Im Zeitalter von Fotoblogs, Instagram, Flickr und Co. werden wir in einen visuellen Strom gerissen. Der Kulturwissenschaftlerin und Berliner Gazette-Autorin Mercedes Bunz ist ein neues Motiv in den Bildern aufgefallen: Menschenleere. Erlebt das Stillleben eine Renaissance? Eine Suche nach Antworten.
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Stell dir vor, du bist ein Außerirdischer, ein Experte für piktorale Intelligenz. Du durchsuchst von deinem Büro aus das Universum nach intelligentem Leben. Eines Tages steht “Erde” ganz oben auf deiner Liste viel versprechender Optionen. Eine Drohne ist gerade von ihrer Reise zurückgekehrt. Sie hat Symbole und Bilder der Menschen aufgenommen und gesammelt. Deine Apparate ordnen automatisch alles, einen Zeitstrahl entlang. Und du schaust mitten hinein.
Die Bewohner der Erde sind offenbar stark an sich selbst interessiert: Jahrhundertelang haben sie von sich Bilder gemacht, vielleicht noch von ein paar Tieren. Ihr Eigeninteresse setzte sich über Jahrhunderte und verschiedenste technische Hilfsmittel fort: In Höhlen gab es bloß erdige Brauntöne, auf Leinwänden wurde es bunter, greller, bis hin zu den Filmen in Kameras. Dann scheint ein fundamentaler Wandel stattzufinden: Die Datenvisualisierung zeigt einen meteorhaften Anstieg an Bildern, in denen eine Welt ganz ohne Menschen abgebildet ist, eine Welt, gefüllt mit Gebäuden und Gegenständen.
Um diese kleine Geschichte zu verifizieren, brauchen wir zum Glück keine Drohne ins All zu schicken. Wir können einfach dem Bilderstrom auf Instagram, Flickr oder Tumblr aufrufen. Auffällige Beispiele sind die Fotoblogs der beiden Matts von BergLondon (Webb & Jones), von Katharina Birkenbach oder Plugimi. Oder, oder, oder. Es scheint, als hätten wir das menschliche Porträt professionellen Fotografen und Fashionbloggern überlassen.
Der Untergang der Historienmalerei
Als ausgebildete Kunsthistorikerin interessiert mich das natürlich, denn in der Geschichte der Bilder ist das eine sehr neue Entwicklung. Bis in das 20. Jahrhundert hinein wurde in der Hierarchie der Bildergenres das Porträt des Menschen am stärksten gewürdigt. Je mehr Menschen, desto besser: Die Historienmalerei stand an oberster Stelle, danach folgte die Portraitmalerei und an dritter Stelle erst kam die Genremalerei – und selbst die zeigte ihre Szenen des täglichen Lebens immer noch mit Menschen. Tierporträts, Landschaften und Stillleben standen klassisch an letzter Stelle. Deshalb ist es erstaunlich, dass das menschenleere Bild solche Beliebtheit erfährt beziehungsweise, dass das Stillleben eine spektakuläre Renaissance erlebt.
Vor kurzem habe ich Norman Brysons berühmten Essay „Das Übersehene in der Malerei“ („Looking at the Overlooked“) über die Malerei der Stillleben gelesen. Im Vergleich mit den damaligen Bildern ist heute jedoch Übermaß und Wohlstand als Belohnung für ein tugendhaft gelebtes Leben nicht das Thema der heutigen menschenleeren Bilder. Die neuen Stillleben verneinen jede menschliche Form: Es gibt keine Erzählung und in den meisten Bildern passiert nichts. Es gibt kein Ereignis, abgesehen vom physikalischen Ausschluss der Menschen. Und das ist in diesem Ausmaß ein Ereignis an sich. Was sagt das über uns aus?
Auf die Schnelle ist mir keine Erklärung eingefallen. Aber ich habe mal mit einer Liste von Möglichkeiten angefangen: Menschen sind schwerer zu fotografieren, im Vergleich zu Architektur und Essen sitzen sie nie still. Oder: Wir wollen unsere Freunde nicht damit nerven, dass wir sie vor einer digitalen Öffentlichkeit zur Schau stellen. Oder: Unsere Kameras haben noch keinen Filter, der Bilder im Stile historischer Malereiposen herstellt. Oder: Wir publizieren nur das, was ohnehin publik ist. Oder: Was soll diese Suche nach Erklärungen, weil der Mensch verschwindet, Objekte sind auch menschlich. Oder: Wir fühlen uns alle ein bisschen abgekoppelt. Wer hier weitere Ideen hat, bitte ergänzen. Denn sicher werde ich das Thema noch eine Weile mit mir herumtragen und weiterhin nach möglichen Antworten suchen.
Anm.d.Red.: Bernd Hüppauf schrieb kürzlich in der Berliner Gazette über eine Konjunktur der unscharfen Bilder. Das Foto oben stammt von Alex Dram und steht unter einer Creative Commons Lizenz.
Oder jeder, der Bilder von Personen veröffentlicht, muss alsbald mit einem Stapel Abmahnungen rechnen, selbst von den lieben Verwandten…
ich denke, es liegt schlicht und ergreifend am “Recht am eigenen Bild”
Oder: Wir werden überall mit Fotos (Social networks), Gesichtern, Menschenmassen, Fernsehen, Menschen auf Werbeplakaten konfrontiert, dass man einfach mal froh ist, ein menschenleeres Bild vor sich zu haben.
…damit geht eine vielleicht sogar kontemplative, „reinigende“ Funktion einher, Flucht vor Bilderflut usf.
Es liegt wohl eher schlicht an der dekorativen Funktion, die die Mehrheit der Bilder heut zu erfüllen hat, dass da kein Mensch drauf ist.
Das erste “Genre” in dem diese Leere vorkam war m.E. auch eines, wo das leere Bild zugleich das größte Paradox ist: Schulen.
Mit Aufkommen der Homepages gab es bei Schulen nicht wenige “virtuelle Rundgänge” in denen immer leere Flure zu sehen warn. Sei es da erst recht dem Grund der Rechte der Eltern an den Bildern der Kinder geschuldet, hab ich mich immer gefragt, was die Macher uns mit den Bildern erzählen wollten: bestimmt nicht, wie die Schule so ist, denn sie ist Schule eben nur mit Kindern. Wahrscheinlich war es eher ein Beweis der eigenen technischen Kompetenz um “den Lehrkörper” zu beeindrucken (der das oft mitgemacht hat).
Es sind wirlich lustig gespenstische Bilder: Suchwortkette: Schule virtueller Rundgang. Funktioniert in mehreren Suchmaschinen.
Also ich glaub jetzt weniger, dass die virtuellen Rundgänge in Schulen auf deren Hompages als einer der Hauptgründe zu nennen ist. Da sehe ich eher wie Norman den Mehrwert der Bild zu Dekozwecken.
Vielleicht spielt auch die Digitalisierung der Bilder eine große Rolle.
So hat man sich früher noch genau überlegen müssen, von was man ein Bild macht, da die Filmrolle ziemlich begrenzt war. Heute wird wild drauf losgeknipst und im Zweifelsfall halt wieder gelöscht.