Im September 1961 schlug die Geburtsstunde einer Bewegung, die versucht hat, sich weder dem Ostblock, noch dem Westen unterzuordnen. Die “Bewegung der Blockfreien Staaten”, dessen treibende Kraft das sozialistische Jugoslawien war, wollte Wirtschaft und Zusammenleben neu denken und vor allem den Globalen Süden Gewicht auf der Bühne der internationalen Politik geben. Der Soziologe und Aktivist Paul Stubbs, der seit den 1990er Jahren in Zagreb lebt, unternimmt eine Bestandsaufnahme und fragt, was soziale Bewegungen von den “Blockfreien” lernen können.
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Vor sechzig Jahren, im September 1961, fand in Belgrad, der Hauptstadt Jugoslawiens, das erste Gipfeltreffen der späteren Bewegung der Blockfreien Staaten statt. Das Treffen fand sechzehn Jahre nach dem Sieg der jugoslawischen Partisan*innen über den Faschismus statt und dreizehn Jahre, nachdem das sozialistische Jugoslawien mit der Sowjetunion gebrochen und seine eigene, sehr spezifische Form des selbstverwalteten Sozialismus entwickelt hatte.
Jugoslawien existiert inzwischen natürlich nicht mehr, da es in den 1990er Jahren durch eine Reihe von Kriegen zerrissen wurde, und die Bewegung der Blockfreien Staaten hat, obwohl sie immer noch aktiv ist, nicht mehr den globalen Einfluss, den sie einst hatte. Dennoch sind die Lehren aus der führenden Rolle des sozialistischen Jugoslawiens in der Bewegung, insbesondere in den 1960er und 1970er Jahren, für den progressiven Internationalismus der Gegenwart von großer Bedeutung. Um dieses Potenzial zu aktivieren, ist eine aktive historische Forschungs- und Erinnerungsarbeit erforderlich und eine klare Absage an die “systematische Amnesie”, die alle Spuren sowohl des sozialistischen Jugoslawiens als auch der Blockfreiheit auszulöschen versucht hat.
Entscheidend ist, dass die Bewegung der Blockfreien sowohl institutionell als auch symbolisch Teile der so genannten Zweiten und Dritten Welt miteinander verband, um sich der grausamen Logik des Kalten Krieges zu widersetzen, wonach die Welt in zwei sich gegenseitig ausschließende Blöcke geteilt war: “der Westen”, angeführt von den Vereinigten Staaten, und “der Osten”, angeführt von der Sowjetunion, die beide die globale Hegemonie anstrebten und bereit waren, durch das nukleare Wettrüsten die gegenseitige Zerstörung zu riskieren. Die Auseinandersetzung ist nicht zuletzt deshalb relevant, weil unsere heutige Welt zwischen Multipolarität, der fortgesetzten Hegemonie des Westens und einem Neuen Kalten Krieg schwankt.
Die Bewegung der Blockfreien kann als eines von mehreren kritischen “antisystemic worldmaking projects” (Getachev) nach dem Zweiten Weltkrieg betrachtet werden. Hierbei handelt es sich um eine Form der transnationalen Solidarität mit einer Vision einer gegenhegemonialen modernisierenden Globalisierung, deren dominante Akteure, mit Ausnahme des sozialistischen Jugoslawiens, außerhalb des europäischen Raums angesiedelt waren.
Im Labor der postimperialen Welt
Für die zeitgenössischen sozialen Bewegungen sind nicht so sehr die administrativen und institutionellen Praktiken der Bewegung der Blockfreien wichtig, sondern vielmehr ihr Beitrag zu einer Erweiterung des Internationalismus, der die gerade erst “unabhängig” gewordenen Nationen des Globalen Südens als aktive internationale Subjekte mit eigenem Recht auf der globalen Bühne einbezieht. Der Belgrader Gipfel von 1961 kann zusammen mit der afro-asiatischen Konferenz von Bandung im April 1955 und der trikontinentalen Konferenz von Havanna im Januar 1966 als prägendes Ereignis betrachtet werden, das den Geist verschiedener nationaler Befreiungskämpfe mit praktischen Vorschlägen für eine ganz andere planetarische Ordnung verband.
In diesem Laboratorium einer möglichen postimperialen Welt, sollte der Beitrag des sozialistischen Jugoslawien nicht übersehen werden, auch wenn es hauptsächlich innerhalb der Bewegung der Blockfreien und der G-77 aktiv war. Das “Nachleben” der Bewegung der Blockfreien, zumindest in ihren ersten beiden Jahrzehnten, in den 1960er und 1970er Jahren, ist heute in mindestens vier Bereichen von Bedeutung.
Kritik an der Verflechtung von Kolonialismus und Rassismus
Entscheidend ist, dass die Bewegung der Blockfreien sowohl durch die Kämpfe gegen den Kolonialismus ermöglicht wurde als auch selbst dringend benötigte Impulse für antikoloniale Kämpfe lieferte. Ein zentrales Konzept war das des “Selbstbestimmungsrechts” der Völker, also nicht nur frei von kolonialer Herrschaft zu sein, sondern ihre eigenen Entwicklungswege wählen zu können, unabhängig vom Druck der beiden Supermächte und einer neoimperialen Weltordnung. Der jugoslawische Präsident Tito hatte in den 1950er Jahren Kontakte mit gerade erst unabhängig gewordenen Staaten in Afrika und Asien priorisiert und bot der FLN in Algerien, die gegen die französische Herrschaft kämpfte, und den Befreiungsbewegungen in Angola, Guinea-Bisseau und Mosambik, die für die Unabhängigkeit von Portugal kämpften, echte Unterstützung an.
Die „nationale, wirtschaftliche, politische und kulturelle Emanzipation der ehemaligen Kolonien“ wurde von Tito in seiner Rede vor der XV. Generalversammlung der Vereinten Nationen im September 1960 als “historische Notwendigkeit” angesehen. Die Blockfreie Bewegung mobilisierte auch gegen die Apartheid in Südafrika und entwickelte zusammen mit der trikontinentalen Bewegung, dem Panafrikanismus, dem Black Atlanticism und der Négritude eine eindringliche Kritik an der Verflechtung von Kolonialismus und Rassismus, die auch heute noch aktuell ist.
Reform der Vereinten Nationen
Ein weiterer wichtiger Aspekt bei der Betrachtung der Blockfreien Bewegung, ist die frühe Erkenntnis, „global und lokal zu denken und zu handeln“. So gehörte der Versuch, die Vereinten Nationen zu reformieren, zum Selbstverständnis. Die UN, von Amilcar Cabral als „ein Riese mit gefesselten Händen“ beschrieben, wurden angesichts der Vetomächte des Sicherheitsrates und des Versagens, eine gerechte geopolitische Repräsentation ihrer Komitees und Sonderorganisationen zu gewährleisten, eher als eine Verlängerung der kolonialen internationalen Ordnung, denn als Ort der Kritik wahrgenommen. Gleichzeitig sind die Kämpfe um die Ausweitung der Menschenrechte auf wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte sowie die Gleichstellung der Geschlechter auch heute noch relevant. Das Eintreten der Bewegung der Blockfreien für vernetzte Formen des Regierens verdient ebenfalls Beachtung, auch wenn es hinter den Modellen der direkten Demokratie zurückbleibt.
Es bleibt festzuhalten: Je mehr Erfolg die Bewegung der Blockfreien in Bezug auf die Reform der Vereinten Nationen hatte, desto stärker verlagerte sich die wirkliche Macht der Global Governance auf den Internationalen Währungsfonds, die Weltbank und die Welthandelsorganisation – also auf jene Organisationen, die in den letzten zwei Jahrzehnten Zielscheibe radikaler Kritik und Opposition der „alter-globalization“-Bewegungen gewesen sind. Insofern: Da die Blockfreien die Vereinten Nationen an die Prinzipien ihrer Charta erinnerte, einschließlich der friedlichen Lösung von Konflikten und der Verpflichtung zu einer atomwaffenfreien Welt, umriss die Bewegung Prinzipien eines worldmaking, die auch heute noch relevant sind.
Die neue internationale Wirtschaftsordnung
Eines der am wenigsten diskutierten, aber wohl wichtigsten Elemente der Bewegung der Blockfreien war ihr Eintreten – zusammen mit der G-77, UNCTAD und anderen – für eine Neue Internationale Wirtschaftsordnung (NIEO), die deutlich machte, dass politische Selbstbestimmung wenig oder gar nichts bedeuten würde, wenn gerade erst unabhängig gewordene Staaten in einem ausbeuterischen, extraktivistischen, neokolonialen Weltwirtschaftssystem gefangen blieben. Die Bewegung der Blockfreien entwickelte eine kraftvolle Kritik an einer ungerechten Weltwirtschaftsordnung, die auf unfairen Handelsbedingungen und der Abhängigkeit von Finanzmechanismen basiert, die von den reichsten Ländern kontrolliert werden und in denen multinationale Konzerne frei von nationalen Regulierungsstrukturen agieren.
Das sozialistische Jugoslawien versuchte, die wirtschaftliche Zusammenarbeit nicht nur innerhalb der Bewegung der Blockfreien Staaten zu fördern, sondern auch gerechtere globale Handelsbeziehungen und Systeme sinnvoller Unterstützung für die am wenigsten entwickelten Länder aufzubauen. Die NIEO sah vor, eine globale Wirtschaftsregierung mit einem Modell der schnellen Industrialisierung, der Modernisierung der Landwirtschaft und der nationalen und regionalen Planung zu verbinden. Darüber hinaus setzte sie auf den Zugang zu neuen Technologien. Zudem bleibt festzuhalten, dass es ein großes Interesse anderer blockfreier Mitgliedstaaten an dem Experiment des sozialistischen Jugoslawiens gab. Hier wurde der Versuch unternommen, Arbeiter*innen durch ein System der Selbstverwaltung von Betrieben, mehr Kontrolle über die Produktion zu geben. Das könnte auch heute wieder eine Inspiration für neue Formen der wirtschaftlichen Zusammenarbeit sein, auch auf lokaler Ebene.
„Räume von unten“ erschaffen
Obwohl viele Aspekte der Bewegung der Blockfreien der einer klassischen, „top-down“ zwischenstaatlichen Initiative ähnelten, gab es auch ein gewisses Maß an Flexibilität und interner Demokratie, das für die heutigen sozialen Bewegungen von Bedeutung ist. Vielleicht noch wichtiger ist, dass sie ein Katalysator für transnationale autonome Räume war, sozusagen “Räume von unten”, die einen horizontalen, dekolonialen Austausch in den Bereichen Wissenschaft und Technologie, Kunst und Kultur, Architektur, Bildung und mehr ermöglichten.
Die Tatsache, dass das sozialistische Jugoslawien Student*innen, Architekt*innen, Künstler*innen und Ingenieur*innen aus dem Globalen Süden beherbergte, ist im allgemeinen „Ansturm auf Europa“ nach 1989, fast in Vergessenheit geraten – der Blick richtete sich gen Westen. Elemente dieser Grasswurzel-basierten Solidarität, die ihre Wurzeln in der Bewegung der Blockfreien hatte, waren im Jahr 2015 erkennbar, als es anfänglich eine Solidarität mit den Geflüchteten gab, die versuchten, Westeuropa über die sogenannte “Balkanroute” zu erreichen. Henig und Razsa bezeichnen das als eine Art „Geopolitik des Alltags“, die über Generationen hinweg Gültigkeit hat. Das Gefühl der Solidarität, das in der blockfreien Welt erzeugt wurde, ist daher immer noch von symbolischer und praktischer Bedeutung für die heutigen Kämpfe.
Kein falsches Romantisieren
Abschließend sei gesagt, dass es äußerst wichtig ist, weder die Bewegung der Blockfreien noch die Rolle des sozialistischen Jugoslawiens innerhalb dieser Bewegung zu romantisieren. Oftmals spielten Eigeninteressen eine ebenso große Rolle wie der Wunsch nach einer globalen Solidarität und dem Engagement für den antikolonialen Kampf. Zudem spiegelte Jugoslawiens Rolle in der Bewegung sein eigenes Selbstbild als „weiter entwickelt“ als andere Mitgliedsstaaten wider, das implizit und manchmal auch explizit in rassifizierte Hierarchien der Moderne eingebettet war. Oft widersetzte sich das sozialistische Jugoslawien Versuchen, die Bewegung in eine radikalere Richtung zu lenken – was vielleicht ein Produkt der Art und Weise war, wie die jugoslawische Revolution selbst an Schwung verloren hatte und in der Bürokratie stecken geblieben war.
Letztlich war die Bewegung von einem bestenfalls ambivalenten Antikapitalismus gezeichnet, verbunden mit dem Unvermögen, rassistische und geschlechtsspezifische Unterdrückungen als tiefe materielle Strukturen zu thematisieren und die ökologische Katastrophe anzuerkennen. Viele der wichtigsten strategischen und taktischen Fragen der letzten fünfzig Jahre – Top-down versus Bottom-up, Reform versus Revolution, horizontale Kontrolle versus Hierarchie, Gewaltlosigkeit versus “mit allen Mitteln”, Flexibilität versus Struktur, die Rolle nichtstaatlicher Akteure und so viele mehr – können durch eine sorgfältige Lektüre der Bewegung der Blockfreien in den 1960er und 1970er Jahren wiederbelebt und neu bewertet werden. Zumindest könnte die Praxis des Erinnerns eine Politik der Emanzipation inspirieren, die antikoloniale Kämpfe wieder in den Fokus rückt, die, wie Gal Kirn es formuliert hat, „im Zeitalter, das angeblich die Geschichte beendet hat, einfach hinweggefegt wurden“.