Nach schwerer Krankheit verstarb gestern Martin Büsser im Alter von 42 Jahren. Er hat vor über zehn Jahren den Ventil Verlag ebenso mitgegründet wie er die Zeitschrift “testcard” seit 15 Jahren als Herausgeber und Redakteur geprägt hat. Jenseits des Verlags hat er sich nicht nur als Kunst-, Literatur-, Film- und Musikkritiker einen Namen gemacht, sondern war auch als Zeichner und Musiker eine herausragende Gestalt im Kulturbetrieb. An dieser Stelle ein Nachruf, der kein Nachruf sein will.
Ich bin bei weitem kein Dan Woolf, der am Fließband Nachrufe verfasst. Ich kann von mir auch nicht behaupten, ein besonders engagierter Nachruf-Leser zu sein. Wenn mir jemand wichtig war, dann muss ich die Bedeutung nicht post mortem in einem lobenden Text über dessen Leben und Werk im Trauer-Modus nachfühlen.
Es gibt meistens schon genug Bedeutungsproduktion um die Person herum, genug Texte, genug Distanz und Klarheit. Eine Ausnahme sind Menschen, die umstritten, weitgehend unreflektiert oder kategorisch unterbelichtet bleiben. So oder so: Sie sterben in jeglicher dieser (und sicherlich auch anderer) Hinsichten “zu früh”. Und man kommt nicht umhin, sich mit ihnen zu beschäftigen. Bei Martin Büsser ist das definitiv der Fall.
Gestern Abend im elektronischen Postfach
Ich schreibe diese Zeilen, weil mich die Verlautbarung seines Todes, die mich gestern Abend gegen 22 Uhr via Mail erreichte, ernsthaft überraschte und umgehend nachdenklich stimmte. Und ich schreibe, weil ich diese Gedanken teilen möchte, Gedanken, die sich um Martin, aber auch um meine Beziehung zu ihm drehen und dann wiederum ganz eigenwillig um die Möglichkeit und Unmöglichkeit, sich öffentlich über all dies zu äußern.
Meine Gedanken haben eben nicht wenig mit all den Dingen rund um Beziehungen im Kulturbetrieb an sich zu tun. Man kennt sich. Man ist befreundet. Man arbeitet zusammen. All das. Irgendwie. Keine besondere Intensität, keine besondere Nähe ist erforderlich, um das Miteinander auf eine halbwegs haltbare Basis zu stellen. All das ist selbstverständlich. Und doch ist es das auch nicht.
Daran wurde ich erst gestern, kurz bevor ich besagte Mail las, erinnert. Ich saß im Zeughauskino und lauschte den einleitenden Worten zur Filmvorführung. In einer Fußnote sprach eine Kuratorin der Suffragetten-Filmreihe davon, wie es in der Berliner Kulturszene üblich geworden sei, einem Mitstreiter, Kollegen oder potenziellen Kollaborator bei Meetings nicht mehr als zehn Minuten Zeit einzuräumen: “Nur noch diese Abhack-Gespräche!” Als ich Martin Büsser kennenlernte, hatten wir mehr als zehn Minuten Zeit.
Zehn Minuten mit Martin
Wir hatten ein Wochenende – im Rahmen der Konferenz Flashback, Remix, Déjà-Vu?, die 2002 in Graz stattfand. Und doch: die Gespräche, die wir in diesem Rahmen führten, waren selten länger als zehn Minuten. Man kennt das, gerade von Konferenzen und Tagungen: Social Zapping. Die zehn Minuten, an die ich mich am besten erinnern kann, spielten sich schon nach der Konferenz ab. Wir waren auf dem Rückweg, hatten im selben Flieger gesessen und waren gerade dabei aus- bzw. umzusteigen.
Diese zehn Minuten, vielleicht waren es auch 20, standen im Zeichen von Offenheit, Humor und Neugier. Wir tauschten uns aus, machten Witze. Martin kommentierte meinen just in der Frankfurter Rundschau erschienen Feuilleton-Leitartikel “Willkommen in der Mondo Bono!”, in dem ich über Bono Vox als UNO-Botschafter und Aufklärer in Sachen Weltfrieden reflektiere; ich hingegen interessierte mich für seine laufende Buchproduktion: “Wie machst Du das alles eigentlich?”
Das lockere, ungezwungene, durch und durch kollegiale Gespräch, das Gespräch, das im Grunde gänzlich zufällig entstanden war – wir saßen ja nicht planmäßig im selben Flieger – hatte etwas von der Vertrautheit zweier Menschen, die sich schon lange kennen. Und ich weiß noch, wie konzentriert ich Martin zuhörte, als er mir vom Bücherschreiben erzählte, weil es zu dem Zeitpunkt mein sehnlichster Wunsch war, endlich selbst auch mal als Buchautor zu debütieren.
Wir haben uns auf diese Weise nie wieder unterhalten. Blieben aber im Kontakt. Lose. Unverbindlich. Wie das halt so ist. Als das Manuskript zu meinem ersten Buch stand, rief ich ihn als ersten an, um Schritte der Veröffentlichung zu erwägen. Als im letzten Jahr seine Graphic Novel im Verbrecher Verlag erschien, nahm ich davon interessiert Kenntnis – er schrieb ja sonst nur Sachbücher, und das, wie mir schien, quasi am Fließband.
Nicht alles ist gesagt, niemals
Wenn beispielsweise in der intro sein Name unter einem der Artikel stand, musste ich wenigstens wissen, worüber er da schrieb, meistens habe ich das dann auch gelesen – ob er nun über eine Kubrik-Ausstellung oder ein Helmet-Album schrieb. Und dann natürlich der von ihm gegründete Ventil Verlag, in dessen Programm mich vor allem das Quarterly testcard immer wieder aufhorchen ließ.
Diese Zeitschrift an der Schnittstelle von Pop und Theorie ist vielleicht so etwas wie das deutschsprachige Pendant zu Baffler, aber eben kein Epigone, sondern ein Original – in derselben Ära des Umbruchs innerhalb der Poplandschaft gegründet. Die erste testcard-Ausgabe, die ich jemals in den Händen hielt, hatte ich bei A-Musik in Köln erstanden, irgendwann um 1994 herum.
Ein Nachruf wie dieser muss unvollständig bleiben. Und muss versuchen, diese kategorische Unvollständigkeit offen zur Schau zu stellen. Nicht zuletzt um den Eindruck nicht entstehen zu lassen, es sei alles Wesentliche gesagt worden. Ich muss denken: Es ist der zweite Nachruf, den ich in der Berliner Gazette veröffentliche. Der erste erschien vor neun Jahren anlässlich des Todes von Erich Maas. Er war wie Martin ein Verleger, starb ebenfalls überraschend früh und war mir auch ein freundschaftlich und nachbarschaftlich verbundener Zeitgenosse.
Im weitesten Sinne können folgende Zeilen, die ich aus der gestrigen Mail zitiere für beide gelten: “Martin ist den Verlockungen des Mainstreams nie erlegen, auch seine eigene Szene hat er nie mit falscher Zurückhaltung kritisiert. Ohne seine Artikel, Bücher und CDs wäre die deutsche Linke heute um einiges ignoranter.”
Danke für den Text. Im Netz dreht sich die Welt so schnell weiter: Auf Wikipedia steht der Eintrag zu Martin Büsser schon im Präteritum.
Auch ich danke für den persönlichen Text.
Vielen Dank.
Hallo, auch von mir Danke für den Text. Eine Frage: Warum ist dir das mit der Unvollständigkeit denn so wichtig?
Nachruf ist doch meistens = einem Eintrag ins Lexikon. Person vollständig erfasst und abgehakt. das ist nicht nur hässlich, sondern auch falsch
Traurig – aber sehr schöne Zeilen.
Hallo, ich wusste vor diesem Text noch nichts von Martin Büsser und finde, was ich lese, sehr interessant. Den Ansatz des Autors, die Unvollständigkeit herauszustreichen, finde ich löblich. Einen Menschen kann man nicht in einem Text erfassen, auch nicht auf Wikipedia.