Investitionsschutz steht über Umweltschutz und internationale Verträge sorgen dafür, dass Unternehmen selbst noch von Klimamaßnahmen profitieren können, indem sie gegen die „Beschneidung ihrer Profite“ klagen. Eine Bewegung, die die Natur zum Rechtssubjekt erhebt, stellt sich dagegen, wie Kevin Rittberger und Fabian Flues in ihrem Beitrag zur BG-Textreihe “After Extractivism” zeigen.
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Herr Flues, Sie beschäftigen sich mit der Kollision von Investitionsschutzverträgen und Klimaschutz. Prominent ist der EU Energiecharta-Vertrag (ECT) aus den 1990er Jahren, der es aktuell erlaubt, dass RWE die Niederlande auf eine Entschädigung von 2,4 Milliarden verklagen kann, weil die Niederlande das Pariser Abkommen mit dem Ausstieg aus der Kohle erreichen wollen, RWE aber sagt, unsere künftigen Profite sind uns wichtiger. Dabei konnte RWE den Gewinn bereits im ersten Halbjahr 2022 durch die gestiegenen Strompreise um 50% steigern. Die Reform der Energiecharta, um die es gerade geht, klingt wenig überzeugend. Wofür plädieren Sie?
Ich plädiere für einen Ausstieg aus dem Energiecharta-Vertrag. Durch die Reform werden die grundlegenden Probleme des Vertrags nicht behoben. Auch der reformierte Vertrag ermöglicht es Investoren Klagen vor privaten Schiedsgerichten einzureichen, wenn staatliche Maßnahmen ihre Gewinne beschränken. Und der Vertrag soll zudem auf neue Technologien und Energieträger wie Wasserstoff ausgeweitet werden, was zu noch mehr Klagen führen dürfte. Denn grade bei neuen Technologien, bei denen die Kostenentwicklung noch nicht absehbar ist, kann es schnell passieren, dass staatliche Unterstützungsmechanismen angepasst werden müssen, damit sie finanzierbar bleiben. Das erschwert der Energiecharta-Vertrag erheblich und so kam es im Bereich der erneuerbaren Energien auch zu vielen Klagen. Auch aus dieser Perspektive ist deshalb ein Austritt die beste Lösung.
Der Ausstieg aus der Energiecharta ist indes gar nicht ohne weiteres möglich. Der Öl- und Gaskonzern Rockhopper aus England konnte Italien trotz Ausstieg dank der „Sunset“-Klausel verklagen, die Unternehmen noch weitere 20 Jahre Rechte zusichert und darf nun weiter vor der Küste Gasbohrungen durchführen. Gibt es auch gute Nachrichten? Und wie versuchen Sie auf die Dringlichkeit eines Ausstiegs aus der Wachstumslogik des fossilen Kapitalismus hinzuweisen?
In der Tat stellt diese Klausel ein großes Problem dar, doch bei einem gemeinsamen Ausstieg vieler Länder ließe sie sich entschärfen. Zudem sind neue Investitionen nach einem Ausstieg nicht mehr geschützt und grade in Zeiten in denen viel Geld in Flüssiggasterminals gesteckt wird, ist das sehr wichtig. Einige Länder, wie Spanien, Polen oder Frankreich bringen auch immer wieder einen Austritt ins Spiel – es könnte dahingehend in den nächsten Monaten also einiges passieren.
Investitionsschutzverträge wie der Energiecharta-Vertrag sind ein Baustein in der Wachstumslogik des fossilen Kapitalismus, denn sie erschweren es Regierungen erheblich in den fossilen Sektor entscheidend einzugreifen. Dadurch können sie den Ausstieg aus den fossilen Energien verlangsamen und ermöglichen es Unternehmen, fossile Fehlinvestitionen, die sie trotz der sich anbahnenden Klimakrise getätigt haben, mit Steuergeldern zu vergolden. Somit wird ein Bruch mit dem fossilen Zeitalter schwieriger und Profiteure der fossilen Ordnung können möglichst lange hohe Gewinne einstreichen.
In Frankreich wurde 2017 ein Klimaschutzgesetz allein durch den Verweis auf das ECT-Abkommen vom Ölkonzern Vermillion aus Kanada torpediert. In Pakistan konnte sich 2019 ein Bergbauunternehmen aus Australien gegen nationales Recht durchsetzen und 6 Milliarden einklagen. Dabei hatte Pakistan gerade erst ein Darlehen in selbiger Höhe vom internationalen Währungsfonds erhalten. Das Internationale Zentrum zur Beilegung von Investitionsstreitigkeiten, ICSID, hat Räumlichkeiten in Washington, unter dem Dach der Weltbank. Wenn das ICSID einen Schiedsspruch erlässt, kann dieser überhaupt nicht mehr vor einem nationalen Gericht angefochten werden. Sind Ihnen auch gewonnene Schiedsgerichtsprozesse im Sinne des Klimaschutzes bekannt?
Während für die Staaten in solchen Klagen viel auf dem Spiel steht, teilweise viele Milliarden, sind es für die klagenden Investoren lediglich die Verfahrens- und Anwaltskosten. Es passiert aber regelmäßig, dass Staaten die Verfahren nicht verlieren. In etwa 20% der Fälle ist das Schiedsgericht gar nicht zuständig. Wenn es aber eine Entscheidung trifft, gewinnen die Investoren jedoch deutlich häufiger als sie verlieren. Bei einer Klage eines Kohleunternehmens gegen Kanada, das wegen fehlender Entschädigung im Rahmen des Kohleausstiegs geklagt hatte, sah das Schiedsgericht die rechtlichen Anforderungen für eine Klage nicht erfüllt. Dass es sich dabei um eine Klimamaßnahme der kanadischen Regierung gehandelt hat, hat bei der Einstellung des Verfahrens allerdings keine Rolle gespielt.
Deutschland ist indes weltweiter Spitzenreiter in Sachen Investitionschutzsabkommen. Die EU Energiecharta ist nur eines von insgesamt 2500 weltweiten Abkommen und die fossile Brennstoffindustrie setzt am häufigsten auf Schiedsgerichtsklagen. Wir leben aber längst nicht mehr in einer Weltrisikogesellschaft, wie es der Soziologe Ulrich Beck einst ausdrückte, sondern in einer „globalen Gefahrengemeinschaft“, wie Jens Kersten, Professor für Öffentliches Recht und Verwaltungswissenschaften an der Ludwig-Maximilians-Universität München, das nennt.
Die Gefahren werden spürbarer, jeden Tag erscheinen neue, warnende bis apokalyptische Artikel zur Klimakrise. Die Folgen der aktuellen Energiekrise und Inflation sind noch gar nicht abzusehen. Die Verteilungsfrage wird erneut gestellt. Und die Klimaaktivist*innen von „Ende Gelände“ gehen entschlossener vor denn je zuvor. Angesichts der ungebrochenen Macht der Konzerne in einem weiterhin investitionsfreundlichen Klima, ist es schwer, nicht resigniert in Zynismus zu verfallen. Was ist ihre Strategie: Öl ins Feuer gießen oder die Wogen des Alarmismus zu glätten?
Meine Strategie liegt dazwischen: Ich will keinen Alarmismus verbreiten, denn die Forschung zur Kommunikation über den Klimawandel hat gezeigt, dass dies Menschen eher entmutigt. Gleichzeitig ist es natürlich notwendig mit aller Deutlichkeit auf die Probleme und Gefahren hinzuweisen. Bei meiner Arbeit mit der NGO Power Shift versuche ich dies mit konkreten politischen Forderungen zu verbinden, die einerseits umsetzbar sind und andererseits einen transformativen Effekt haben. Der Ausstieg aus dem Energiecharta-Vertrag und anderer Investitionsschutzabkommen ist so eine Forderung und wir sind sehr froh darüber, dass sie von vielen Menschen geteilt wird. So konnten wir europaweit über eine Millionen Unterschriften für einen Ausstieg aus dem Vertrag sammeln.
Das Konzept der “Transition Justice” (Übergangsgerechtigkeit) stellt “rechtliche und politische Fragen der Rechenschaftspflicht” und mahnt zur “Verantwortung für die Konsequenzen der langsamen Gewalt ökologischer Verwüstungen” (Magdalena Taube/Krystian Woznicki). Gibt es eigentlich eine internationale Gerichtsbarkeit, welche die Macht der Schiedsgerichte, die die Investitionsabkommen schützen, aushebeln könnten?
Mir ist eine solche Gerichtsbarkeit nicht bekannt, aber es ist sehr wichtig sich in Erinnerung zu rufen, dass die Staaten, die solche Verträge unterschreiben, auch nach der Unterschrift „Herren über die Verträge“ bleiben. Sie können nicht nur aus diesen austreten, sondern sie auch abändern oder sogar auflösen. Das ist teilweise auch geschehen. Der Europäische Gerichtshof hat die Nutzung solcher Schiedsgerichte innerhalb der EU für illegal erklärt. Jetzt müssen alle Investitionsverträge zwischen EU-Mitgliedsstaaten beendet werden und bei einigen ist das auch schon passiert. Das zeigt: Wir sind den Schiedsgerichten nicht hilflos ausgeliefert – wir können handeln und die Verträge beenden.
Zudem gibt es spannende Initiativen um international operierenden Unternehmen verbindliche Standards aufzuerlegen. Im UN-Menschenrechtsrat wird an einem Abkommen gearbeitet, das es ermöglichen würde, transnationale Unternehmen bei Menschenrechtsverletzungen oder Umweltzerstörung zur Verantwortung zu ziehen. Leider bremsen hier die Länder des globalen Nordens.
In vielen Rechtsordnungen der Welt ist zu beobachten, wie Naturobjekte zu Rechtssubjekten werden, etwa ein See in Florida (Mary Jane), der sich gegen Investoren zur Wehr setzt, ein Fluss in Australien (Yard River Protection Act), ein ganzes Amazonasgebiet in Kolumbien und eine Meeresbucht in Südspanien (Mar Menor). In Ecuador hat es die Natur als Rechteinhaberin bereits in die Verfassung geschafft. In der Schweiz soll die Bundesverfassung nun diesbezüglich geändert werden.
Auch in Deutschland wird nun diskutiert, wie die Verfassungsordnung die Rechtssubjektivität der Natur anerkennen könnte – nur leider haben dies nicht einmal die Grünen in ihr Parteiprogramm aufgenommen. Die Landesverfassung Brandenburgs geht bereits einen Schritt weiter. Hier heißt es: “Tiere und Pflanzen werden als Lebewesen geachtet. Art und artgerechter Lebensraum sind zu erhalten und zu schützen.” Dadurch, mit der Verwendung des Begriffs der “Achtung”, erhalte die Natur “eine subjektiv-rechtliche Rechtsposition”. Was stimmt sie hoffnungsvoll, wenn Sie über diesen globalen Trend nachdenken? Und denken Sie, mit Blick auf besagte Übergangsgerechtigkeit, die in diesem Zusammenhang notwendige Transformation der Rechtsgrundlagen lokal, global oder glokal?
Ich denke, dass das Recht hier eine Entwicklung nachholt, die sich in der weiteren Gesellschaft und Kultur schon seit viel Jahren vollzieht: Die Anerkennung der Wichtigkeit der Natur für unser eigenes (Über)Leben, aber auch des Wertes der Natur an sich. Wie genau sich das in Recht und Rechtsprechung widerspiegeln kann, muss sich noch zeigen, aber es reflektiert unseren eigenen Bewusstseins- und Kulturwandel.
Spannend finde ich daran auch, dass es einen so starken Kontrast zum internationalen Investitionsrecht darstellt, mit dem ich mich viel beschäftige. Hier werden ausschließlich Eigentumsrechte geschützt und zwar weitaus stärker als in den meisten nationalen Rechtssystemen. Dagegen stellt die Bewegung, die Natur als Rechtssubjekt anzuerkennen, eine wichtige und wünschenswerte Gegenbewegung dar.
Anm.d.Red.: Das Gespräch führte Kevin Rittberger. Dieser Text ist ein Beitrag zur “After Extractivism”-Textreihe der Berliner Gazette; seine englische Version ist hier verfügbar. Weitere Inhalte finden Sie auf der englischsprachigen “After Extractivism”-Website. Werfen Sie einen Blick darauf: https://after-extractivism.berlinergazette.de