Neonheimat

Meist fallen sie nicht direkt ins Auge, zu ueberladen ist die uebrige Inneneinrichtung. Erst nach dem vielleicht vierten Blick werden sie wahrgenommen, von immer aufs Neue staunenden Gaesten internationaler Restaurants: Grossformatige Bilder, oft beleuchtet, von romantischen Landschaften einer mutmass- lichen Heimat. Sie zeigen Berge, Seen, Fluesse, Wasserfaelle; das Glitzern des Wassers wird durch viele Leuchtpunkte effektvoll ueberzeichnet. Klar: Diese Landschaften gibt es gar nicht, bestimmt nicht in dieser reinen Schoenheit. Es sind idealisierte Orte. Mehr Wunschvorstellung als abgebildeter Raum.

In der Fremde bedeutet Idealisieren oft Petrifizieren, da man die mitgenommene Vorstellung nicht mehr einem kritischen Blick unterwirft. Sie nicht mehr >updated< und nur noch bewahren kann. Das gilt fuer Sehnsuchtslandschaften wie fuer die Sprache. Neue Begriffe und Veraenderungen der Sprache im Heimatland werden von >Auswanderern< nach laengerer Abwesenheit nicht mehr nachvollzogen oder erst mit grosser Verzoegerung. Buzzwords werden zu Snailwords. Die Bindung zur Sprachgemeinschaft als Ganzes schwindet und gleichzeitig wird das Festhalten am Bestehenden verstaerkt.

Aber welches Bild wuerde ich aufhaengen und fuer meine Heimat sprechen lassen? Elektrischer Schwarzwald, glitzerndes St. Peter Ording, hyperreales Ruhridyll? Keines erscheint ideal genug. Aber diese Wasserfaelle… Immer stellen sie auch eine >authentische< Atmosphaere fuer die Gaeste her, das, was man als original chinesisch oder indisch ansieht und erwartet. Insofern: Vielleicht geht es gar nicht um Heimat? Sondern um den fremden Blick auf die Fremde, der bestaetigt werden soll? Oder sind die Wasserfaelle heilig und leuchten deshalb so schoen? Neonheimatheilig. Der Nachtisch kommt, die Bilder muessen warten.

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