Ich habe mich eigentlich nie mit Zeit beschaeftigt, bis ich mit 18 Jahren als untauglich fuer den Wehrdienst befunden wurde und meine Mutter mir erzaehlte, dass ich ja jetzt zwei Jahre gewonnen haette, die ich unbedingt fuer eine schnelle Beendigung einer Ausbildung oder eines Studiums nutzen solle. Diese Art von Logik konnte ich nicht wirklich nachvollziehen und brach die Schule ab, um forthin rumzugammeln und Musik zu machen. Da meine Eltern davon nicht so begeistert waren wie ich, stellten sie abrupt jegliche finanzielle und moralische Unterstuetzung ein, woraufhin ich angefangen habe, mich mit Jobs als Lkw-Fahrer, Schraubenlegierer, Marktforscher, Buecherkommissionierer etc. ueber Wasser zu halten. Das allerdings stahl mir sehr viel Zeit zum rumgammeln und Musik machen und ich beschloss, fortan nur noch Musik zu machen, aber auch etwas weniger rumzugammeln, damit ich vor mir selbst ethisch vertreten konnte, in Zukunft fuer Musik bezahlt zu werden. Zeit und Geld schienen auf einmal zusamenzuhaengen. Jetzt interessiere ich mich eher fuer die Brueche in diesem Zusammenhang.
Ich versuche, so gut es geht, in meiner eigenen Zeit oder Geschwindigkeit zu leben und eher meiner Intuition zu folgen als irgendwelchen von aeusseren Zwaengen vorgegebenen Zeitrastern. Es gibt Zeiten, in denen der Fluss der Dinge eher schnell ist, und andere Zeitabschnitte, in denen alles extrem zaeh und langsam geschieht. Die subjektive Wahrnehmung der Zeit scheint sowohl von aussen als auch von innen gesteuert zu sein, was fuer die Mikro-/Makrokosmos-Theorie spricht, und dafuer, dass irgendwie alles zusammenhaengt. Ich habe beobachtet, dass, wenn man versucht gegen den universellen Rhythmus zu leben, was heisst, schneller oder langsamer als das Tempo zu sein, das die eigene Intuition vorgibt, es entweder zu starker Ungeduld oder Erschoepfung [Burnout-Syndrom] fuehren kann. Da ich ein tendenziell langsamer Charakter bin, halte ich es mit dem buddhistischen Sprichwort: >Wer schnell sein will muss langsam gehen.< Beim Musikmachen gibt es verschiedene zeitliche Situationen, wobei es mir grundsaetzlich darum geht, durch Musik einen Raum zu betreten, der die Idee von Vergangenheit und Zukunft ausblendet und sich ausschliesslich im Jetzt befindet. Das ist allerdings leider nicht immer einfach, da es durch den ueberwiegenden Anteil an organisatorischer Arbeit oft nur kleine Zeitfenster zum Spielen gibt, in denen ich alles andere ausblenden kann. Auf der anderen Seite ist ein gewisser Zeitdruck manchmal sehr inspirierend und legt kreative Reserven frei, die bei zu grossen Zeitfenstern im Dunkeln schlummern. Letztendlich ist gerade bei Musik das Timing das Wichtigste. Das Richtige muss zur richtigen Zeit geschehen. Mein Track >More Time< ist waehrend einer dreitaegigen Session mit meinem Freund und SchneiderTM-Partner Michael Beckett [alias Kptmichigan] entstanden. Da Michael nicht in Berlin wohnt, haben wir grundsaetzlich viel zu wenig gemeinsame Zeit, um neue Musik zu entwickeln, und versuchten in dieser kurzen Zeit moeglichst viel Musik aufzunehmen. Dadurch entstand eine Situation des Zeitdrucks, der sich zunaechst extrem kontraproduktiv auswirkte, und wir haben bemerkt, dass, wenn man ueber Zeit[-mangel] nachdenkt, die Zeit auch sehr viel kuerzer scheint, als wenn man sich auf das Wesentliche konzentriert. Erst dann entsteht eine Situation, in der man mit der universellen Zeit fliesst. Ich habe interessanterweise vor kurzem herausgefunden, dass es Parallelen zwischen den Pattern der immer kuerzer werdenden Gesangslinien von >More Time< und den sich beschleunigenden Zyklen des Mayakalenders gibt, was daran liegen kann, dass wir unser Zeitproblem in diesen drei Tagen unter anderem mit Hilfe von mexikanischen Pilzen geloest haben. Meine Empfindung von Zeit drueckt sich insofern in meiner Musik aus, als dass aktuelle musikalische oder modische Trends immer weniger Einfluss auf meine Arbeit haben und ich eher meinen eigenen Zyklen folge, was aber nicht als fundamental antizyklisch oder ignorant verstanden werden darf. Ich mag durchaus auch Sachen, die gerade aktuell sind, aber ich habe bemerkt, dass sich, vor allem popkulturell, vieles im Kreis dreht; zwar in immer etwas anderer Form, aber grundsaetzlich irgendwie auf Wiederholung/Retro basierend und immer schneller. Dieses Phaenomen und auch die seit Jahren bestehenden, sich langsam aufloesenden/gesund- schrumpfenden Strukturen in der Musikindustrie, zu denen ja auch mittelstaendische >Indie<-Labels zaehlen, wirkt auf mich momentan fast schon reaktionaer, und das ist fuer mich nicht Ziel und Funktion von Musik. Das Problem ist, dass sowohl viele Musiker als auch Labels vorwiegend daran interessiert sind, Geld zu verdienen [und/oder es nicht zu verlieren] und deshalb aengstlich und risikofeindlich werden. Fuer mich hat ein misslungenes musikalisches Experiment, bei dem man das Gefuehl hat, dass Leidenschaft im Spiel war, immer noch mehr Kraft und Unterhaltungswert als irgendeine perfekt umgesetzte, auf den neusten Stand der Technik hochproduzierte und ausgewalzte Kopie einer Idee von 1981. Ich glaube die Menschheit steht kurz vor einem fundamentalem Bewusstseinssprung, der unsere Wahrnehmung von Zeit und Raum neu definieren [allein schon durch das www], dualistisches Denken aufheben und spirituelles Wachstum beguenstigen wird. Das hat hoechstwahrscheinlich [oder hoffentlich] auch den Zusammenbruch der jetzigen Form von Weltwirtschaft zur Folge, die vorwiegend auf hierarchischen Strukturen und der Ausbeutung bzw. Zerstoerung des gesamten Planeten basiert. Unser neues Label MirrorWorldMusic [MWM] soll uns [und langfristig auch anderen] als Plattform dienen, auf der wir unabhaengig von Vertriebs- und sonstigen Strukturen sehr unmittlebar Musik veroeffentlichen koennen, insofern und sobald wir sie fuer veroeffentlichswuerdig halten. Das heisst, das neben einer >Schneider TM< und >Lustfaust 7< zum Beispiel, die wir selbst ueber unsere Website weltweit vertreiben, hauptsaechlich moeglichst hochaufgeloeste Downloads angeboten werden. Neben neuen Sachen werden wir in den naechsten Monaten auch nach und nach Michael Becketts und meinen kompletten Backkatalog auf die Website stellen, der mit Bands wie >Locust Fudge<, >Tuesday Weld< und >Hip Young Things< bis in die fruehen Neunziger Jahre zurueckgeht, um Zusammenhaenge und unsere musikalischen Entwicklungen darzustellen. Bei neuen Veroeffentlichungen sind wir allerdings auch offen fuer Kooperationen mit anderen Labels, denen wir Lizenzvertraege fuer physikalische Tontraeger verschiedener Territorien anbieten koennen. Das verschafft uns hundertprozentige kuenstlerische Freiheit und die Chance, uns langfristig in einem organisch gewachsenen, aber flexiblen Netzwerk zu bewegen, das sich hoffentlich traegt, aber nicht hauptsaechlich auf Profitmaximierung basiert.
Ein Kommentar zu “Musik ist weder Zeit noch Geld”