Zum Glück gibt es das Internet: Fast alle deutschsprachigen Tageszeitungen haben eine Online-Ausgabe und man kann sie immer und überall lesen. Doch stimmt das wirklich? Wie nehmen Menschen, die nicht sehen können, die Online-Zeitungen wahr? Die Autorin Katrin Dinges macht den Praxis-Check: Wie barrierefrei sind die Webseiten der großen Zeitungen? Wie wirken sie auf jemanden, der nicht sehen kann?
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Barrierefreiheit bedeutet im Alltag vor allem Zugänglichkeit – beispielsweise von Gebäuden – für Rollstuhlfahrer durch Rampen statt Treppen oder Rolltreppen. Diese kommen aber auch anderen zugute, zum Beispiel Fahrradfahrern, Müttern mit Kinderwagen etc. Genauso ist es im Internet: Übersichtliche Strukturen kommen vielen zu Gute, nicht nur Screenreadernutzern, leichte Sprache ist auch gut für Zweit- und Mehrsprachler oder Kinder, nicht nur für Menschen mit Lernbehinderung.
Soviel zur Theorie, doch wie sieht es in der Praxis aus? Ich nutze selbst den Screenreader um mich im Internet zu bewegen und habe mir zwölf Websites von bekannten deutschsprachigen Zeitungen und Zeitschriften angesehen. Um ihre Barrierefreiheit einzuschätzen, habe ich sie nach folgenden Kriterien überprüft: Gesamteindruck und Art der Präsentation, Übersichtlichkeit, Auffindbarkeit von gewünschten Informationen, Lesbarkeit von Artikeln sowie Besonderheiten.
Berliner-Zeitung.de: Artikel gut lesber, Newsletter für den Papierkorb
Die Seite wirkt auf mich recht übersichtlich, ist aber in Spaltenstruktur gehalten, wodurch man bei Unterseiten erst einmal die linke Spalte mit den allgemeinen Links herunterscrollen bzw. mit dem Buchstaben h (= Header) zur nächsten Überschrift springen muss. Die Artikel lassen sich aber gut lesen. Da die Publikation einen Newsletter hat, habe ich ihn abonniert, um zu schauen, wie barrierefrei dieser Newsletter ist.
Das Dateneingabeformular hierfür ist barrierefrei, allerdings muss man erst mal begreifen, dass die zugehörigen Eingabefelder über und nicht unter den Erläuterungen liegen, was sehr ungewöhnlich ist, weshalb ich erst nicht darauf gekommen bin. So habe ich erst mal alles falsch eingetragen und erst beim letzten Punkt, der Emailadresse, wo dann plötzlich das Feld zu fehlen scheint, gemerkt, was ich falsch gemacht habe. Das war ein bisschen ärgerlich, denn so musste ich alles wieder löschen und noch einmal von vorn beginnen.
Es hat aber dann doch problemlos geklappt mit der Anmeldung. Allerdings sollte sich später herausstellen, dass ich den Newsletter überhaupt nicht lesen kann. Woran das liegt, weiß ich nicht, aber in meiner Mail sieht alles nach unsinnigen Skriptrelikten aus, nicht nach sinnvollem Text. Ich werde mich einmal an die Redaktion wenden, um herauszufinden, was da gelaufen ist.
Bild.de: Von allem zuviel
Auf dieser Seite gibt es je einen Button “zur Hauptnavigation springen” und “Zum Inhalt springen”. Das ist gut. Ansonsten sieht die Seite eher unübersichtlich aus. Es sind zu viele Rudimente vom Skript vorhanden. Normalerweise ist es nicht ungewöhnlich, dass gewisse Teile wie Tabellenansagen, Listen- oder sonstige Rahmenbezeichnungen für Screenreadernutzer zu lesen sind. Das soll der Orientierung dienen und ist sehr hilfreich. Aber hier nimmt es etwas Überhand. Dadurch büßt die Seite sehr an Übersichtlichkeit ein und wirkt verwirrend.
Auch die Titel der Artikel lassen sich nicht eindeutig bestimmten Themen zuordnen und klingen sehr merkwürdig. Es Gibt zwar Newsletter, aber das sind sehr viele, sehr spezifische, z.B. zur Bundesliga, zum Lifestyle, täglichen News, etc. Alles in allem bleibt ein Eindruck von zu überladen, zu unübersichtlich und zu wenig planvoll gedachter Homepage.
Die Welt: Einmal durchschaut, funktioniert alles gut
Hier wikt die Website erst sehr übersichtlich, dann braucht man aber doch eine Weile, um sich zurechtzufinden. Es gibt allerdings gute Kategorien und Unterkategorien. Wenn man das System einmal durchschaut hat, findet man leicht, was man sucht.
Zwischendrin stehen immer wieder unnötige Social-Network-Links, man kommt nur mit Tastenkombinationen wie h für nächste Überschrift klar. Diese Social-Network-Links könnte man auch auf einer eigenen Unterseite oder bei den weiterführenden Links anbieten. So auf der reinen Oberfläche verwirren sie den Leser eher. Die Artikel kann man aber ansonsten gut lesen.
FAZ.net: Gute Lesbarkeit, recht vollgepackt
Die Seite hat eine gute Übersicht mit Themen und Unterthemen, aber eine Spaltenstruktur. Die Artikel lassen sich gut lesen. Die Seite ist zwar recht vollgepackt und könnte mit weniger Links noch etwas übersichtlicher sein, aber man kann sich gut zurechtfinden und kommt schnell dort hin, wo man hin möchte.
Geo.de: Die barrierereichste Seite
Die Seite hat je einen Button “Springe zur Hauptnavigation” und “Springe zum Hauptinhalt”. Das ist aber auch das einzig Positive, das mir hier aufgefallen ist. Ansonsten ist das mit Abstand das barrierereichste Beispiel der Publikationen, die ich mir angesehen habe. Der Cursor verspringt andauernd, der Inhalt kann dadurch nicht richtig gelesen werden. Es ist also unmöglich, sich darüber zu informieren, was es hier eventuell Interessantes zu finden gäbe, wenn man denn mit dem Screenreader klarkäme. Ein absolutes Armutszeugnis für so ein bekanntes und beliebtes Format.
Spiegel Online: Interessante Artikel aber kein Herankommen
Hier haben wir es mit einer relativ übersichtlichen Seite zu tun, aber es gibt wieder eine Spaltenstruktur. Ausnahmsweise kann man den Wetterbericht gut lesen. Leider gibt es immer wieder merkwürdige Balken mit Zahlenreihen. Keine Ahnung, was das zu bedeuten hat. Es beeinträchtigt jedoch die Übersichtlichkeit sehr. Auch gibt es keine Rubriken, sondern nur eine endlos lange Liste von Schlagwörtern unter dem Button “Themen”.
So scheint es zumindest anfangs. Man muss erst bemerken, dass man in der linken Spalte den Button “Der Spiegel” anklicken sollte, wenn man zum eigentlichen Zeitungsbereich kommen möchte; die vielen Themen gehören zum Archiv. Außerdem muss man den Spiegel abonnieren, um ihn wirklich lesen zu können. Auf der eigentlichen Website kann man nur eine Art Überblick bzw. den Brief des Vizechefreadkteurs lesen. APPs gibt es, aber nur für Iphone, Ipad, Smartphone und Windows 8, nicht so, dass ich sie lesen könnte. Schade.
Die Artikel scheinen interessant zu sein, aber ich komme nicht an sie heran. Auch die Artikelseite hat eindeutig zu viele Anteile vom ursprünglichen Skript, dauernd irgendwelche Balken mit dem Wort “Artikel” und etlichen Zahlen, was das Lesen und die Übersichtlichkeit sehr erschwert. Sehr enttäuschend und ein erschreckend schlecht gemachtes Beispiel für eine Online-Zeitung, die eigentlich für alle Interessierten zur Verfügung stehen sollte.
Blinde Leute mit Tablet-PC o.ä. haben da kein Problem, aber ich schon, denn ich komme mit von Sprauchausgaben vorgelesenen Texten wegen meiner Schwerhörigkeit nicht gut klar. Mit meinem immerhin internetfähigen Handy würde das vielleicht gehen, aber ich finde es sehr mühsam, auch nur eine SMS zu verstehen; Artikel damit zu lesen, wäre schlichtweg unmöglich, ich müsste mir also zusätzlich eine Bluetooth-Braillezeile anschaffen, was garantiert nicht von der Krankenkasse übernommen würde und somit sehr teuer für mich wäre. Insofern eher zweifelhaft, ob das hier barrierefrei ist, denn es haben ja auch nicht alle Internetnutzer ein mobiles Endgerät zur Verfügung.
Stern.de: Gute Übersicht, tolles Quiz, Newsletter leider nicht abonnierbar
Eine schön übersichtliche Seite, eine schöne Artikelübersicht, mal waagerecht statt senkrecht zu lesen. Das finde ich persönlich zwar weniger übersichtlich als untereinander, aber egal. Man weiß, was wo ist und das ist die Hauptsache. Es gibt dann noch Unterkategorien, auch dort eine schöne Artikelübersicht, immer eine kurze Zusammenfassung des Artikels, so dass man neben der Überschrift ungefähr weiß, worum es geht und vor dem Anklicken schon leicht entscheiden kann, ob einen der Artikel interessiert und man weiterlesen möchte.
Die Artikel selbst sind gut zu lesen, allerdings gibt es wieder diese Social-Network-Links, über die man erst mal hinwegscrollen muss. Eine Besonderheit bei dieser Publikation sind interessante Wissensquizzangebote. Allerdings ist die Teilnahme daran etwas umständlich gemacht, weil man dabei jeweils für die Antwort und dann noch einmal für die nächste Frage eine neue Seite öffnen und wieder die ganzen Links von der linken Spalte überscrollen muss.
Die tollen Reportagen, die ich von der Braillezeitung kenne, konnte ich bisher leider nicht finden. Enttäuschend ist auch, dass es zwar viele interessante und spezifische Newsletter gibt, man aber am Ende der Dateneingabe für den “Spamschutz” eine Zeichenfolge eingeben muss, die natürlich nicht von meinem Screenreader angezeigt wird. Ich habe trotzdem einen Versuch gemacht, aber wie erwartet hat sich ohne diese Zeichenfolge nichts getan. Hierfür würde ich also leider sehende Hilfe brauchen.
Sueddeutsche.de: Leider ohne Rubriken
Die Website ist schön übersichtlich gemacht. Allerdings gibt es hier keine Rubriken zu finden, nur die aktuellen Meldungen. Die Artikel kann man gut lesen. Es gibt wieder zig verschiedene Newsletter, da mich aber nichts davon inhaltlich interessiert und die bisherigen Versuche diesbezüglich enttäuschend verlaufen sind, habe ich keinen Versuch gemacht, einen zu abonnieren.
taz.de Schneller Zugriff auf Inhalte, deplazierte Werbung
Wieder eine schön übersichtliche Seite, aber mit Spaltenstruktur und auch erst mal weiterführenden Links, bevor die wirklich wichtigen, inhaltlich für die Publikation relevanten Dinge auftauchen. Es gibt Artikelhinweise zu aktuellen Schlagzeilen und Überbleibsel des Skriptes, bei den Orientierungspunkten kann man aber leider nicht klar unterscheiden, was Artikelüberschriften und was Untertitel sind. Daher denkt man zunächst, es handle sich um zwei verschiedene Artikel und bemerkt den Irrtum erst, wenn man zum Text weitergeklickt hat.
Sehr schön ist, dass man direkt zum Inhalt, zum Anfang des Artikels gelangt, wenn man eine Überschrift anklickt und nicht erst noch die ganzen Links oder Social-Network-Verweise runerscrollen muss. Nervig dagegen finde ich, dass bei den Artikeln nach dem ersten Absatz immer so ein Werbeabschnitt für die TAZ steht, den man überspringen muss. Erst denkt man, das gehöre zum Artikel oder der Artikel sei hier schon zu Ende, bevor man darüberscrollt und merkt, dass es inhaltlich noch weitergeht. Spätestens beim dritten Mal fällt es als unangenehm störend auf. Das könnte man wirklich woanders platzieren, denn so wird der Lesefluss sehr gestört.
Merkwürdig sind auch die durch den Balken “Region Orientierungspunkt” abgetrennten Abschnitte auf der Startseite, wobei man das System nicht recht durchschauen kann, warum jetzt gerade diese Artikellinks zusammengefasst werden und was sie von dem Abschnitt davor unterscheidet oder warum es überhaupt diese Einteilung gibt. Je weiter man auf der Startseite nach unten kommt, desto unübersichtlicher wird es. Rubriken sind nicht so recht zu erkennen, teilweise verspringt auch der Cursor, nur leicht, aber es irritiert trotzdem.
Zeit Online: Gehemmter Lesefluss
Auch diese Seite ist schön übersichtlich, hat aber eine Spaltenstruktur und wieder erst weiterführende Links vor den inhaltlich wichtigeren, diesmal aber spezifischer zur Zeitung. Es gibt interessante Kategorien, z.B. u.a. eine zum Studium. Die Artikel kann man leider nicht so gut lesen. Sie haben eine komische Zeilenstruktur, die Sätze sind dadurch unnötig unterbrochen und die Braillezeile springt immer wieder zurück zum Zeilenanfang, so dass man unnötig klicken muss und der Lesefluss stark gehemmt wird.
Fazit: Wirklich barrierefrei ist keine
Keine der untersuchten Zeitschriften ist wirklich barrierefrei. Mit den meisten kann man aber ganz gut arbeiten, sie sind recht übersichtlich, man kann finden, was man sucht und die Artikel gut lesen. Es wäre übersichtlicher, wenn man bei den Unterseiten wirklich nur den Text anzeigen und dann einen Link “Zurück zur Startseite” anbieten würde. Drei von zwölf Websites waren wirklich schlecht gemacht: Spiegel Online, Bild.de und Geo.de, letztere leider das absolute Schlusslicht. Die anderen Seiten hatten alle die eine oder andere Hürde – wie beispielsweise Barrieren bei der Newsletterabonnierung, Spaltenstruktur, umständliche, überladene (Unter-)Seitengestaltung und Social-Network-Links oder Werbung an wirklich unpassenden Stellen.
Klar fallen sie dort besonders stark ins Auge, wo sie stören und dadurch die Aufmerksamkeit auf sich lenken, aber es ist auch extrem ärgerlich, wenn man gerade ein paar interessante Artikel lesen will und bei jedem erst mal diese Social-Network-Links oder Werbung nach der Überschrift oder dem ersten Textabschnitt eingeblendet findet. Das kann man besser in der linken oder rechten Spalte platzieren, also bei den weiterführenden Links, unterbringen, wenn man schon unbedingt Spaltenstruktur braucht.
By the way: Erschreckend viele Artikel weisen Rechtschreib- und/oder Grammatikfehler auf. Das hat zwar nichts mit Barrierefreiheit zu tun, ist aber doch enttäuschend bei Publikationen, die täglich tausende Leser haben, die sich sprachlich an ihnen orientieren, weil sie denken, dass es, wenn das ein Profi in einer Zeitung schreibt, ja stimmen muss, so, wie es da steht.
Übersichtlichkeit nützt allen
Ich kann natürlich nicht für andere Betroffenengruppen sprechen, denn ich habe selbst nur die Wahrnehmung über den Screenreader. Auffällig ist jedoch, dass keine der Websites ein alternatives Angebot in leichter Sprache oder eine reine Textversion aufweist.
Wenn man es also überschlägt, kann man sagen, dass drei Viertel der getesteten Publikationen okay sind, aber noch Verbesserungsmöglichkeiten in Sachen Barrierefreiheit aufweisen und ein Viertel seine Websites in dieser Hinsicht, aber auch, damit alle Leser besser damit klarkommen, überarbeiten sollte. Dass mir der Cursor so sehr verspringt wie bei Geo ist mir wirklich lange nicht mehr passiert und zeugt nicht nur von einer barrierereichen, sondern leider vor allem auch von einer im Hinblick auf Webdesign schlecht gemachten Internetseite.
Erinnern wir uns noch einmal daran, dass mehr Übersichtlichkeit und sparsamere Gestaltung mit mehr Fokus auf dem Inhalt allen Webnutzern zu Gute käme.
Anm.d.Red.: Mehr zu der Digitalisierung des Journalismus findet sich in unserem Dossier Zeitung 2.0. Die Grafik oben zeigt eine Karte geospezifischer Twitter-Daten.
Ein sehr interessanter Feld-Test der Zugänglichkeit, deren Hindernisse Sehenden eben nicht bewusst ist.
Mein Wunsch, falls Sie, Frau Katrin Dinges, noch die Muße dazu haben: Könnten Sie diesen Test für die österreichische Medien-Online-Landschaft wiederholen?
Ich ahne, dass es ein noch vernichtenderes Urteil sein wird, wie gesagt, Sehende über-sehen die Barrieren und machen sich erst darüber Gedanken, wenn darin eingeschränkte Personen darauf aufmerksam machen.
Wie sieht es denn mit RSS-Readern aus? Gibt es dort einen empfehlenswerten?
hallo petra,
mich würde mal deine einschätzung der barrierefreiheit der öffentlich-rechtlichen nachrichtenangebot interessieren wie z.b. tagesschau.de, heute.de oder für berlin http://www.rbb-online.de/
vielleicht hast du ja nach den zeitungen mal lust darauf…
Grüße
Peter
Große Nachrichtenportale haben sicherlich einen besonderen Anspruch. Wenn man aber selbst Webseiten oder Services erstellt, ist es ein abwägen des Aufwandes die Seite barrierefrei zu gestalten und der dafür minimalen zusätzlichen Reichweite.
Wieviel Menschen erreiche ich durch diese Arbeit? 5%? 1%? Eher noch weniger. Aber schon für 10% lohnt ein zusätzlicher Aufwand schon meist nicht.
At Tommek: also nach dieser Logik “lohnen” sich auch Gehwegabsenkungen an Kreuzungen nicht. Die Reichweite des Straßenverkehrs wird dadurch nur minimal erhöht. Aber sollte das Netz (und auch die kommerziellen Angebote) nicht ALLEN zugänglich sein?
@Anna: Wenn Gehwegabsenkungen 50% Mehraufwand im Straßenbau bedeuten würden, gäbe es sie sicherlich nicht.
Der Deutschlandfunk hat heute morgen einen interessanten Beitrag, der perfekt zu Thema passt, gesendet:
http://www.dradio.de/dlf/programmtipp/lebenszeit/2263361/?utm_content=buffer39da5&utm_source=buffer&utm_medium=twitter&utm_campaign=Buffer
“Mütter mit Kinderwagen”? Als ob niemals Männer mit Kinderwagen unterwegs sind…