Der Philosoph Vilém Flusser hat einmal gesagt, dass die Welt in Programmierer und Programmierte zerfällt. Als die Gesellschaft noch nicht so umfassend im Zeichen des Computers stand wie heute, mag das noch so geklungen haben wie: Die Welt zerfällt in freie und unfreie Menschen. Zugespitzter formuliert: Die Welt zerfällt in Menschen, die das Leben anderer gestalten und Menschen, deren Leben gestaltet wird; letzte sind de facto Sklaven.
Natürlich war die Sklaverei zu diesem Zeitpunkt, wir schreiben die zweite Hälfte des 20. Jahrhunderts, längst Geschichte. Doch sie kommt wieder, in neuem Gewand, in einer Ära, in der der Computer wie wohl kaum ein anderes Werkzeug das Leben dominiert. Die Sklaven sind die Programmierten; Sklaventreiber sind die Programmierer.
Programmiert statt alphabetisiert
Vielleicht muss man die Aufteilung der Welt auf diese Weise zuspitzen. Sonst wird nicht deutlich, dass wir in einer Zeit leben, in der laut Web 2.0-Philosophie der Computer zu einem Toaster geworden ist: Alles ist vorgefertigt, benutzerfreundlich und per Knopfdruck bedienbar. Wer kann den Computer und das Netz, an das er angeschlossen ist, nicht bedienen? Ich behaupte, es kann sich dabei eigentlich nur um Menschen handeln, die, aus welchen Gründen auch immer, Widerstand auf verlorenem Posten leisten.
Die digitale Kluft wird sich in den kommenden Jahren nicht auflösen. Es wird sicherlich noch dauern, bis die so genannte dritte Welt komplett verkabelt ist. Doch zu welchem Preis findet dieser Verkabelungsprozess statt? Peter Glaser hat bereits Ende 1990er darauf hingewiesen, dass sich Standards durchsetzen werden, die einen gewissen Analphabetismus fördern – im Gewand des Vereinfachens, Beschleunigens. Menschen, die nicht lesen können, bedienen Computer und ihre Netzwerke, weil es hier ausreicht, die Universalsprache der Icons zu verstehen.
In Anlehnung an Ulrich Beck, der die Vertreter der Generation Global nicht in der ersten, sondern in der dritten Welt sucht, würde ich an dieser Stelle sagen: Die Analphabeten in Afrika, die vermeintlich erfolgreich im Internet unterwegs sind, sind die Prototypen der im Flusser’schen Sinne Programmierten. Prototypen, die ich in Berlin im Café St. Oberholz wiederfinde und überall dort erblicke, wo sich eine Computerkultur Bahn bricht, in der nicht ansatzweise danach gefragt wird, wie die praktischen Benutzeroberflächen eigentlich gemacht sind.
Neue Kulturtechnik: Programmieren
Der Medienphilosoph Norbert Bolz, der den eingangs zitierten Ausspruch Flussers’ kürzlich in einem Interview mit dem medienpolitischen Fachmagazin promedia in den Raum stellte, meint, es sei “nicht ganz undenkbar, dass Programmieren einmal so selbstverständlich wird wie lesen und schreiben. Es ist eine Frage an die Pädagogik und das Selbstverständnis von Bildungsprozessen.”
Ersteres scheint mir in Anbetracht der gegenwärtigen Lage äußerst abwegig, wenngleich äußerst wünschenswert. Letzteres, also die Frage an die Pädagogik, äußerst zutreffend. Denn das “Selbstverständnis von Bildungsprozessen” artikuliert sich in dieser Epoche aus der Perspektive des Programmierers, der sich Züchtigung und Disziplinierung auf die Fahnen geschrieben hat. Die Programmierten müssten das eigentlich wissen, sofern sie wissen, dass sie die Programmierten sind.
ich finde die vorstellung ja schön, dass wir schon im kindergarten lernen sollten, wie man programmiert. andererseits: wir lernen ja auch nicht, wie das gehirn funktioniert, nur um lesen zu lernen. reicht es nicht aus, wenn man kindern einen bewussten umgang mit dem computer und neuen medien ermöglicht, müssen alle denn gleich “coden” können?
Sollte man die Metapher des Programmiert-Seins im Sinne eines allgemeinen Bestimmt-Sein und Unfrei-Sein nicht stärker trennen von der technischen conditio humana und besser herausarbeiten, was es im technisch-existenziellen Sinne tatsächlich bedeutet Programmiert zu sein?
im Computerzeitalter ist die Versuchung sehr groß alles auf Szenarien der Fern-Steuerung und des Gesteuert-Seins zu reduzieren, weil alles “just a click away” scheint. mir scheint, dass die Tastatur-Gesellschaft einem Mythos der Knopfdruckverfügbarkeit von allem aufsitzt und Flusser in doppelter Weise ein Beispiel dafür ist: 1)er sitzt dem Mythos auf 2) er denkt im “just a click away”-Modus, sprich: Entfernungen, die schwierige und komplexe Gedankengänge mit sich bringen, werden bei ihm einfach übersprungen, ohne vorher durchdrungen worden zu sein. Herauskommen Gleichnisse wie die von der Welt, die in Programmierte und Programmierer zerfällt.
ich bin mir noch nicht sicher inwieweit es sich hier um eine Provokation oder eine Prophezeihung handelt, aber vielen Dank für das Gedankenfutter, ganz toll.
die Welt ist ein toaster! alles per Knopfdruck, alles fassade,… keiner rafft mehr, wie die (sozialen) Systeme gemacht sind, nur wenige gestalten sie, die meisten sind user… insofern hatte onkel flusser recht! nur man muss das mit dem programmiert-sein ein wenig entdaramatisiert sehen, ein wenig weniger durch die sci-fi-brille, sondern: die programmierten sind nicht diejenigen, denen das hirn programmiert worden ist, sondern diejenigen, die die programme derer benutzen, die wir als programmierer kennen.
Eine sehr pessimistische Beschreibung der aktuellen Entwicklung und auch ein wenig anachonistisch, scheint mir. Die Aufteilung in Programmier/Nicht-Programmierer wird den Möglichkeiten des sich-Einbringens nicht ganz gerecht und gern werden Errungenschaften, wie die Möglichkeiten dieses Blogs hier – das auf freier Software basiert, von der aber kaum jemand etwas verstehen muss, der sie nutzt – vergessen. Persönlich erscheint mit mittlerweile die Einflussnahme von Politik auf den Bereich Programmierung (z.B. durch das Zulassen von Patenten) und Internet (da braucht es wohl keine Beispiele) ein deutlich größeres Problem.