Verbündete wider Willen: Der Konflikt zwischen Autor und Leser in einem Medien-Watchblog

Die Medien gelten als die vierte Macht im Staate. Doch wer bewacht die Bewacher? Das Netz ermöglicht eine fortwährende kritische Berichterstattung über Medien in Watchblogs und auf anderen Kanälen. Jay Rosen betreibt ein sehr bekanntes Medien-Watchblog und gerät mit seinen LeserInnen ständig in Konflikt. An dieser Stelle erklärt der Blogger und Journalist, warum er in ihnen trotzdem Verbündete sieht und was seine Leitprinzipien beim Bloggen sind.

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„State of the Union with Candy Crowley“ heißt eine der wichtigsten Polit-Talkshows auf CNN. CNN, jener Sender der einst als Flagschiff des US-Journalismus galt. Candy Crowley, die sicherlich dem ein oder anderen Politjournalisten ein Vorbild gewesen ist. Doch damit ist es nicht mehr weit her. Crawley vertritt inzwischen eine ganz bestimmte Meinung und verrät damit ein journalistisches Ideal. Nämlich unparteiisch und objektiv zu berichten. Somit verstößt sie auch gegen den Grundsatz, dass sie als Journalistin zum politischen Willensbildungsprozess der US-Bürger beitragen sollte.

In meinem Blog PressThink, das ich seit zehn Jahren betreibe, veröffentlichte ich vor kurzem ein kritisches Post über Crowleys Sendung. Um ehrlich zu sein, habe ich mich darin tierisch darüber aufgeregt, dass Crowley einen republikanischen Kongressabgeordneten einfach behaupten lässt, Edward Snowden hätte sich gefälligst an die “richtigen Prozeduren” für Whistleblower halten sollen. Das hätte sie als kritische Journalistin niemals so stehen lassen dürfen, sondern nachhaken müssen. Denn was mit Whistleblowern passiert, die sich auf den Whistleblower Protection Act berufen, wurde in den Medien ausreichend reflektiert. Candy Crowley hat einfach einen miserablen Job gemacht.

In den Kommentaren zu dem Post hagelte es Kritik. Was mich dazu veranlasst hat, darüber nachzudenken, warum und wie ich als Medienkritiker blogge. Ich bin auf acht Prinzipien gekommen, die mich anleiten. Ausgangspunkt meiner Überlegungen war die simple Aussage: Candy Crowley wird dafür bezahlt, die US-Bürger beim Prozess der politischen Willensbildung zu unterstützen.

1. Journalisten beim Wort nehmen
Nehmen wir an, dass Candy Crowley, dass auch so sieht: Sie wird dafür bezahlt, dass sie der US-Wählerschaft hilft, sich eine Meinung zu bilden. Da können wir sie (und CNN) beim Wort nehmen. Ein wichtiger Startpunkt für mich als Medienkritiker.

2. Die Leser ernst nehmen
Welcher Anteil des (zusehenden, zuhörenden, lesenden, klickenden) Publikums – der Markt, wenn man so will – stimmt dem Standpunkt zu? Candy Crowley sollte einsehen, dass sie dafür bezahlt wird, die US-amerikanische Wählerschaft zu informieren. Ein recht großer Anteil, denke ich. Das ist auch gut.

3. Die Öffentlichkeit nicht vergessen
Doch unsere Frage tangiert nicht nur den professionellen Journalismus. Auch die breite Öffentlichkeit wird sich denken: Frau Crowley wird dafür bezahlt, zum politischen Willensbildungsprozess der US-Bürger beizutragen. Wenn dieses Prinzip verraten wird, wird sich die Öffentlichkeit wehren. Sie wird ihre Stimme hörbar machen. Hier kann ich als Medienkritiker beispringen und aufzeigen, was auf dem Spiel steht oder auch weiterführende Informationen liefern, die die Diskussion bereichern. Das ist gut.

4. Was Journalisten machen sollen
Mein Blog PressThink dreht sich um die “moderne Presse” und was ihre Daseinsberechtigung heutzutage ausmacht. Wie sieht es in der täglichen Praxis mit dieser Daseinsberechtigung aus? Ich nehme diese Frage sehr ernst und denke, dass alle Journalisten sie ernst nehmen sollten. Was genau für mich diese Daseinsberechtigung ausmacht? Hier ein paar Anhaltspunkte für Journalisten: Informiere die Öffentlichkeit über das, was sie wissen muss. Ziehe die Mächtigen zur Rechenschaft für das, was sie tun und sagen. Kämpfe für Transparenz und praktiziere sie selbst. Kämpfe gegen Geheimhaltung und Verschleierung im öffentlichen Leben. Unterscheide deutlich zwischen dem was trivial und unterhaltsam ist und dem was wichtig und informativ ist. Statte deine Leser mit der Fähigkeit aus, an der Demokratie und der Gemeinschaft teilzuhaben. Berichte wahrheitsgemäß und genau.

Jene Journalisten, die mit ihrem Verhalten genau diese Ideen leben und verfechten, sind es wert, dass wir sie feiern. Jene, bei denen diese Ideen zu kurz kommen, werden kritisiert. So arbeite ich. Was ich nicht tue, ist in einer Geste des vorauseilenden Gehorsams (oder gar des Zynismus) zu sagen, dass es ja “strukturellen Gründen” praktisch unmöglich ist, nach diesen Standards zu arbeiten. Wer so denkt, wird beim Lesen meines Blogs sehr schnell frustriert sein.

5. Sich gegen den total Ausverkauf auflehnen
Es ist wahr, dass die Unternehmen, denen die Medien gehören herz- und seelenlos sind und keine wirklichen Verpflichtungen haben außer ihren Aktionären gegenüber. Meist bemühen sie sich ein “sicheres Umfeld” für Werbung zu kreieren (CNN bzw. Time Warner scheffelt in diesem “sicheren Umfeld” jährlich ca. 600 Mio US-Dollar). Trotz allem: Diese Konzerne verdienen ihr Geld mit Nachrichten und sie arbeiten redaktionell. Deshalb kommen sie eben auch mit einem anderen Ethos in Berührung, nämlich dem des Journalismus. Darauf wird solange herumgetrampelt, bis Leute sich erheben. Ich will einer dieser Menschen sein. Und wie sieht’s mit dir aus?

6. Journalisten helfen, sich autonome Zonen zu schaffen
Die Verpflichtungen eines Medienunternehmens zu diesem Ethos mag nicht mehr als ein Lippenbekenntnis sein. Aber das ist noch nicht das Ende der Geschichte. Journalisten, die von großen Unternehmen eingestellt werden, das eigentlich gar keine Intention hat, den Status Quo aufzumischen, können sich immer noch eine autonome Zone schaffen. Gibt es Grenzen für diese Autonomität? Ja, die gibt es. Aber auch gegen diese Begrenzungen können wir ankämpfen. Rechtschaffene Journalisten, die die Tatsachen auf ihrer Seite haben, können auch das Publikum auf ihre Seite ziehen. Das verkompliziert Dinge – auf eine gute Art und Weise. Ohne Kritiker, die die Journalisten dazu anstacheln, mehr und besser zu arbeiten, wird es immer unwahrscheinlicher, dass sie sich ihre autonome Zone erschaffen.

7. Die zwei Bedeutungen von “erwarten” kennen
Jeder, der mir auf Twitter folgt, weiß, dass die häufigste Antwort, die ich auf dieser Plattform bekomme, eine Variation von “…und das überrascht dich?” ist. Die Mehrdeutigkeit im Wort “erwarten” hilft, dieses Muster zu erklären. “Erwarten” kann eine Vorhersage sein: was wahrscheinlich passieren wird, ist, was wir erwarten. “Erwarten” kann aber auch ein Anspruch sein: Ich erwarte, dass du dein Zimmer putzt! Das eine ist eine Wahrscheinlichkeitsaussage, das andere setzt einen Maßstab, an dem zukünftiges Verhaltenn gemessen werden kann.

Diese zwei Bedeutungen von “erwarten” werden oft durcheinanergebracht von meinen Lesern und Kommentatoren.

Ich sage jetzt nicht voraus, dass Washingtoner Journalisten nun plötzlich anfangen sich zu fragen, ob Regierungsbeamte ein Recht auf Anonymität haben. Dafür habe ich das Verhalten dieser Journalisten viel zu genau studiert. Aber ich möchte darauf beharren, dass sie sich über das Recht auf Anonymität Gedanken machen und sich vielleicht auch ein paar klare Standpunkte zu diesem Thema überlegen. Und in diesem Sinne “erwarte” ich es. Ich erwarte etwas, was ich nicht unbedingt voraussehen kann.

8. Dran bleiben!
Trotz aller Widrigkeiten will ich weiter darauf beharren: Candy Crowley wird dafür bezahlt, US-Bürgern beim politischen Willensbildungsprozess zu helfen. Wenn wir dieses Ideal über Bord werfen, dann geben wir auch jede Hoffnung auf, dass die Journalisten sich irgendwann daran erinnern werden, warum sie sich für diesen Job entschieden haben. Ich kann das nicht. Manche meiner Leser können es, das führt zu Spannungen zwischen uns. Mir ist dieser Konflikt bewusst. Ich denke ständig darüber nach. Letztendlich sind wir Komplizen im Business der Medienkritik.

Anm.d.Red.: Der Beitrag wurde von Magdalena Taube editiert und ins Deutsche übersetzt. Foto: Christian Straub, cc by 2.0.

3 Kommentare zu “Verbündete wider Willen: Der Konflikt zwischen Autor und Leser in einem Medien-Watchblog

  1. Wie erschreckend, wenn man sich vergegenwärtigt, dass Medienunternehmen nicht (mehr) die Absicht im Hinterkopf haben Meinungsbildung zu betreiben. Dass sich Journalisten in ihrem eigentlichen Arbeitsumfeld eine “autonome Zone” aufbauen müssen, um in einem Medienunternehmen guten, transparenten Journalismus zu betreiben.

  2. Ich finde es, glaube ich, schwierig unparteiisch und objektiv zu berichten, weil es ja doch oft so ist, dass Redaktionen immer eine bestimmte politische Richtung vertreten. Dennoch ist es ja eine Maxime des journalistischen Arbeitens sachlich und unvoreingenommen an ein Thema heranzugehen und den Lesern nicht unterbewusst eine bestimmte Meinung aufzudrängen.

  3. endlich mal wieder eine stimme aus den usa, die von ethischen werten im journalismus getragen ist (((aus einem land, wo ausverkauf an der tagsordnung steht, ich war dabei)))

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