Allenthalben heißt es, der Mensch stehe im Zentrum aller biologischer, geologischer und atmosphärischer Prozesse auf der Erde. Doch ist der Mensch tatsächlich das zentrale handelnde Wesen auf diesem Planeten? KünstlerInnen, die diese Sichtweise hinterfragen, befassen sich mit nicht-menschlichen handelnden Akteuren (etwa: Pilzen) und schaffen neuartige Werke. Die Kulturwissenschaftlerin Olga Timurgalieva stellt aktuelle Ansätze aus dem Bereich der Bio-Art vor.
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Nicht nur teilen wir unseren Lebensraum mit Pflanzen oder Tieren, unsere Körper sind auch der Wohnort für nichtmenschliche lebendige Organismen wie beispielsweise Bakterien. Ebenso unsere alltäglichen Praktiken, wie unsere intellektuellen und wissenschaftlichen Techniken, gehen aus Formen der Kommunikation, der Kooperation und einer teils symbiotischen Verbindung mit nichtmenschlichen Akteuren hervor. Und dennoch begreifen wir uns immer noch als die einzigen auf der Erde handelnden Wesen, wie in den gegenwärtigen Debatten zum Anthropozän deutlich wird, die oftmals eine auf den Menschen fokussierte Verständnisweise offenbaren.
Das Art Laboratory Berlin hat sich seit mehreren Jahren genau mit diesem Bereich kritisch auseinandergesetzt. Es gab Ausstellungen, Seminare und nunmehr eine internationale interdisziplinäre Konferenz, die sich mit nichtmenschlichen Perspektiven auseinandersetzt. “Nonhuman Agents greift jüngste philosophische Ansätze auf, die den Anthropozentrismus in Frage stellen“, so die Macher Christian de Lutz und Regine Rapp.
„Diese Diskurse betonen eine nichtmenschliche Perspektive durch objekt-orientierte Ontologie (Harman, Meillassoux); diskutieren nichtmenschliche/ menschliche Begegnungen (Haraway); postulieren einen Posthumanismus (Braidotti); und untersuchen verschiedene posthumanistische performative Strategien, wie zum Beispiel intra-acting (Barad). Eine neue Perspektive, die über die Setzung unveränderlicher Substanzen hinausgeht, lässt uns auf eine Realität blicken, die nicht mehr in rein anthropozentrischen Parametern beschrieben werden kann.“
Bio-Art: An der Schnittstelle von Kunst und Wissenschaft
Mit den philosophischen Konzepten arbeiten auch zahlreiche Künstler und Theoretiker der Bio-Art. Sie arbeiten an den Schnittstellen von Kunst und Wissenschaft, ein derzeit wachsendes Feld. Künstler in diesem Bereich laufen allerdings oft Gefahr, als Lieferanten für visuelle Modelle und Bilder sowie eingehende Begriffe für die oft nur schwer verständlichen wissenschaftlichen Ergebnisse missverstanden zu werden.
Dabei entwickeln viele der Künstler eine eigenständige Arbeitsweise und setzen sich oft kritisch mit dem auseinander, was in den wissenschaftlichen Laboren und Institutionen vor sich geht. In vielen ihrer Arbeiten geht es um die Auseinandersetzung mit Praktiken der Pflege und Erhaltung sowie die Experimentalisierung mit den außersprachlichen Formen der Kommunikation und Kooperation, die sich zwischen menschlichen und nichtmenschlichen Akteuren ereignen. Thematisch werden auch die aufscheinenden Gefahren und ethischen Fragen im Zusammenhang von Biotechnologie untersucht, wie zum Beispiel Genmanipulationen.
Wie sieht das konkret in der künstlerischen Praxis aus? Die Manipulation embryonalen Lebens ist Gegenstand der slowenischen Medienkünstlerin und Biochemikerin Špela Petrič, die eine künstliche Gebärmutter für die Embryonalzellen einer Kresseart gebaut hat. Deren Entwicklung steuert sie mit aus Urin extrahierten Steroidhormonen, die die Körpermorphologie verändern.
In einem Teil ihres mehrteiligen Kunstprojekt „K_9 Topology“ über die Mensch-Wolf-Hunde-Verbindung stellt sich Maja Smrekar als Leihmutter für ein Hundebaby zur Verfügung, das sie mit der Brust stillt. Obwohl Smrekar in ihrer Arbeit nur die Science-Fiction ähnelnden Visionen der Eizellenforschung zum Thema macht, hat ihre Arbeit in der Öffentlichkeit für viel Diskussionen gesorgt.
Auch das Kollektiv um die Medienkünstlerin Saša Spačal, den Mikrobiologen Mirjan Švagelj und den Ingenieur und Designer Anil Podgornik beschäftigt sich mit der zunehmenden Auflösung der Grenzen der Spezies. Die Installation „Myconnect“ ist ein Bio-Feedback-Loop, das die Kommunikation zwischen Menschen und Pilzen ermöglicht. Für die Installation bei Art Laboratory Berlin 2017 arbeiteten sie mit dem Austern-Myzel, dem unterirdischen Teil des Austern-Pilzes. Zur Kommunikation nutzen sie die „intermediäre“ Sprache des elektronischen Signals, das das menschliche Herz in das Myzel sendet, wo es moduliert wird.
Wie kommuniziert ein Schleimpilz?
Mit den in dem Einzeller “Physarum polycephalum” vonstattengehenden Formen der Kooperation und Kommunikation setzt sich die Britin Heather Barnett auseinander. Der Schleimpilz wird derzeit in der Wissenschaft intensiv erforscht, als Modellorganismus dient er Biologen, Physikern und Informatikern zum Verständnis von Entscheidungsfindung und Navigation in komplexen Systemen, die über keine zentrale Steuerungsstelle verfügen.
Barnett untersucht das Phänomen des ‘polycephalism’, der „many-headedness“, sowohl in Schleimpilzen wie in menschlichen Kooperativen. Die Fähigkeit zur Navigation und Entscheidung des Schleimpilzes extrahiert sie für die Inszenierung kollektiver Performances, bei denen die Teilnehmer eingeladen sind, nicht-sprachliche Praktiken der Kommunikation und Kooperation zu erforschen. Dies geschah auch im Workshop „SWARM | CELL | CITY“, den die Künstlerin zusammen mit dem in Berlin lebenden britischen Künstlerduo plan b bei Art Laboratory Berlin im September realisierte. Barnett bietet auf diese Weise an, den urbanen Raum aus der Perspektive eines Einzellers zu erkunden und zu verstehen.
Aus der Sicht der australischen Künstlerin Tarsh Bates, die im Bereich der Mikrobiologie arbeitet, sind Menschen immer schon „more-than-human“.10 Menschliche Körper sind keine verschlossenen Behälter, sondern Gastgeber für multiple andere Organismen. Bates arbeitet mit dem Hefepilz Candida albicans. Diese bewohnen meist unbemerkt und friedlich den menschlichen Körper, können jedoch auch Krankheiten hervorrufen, abhängig von bestimmten Faktoren wie Zuckerkonzentration, Temperatur, pH-Wert etc.
In ihrer Arbeit beschäftigen sie die biopolitischen Implikationen des Forschungsfeldes. Hierzu schafft sie konfrontative Situationen, um die emotionalen, körperlichen und politischen Beziehungen zwischen dem Menschen und dem Pilz sichtbar zu machen. Für Bates geht es um „Response-Ability“ (Verantwortlichkeit), deren Begriff die Kulturökonomin Astrid Schrader prägte. Bates stellt Apparaturen, Bedingungen und Situationen her, die es den Bakterien ermöglichen, auf ihre eigene Weise zu „antworten“.
Die Dichotomie Natur/Kultur überwinden
Diese künstlerischen Interessensfelder und Strategien stellen für Regine Rapp, ein neues künstlerisches Paradigma dar. Diese künstlerischen Arbeiten, so erklärt Rapp, „haben die Dichotomie Natur/Kultur überwunden. Sie schaffen Umwelten, wo zwischenartliche Begegnungen möglich sind, nicht zuletzt durch die Verwendung von Intra-Action und Performativität (Barad) als Kunstformen in einer postanthropozentrischen Ära.
Dabei spielt die unmittelbare Auseinandersetzung mit der Biomaterie und lebenden Organismen eine bedeutende Rolle. In diesen Arbeiten wird unsere Aufmerksamkeit direkt auf (Mikro)Organismen, Pflanzen, Tiere als solche und ihre symbiotischen Lebensformen gelenkt. Die performativen Strategien unterlaufen konventionelle Formen der Repräsentation (Abbildbarkeit) und betonen vielmehr fluide Phänomene und Prozesse des Werdens.“
Ganz in diesem Sinne betrachtete Saša Spačal ihre Arbeit mit dem Pilzmyzel als eine Form der fluktuierenden, der sich stets verändernden Zusammenarbeit. Mit den Arbeiten will sie Räume und Bedingungen herstellen, die außersprachliche Begegnungen zwischen biologischen und nicht-biologischen Netzwerken ermöglichen. Dabei entstehen verschiedene Typen der Intra-Dependenz, der Symbiose und Verflechtung, die in einer ständigen Veränderung begriffen sind. Die sich in der Installation „myconnect“ aufhaltenden Besucher werden zu Ko-Akteuren in einem biotechnologischen Netzwerk, dessen Zustände sie zwar bestimmen, doch zugleich von diesen bestimmt werden.
Aus der Sicht der Philosophin Laura Benítez Valero ist unter „Nonhuman Agency“ die Fertigkeit gemeint, in einem das Menschliche erweiterten Sinn zu handeln und konstitutive Beziehungen herzustellen. Das Verständnis für Relationen und die Betrachtung von Prozessen des Werdens stellt allerdings noch immer eine Herausforderung für die Überwindung der klassischen und modernen Metaphysik dar. Die Phänomene und Ästhetiken einer „Nonhuman Agency“ betreffen allerdings nicht nur lebendige Organismen wie Pflanzen, Mikroorganismen und Tiere.
Die Philosophin Monika Bakke denkt, dass man in diesem Zusammenhang auch in Richtung des „nonlife“ denken müsse, jenseits des lebendigen Organismus. Ihr zufolge ist die Unterscheidung zwischen dem Lebenden und dem Nichtlebenden der Ausdruck einer Konvention. Diese sei zu überwinden, indem man metabolische Prozesse betrachte, die nicht nur im Biologischen, sondern auch im Mineralischen vorkommen. Diese metabolischen Kräfte beschreiben ein materielles und energetisches Kontinuum, „matter and energy flow through organic and nonorganic – the biological and geological.”
Unter dem Begriff der „Nonhuman Agency“ haben sehr unterschiedliche Spezialisten, Künstler, Natur- und Geisteswissenschaftlicher auf ihre je eigene Weise zu einer Erweiterung, einer Dezentralisierung der anthropozentrischen Perspektive beigetragen. Es wird deutlich, dass die individuelle Herangehensweise auch mit der Übersetzung zwischen Fachgebieten, etablierten Techniken und Sprachen konfrontiert ist. Diese Erkenntnis markiert jedoch vielmehr den Beginn einer zukünftig intensivierten Zusammenarbeit.
Anm. d. Red.: Die Fotos stammen von frank pavone (ganz oben), von Appalachian dreamer (an zweiter Stelle) und von m.shattock (die letzten beiden). Sie stehen unter einer CC-Lizenz.
Ein Kommentar zu “Menschen unter sich? Wie Bio-Art-KünstlerInnen die Grenze zwischen Natur und Kultur verschieben”