Übergang in eine “grüne” Welt? Nekro-Industrie, Klimatrauma und radikale Heilung

Es gibt immer mehr Menschen, die ihr ganzes Leben im Katastrophenmodus verbracht haben. Das Versprechen eines Übergangs zu einer “grünen” Welt mag da wie eine eskapistische Droge wirken, aber der Kater ist unvermeidlich und es bleibt uns nichts anderes übrig, als kollektive Heilungsprozesse in Gang zu setzen, argumentiert die Forscherin Irina Velicu in ihrem Beitrag zur BG-Textreihe “After Extractivism”.

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“Die Produktion aller Kriegsmittel, nicht nur der Krieg selbst, sollte vollständig verboten werden. Es ist völlig absurd (und auch heuchlerisch), den Tabakanbau fortzusetzen, wenn erklärtermaßen niemand die Absicht hat, zu rauchen.” (Nicholas Georgescu-Roegen, 1975)

Wer sich als grüner Staatsbürger/ grüne Staatsbürgerin versteht, für den gibt es Bildungsmaterial in Hülle und Fülle, vor allem in einer entpolitisierten Form. Doch vermeintlich mündige Bürger*innen scheinen im Angesicht des nuklearen Terrors ohnmächtig zu werden. Das stört diejenigen nicht weiter, deren abenteuerliches Exil auf einem anderen Planeten bereits in Planung ist. Ein weiterer Krieg lässt uns weniger an die “ferne Klima-Apokalypse” und eher an die “Hier und Jetzt”-Zeitlupenkatastrophen denken. Der russisch-ukrainische Krieg als Teil des industriellen Komplexes moderner Gesellschaften wirft Licht auf die Frage, wie und warum sich Ressourcenkonflikte auf dem ganzen Planeten vermehren und welche Auswirkungen es hat, wenn wir wieder lernen, in einer “Bombenkultur” zu leben.

Als Nekro-Industrie ist der Krieg auch die profitabelste Form der Marktsteuerung, bei der Waffen ebenso wie Gemetzel als Ware verkauft werden. Zusammen mit Pandemien wird der aktuelle russisch-ukrainische Krieg eine geopolitische Verschiebung mit sich bringen, bei der sich Kriegs- und Gesundheitsindustrie gegenseitig befeuern. Epidemien und psychische Gesundheitsprobleme werden die kapitalistische Maschinerie in Schwung bringen. Die Intensivierung aller Formen des Ressourcenextraktivismus ist eine Vorbedingung: Der “grüne” Übergang verwandelt sich fast über Nacht in ein “braunes” Extraktivismus-Unternehmen, da Öl und Kohle ein Comeback feiern.

Neue Schocktherapien, zukünftige Traumata

Mit dem Aufkommen neuer “Schocktherapien” wird deutlich, dass diese Politik alles andere als demokratisch ist. Welche demokratische, gar humane Legitimation könnte es für Atomwaffen mit geringer Reichweite geben? Was können wir sonst noch von diesem Übergang zu einem zunehmend heißen Kalten Krieg erwarten? Unterdrückung und Traumata können neue Bindungen und Gemeinschaften schaffen: doch zuerst brechen sie Menschen. Mit der Entfaltung solcher Schocks entstehen neue Traumata, die mehr als nur Worte erfordern, um die verschiedenen intersektionalen Ungerechtigkeiten auszudrücken, die unsere Herzen und Köpfe in naher Zukunft beschäftigen werden.

Artwork: Colnate Group (cc by nc)

Die Schocktherapien der post-“kommunistischen” Übergänge sollten eigentlich nach ein paar Jahrzehnten enden: Doch können wir ihr Weiterleben bereits an den Wurzeln der aktuellen Kriegsereignisse wiedererkennen? Die post-“kommunistische” Generation, die ich kenne, hat die meiste Zeit ihres Lebens mit dem Gefühl des Verlustes gelebt: Zu den verschiedenen kulturellen Stigmata kam hinzu, dass sie sich jeden Tag als Verlierer*innen fühlten, pleite und gebrochen, dennoch unermüdlich. Sie wussten nicht mehr, woran sie glauben und was sie tun sollten. Es fehlte ihnen mehr als sie besaßen: Energie, Geld, Wissen, Respekt. Oft vergaßen sie die unsichtbare Faust der Übergangsideologie, die ihnen einhämmerte sie seien selbst Schuld an den eigenen Unzulänglichkeiten. Dies im Hinterkopf, sollten wir nicht vergessen, dass es immer auf die Perspektive ankommt. Wie blicken wir auf Armut, Wirbelstürme oder Kriege? Ideologie wählt auch uns aus, sie folgt dem Geruch unserer Privilegien oder unserer Verwundbarkeit. Manche Menschen haben den größten Teil ihres Lebens bereits im Katastrophenmodus verbracht – ob unter dem Joch vergessener Kaiser oder moderner Unternehmen – viele Menschen erleben täglich Raubbau. Die Gewöhnung an diese Art von “Pech” oder an allgegenwärtige Traumata ist eine Art von Trägheit, die sich von selbst einstellt.

Ein Beispiel dafür: Der Ruin der Republik Moldau, ein bitterarmes Nicht-EU-Land, das aktuell sehr viele Flüchtende aus der Ukraine aufnimmt. In der Zeit des anhaltenden Verlustes nach dem Afghanistan-Krieg wurden die Moldauer*innen zu Menschenfleisch in Privatarmeen, zu Wirtschaftsmigrant*innen, die unter Stressstörungen leiden, und zu eifrigen Nationalist*innen. Doch diese Traumata scheinen die geopolitische Denkweise des gegenwärtigen russisch-ukrainischen Krieges – eines Krieges, der auf der Schockdoktrin und ihrem Katastrophenkapitalismus beruht – nicht weiter zu rühren.

Als Maria Todorova über den Diskurs des türkischen “Jochs” in Osteuropa schrieb, stellte sie nicht nur eine Frage über leicht entflammbare Emotionen, die Menschen bewegen, wenn sie “zu den Waffen gerufen” werden. Für sie war es auch wichtig zu betonen, dass Europas “Geschenk” an die Welt der Nationalismus war. Wenn Gesellschaften nach Versöhnung dursten, aber Kriege andauern, kann die Weigerung, zu handeln, durch die Verpflichtung motiviert sein, sich um einen breiteren kollektiven Raum der Sinngebung zu kümmern, sich die Zeit zu nehmen, um zu erkennen, was von den neuen homogenen Gemeinschaften der Opfer und Täter*innen wieder einmal ausgelassen werden könnte, wie Mihaela Mihai vorschlägt. Die Einordnung des Balkans in diese “globale Kolonialität” oder “Nekropolitik”  ist noch nicht abgeschlossen.

“Wir befinden uns in einem psychologischen Krieg”: Die Giftstoffe des letzten Übergangs

Toxizität ist mehr als eine Verschmutzung, die die physische Gesundheit beeinträchtigt: Sie liegt in der Luft der alltäglichen Konflikte, die durch Strukturanpassungsprojekte, Sparprogramme, “Mega-Entwicklung” oder industriellen Abbau und Landraub hervorgerufen werden. Diese Art von intimer Toxizität kann in der Art und Weise beobachtet werden, wie die Menschen soziale Techniken der Kontrolle wie Täuschung, Manipulation, Demütigung und verschiedene Missbräuche erleben. Bei der Planung solcher Mega-Projekte ist als Vorbedingung für Ungerechtigkeit bereits eine Inszenierung der menschlichen Natur als ausbeutbar am Werk. Die Entscheidungsträger*innen treten in einen Dialog mit den Menschen als Repräsentant*innen bestimmter sozialer Kategorien, die bereits etablierte Interessen reproduzieren: Angeblich kann ein Bergmann nichts anderes wollen, als in einem Bergwerk zu arbeiten, unabhängig von seinen Traumata. Die Unterdrückung wird auf diese Weise durch Ideologie unsichtbar gemacht. Daher wurde das “Licht” am Ende des Tunnels des post-“kommunistischen” Übergangs von den Eliten als Fortschritt angesehen. Für die meisten anderen war es nur ein weiteres “Loch” im Boden.

Es mag den Anschein haben, dass extraktivistische Projekte, sobald sie abgewehrt sind, keine Bedrohung mehr darstellen. Der erfolgreiche Abwehrprozess wird als lokaler Sieg gefeiert oder das Ganze wird gar zu nationalistischen Projekten aufgebläht. Doch aus Sicht der kapitalistischen globalen Märkte schafft der Prozess der “Beinahe-Umsetzung” einer Mine das richtige Klima für zukünftige Investitionen. Ungerechtigkeit im Bereich der Umwelt führt oft zu Konflikten, wenn sie “Individuen und ihren Gemeinschaften die Fähigkeit nimmt, voll zu funktionieren, durch Verschlechterung der Gesundheit, Zerstörung der wirtschaftlichen und kulturellen Lebensgrundlagen, allgemeine Umweltbedrohungen und politische Ausgrenzung”, so David Schlosberg und David Carruthers. Ein Beispiel: Die Anti-Bergbau-Bewegung “Rettet Roșia Montană” in Siebenbürgen befindet sich eine Art Schwebezustand, es wird darauf gewartet, dass der “tatsächliche Schaden” eintritt. Hier zeigt sich, dass ländliche Gemeinschaften, die Landraub ausgesetzt sind, täglich psychologische Schäden erleiden und mit der Disqualifizierung als politische Akteure konfrontiert sind. Ihr Trauma besteht in der täglichen Erfahrung von Ungewissheit, Unsicherheit, Angst oder Furcht – eine Wunde, die Beziehungen in Familien und Freundschaften zerreißt.

Die Initiative “Rettet Roșia Montană” ist in der Tat eine Bewegung, die als historisches Schlachtfeld verschiedener Imperialismen auch versteckte ideologische Spannungen in sich birgt. Der älteste dokumentierte Ort Rumäniens, der den umfangreichsten und technisch vielfältigsten Bergbaukomplex der Welt beherbergt, der auf die römische Besatzung zurückgeht – all dies hat dazu beigetragen, eine Gegenbewegung zu schaffen, die die rumänische Politik radikalisiert hat. Dank eines langen und intensiven Prozesses transnationaler zivilgesellschaftlicher Mobilisierungen ist Roșia nun UNESCO-Weltkulturerbe. Es bleibt zu hoffen, dass dieser Sieg in den laufenden Prozessen und bei dem zu erwartenden Handlungsdruck der Anleger*innen an den Börsen von Bedeutung sein wird. Die Last der generationenübergreifenden Traumata bleibt auf den Schultern derjenigen, die sich geweigert haben, ihre Heimat zu verlassen. Niculina-Lucretia, eine Bewohnerin, erzählte mir 2008 in einem persönlichen informellen Gespräch ihre Geschichte des Kampfes auf poetische Weise:

Unser sind diese Berge, steinig, fruchtbar und grau
Wir haben sie in den Himmel gehievt
um ihren Magen aus Gold und Eisen zu öffnen
Wir haben gemeinsam unter Regen und Schnee gelitten
Wir haben ihr riesiges Becken geöffnet und ihre Schönheit besungen
Wir kennen ihre Seelen und Stürme, besser als jeder andere …

Unendliche Übergänge, Trauma und Heilung

“Eine Wirtschaftsordnung, in der die unnachhaltige, schlecht gemanagte Plünderung von Ressourcen nicht als Verlust des BIP, sondern als produktives Wachstum betrachtet wird, hat etwas Perverses.” (Rob Nixon, 2011)

Wenn Sie ein Land des Ostens oder des Südens sind, machen Sie sich bereit, neue “grüne” Investitionen kommen auf Sie zu! Ich bin absichtlich zynisch, um die Logik des Kapitals zu veranschaulichen: eine schlechte Werbung für ein weiteres “billiges” Produkt für die Utopie des Massenkonsums. Solange die gesellschaftliche Lizenz zum Abbau erteilt wird, ohne die sozialen und ökologischen Kosten auch nur einzubeziehen, wird jede Extraktion von Rohstoffen, auch von Lithium, nur die Profite einiger weniger “klug” Aufgestellter steigern. Die neuen Konflikte z.B. in Serbien, Kasachstan und der Ukraine werden zu sichtbaren Illustrationen des Extraktivismus als einer Nekro-Industrie, die durch die Logik des Krieges angeheizt wird, wobei Oligarchen sich gegenseitig mit den Körpern gewöhnlicher Menschen bekämpfen. Europa ist dicht besiedelt. Wenn ländliche Regionen zur Zielscheibe eines neuen Extraktivismus werden, kann es zu immer mehr Konflikten kommen.

Zumindest vor dem russisch-ukrainischen Krieg hatten einige wirklich gehofft, dass die “Ökologisierung” der Wirtschaft ein vernünftiger Ausweg aus dem miserablen neoliberalen Übergang sein würde. Von welchen Gefahren ist jetzt die Rede, wenn der “grüne” Kapitalismus als neues Allheilmittel verkauft wird? Wie kann man kritisch bleiben, wenn er versucht, Waffen und Atomkraft in der gleichen Logik des Krieges, in den gleichen elenden “Fabriken” für billige Arbeitskräfte massenhaft als “grün” zu vermarkten?

“Es ist eine Katastrophe, entspann dich!”, meint der Physiker in Ian McEwans Roman “Solar” (2010) ironisch: Die Produktion läuft gut. Der Ökomodernismus wird in die Ideologie des kapitalistischen Wachstums als neues Opium der Fortgeschrittenen integriert. Das macht die “Katastrophen” politisch, nicht nur traumatisch.

“Ein kollektives Trauma ist ein Schlag gegen das Grundgewebe des sozialen Lebens, der die Bande, die die Menschen zusammenhalten, beschädigt und das vorherrschende Gefühl der Gemeinsamkeit beeinträchtigt. … es ist eine Form von Schock … eine allmähliche Erkenntnis, dass die Gemeinschaft nicht mehr als wirksame Quelle der Unterstützung existiert und dass ein wichtiger Teil des Selbst verschwunden ist. Ich existiere weiter, wenn auch beschädigt und vielleicht sogar dauerhaft verändert.” (Kai T. Erikson, 1976)

Als ultimatives kollektives Trauma, das alle anderen intersektionalen historischen Traumata vereint, ist das Klimatrauma eine tiefe Wunde des politischen Körpers, eine Wunde absurder Kriege und anderer extremer Ereignisse, wobei Kinder und Jugendliche bereits jetzt am meisten leiden. Es ist längst überfällig, die Ursachen solcher Traumata anzugehen. Vor neuen Prinzipien der Gerechtigkeit braucht die menschliche Zivilisation eine radikale “dekoloniale Heilung” wie Rosalva Aída Hernández Castillo vorschlägt.

Eine solche Pädagogik kann bereits in den vielfältigen Praktiken von Gemeinschaften gefunden werden, die ihre historischen Traumata ernst nehmen: Mütter der “desaparecidos” in Mexiko, die sich dem Justizsystem entgegenstellen, die nie aufgeben, nach ihren Kindern zu suchen, die tote Körper annehmen, um Trauerrituale zu erfüllen, die sie dazu bringen, den Tod mit Liebe zum Leben zu akzeptieren.

Schwarze Gemeinschaften wiederum führen den Blues als Überlebensmechanismus auf, “eine autobiografische Chronik der persönlichen Katastrophe (…) eine fast tragische, fast komische Lyrik.” wie Ralph Ellison schreibt. Viele Wissenschaftler*innen weisen auf die zentrale Bedeutung kollektiver, selbstorganisierter Bemühungen zur Förderung radikaler Heilung hin, ein langfristiger Prozess, an dem bewusst gearbeitet werden muss, wobei land-basierte und “anonyme” Gedenktechniken von zentraler Bedeutung sind.

Anm.d.Red.: Dieser Text ist ein Beitrag zur “After Extractivism”-Textreihe der Berliner Gazette; die englische Version ist hier verfügbar. Weitere Inhalte finden Sie auf der englischsprachigen “After Extractivism”-Website. Werfen Sie einen Blick darauf: https://after-extractivism.berlinergazette.de

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