Rechte Gewalt gegen LSBTIAQ*-Personen und gegen Menschen mit (kognitiven) Behinderungen sichtbar machen

CSD 2014/2025. Collage: Colnate Group, 2025 (cc by nc)
CSD 2014/2025. Collage: Colnate Group, 2025 (cc by nc)

LSBTIAQ*-Personen und Menschen mit verschiedenen Behinderungen sehen sich ähnlichen politischen Herausforderungen gegenüber, wenn es um Respekt, Sichtbarkeit und Repräsentation geht. Zudem sind sie extremer rechter Gewalt ausgesetzt oder von dieser bedroht, was in den letzten Jahren zugenommen hat. Christiane Leidinger analysiert die politische Dynamiken in Deutschland und beleuchtet Momente und Bündnisse des Widerstands.

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Mönchengladbach im Frühjahr 2024: Ein Stein fliegt auf ein Haus, in dem Menschen mit kognitiven Behinderungen wohnen. Nur knapp verfehlt er ein Fenster. Ein weiteres Wurfgeschoss trifft die Glastür der Geschäftsstelle der lokalen Lebenshilfe, den Träger der Wohneinrichtung. Auf beiden Steinen sind die gewaltförmigen und affirmativ auf extrem rechte Geschichte und Verbrechen rekurrierenden Worte zu lesen: „Euthanasie ist die Lösung“. Eine Massenmorddrohung. Als instrumentelle Botschaftstat soll sie Angst und Schrecken unter Menschen mit (kognitiven) Behinderungen und An- und Zugehörigen verbreiten. Abgesehen von der taz gab es dazu keine überregionale Berichterstattung, ebenso fehlt eine gesellschaftliche Debatte. Auch nach weiteren bekannt gewordenen Fällen hat sich dies nicht geändert. Die Lebenshilfe in Mönchengladbach reagierte mit einer Solidaritätsveranstaltung und Kundgebung.

Zumeist sind es die Betroffenen selbst, die versuchen, sich in der Öffentlichkeit Gehör dafür zu verschaffen, dass ihnen extrem rechte Gewalt widerfährt oder sie davon bedroht sind. Das kostet viel Kraft und bindet Zeitressourcen – außerdem birgt es Risiken: gar nicht gehört, mit Verharmlosung konfrontiert, also sekundär viktimisiert zu werden.

Extrem rechte Bedrohungen und Gewalt gegen die LSBTIAQ*-Community

In der BRD waren und sind es vor allem von Rassismus betroffene Menschen, die von extremen Rechten gewalttätig attackiert werden. Die Zahlen, die der Verband der Beratungsstellen (VBRG) zu extrem rechter, antisemitischer und rassistischer Gewalt erhebt, befinden sich auf einem alarmierenden Höchststand.

Die Situation verschärft sich intersektional: Die LSBTIAQ*-Community wird verstärkt seit 2024 vor, nach und während der Teilnahme an CSDs zur Zielscheibe organisierter extrem rechter Mobilisierungen. Neonazistische Gruppen treten dabei spontan störend auf und/oder melden queer-feindliche Demonstrationen an. Die rechten Straßenaktivist*innen sind oft jung, teilweise fast noch Kinder, auch junge Frauen sind darunter. Viele gehören zu den neuen online entstandenen und vernetzten neonazistischen Gruppen, die erstmals 2024 in Erscheinung traten wie Deutsche Jugend Voran (DJV). Auch alte Kader extrem rechter Parteien wie Die Heimat (früher: NPD) bzw. deren Jugendorganisation Junge Nationalisten (JN), vom Der III. Weg beteiligen sich.

Nicht zuletzt durch die mediale Berichterstattung über die neuen neonazistischen Jugendgruppen gab es eine etwas größerer Aufmerksamkeit für die CSD-Störungen. Dennoch wirkt es bislang so, als ob das Ausmaß der Attacken gegen lesbische, schwule, bisexuelle und queere Menschen nur punktuell gesellschaftlich realisiert wird. Die Alltäglichkeit der Bedrohung, deren Massivität und die Auswirkungen scheinen bislang kaum verstanden worden zu sein. Dabei sind extrem rechte Aktivitäten gegen LSBTIAQ* breit gefächert – Gewalt ist darunter eine zentrale Praxis. In Deutschland hat diese Gewalt durch die verschiedenen Formen von Repression und Verfolgung von LSBTIQ eine lange Vorgeschichte seit dem Kaiserreich, die sich auch nach 1945 fortsetzte. Die Spitze des Eisbergs (nicht ‚nur‘) anti-queerer rechtsextremer körperlicher Gewalt ist das Töten von Menschen.

Breit gefächerte und teils unterschätzte Gewaltformen

Neben Formen von physischer Gewalt gegen LSBTIAQ* spielt in der Konfrontation mit der extremen Rechten psychische Gewalt eine große Rolle. Dazu zählen die organisierten Bedrohungen gegen CSDs. Sie betreffen Orga-Gruppen und deren Räume, die Anfahrt, das Abfließen der Demonstration, Rückweg bzw. Abreise. Buttersäureattacken sollen die Demos verunmöglichen oder zumindest vergällen. Extrem Rechte versuchen so, Grundrechte wie die Meinungs- und Versammlungsfreiheit zu untergraben und politische Partizipation zu verunmöglichen. Generell stehen die Szenekultur – Bars, Clubs und Projekte – im Visier.

Nicht vergessen werden sollte die flankierende (Online-)Propaganda neurechter und neonazistischer Gruppen und Parteien gegen die queere Community – digitalisiert oder vor Ort etwa mit Aufklebern und Flyern. Grundsätzlich steht fest: Auch Gewalt gegen Einzelne soll als kommunikative Botschaft mit Signalwirkung die gesamte Gruppe treffen; die Gewalt soll einschüchtern, verunsichern und zum Rückzug ins Private zwingen.

Ziele extrem rechter Gewalt gegen LSBTIAQ*+ -Communities

Auf den ersten Blick haben die Formen extrem rechter Gewalt demnach ein zentrales Ziel: Die erkämpfte gesellschaftliche Sichtbarkeit von LSBTIAQ* und queeren Communities und damit auch die Repräsentation im öffentlichen Raum zu untergraben. Außerdem soll die soziale sowie politische Teilhabe vereitelt werden. Extrem rechter Gewalt beabsichtigt, Unruhe unter LSBTIAQ* zu schüren (Folge: Fehleranfälligkeit in der community), Verunsicherung (Spaltungspotential), Einschüchterung (Rückzugsreflex) und Ängste (Lähmung).

Bei genauerem Hinsehen wird deutlich, dass es den rechtsextremen Tatausübenden darüber hinaus darum geht, Selbstorganisierung überhaupt zurückzudrängen, communityorientierte Informations- und Wissenszugänge von LSBTIAQ* zu kappen, kollektive und selbstbestimmte Wissensbildung zu verunmöglichen, ebenso weitere Communitybildung etwa durch entsprechende Treffs und Angebote der Infrastruktur Sozialer Arbeit wie etwa zielgruppenspezifische Beratung oder offene Jugendarbeit. Besonders perfide sind Dating-Hinterhalte gegen Schwule zur gezielten Gewaltausübung und die extrem rechten Attacken auf das Gedenken an die historische Verfolgungsgeschichte von LSTI*.

Dahinter steckt die Absicht, die mühsam über Jahrzehnte erkämpfte Sichtbarmachung der emanzipatorischen wie auch der repressiven Historie wieder rückgängig zu machen – mit der Suggestion es habe die Verfolgung gar nicht gegeben bzw. sie wäre notwendig-legitim gewesen. Ähnliches gilt für die Zerstörung oder neonazistische Markierung von Erinnerungsorten für die Homosexuellenbewegung und queere Subkultur seit Ende des 19. Jahrhunderts. Damit wird versucht, die empowernden Effekte, die mit dieser Einschreibung in die Geschichte als soziale, kulturelle und politische Subjekte verbunden sind, zunichtezumachen. Die Entwendung, symbolische Beschmutzung oder Zerstörung von öffentlichen Zeichen der Anerkennung und Solidarisierung mit der LSBTIAQ*-Community wie Regenbogenfahnen in oder vor Geschäften, senden Signale rechter Raumnahme und Dominanz.

Außerdem wird im Rechtsaußen-Spektrum auf der sattsam bekannten Abwertungs- und Pathologisierungsklaviatur gespielt, die der Verunglimpfung dient, Ressentiments aufleben bzw. schüren soll und auf gesellschaftliche Spaltung zielt.

Die von extrem Rechten anvisierte ‚völkische Gemeinschaft‘ will mit den Formen von Bedrohung und Gewalt gegen LSBTIAQ* die heterosexistische und -normative gesellschaftliche Ordnung aufrechterhalten, Emanzipation rückgängig machen, Politiken und Sichtbarkeit von LSBTIAQ* zurück- und sie ins Private abdrängen. Aus extrem rechter Perspektive geht es um Ideologieverbreitung, beleidigende Desinformation und den Versuch, rechte Narrative (weiter) zu entwickeln und Sagbarkeitsgrenzen zu verschieben.

Das Framing neu anzulegen, dient der Binnen- und Außenmobilisierung und dem grundlegenden Ziel, die demokratische Gesellschaft zu destabilisieren, weitere Demokratisierung zu stoppen und perspektivisch ein völlig anderes Land mit einem nicht-demokratischen System zu schaffen. Das Autor*innenkollektiv Feministische Intervention (AK Fe.In) schlussfolgert: „CSDs und Prides sind spätestens seit 2024 in Deutschland zum vermutlich wichtigsten Knotenpunkt des extrem rechten Kulturkampfs geworden.“ Darin spielt Antifeminismus und Trans*feindlichkeit eine zentrale Rolle für das ‚völkische Projekt‘. Im Sicherheitsreport der Amadeu Antonio Stiftung ist von einem „strategischen Hebel“ zur Diskursverschiebung und Gleichstellungsgefährdung die Rede. All das verschlingt Ressourcen auf allen Ebenen: insbesondere individuelle, organisatorische und finanzielle – und setzt unter Druck.

Aktivitäten und Widerstand aus der LSBTIQA*-Community

Die teils neue, teils verschärfte Situation schafft eine Defensivposition, aus der alle persönlich und als Community immer wieder neu herauskämpfen müssen. Und genau das passiert: In diesem Jahr fanden deutlich mehr CSDs statt, insgesamt 245 Veranstaltungen. Von Rückzug also keine Spur. Mehr noch: Nach Einschüchterungen zeigen CSD-Orgas klare Kante mit ihren Demo-Motti: ‚Jetzt erst recht!‘ beim CSD Mönchengladbach oder ‚Komm mit Haltung – oder komm gar nicht!‘ in Koblenz.

Die Widerstandsformen der LSBTIQA*-Community sind klug, lautstark, kreativ und effektiv: Eine empowerment-orientierte Idee ist beispielsweise Hydi, die Nazifrustrationshydra des Vereins CSD Cottbus, gegen Regenbogenfahnendiebstahl: Klaut ihr uns eine Fahne in der Pride-Saison, hängen wir dafür zwei neue auf. Es kann sehr viel Spaß machen, Neonazis und andere Rechte zu frustrieren! Erfreulich sind auch andere Entwicklungen: Hetero-Solidarität wie die Straight against Hate-Parade, heterosexuelle Allies bei ostdeutschen CSDs, Mitaufrufen zum CSD, Regenbogenschutzfond für Sicherheitsmaßnahmen und politische Bildung. Der CSD in Bautzen erhielt antifaschistischen Support und sorgte vor Ort und bei der Rückfahrt für solidarischen Selbstschutz.

Unsichtbar gemachte Menschen mit (kognitiven) Behinderungen

Die politischen Kämpfe um Respekt, Sichtbarkeit und Repräsentation teilen LSBTIAQ* strukturell mit Menschen mit verschiedenen Behinderungen. Die extrem rechte Gewalt gegen diese Gruppe wird kaum bis gar nicht sichtbar. Selbst (Massen-)Morddrohungen wie in Mönchengladbach führen zu keinem gesellschaftlichen Aufschrei, obwohl es sich nicht um Einzelfälle handelt, was auch für Tötungen gilt.

Grundsätzlich genauer in den Blick genommen werden sollten Gewaltformen, die zwischen psychischer und körperlicher Gewalt liegen bzw. beide Varianten verknüpfen. Die eingangs geschilderten Übergriffe auf Bewohner*innen mit kognitiven Behinderungen habe ich anderenorts als „extrem rechte postnazistische Massenvernichtungsandrohungsgewalt“ bezeichnet. Ähnlich wie Jüd*innen und Juden sowie Sinti*zze und Rom*nja sowie LSBTIQ* berichten auch sie davon, im öffentlichen Raum mit extrem rechten Mordphantasien unter Bezugnahme auf die Nazi-Zeit konfrontiert zu werden.

An derHochschule Düsseldorf (HSD) und am IRex der Universität Tübingen startete im Sommer das inter- und transdisziplinäre Verbundforschungs- und Transferprojekt „Mapping far right violence against people with (cognitive) disabilities, resistance and professional approach“ (MAVIOPA)mit dem Praxispartner Lebenshilfe (Mönchengladbach). Dabei werden Formen, Orte und Konstellationen und Folgen von Gewalt analysiert, zudem Gegenwehr wie Aktivitäten oder Proteste. Die Gegenwehr von Menschen mit unterschiedlichen Formen von Behinderung ist ebenso vielfältig, kreativ und laut: eigene Demonstrationen gegen rechts oder Beteiligungen, Dokumentationsprojekte wie #AbleismusTötet, filmische Auseinandersetzung wie „Wir werden nie wieder Opfer sein!“, Erinnerungsprojekte und Gedenkkultur sowie neue Selbstorganisierungen wie Krüppel gegen rechts.

Extrem rechte Gewalt ist immer auch ein Angriff auf die Demokratie. Auf uns alle. Als ein solcher muss diese Gewalt verstanden und auf verschiedenen Ebenen und ressourcenstark beantwortet werden. Nicht irgendwann. Jetzt.

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