Ein Mashup aus Punk-, HipHop- und Rockabilly-Accessoires bewegt sich durch die Straßen Berlins, darunter die Körper junger Menschen, denen anscheinend nichts Neues einfällt. In der Kreuzberger Schützenhalle wird dieser Style bei einer Techno-Schulparty zu ganz großem Reizüberflutungskino veredelt. Als hier die Tanzfläche zu beben beginnt, ist Berliner Gazette-Gastredakteurin Annika Bunse mitten drin.
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An der Kasse sitzen durchgestylte Asiatinnen, die animierend werben: “Hier gibt’s heute richtig gute Party, ihr werdet voll krass feiern und voll Spaß haben, so lange und so viel wie ihr nur wollt.” Sie klimpern mit den Wimpern, als wir das Geld zücken und schalten nach “sold” sofort auf “viral”: “Wir sind die ‘Nachteulen’, ihr müsst uns auf Facebook liken. Hier steht alles.”
Wir bekommen noch Flyer in die Hand gedrückt und “nicht vergessen, liken!” zu hören und schon haben wir OP-Masken auf, fühlen uns latent peinlich, entern aber trotzdem die Halle zur “Klangoperation”.
Unglaublich laute Musik kommt uns entgegen, eintönige Bässe legt da ein halbwüchsiger DJ mit dunklem Lockenkopf auf und schwingt sich mit, während hinter ihm seine Klone gleichartig nicken und vor sich hin zucken. Der hübsche Jüngling bietet wenig klangliche Variation und wird dafür angehimmelt.
In der Hoffnung, dass vielleicht gleich ein begabterer Narziss die Turntables übernimmt, bestellen wir erst mal etwas zu trinken. Nach nur einem Schluck ist klar: Der Caipirinha ist auf einen großflächigen Overkill jeglicher Gehirnzellen ausgelegt. Schon der erste Drink auf der “Klangoperation” verdeutlicht das hedonistische Kalkül einer Generation ohne Eigenmotor. Angeekelt verzieht Alexia ihr Gesicht und urteilt: “Untrinkbar.”
Auf der Bühne formiert sich derweil eine Parade an jungen Basssuchern, die vollkommen synchron zum dumpfen Beat schaukeln – immer die gleiche Auf-und-Ab-Bewegung vollziehend. Sie werden darin befeuert von ihren Gegenübern, die sich unter ihnen dem DJ-Set hingeben, das alle einfach nur hinweg dröhnt. Dabei feiert jeder für sich allein.
Die Erben von Käse-Igel, Schlaghose und Abriss
Wir gehen hinein und tanzen im Ornament der Masse. Zusammengebastelt wie Stil-Frankensteins der vergangenen Modejahrzehnte wackeln sie gleichförmig zu strikt reduzierter Musik. An uns vorbei ziehen Mädchen in 60er-Minis – noch ohne richtige Taille – mit Seventies-Hüten, rotem Rockabilly-Lippenstift und Muster-Leggings aus den 80ern, Jungs in Ringel- und Ramones-T-Shirts mit individueller Skinny-Jeans-Farbe und der obligatorischen “abrasierte-Seiten-mit-Tolle-Frisur” – ganz frei nach dem Prinzip “nicht Punk, aber trotzdem Undercut” – und dem allgegenwärtigen Massenphänomen Hornbrille.
Alle sind anders, alle sind Mode-Trickster, alle sind konform. Kein eigener Stil ist rund um uns zu erkennen, nur die Gleichschaltung des Tanzprozesses, immer wieder dieselben maschinenartigen Kraftwerkbewegungen. Wir machen da mit und wundern uns.
In dieser schier endlosen Revival-Schleife fehlen Hintergründe und Ansichten zu den Accessoires, die aufgetragen werden. Wahlloser Mod-, Hippie- und Punk-Style gemischt mit einer Prise Berliner Hipster – also Hornbrille, Jutebeutel und die obligatorische “Skinny” – wird zusammen mit Goa-Tasche, Punk-Karos, Hip-Hop-Cap und Bling-Bling zu leeren Kokons, sind purer Schmuck und Prunk ohne Botschaft, wirken abstoßend wie ein Bob Marley- oder Che-Guevara-Shirt.
Identität wird hier aus alten Versatzstücken zusammengeklaut, weil kein eigenes Innovationspotential gegeben ist. Das ist dann wohl die Hybris von “Retro”. Ob die Tanzenden das auch selbst wissen? Keiner sieht dem anderen in die Augen, alle blicken ferngesteuert geradeaus. Wie die verzückten Israeliten feiern sie sich selbst und ihren Götzen, einen güldenen Hedonismus, der sich sublimierend über die Frage nach der Identität einer ganzen Generation gelegt hat.
Leer, schwarz und selbstbezogen sind die Augen eines Jahrgangs, der so ganz anders feiert, als seine Vorläufer. Vorher, als es in den Siebzigern das wohlsortierte Abi-Buffet mit Käse-Igel und die kollektive Schlaghose gab, das nachfolgende Jahrzehnt, als punkgeprägte Abi-Abrisspartys noch stilecht mit Dosenbier unter Brücken zelebriert wurden und darauf die Stufenpartys, bei denen jeder mit Kurt Cobain zusammen seine Jugendqualen heraus schrie und dann leider zu Fred Durst tanzte. Alle prosteten sich zu, blickten sich an, pogten da zusammen – das waren Glücksmomente, die sich aus Gemeinsamkeit generierten. Doch diese Abiparty mit dem eigenem Lieder- und Erlebniskanon und der feisten Nebelmaschine ist verloren gegangen. Der geteilte Moment ist zerbrochen.
Kracauer erklärt die monotonen Mädchen
Hier und heute geht es nur um jeden für sich. Das Techno-Prinzip hat vollkommen die Herrschaft übernommen und treibt den Zerfallsprozess nur noch schneller voran. In den Augen der Oberstufenparty 2012 sind in ihrem Jargon “Teller” und in ihren Köpfen stampfen rosa Elefanten fleißig graue Matsche. Überall sind Mydriasen, also stark erweiterte Pupillen, zu sehen. Die Dissoziation des Ichs scheint Standard. Sie treibt den Zerfall einer ehemals kollektiv geteilten Adoleszenz nur noch weiter voran.
Konvulsivisch steigern sich die Abiturienten von heute mit der Musik im höllischen Speed, ganz fürs eigene Pläsier, schnell kommt es zur Peripetie im Elektro-Drama, das ihnen der abgezockt schöne Held der Turntables serviert. Sie schütteln sich einförmig zu: “Eins zwei Polizei, drei vier Grenadier, fünf sechs alte Gags, sieben acht gute Nacht.”
“Das kennen wir doch”, schreit Alexia mir und Philipp zu. Fabio Frittelli, die Stimme von One-Hit-Wonder Mo-Do war in den 90ern auch kurz en vogue, nur haben wir ihn zusammen durchgestanden, wenn er gespielt wurde. Auf der Teenie-Party ein Jahrzehnt später wird Mo-Do dekonstruiert: Der DJ lässt ihn nicht aussingen, sondern bei “Gute Nacht” hängen bleiben.
Immer lauter und schneller schreit Frittelli in einer Endlosschleife das Motto der jungen Egofreunde heraus: “Gute Nacht, Gute Nacht”. Geschützt unter den vielen Hüllen ihrer selbst, fallen die verblendeten Artisten jedoch nie aus dem Ornament. Ihr Anführer, der Adonis auf dem Pult, wirft sich die Locken aus dem Gesicht wie ein wilder Fury und schickt sie weiter in den Rausch in sich selbst hinein.
Ich muss – die monotonen Mädchen vor mir betrachtend, die mit einem schwarz-geschminkten “Gene-Simmons-von-Kiss-Auge” auf der anrollenden Basslawine mitschweben – an einen Essay von Siegfried Kracauer aus dem Jahre 1927 denken. Der Soziologe erklärt darin, wie das so genannte Ornament der Masse entstand: „Mit den Tillergirls hat es begonnen. Diese Produkte der amerikanischen Zerstreuungsfabriken sind keine einzelnen Mädchen mehr, sondern unauflösliche Mädchenkomplexe, deren Bewegungen mathematische Demonstrationen sind. Während sie sich in den Revuen zu Figuren verdichten, ereignen sich Darbietungen von gleicher geometrischer Genauigkeit.”
“Party every day, p-p-p-party every day”
Wenn man auf der Schulparty 2012 umherschaut, ist Kracauers Aufsatz höchst aktuell: Hinter uns, vor uns, um uns hopsen Anwärter auf die Reifeprüfung – natürlich so aussehend, als hätten sie die Kleidersammlung geplündert und sich ein Jahrhundertleben angezogen – zu Minimal-Beats auf und ab, fast durchchoreografiert, wie Roboter. Françoise Cactus von Stereo Total scheint leise im Hintergrund zu singen: “Wir tanzen im Viereck, wir tanzen konzentriert” und alle hören darauf.
Bewegungen, die fast isomorph ablaufen, sind Standard auf dem Parkett des Abi-Jahrgangs 2012. Der kann nicht einmal mehr frei im Tanz sein, ist genormt trotz aufgesetzter Individualität, versteckt sich verschämt hinter Hüllen fremder Identität und ferner Zeitgeister. Und seine Techno-“Tillergirls” schaukeln in diesem Sinne leer und gelangweilt vor sich hin.
Ein bulliger, leider unkontrollierbar jump-stylender Junge mit grüner OP-Maske kommt uns immer wieder bedrohlich nahe. Es wird Zeit vor Hulk zu flüchten, schnell noch auf die Toilette zu gehen und dann nach Hause zu fahren. Meine beiden Freunde warten draußen, ich quetsche mich durch Mädchen, die vorm Spiegel Lipstick herumreichen, in den Flur hinein. Man bekommt hier dankenswerterweise von gleich zwei Smartphones auf einmal die David Guetta-“Fuck me I’m famous”-Radio-Version und zeitgleich etwas Justin-Bieber-artiges zu hören.
Am Eingang zum sanitären Bereich liegt eine eingetretene Tür, dahinter sprudelt ein vollgestopftes Klo, nur zwei der vier Waschbecken laufen über. Das ist also von früher geblieben. Ein Mädchen singt, symptomatisch an Popkultur erkrankt, aus der Klokabine heraus: “Party every day, p-p-p-party every day“, während sich ihre grell überschminkten Mitschülerinnen die Nase pudern. Ich denke: “Heute zerstört die Jugend lieber sich selbst, als die Einrichtungsgegenstände” und erkenne, noch während ich das zuckende Ornament der Masse verlasse, dass das wohl jede Generation über die Nachfolgende sagt.
Anm.d.Red.: Die Bilder sind aus dem Mo-Do-Clip Eins zwei Polizei.
Ich würde ganz doll aufpassen bei Begriffen, wie “Gleichschaltung”. Man könnte fast interpretieren, dass sie dem DJ die Rolle eines totalitären Diktators zuschreiben und das geht, wie ich finde viel zu weit.
Sie finden die Musikrichtung Minimal identitätslos, okay. Das ist ihre persönliche Meinung. Aber das ist sie nicht, im Gegenteil, aber das ist Geschmackssache und eine ganz andere Diskussion.
Vielmehr finde ich es erschreckend, dass sie es abwerten, dass man auch allein für sich feiern kann. Was ist verkehrt daran allein zu tanzen? Muss man immer einen Tanzkreis, wie in der Kinderdisko bilden?
Ich finde die Entwicklung äußerst fortschrittlich, dass Jugendlich sich auch mal auf die Beats und Bässe besinnen können, dabei die Augen schließen und für sich allein tanzen. Das ist doch nichts, was man abwerten sollte. Sie sind an das ganze ja offenbar schon mit einer sowas von negativen Grundeinstellung gegangen, dass nichts anderes als ein vollkommen unausgewogener, einseitiger Artikel entstanden ist, der wie von einer Frau klingt, die sich nach ihren besten Zeiten zurücksehnt. Tut mir leid, aber so klingt es.
kommentare, die fast so lang sind wie der kommmentierte text, lese ich pre se nicht zu ende. nur soviel: nicht gleich in panik geraten, wenn jemand gleichschaltung sagt. nicht jeder ist so neurotisch und wittert gleich einen hitler hinter jedem dj-buben.
Wenn die Meinung anderer für dich so uninteressant ist, zwingt dich ja niemand, sie zu lesen.
Wenn du per se die Meinung anderer ablehnst, die etwas zu sagen haben, finde ich das allerdings fragwürdig.
Es gibt einfach Wörter, die negativ behaftet sind und mit Vorsicht zu genießen sind. Das ist nun mal nicht dran zu rütteln. Punkt.
Liebe Alexa,
ich habe gerade so ziemlich die beste Zeit meines Lebens, da musst du dir keine Sorgen machen :) Ihr hattet nur das Pech, dass ich auf eurer Party gelandet bin.
Ich beschreibe einen Kulturprozess und bewerte seinen Gipfel anhand der Abi-Party, die ich mit meinen Freunden eine Weile besuchte, mehr mache ich nicht. Wie die aussah – das habt ihr selbst bestimmt. Ich kann nichts für das Mash-Up und den Minmal – nur vergleichen, und zwar mit dem, was ich da so kenne.
Und das mit der Gleichschaltung bezieht sich doch bitte auf die Bewegungen und meint damit den Ursprung des Wortes aus der Elektrotechnik und nicht den NS-Kontext, an den ich keine Sekunde beim Schreiben gedacht habe.
Also, kein Grund beleidigend zu werden ;) So ne alte Fregatte bin ich noch nicht – ich schreibe nur gerne, was ist.
Und wie kommt’s dazu, dass du mich mit der Party in Verbindung bringst, wenn ich fragen darf?
Ich bin 25 und habe studiert.
Ich verteidige keine “kleinen naiven Teenies”, nur eine Subkultur, die immer wieder durch den Schlamm gezogen wird.
Und es gibt Wörter, die haben nun einmal eine bestimmte Behaftung. Da ist egal, in welchem Kontext sie gemeint sind. Was meinst du, wozu es die Sparte Sprachkritik in der Linguistik gibt?
Glaube sie bezieht dich in die Subkultur und Generation mit ein, du bist nicht so direkt als Partygast gemeint. Und das mit der Gleichschaltung ist jetzt doch wirklich nicht mehr diskussionswürdig – ich sag nur: “Gute Nacht, Gute Nacht” Da kann man sich eher mal drüber unterhalten…
Hier schreibt jemand über einen Gegenstand, mit großer Entfernung mittendrin, mit Maßstäben, die nicht gemacht worden sind von den Leuten, die da beschrieben worden sind…
fasctinating! deep… party! nachdenken. fühlen… leben
Sehr schön! Schön bissig und… guter Schlusssatz.
Platt aus gedrückt: deswegen wollte / will ich nicht nach Berlin zurück ziehen. Bamberg/Kleinstädte sind zwar provinziell, aber oft auch authentischer.
@#9: Danke Lars, das freut mich. Aber ein noch: Berlin ist eine tolle Stadt. Darum wohn ich auch hier. Bamberg aber auch ;)
Naja, Berlin ist auch nicht immer so schlimm, nur wenn man sich versehentlich auf Schulparties verirrt, auf denen nur Leute im Alter 15-19 abhängen. Und die sind in Bamberg bestimmt auch kein Vergnügen. Da gibt sich die Dorfjugend bestimmt sehr “authentisch” die Kante. Ob das jetzt besser is…
Hm,… vielleicht ist das Problem 15-19 Jahre, weil… das war das Alter als ich aus Berlin und Berliner Raum weg wollte. Nee,… ganz ernsthaft. Ich bin ja auch immer wieder mal gerne in Berlin. Ich konnte nur nie den “Berlin-Hype” und den “Berlin-Style” nachvollziehen.
…und Berlin hat sich in den letzten 10 Jahren sicherlich auch sehr verändert (wenn ich so drüber nachdenke fehlen mir schon seit 10 Jahren die guten kleinen Hardcore/Metalcore-Konzerte in Berlin – so was gibt’s hier definitiv nicht).
der artikl regt speziell mich als feierwütigen zum nachdenken an. über die feierkulturen die davor kamen, hab ich noch nie so nachgedacht. es stimmt. wir tanzen für uns, jeder nur für sich – aber nicht zusammen, das hat auch einen sinn. man will eben nicht mehr mit “anderen” teilen. fertig.
Liebe Annika,
wie treffend Sie schreibend fasziniert mich! Diesen Artikel habe ich mehrmals verschlungen und immer wieder lachen müssen, da sie es genau auf den Punkt bringen. Danke dafür und herzliche Grüße nach Berlin!
das verstehe ich jetzt einfach nicht. wir tanzen doch immer zusammen, im normalfall: also wenn da mehr als einer auf der tanzfläche zur selben musik sich bewegt.