Wäre das Internet ein Land, hätte es weltweit den sechstgrößten Energieverbrauch. Video-Streaming steht dabei an erster Stelle. Sollten digitale Technologien nicht die smarte Antwort auf Ressourcenfragen, Klimawirkungen und globale Gerechtigkeit sein? Die Sozialpsychologin Vivian Frick und die Ingenieurin Johanna Pohl kommentieren.
*
Die Digitalisierung hat Einzug in unseren Alltag gehalten, und mit ihr vielseitig wahrgenommene Chancen und Risiken. Politische und wirtschaftliche Akteure wie die Bundesregierung mit ihrer Digitalen Agenda, die OECD oder Branchenverbände wie die Bitkom oder eco möchten zum Beispiel durch Breitbandausbau Wirtschaft und Wachstum fördern. Manche behaupten ganz kategorisch, Digitalisierung käme „first“ – doch wie ratsam ist es in Zeiten existenzbedrohender Umweltprobleme und Wirtschaftskrisen, Bedenken „second“ zu stellen?
Zivilgesellschaftliche Akteure wie netzpolitik.org warnen vor Gefahren für die Privatsphäre und setzen sich für Datenschutz ein, Gewerkschaften sorgen sich um die Zukunft der Arbeit. Was im aktuellen Diskurs bisher zu kurz kommt, ist Nachhaltigkeit, die Umwelt, Ressourcenfragen, Klimawirkungen oder globale Gerechtigkeit. Kurzerhand wird die Digitalisierung auch zur Lösung dieser Probleme herangezogen. Doch können wir durch die Optimierungspotentiale der Digitalisierung unseren Naturverbrauch soweit drosseln, dass eine nachhaltige Gesellschaft entsteht?
Ja, sagen die Fans der smarten, neuen Welt: Smart Cities, Smart Grids, Smart Homes, Smart Phones und nicht zu vergessen das selbstfahrende Auto sollen neben unserer Convenience auch die Nachhaltigkeit bedienen. Das Credo für den Techno-Fix des 21. Jahrhunderts lautet Vernetzung, Effizienz und Optimierung.
Und tatsächlich, über automatisierte Steuerung und intelligente Nutzung von Cloud Systemen kann die Energieeffizienz von Prozessen erhöht und der relative Ressourceninput verringert werden. Doch Effizienz allein sagt erst einmal nichts darüber aus, wie viele Kilowattstunden tatsächlich durch unsere Steckdosen fließen. Die eigentliche Frage sollte also eher lauten: Würden wir dank digitalisierten Systemen insgesamt weniger Energie verbrauchen?
Wie nachhaltig ist das Internet?
Wäre das Internet ein Land, dann hätte es den weltweit sechstgrößten Energieverbrauch, so Greenpeace. Das Internet ist ein gigantischer Energiefresser mit ständig wachsendem Appetit. Denn obwohl die IT-Branche eine vorbildhafte Steilkurve von Effizienzgewinnen vorzuzeigen hat, erhöht sich insgesamt der Energieverbrauch von Rechenzentren, Netzwerken und Computern ständig. Oder vielleicht gerade deswegen?
Laut Rebound-Effekt nämlich gehen die Effizienzgewinne mit gesunkenen Kosten einher, wodurch IT-Nutzung gleichsam attraktiver wird, und vermehrt zum Einsatz kommt – sowohl bei Organisationen also auch privat. So machte denn auch der Guardian unlängst unter dem Titel „How viral cat videos are warming the planet“ darauf aufmerksam, dass Rechenzentren weltweit bereits heute mehr Kohlendioxid ausstoßen als der gesamte Flugverkehr weltweit.
Dabei resultiert der größte Teil des Datenverkehrs aktuell aus Video-Streaming; ein Format, das gerade von Streaming-Anbietern und Social Media stark gepusht wird. Zu noch mehr Datenverkehr wird zukünftig auch vermehrt das Internet of Things beitragen, also miteinander vernetzte Geräte.
Die steigende Umweltrelevanz von Rechenzentren ist natürlich auch den Betreibern nicht verborgen geblieben: so verpflichteten sich vor einigen Jahren u.a. Facebook, Apple und Google, die Stromversorgung ihrer Rechenzentren auf 100% Erneuerbare Energien umzustellen. Eine komplett grüne Stromversorgung hat bis jetzt noch keines der Unternehmen erreicht – dem aktuellen „Clicking Clean“-Bericht von Greenpeace zufolge, die den Prozess begleiten, reichen die Spannweiten grüner Stromversorgung von weit unter 20% (u.a. amazon) bis anteilig 83% (Apple).
Doch gehen wir ein Schritt zurück – Nachhaltigkeit umfasst natürlich mehr als nur den Energieverbrauch. Ihr Ziel ist es ja, den Lebensraum der Menschen in einem bewohnbaren, idealerweise lebenswerten Zustand zu erhalten. Das sogenannte Doughnut-Modell illustriert, welche „planetaren Grenzen“ uns dabei gesetzt sind und welche sozialen Mindest-Standards für ein gutes Leben erfüllt sein sollen.
Neben Verlust von Biodiversität, Süßwasserverbrauch, Übersäuerung der Meere oder Abbau der Ozonschicht sollten also ebenfalls Gesundheit, Ernährung, Trinkwasser, Bildung, Teilhabe, oder Gerechtigkeit beachtet werden. Doch was haben mein Smart Phone, mein Smart Home, die Smart City, ein digitalisierter Finanzmarkt oder die E-Mobil-Flotte neben Klimawandel und Ressourcenmangel auch mit Biodiversität, Gesundheit, sozialer Gerechtigkeit zu tun?
Technik ganzheitlich betrachten
Einen methodischen Ansatz, Umweltwirkungen einzelner Produkte oder Prozesse zu bestimmen, bietet zum Beispiel die Ökobilanzierung. Dabei werden entlang des gesamten Lebenszyklus‘ eines Produktes oder Prozesses von der Wiege bis zur Bahre, also von Ressourcenbereitstellung, über Produktion, Transport, Nutzung bis hin zur Entsorgung alle Material,- Energie- und Emissionsströme erfasst, welche zur Bereitstellung und Nutzung benötigt werden bzw. dabei entstehen.
Vergleichbar ist das Ganze mit einem Kochrezept. Möchte man beispielsweise die Umweltwirkungen einer Runde Game-of-Thrones-Schauen berechnen, wird neben dem Strom, der zum Betrieb des Bildschirms beim Schauen der ca. 50-minütigen Serie benötigt wird, auch die Rohstoffgewinnung, Verarbeitung und Entsorgung der materiellen Infrastruktur, also des eigenen Laptops (oder Flachbildschirms in der Edelausstattung) mit einbezogen, ebenso wie der Bau und Betrieb der Rechenzentren und weiterer Netzinfrastruktur, welche das Video bereitstellen.
Hier lassen sich – bisher zumindest theoretisch – alle Dimensionen des Doughnut-Modells erfassen: von den Arbeitsbedingungen des Minenarbeiters, dem Wald- und Artenverlust beim Rohstoffabbau seltener Erden, über Produktionsbedingungen und Luftbelastung in China bis zu und den Gesundheitsschäden der Kinder, welche an Afrikas Küsten unter starker Boden- und Luftverschmutzung die alten Geräte ausschlachten.
Dennoch begegnet uns gerade in der Digitalisierungsdebatte häufig der Begriff der Dematerialisierung. Papierlose Büros, Datenspeicherung in Clouds weit entfernter Rechenzentren, Informationsbeschaffung über dicke Unterseekabel, die die Ozeane durchziehen – aufgewendetes „Material“ wird im Alltag der Nutzer/innen kaum mehr sichtbar.
Wer denkt beim Surfen am ultraleichten Tablet, beim Datenspeichern in Clouds oder der Ausstattung diverser Haushaltsgeräte mit Sensoren und Kommunikationsfunktionen schon an den materiellen Rattenschwanz? Dematerialisierung führt so zu ‚psychologischer Distanz’: Je weiter weg die Auswirkungen meines Handelns stattfinden, desto schwieriger wird es, ein Problembewusstsein zu entwickeln.
Ökobilanzierung: Wie leicht ist eigentlich die Cloud?
Bisher wurden direkte Umwelteffekte der Digitalisierung angesprochen, also was die Nutzung einzelner digitalisierter Systeme bewirkt. Jedoch reichen die Auswirkungen weiter: Unser aller Verhaltensweisen, die Art an Gesellschaft teilzuhaben, zu wohnen, sich fortzubewegen und zu konsumieren, werden durch Digitalisierung verändert. Diese Auswirkungen sind oft „disruptiv“ und schwer quantifizierbar, denn wir tun Dinge einfach anders. So können wir heute dank digitaler Möglichkeiten deutlich schneller und intensiver miteinander kommunizieren, uns informieren oder an öffentlichen Debatten teilhaben.
Als Beispiele für das Potential von Digitalisierung für ein nachhaltigeres Konsumverhalten werden oft Sharing-Systeme hervorgehoben. Durch Car-Sharing sollen beispielsweise weniger, kollektiv genutzte Autos auf der Straße fahren. Über Kleiderkreisel besteht die Möglichkeit, nicht mehr getragene Kleidung zu tauschen und so die Lebensdauer von Kleidung zu verlängern.
Ökologische, soziale und digitale Themen zusammendenken!
Auch werden eine Vielzahl von Ratgeber- und Informations- Apps oder Webseiten gestaltet, vom Nabu-Siegel Check über ToxFox und utopia.de. Aber besteht vielleicht die Gefahr, dass diese tollen Nachhaltigkeits-Tools verhältnismäßig verblassen, verglichen mit den zahllosen Konsumtreibern, die der digitale Raum sonst noch hervorgebracht hat? Von personalisiertem Marketing in omnipräsenten Werbe-Bannern, Social Media Feeds, Newslettern und Wunschlisten können wir uns täglich einflüstern lassen, wie wir unser Leben noch ein wenig schöner machen könnten.
Könnte dies unsere Konsumwünsche erhöhen, und uns damit mehr kaufen lassen? Denn das Konsumieren wird auch dank des Internets immer einfacher: vom Sofa aus können wir per Netflix und Online Shopping den Konsumfreuden frönen, im Bus zur Arbeit Reiseblogs lesen, Urlaub und Konzerttickets buchen oder Bankgeschäfte erledigen. Vorbei sind die Zeiten, wo Öffnungszeiten, geografische Distanz oder Wartezeiten am Schalter unsere Zeit verschwendeten.
Wie ersichtlich wurde, gibt es nicht „die“ Digitalisierung, sondern viele unterschiedliche Aspekte, Einsatz- und Gestaltungsmöglichkeiten. Gerade deswegen müssen wir uns auch jenseits von Wirtschaftsinteressen fragen: Wie muss Digitalisierung gestaltet sein, welche Anteile der Digitalisierung wollen wir fördern, und welche nicht, damit planetare Grenzen eingehalten und soziale Gerechtigkeit gestärkt werden?
Anm. d. Red.: Das Foto stammt von Krystian Woznicki und steht unter CC-Lizenz. Die beiden Autorinnen sind an der VÖW Herbstakademie 2017 beteiligt, die vom 4.-8. Oktober stattfindet und sich den Chancen und Risiken der Digitalisierung für eine nachhaltige Gesellschaft widmet. Am 8.10. gibt es eine Fishbowl-Diskussion u.a. mit Laura Dornheim und Tilman Santarius. Infos und Anmeldung hier.
“Am 8.10.2017 gibt‘s hier dazu Gelegenheit”
Wo denn?
…und zwar hier:
Digitalisierung für oder gegen eine nachhaltige Gesellschaft” Fishbowl-Diskussion u.a. mit Laura Dornheim und Tilman Santarius, 8. Oktober 2017, 14.30-16.30h im Impact Hub, Berlin.
Mehr Informationen unter http://www.voew.de/herbstakademie/abschlussveranstaltung