In dem amerikanischen Science-Fiction >The Matrix< gibt es diese eine Szene. Sie beschaeftigte mich noch lange ohne dass ich erklaeren konnte, warum.
Es ist dunkel, nachts. Eine Bruecke an der Adamstreet. Neo, der Computerhacker, wird von Trinity und Switch, den zwei Kaempferinnen einer Untergrundorganisation, an dem verabredeten Treffpunkt mit einem Wagen abgeholt um ihn zu ihrem Anfuehrer Morpheus zu bringen. Dieser ist auf der Suche nach so einem wie Neo, jemand, der gegen die intelligente Macht der Maschinen kaempfen kann, die die Menschen in einer programmierten Scheinrealitaet gefangen halten, der Matrix. Am Tor zur Unterwelt zischt Switch ihm zu – und jetzt kommt die Szene – >Jetzt hoer mal zu du Bloedmann, wir haben keine Zeit für Frage-Antwort-Spielchen. Es gibt hier nur eine einzige Spielregel: Du steigst ein, oder du steigst aus.< Nach dem Film glaubte ich verstanden zu haben, dass das Denken und die Erweiterung von Wissen, wenn sie sich in einer Struktur von Frage und Antwort bewegen, nur die Oberflaeche beruehren. Folglich wuerde jedes Abtauchen in die Tiefe jenseits einer Rhetorik der Begruendung geschehen. Also ich fragte mich, welche Bedeutung dann Figuren der Begruendung ueberhaupt einnehmen. Blosse Rhetorik, Scheinargumentation, ein Spielchen? Nehmen wir zum Beispiel das Wort >weil<, das ja syntaktisches Bindeglied zwischen Frage und Antwort ist und Moment kausaler Verknuepfung zweier Aussagen im Sinne einer Ursache-Wirkung-Kette: Ein Freund hatte zu Weihnachten ein etymologisches Woerterbuch bekommen. Er schickte mir eine Email und ich las: >Weil konj. Std. [11.jhd.] mhd, wile, aelter die wile, ahd. Dia wila so mndd, derwile. Also eigentlich der akkusativ des wortes –> weile aus dem ausdruck der gleichzeitigkeit wird der ausdruck des gegensatzes wie bei –> waehrend. Dann setzt sich [aus denselben zusammenhaengen] die funktion der kausalitaet durch.< Im alt- und mittelhochdeutschen Gebrauch des Wortes wurden Zusammenhaenge also noch durch ein Aehnlichkeitsmuster hergestellt. Im Laufe der Sprachentwicklung drueckte ein- und dasselbe Wort jedoch auch den Gegensatz zwischen zwei Dingen aus. Obwohl damit die Fallstricke im rhetorischen Herstellen von Zusammenhaengen in der Bedeutung dieses Wortes sichtbar wurden, beschreibt das neuhochdeutsche >weil< aus einer Art Selbstverstaendlichkeit oder Gewohnheit des Denkens heraus Zusammenhaenge unter der Annahme einer kausalen Beziehung. Im Laufe der Zeit sollte die Konjunktion also alle Paradoxien hinter sich lassen und als Raedchen im logischen Treiben eines neuzeitlich-wissenschaftlichen Denkens eine Ursache-Wirkung-Kette beschreiben. Als ich dann abends einmal bei einer Freundin sass, erzaehlte sie mir von dem Versuch, die Chaostheorie mit der These von der Letztbegruendung des Sprachphilosophen Karl-Otto Apel zu konfrontieren. Auf dem Heimweg blieb mir eine Ueberlegung und ich konsultierte auf die Schnelle ein Lexikon. Unter dem Stichwort >Letztbegruendung< konnte ich nichts finden, der Eintrag unter dem Stichwort >Begruendung< jedoch paraphrasierte meine Suche: >Da Begruendungen zumeist in Begruendungs-zusammenhaengen erfolgen, ergibt sich die Frage nach einem letzten Grund oder einer Letztbegruendung.< Wieder rollte sich mein neu erworbenes Wissen historisch auf: Anders als fruehere Philosophen, die noch von einer Art religioes oder metaphysisch verankerten Urmatrix ausgingen oder dort zuletzt ankamen, sprachen Philosophen heute von einer Relativierung oder gar einer Verneinung des letzten oder der letzten Gruende. Die Sprachwissenschaft lehrte mich also, dass die Rhetorik als kulturell erzeugtes und, anders herum, kulturelle Muster erzeugendes Handwerk, Hand in Hand geht mit dem Strickmuster des Wissens und damit unserer Auffassung von Welt. Die Philosophie verwies auf die Vielheit von Begruendungs-versuchen und stellte darueberhinaus die Moeglichkeit einer letzten Begruendung als Summe aller Antworten ueberhaupt zur Disposition. Wie liesse sich die Szene an der Adamstreet also lesen? Als Demaskierung aller Wortgefuege als bloss kultureller Produkte, die nichts mit >Realitaet< zu tun haben? Ich fuehlte mich ploetzlich ein wenig wie er, Neo, der den Fehler im System entdeckt hatte. Im System der Sprache, den alltaeglichen Versuchen der Begruendung, die mir aus seiner Sicht nun wie Rechtfertigungen erscheinen mussten. Jede Einleitung mit einem >weil< erschien mir wie ein oberflaechlichliches Szenarium und zugleich gefaehrlich, da es sich wirkungsvoll in den herkoemmlichen Sprachgebrauch eingeschlichen hatte. Mich holten die pathetischen Gefuehle ein, die Neo wohl an jener Stelle empfunden haben musste, als die in ihn verliebte Trinity sagt: >Die Antwort ist irgendwo da draussen, Neo. Sie ist auf der Suche nach dir, … und sie wird dich finden, … wenn du es willst.< Nur, war ich verunsichert. Wollte die Schicksalergebenheit nicht ganz teilen. Vielleicht waere ich auch, wie Neo, nicht aus dem Auto gestiegen. Aber haette mich - jenseits von Frage und Antwort - zumindest ans Steuer gesetzt.