
Stellen wir uns den Planeten Erde als ein Pluriversum des Friedens vor: eine ‚Vielfalt der Welten‘, in der unterschiedliche Lebens- und Wissensformen nebeneinander existieren, in der Nationalstaaten und Konzerne nicht mehr miteinander konkurrieren, sondern gemeinsam daran arbeiten, das Leben für alle lebenswert zu machen. Und schließlich eine Welt ohne Krieg und Umweltzerstörung. Von einer solchen Welt träumt derzeit die Mehrheit der Weltbevölkerung – das zumindest lässt sich aus dem Peoples’ Climate Vote 2024 schließen. Aber wer ist bereit, etwas dafür zu tun? Wer fragt nach den Ursachen? Warum sind wir gefangen in einer Welt voller Kriege und Umweltkatastrophen? Und wer zieht aus den Antworten auf diese Frage die notwendigen Konsequenzen? Wer arbeitet im Hier und Jetzt an der erstrebenswerten Welt von morgen?
Krieg und Klimakollaps abzulehnen, aber nicht nach den Ursachen dieser ‚Übel‘ zu fragen, scheint ein weit verbreiteter Modus Operandi zu sein. Die Menschen sind zu abgelenkt, zu sehr mit anderen Sorgen beschäftigt, um tiefergehende Fragen zu stellen. Vermeintlich kleine, alltägliche und persönliche Dinge, wie die dramatisch steigenden Lebenshaltungskosten, beschäftigen uns und erschöpfen unsere Fähigkeit, Lösungen zu finden. Kurzum: Sorgen, die auf den ersten Blick nichts mit Krieg und Klimakollaps zu tun haben, die unmittelbarer und dringender sind, weil das Monatsende (an dem die Rechnungen bezahlt werden müssen) näher erscheint als der Weltuntergang. Aber die Frage nach den systemischen Ursachen all unserer Sorgen kann uns helfen, eine soziale Kraft aufzubauen, die den Status quo verändert. Die Tatsache, dass die Ursachen der Krise der Lebenshaltungskosten dieselben sind wie die von Krieg und Klimakollaps – sicher nicht die Migration, wie die Populist*innen behaupten, sondern der Kapitalismus – könnte ein Hebel sein, um die Kluft zwischen denen, die bereits aktiv sind, und der sogenannten ‚schweigenden Mehrheit‘ zu überbrücken. Getreu dem Motto: ‚Ende der Welt, Ende des Monats, derselbe Kampf‘.
Die Textreihe „Pluriverse of Peace“ fragt nach den Ursachen der misslichen Lage, in der wir uns befinden, um besser zu verstehen, wie wir in diese missliche Lage geraten sind, um Wege aus ihr zu entwerfen und nicht zuletzt, um herauszufinden, wie entstehende und bestehende Kämpfe durch einen ‚gemeinsamen Feind‘ verbunden sind. Die destruktiven Kräfte des kolonial-kapitalistischen Expansionismus rücken damit unweigerlich ins Blickfeld – aber auch die Bewegungen, die sich gegen sie richten.
Wir schlagen vor, uns auf 1) die Aktionen der Zivilist*innen zu konzentrieren, die direkt angegriffen oder hauptsächlich betroffen sind. Während sie unter den mörderischsten Bedingungen um ihr Überleben kämpfen, leisten sie Widerstand gegen eine scheinbar unüberwindliche Macht – sie geben Solidarität, demokratische Sozialität und gegenseitige Hilfe nicht auf, sondern erfinden sie neu als Praktiken, auf denen die erstrebenswerte zukünftige Gesellschaft basieren sollte. Von großer Bedeutung sind auch 2) die Aktionen ihrer direkten und indirekten Verbündeten – einerseits diejenigen, die in den Kampfgebieten helfen und sich zur Unterstützung der Angegriffenen organisieren, und andererseits diejenigen, die in den Machtzentren, in denen Kriege und Umweltkatastrophen angezettelt werden, auf eine Veränderung des Status quo hinarbeiten. Da diese Gruppen noch nicht die kritische Masse derer bilden, die von einer Welt in Frieden träumen, fragt die Textreihe auch nach 3) der schlummernden antikapitalistischen Handlungsfähigkeit und dem politischen Bewusstsein all jener, die stillschweigend am herrschenden System teilnehmen und zu seiner Aufrechterhaltung beitragen, ohne seine katastrophalen Folgen zu billigen. Wie kann die Kluft zwischen ihnen und denen, die sich aktiv für eine bessere Welt einsetzen, überbrückt werden? Wie können alle gegenwärtigen und zukünftigen Kämpfe besser miteinander verbunden werden? Und wie können sie als Ausgangspunkt und Inspirationsquelle für die präfigurative Praxis der Utopie im Hier und Jetzt allgemein lesbar und zugänglich gemacht werden?
Nach 25 Jahren kritischen Engagements, darunter zuletzt die Jahresprojekte „Allied Grounds“ (2023) und „Kin City“ (2024), wird die BG-Textreihe 2025 die Arbeit von BG an den Kämpfen in und gegen die Umweltkrise (als Krise des Kapitalismus) fortsetzen und erweitern, indem sie diese mit Krieg in Verbindung bringt – und letztlich zu emanzipatorischen Kämpfen gegen einen Klima-Krieg-Komplex und für ein Pluriversum des Friedens. Mehr dazu in der ausführlichen Einleitung.
Der Aufruf zur Einreichung von Beiträgen richtet sich an Forscher*innen, Aktivist*innen und Kulturschaffende, die in Theorie oder Praxis in emanzipatorischen Kämpfen engagiert sind. Unser Ziel: Verbindungen zwischen ihnen herstellen. Texte von 1.500 Wörtern oder 10.000 Zeichen werden unter einer Creative-Commons-Lizenz auf Deutsch und Englisch veröffentlicht. Sie können in beiden Sprachen bis zum 1. Juli 2025 bzw. 15. November 2025 unter info (at) berlinergazette (dot) de eingereicht werden. Abgabetermine können auch individuell vereinbart werden.
Die Berliner Gazette (BG) ist ein gemeinnütziges, überparteiliches Team von Journalist*innen, Wissenschaftler*innen, Künstler*innen und Programmierer*innen, das neue kulturelle und politische Praktiken analysiert und erprobt. Seit 1999 veröffentlichen wir berlinergazette.de unter einer Creative Commons Lizenz mit mehr als 1.500 Beitragenden. Im Dialog mit unserem internationalen Netzwerk entstehen jährlich Projekte, die sich nicht nur in Form von Textreihen, sondern auch in Form von Konferenzen, Ausstellungen und Büchern mit den jeweiligen Themen auseinandersetzen. Mehr über uns erfahren Sie hier: https://berlinergazette.de/de/about-us/