Mobile Textkulturen: “Ich hab schon als Kind meine Hausaufgaben im Bus gemacht.”

Als sich die ReferentInnen des Panels Stadt in der Stadt auf die Bühne begaben, um über den Einfluss von mobilen Textkulturen auf öffentliche Räume zu diskutieren, bemerkte Kathrin Passig wie überhaupt nicht notwendig die Veranstaltung in dieser Form sei. Schließlich sei die körperliche Anwesenheit der ReferentInnen zwar erfreulich, aber nicht notwendig. Wie leicht hätte man die Veranstaltung rein virtuell durchführen können, als Skype-Konferenz oder an die Wand geworfenes Chat-Gewitter? Der Körper sei nur Dreingabe.

Ob entlaibt oder fleischlich: Es sollte um den “mobility turn“ gehen. “Können wir nicht mal das Ende der dauernden turns verkünden?”, fragte sich Mercedes Bunz, ehemalige Chefredakteurin von Tagesspiegel Online und momentan für den Guardian in London, tätig. Der turn turn, sozusagen.

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Kathrin Passig fragte, ob man das Reden über mobiles Schreiben nicht überschätzt: “Ich hab schon als Kind meine Hausaufgaben im Bus gemacht”. Vielleicht war sie aber auch einfach nur Trendsetterin?

Eine neue Art von Öffentlichkeit?

Martijn de Waal, Autor und Kurator aus den Niederlanden, hält diese Art von Öffentlichkeit, um die es in der Fragestellung geht, für verloren. “Damit müssen wir umgehen lernen”, meint er, und präsentierte verschiedene Clips, die den Verlust und das Ringen um den Erhalt von Öffentlichkeit thematisieren.

So zeigte er ein Kunstprojekt aus seinem Heimatland, dass das Prinzip der “magnetic poetry” virtuell in den Stadtraum bringt. Diese Dichtung besteht aus frei hängenden Worten, die wie Kühlschrankmagnete hin und her geschoben werden können. Per leistungsstarkem Beamer werden die Worte an eine Gebäudefassade geworfen und Passanten können sich an der Poesieherstellung beteiligen.

Laptopeinzelkämpfer vs. Kaffeehausclique

Es gibt, so stellte Passig fest, ein Unbehagen über den Rückzug vieler Menschen ins Netz. Beispielsweise gilt es inzwischen nicht mehr als Zeichen für geistige und ökonomische Beweglichkeit im Café mit Laptop zu sitzen. Vielmehr wird die Demonstration von anwesender Abwesenheit als Affront wahrgenommen. (Sie selbst hätte sich übrigens auch einen Laptop auf der Bühne gewünscht, weil sie nach eigener Aussage, nicht gut darin ist, sich Fakten und Namen zu merken, weil sie weiß, dass alles ohnehin googlebar ist.)

In diesem Zusammenhang beschrieb Mercedes Bunz das Wiederaufleben der Kaffeehauskultur. Open spaces wie “The Hub” in London und die wie Pilze aus dem Boden schießenden Soho-Häuser erlauben es Menschen, gleichzeitig mit Freunden im Netz und mit Menschen vor Ort zu sein.

Öffentlichkeit und Vertrauen

Die mobile Verfügbarkeit von Information ist für den einzelnen gut, aber für das Kollektiv schädlich, so Martijn de Waal: Ein kleiner Austausch zwischen Fremden, etwa um nach dem Weg zu fragen, ist genau die Art von Prozess, die “city trust” in einer Stadtbevölkerung bildet.

Vielleicht, so Bunz, sollte das Gespenst der glücklichen (internetlosen) Kommunikation einfach vergessen werden. Diese Art von gemeinsamer Vertrauensbildung hätte heute etwa das Couch Surfing übernommen.

Kathrin Passig erinnerte dabei daran, wie undenkbar das noch vor 15 Jahren gewesen wäre, als man den Fremden im Netz noch für jemanden hielt, der “mir böses will, mich ausraubt und dann meine Leiche in den Fluss wirft”.

Und doch scheint es ein Bedürfnis nach Zusammenhalt oder wenigstens Ähnlichkeit zu geben: Martijn de Waal stellte fest, wie polarisiert die Gesellschaft ist, und belegte das mit der Entwicklung, dass sich innerhalb von Nachbarschaften politische Einstellung immer mehr einander angleichen.

Und nichts schmerzt mehr, so Passig darauf, als nach vielen Jahren über Facebook festzustellen, dass die eigenen Freunde CDU wählen. Irgendwann reichts dann eben auch mit der Öffentlichkeit und so stellt sich die Frage, ob und wie die mobilen Textkulturen einen Rückzug ins Private ermöglichen.

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