworden – insbesondere für Menschen im Exil und für diejenigen, deren Dissens in der Öffentlichkeit nicht mehr toleriert wird. Die Eskalation des Autoritarismus in Belarus hat ein ausgedehntes Strafvollzugssystem mit sich gebracht, in dem politische Gefangene langjährigen Haftstrafen, ständiger Überwachung und systematischer Unterdrückung ausgesetzt sind. In diesem Kontext wird der Bangalore-Platz weniger zu einem physischen als zu einem analytischen Ort – einer von vielen Möglichkeiten, an einem Ort, an Wurzeln und an Erinnerungen festzuhalten. Er trägt vielschichtige Geschichten von Gewalt und Widerstand in sich, die mein Verständnis von Land, Zugehörigkeit und der dringenden Notwendigkeit von Solidarität prägen. Diese Solidarität entsteht aus den Komplexitäten heraus, anstatt sie auszulöschen.

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