Am Rande des Wassers: Maritime Kämpfe, logistische Urbanisierung und die Schlacht um den Hafen von Piräus

Verfremdeter Hafen von Piräus; im Vordergrund, begleitet von medizinischem Personal, ein verletzter Hafenarbeiter, der sich den Protesten der Gewerkschaft der Hafenarbeiter*innen von Piräus (ENEDEP) angeschlossen hat, nachdem es wiederholt zu Sicherheitsproblemen und Beschwerden über unmenschliche Arbeitsbedingungen und Gesundheitsprobleme aufgrund von Arbeitsverdichtung und unzureichenden Hygiene- und Sicherheitsmaßnahmen gekommen war. Artwork: Colnate Group, 2024 (cc by nc)
Artwork: Colnate Group, 2024 (cc by nc)

In der Geschichte der kolonial-kapitalistischen Urbanisierung spielen Häfen eine Schlüsselrolle als eine Form der Territorialität, die die Entwicklung des städtischen Raums mit der Kommodifizierung des maritimen Raums, die Schaffung prekärer Arbeitsverhältnisse mit der Aneignung von Küstenökosystemen und die Konfiguration globaler Handelsrouten mit der Entwicklung internationaler geoökonomischer Beziehungen verbindet. In ihrem Beitrag zur Reihe „Kin City“ untersucht Aretousa Bloom den Hafen von Piräus und stellt die Frage: Wie organisiert die Logistik den urbanen und maritimen Raum neu? Und was sagt uns das über die Verbindungen zwischen sozialen und ökologischen Kämpfen?

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„Was können wir sehen, wenn wir am Wasser stehen?“ Diese Frage stellt Hannah Freed-Thall in ihrer Analyse der Bedeutung von Häfen und Stränden in der Sozialgeschichte des zwanzigsten Jahrhunderts. Das ist auch die Frage, die mich anzieht, wenn ich zu verstehen versuche, wie der Kapitalismus die Küstengeographie von Häfen neu ordnet, in diesem Fall den Hafen von Piräus bei Athen, Griechenland.

Häfen spielen in der Geschichte des Kapitalismus eine einzigartige Rolle. Wenn das Meer für die Entwicklung des Kapitalismus grundlegend ist, wie Campling und Colás argumentieren, dann ist das, was diese Beziehung definiert, der Versuch des Kapitals, die Binarität zwischen Land und Meer in einem unaufhörlichen Streben nach Profit zu überwinden. Dieser Prozess wiederum führt zu verschiedenen Formen „terrestrischer Territorialität“, d.h. zu verschiedenen Formen der Einhegung, Kommodifizierung und Finanzialisierung von Küsten und Meeren (Campling und Colás, 2021).

Kontrollphantasien

Häfen sind also Orte der verstärkten Kohlenstoffverbrennung, der Ausbeutung und der sozio-ökologischen Degradation. Sie sind, wie Deborah Cowen sagt, „chaotische“ Räume, in denen oft disparate Aktivitäten sichtbar werden. Wir können uns den Hafen und insbesondere den Logistikhafen als ein einzigartiges Terrain vorstellen, in dem marine und terrestrische Ökosysteme, imperiale und militärische Routen, Lagerhäuser und Container, kybernetische Automatisierungs- und Optimierungstechniken sowie eine Vielzahl von Menschen und Organisationen – von Hafenarbeiter*innen und Hafenbewohner*innen bis hin zu Logistikunternehmen und Hafenbehörden – zusammenkommen.

Logistik ist mehr als nur die Koordination von Waren und Rohstoffen über Lieferketten hinweg, wie Charmaine Chua (2022) prägnant darlegt. Vielmehr handelt es sich um ein kapitalistisches Organisationssystem, das auf der „Logik der Distributionseffizienz“ und ihrer infrastrukturellen, territorialen und finanziellen Ausdehnung auf verschiedene Bereiche des täglichen Lebens beruht. Doch trotz dieser „Kontrollphantasien“, so Chua, ist die logistische Expansion nie ein reibungsloser Prozess. Logistik ist im Kern ein fragiles und verletzliches System, das regelmäßig mit Widersprüchen, Spannungen und Antagonismen konfrontiert ist.

Wie also ordnet die Logistik im Fall von Piräus den urbanen und maritimen Raum neu? Und was sagt uns das über die Verbindungen zwischen sozialen und ökologischen Kämpfen? In diesem kurzen Essay skizziere ich die Konturen des Hafenumbaus anhand von wissenschaftlichen Studien, Medienberichten und Gewerkschaftsberichten.

Entwicklung des Hafens Piräus

Der Hafen von Piräus liegt strategisch günstig an wichtigen Schifffahrtsrouten wie dem Schwarzen Meer und dem Suezkanal und ist einer der größten und am schnellsten wachsenden Häfen im Mittelmeerraum. In den letzten 15 Jahren hat die logistikgetriebene Urbanisierung von Piräus (Danyluk, 2021) den Hafen zu einem zentralen Knotenpunkt für die Anhäufung von globalem Schiffs- und Immobilienkapital gemacht. Ein großer Teil dieses Wandels ist auf den wachsenden Einfluss der China Ocean Shipping Company (COSCO) auf das Management und den Besitz des Hafens zurückzuführen. Im Jahr 2009 unterzeichnete das staatliche chinesische Schifffahrtskonglomerat einen Konzessionsvertrag mit einer Laufzeit von 35 Jahren, um das Frachtterminal des Hafens zu kontrollieren und auszubauen. Vor dem Hintergrund der griechischen Staatsschuldenkrise erwarb COSCO im Rahmen eines vom Hellenic Republic Asset Development Fund – einem Fonds, der gegründet wurde, um öffentliches Vermögen zu liquidieren und die Forderungen der griechischen Gläubiger (Europäische Kommission, Europäische Zentralbank und Internationaler Währungsfonds) zu erfüllen – vermittelten Deals einen Anteil von 51% am Hafen von der griechischen Regierung und erhöhte diesen Anteil bis 2021 auf 67% unter der Bedingung, dass das Unternehmen eine Reihe von Infrastrukturinvestitionen im Hafen tätigt. Die Übernahme des Hafens von Piräus durch COSCO ist eine Schlüsselkomponente der chinesischen Belt and Road-Initiative, einem gigantischen staatlichen Infrastrukturinvestitionsprojekt zur Ausweitung des Welthandels in Asien, Europa, Afrika und Südamerika.

Im Zentrum des COSCO-Masterplans für die Umwandlung von Piräus in eine ‚maritime Stadt‘ steht die Vision eines modernisierten Hafens mit einem erweiterten Kreuzfahrtanleger, einem neuen Logistikzentrum, einer wiederbelebten Schiffsreparaturwerft sowie der Entwicklung von Hotels und Immobilien entlang der Küste. Die Küstenerweiterung der COSCO durch Landgewinnung und Ausbaggern des Hafenbodens stößt auf den Widerstand von Anwohner*innen, Arbeiter*innenbewegungen und Umweltgruppen.

Anthi Giannoulou, eine Anwältin aus Piräus, die Anwohner*innen und Arbeiter*innenorganisationen im Kampf gegen den Ausbau des Kreuzfahrtanlegers vertrat, beschreibt in einem Interview mit Konstantinos Tsimonis, wie die Koalition aus Neuer Demokratie und PASOK der Hafenbehörde Piräus (PPA) 2013 die Genehmigung zum Bau eines neuen Anlegers erteilte, für den Material aus nahe gelegenen Steinbrüchen verwendet wurde. Fünf Jahre später, unter der SYRIZA-Regierung, revidierte das Umweltministerium seine Position. Giannoulou erklärt, wie die Regierung Baggerarbeiten, d.h. die Entfernung von Sedimenten vom Meeresboden, in Bereichen genehmigte, in denen COSCO eine Vertiefung des Hafens plante, um größere Frachtschiffe aufnehmen zu können. COSCO, die das öffentliche Projekt übernommen hatte, nachdem es von der Europäischen Investitionsbank finanziert und praktisch risikofrei gestellt worden war, versuchte dann, die Arbeiten ohne eine aktualisierte Umweltverträglichkeitsprüfung fortzusetzen, was einen Verstoß gegen EU-Recht darstellt. Trotz einer gerichtlichen Anordnung, das Projekt im Jahr 2021 zu stoppen, setzte COSCO Augenzeugenberichten zufolge die Ausbaggerung des Meeresbodens fort (Boutsi, 2021) und entsorgte den Aushub – Schlamm, Schlick und Sand, der mit giftigen Schwermetallen wie Arsen und Cadmium belastet ist – im Saronischen Golf, einem stark von der Fischerei genutzten Gebiet.

Die Umweltgesetzgebung wird zurückgedrängt

Seitdem kämpfen Arbeiter*innen- und Aktivist*innengruppen weiter, um den Abtransport und die Entsorgung des kontaminierten Materials im Meer zu verhindern. Im Jahr 2022 errang Giannoulous Koalition, der auch das Piraeus Labor Center und lokale Bürger angehören, einen wichtigen Sieg, als der Staatsrat, Griechenlands höchstes Verwaltungsgericht, entschied, dass die frühere Erweiterung der COSCO-Pier aufgrund einer fehlenden Umweltverträglichkeitsprüfung illegal war. Dennoch gab das Umweltministerium 2023 grünes Licht für die Fortsetzung der Baggerarbeiten. Am 20. Mai 2024, nur drei Tage nach einer weiteren einstweiligen Verfügung gegen die Bürgerkoalition, hob der Staatsrat die Entscheidung auf, den Ausbau des Kreuzfahrtterminals von COSCO und der Piräus Port Authority (PPA) auszusetzen. Der Staatsrat entschied auf der Grundlage von Dokumenten des Umweltministeriums, dass die Ausbaggerung notwendig sei, um die Gefahr von Schiffskollisionen zu vermeiden (Efsyn, 2024). Der Staat spielte also eine wichtige Rolle bei der Erleichterung der Aneignung und Nutzung der Küstenökologie von Piräus durch COSCO. Es muss betont werden, dass die logistische Transformation von Piräus nur durch die parallele Ausdehnung eines Rechtsraumes möglich gemacht wird, in dem Regeln und Schutzmaßnahmen aufgehoben oder verzerrt werden.

Während der griechische Staat aktiv daran beteiligt war, die Bedingungen zu schaffen, die es COSCO ermöglichten, Umweltschutzgesetze zu umgehen, spielten die griechischen Reeder, die vom Wachstum des Hafens profitierten (Tsimomis, 2023), eine nicht minder wichtige Rolle bei der Vermittlung der logistischen Transformation von Piräus. Die USA spielten eine entscheidende Rolle bei der Finanzierung und Verankerung der strategischen Rolle der griechischen Schifffahrt in der politischen Ökonomie der Energie in der Nachkriegszeit, indem sie den Betrieb der griechischen Öltanker mit den amerikanischen imperialen Interessen in Einklang brachten (Kosmatopoulos, 2023; Serafetinidis et al. 1981). In den letzten Jahren hat sich diese Beziehung jedoch verändert, da griechische Reeder enge Beziehungen zu chinesischen Banken aufgebaut haben, die den Bau griechischer Schiffe in Werften in Shanghai und Jiangsu finanzieren. Griechische Reeder vermieten auch eine beträchtliche Anzahl ihrer Schiffe an chinesische Unternehmen und transportieren Treibstoff und andere Rohstoffe nach China (Van de Putten et al., 2016; Bloom, 2021). Forschungsergebnisse deuten darauf hin, dass diese gegenseitige Abhängigkeit das ursprüngliche COSCO-Geschäft in Piräus lange vor der griechischen Staatsschuldenkrise erleichtert haben könnte (Bloom, 2021).

Die andere Arbeitswelt im Hafen

In ihrem Versuch, Mehrwert zu schaffen und „die Unregelmäßigkeiten kapitalistischer Operationen zu glätten“ (Chua, 2022), ordnet die Logistik soziale und räumliche Beziehungen neu, indem sie die „Verhandlungsmacht“ der Hafen- und Transportarbeiter*innen bricht, wie Alberto Toscano argumentiert. Wir sehen dies beim Versuch von COSCO, den Hafen von Piräus in einen globalen Umschlagplatz zu verwandeln (Nielson, 2018), indem die Arbeitskraft durch ein komplexes System von Unterverträgen und gewerkschaftlicher Manipulation fragmentiert wird.

Am Pier I haben die Beschäftigten der Piraeus Port Authority (PPA) eher unbefristete Arbeitsverträge, erhalten garantierte Überstundenzuschläge und verfügen über eine größere Organisationsmacht in einem ihnen vertrauten Bereich. Im Gegensatz dazu sind die COSCO-Beschäftigten an den Piers II und III – von Hatzopoulos und Kolleg*innen als „die andere Arbeitswelt des Hafens von Piräus“ bezeichnet – wesentlich unsicherer. Die Beschäftigten auf dieser Seite des Hafens, von denen viele Mitglieder der neu gegründeten kommunistischen Gewerkschaft der Containerumschlagarbeiter*innen (ENEDEP) waren, wurden gezwungen, einer anderen Gewerkschaft beizutreten, als sie ohne ihr Wissen bei SYNEDEP angemeldet wurden, einer Gewerkschaft, die 2018 von den Subunternehmern von COSCO gegründet wurde. Es gibt auch Hinweise darauf, dass SYNEDEP Verbindungen zur Neo-Nazi Organisation Goldene Morgenröte hat, die eine Rolle bei der Desorganisation von Arbeiter*innenkämpfen in Teilen der Hauptstadt gespielt hat (Jackson, Li, & Masino, 2024).

Die Schaffung eines flexiblen Regimes wurde, wie Brett Nielson (2018) argumentiert, auch durch die griechische Austeritätspolitik verschärft, und zwar durch eine „Überregulierung des Arbeitsantagonismus“, da Arbeitsgesetze zur Abschaffung von Tarifverträgen als Teil eines größeren Reformpakets verabschiedet wurden, das von Griechenlands Gläubigern gefordert wurde. Darüber hinaus verabschiedete SYRIZA 2017 ein Gesetz, das den Hafenarbeiter*innen Sicherheit und Arbeitnehmerrechte entzog und es COSCO ermöglichte, individuelle Verträge abzuschließen und Sicherheitsvorschriften zu umgehen, was die Umwandlung von Piräus in eine Art Sonderwirtschaftszone erleichterte (Rizospastis, 2018).

Diese Zersplitterung und Fragmentierung der Arbeiter*innen in Verbindung mit dem Profitstreben des Logistikkapitals, das in Piräus Rekordgewinne erzielt (Kathimerini, 2024), hat zu einem Anstieg der Todes- und Unfallzahlen geführt. Im Jahr 2021 starb Dimitris Daglis nach einer Doppelschicht, als er von einem Portalkran getroffen wurde. Die ENEDEP-Mitglieder setzten sich daraufhin für sicherere Arbeitsbedingungen und die Abschaffung von Doppelschichten und unvorhersehbaren Arbeitszeiten ein, die die Lieferketten zu unterbrechen drohten. Schließlich wurde zwischen der COSCO-Tochter (Piraeus Container Terminal) und der Gewerkschaft ein Tarifvertrag für alle Beschäftigten in den von COSCO kontrollierten Häfen unterzeichnet (PAME HELLAS, 2022). Dennoch besteht für die Hafenarbeiter*innen nach wie vor die Gefahr von Körperverletzung oder Tod, wie Berichte über umstürzende Container in den COSCO-Docks zeigen (Efsyn 2022; Maritime Executive 2024). Wir dürfen diese Vorfälle und die damit verbundenen Grenzen der logistischen Optimierungstechnologien nicht als Ausnahmen betrachten, sondern als zentralen Bestandteil der Funktionsweise des logistischen Kapitals und seines Zwanges zur Geschwindigkeit.

Konvergenz von Arbeiter*innen- und Umweltkämpfen

Die Kämpfe der Arbeiter*innen und der Umweltschützer*innen in Piräus sind eng miteinander verbunden. Man kann nicht über die Gewalt des Ausbaggerns und die Zerstörung der maritimen Ökosysteme nachdenken, oder über die weit verbreitete Umweltverschmutzung durch Tanker, Ölkreuzfahrtschiffe, Benzintanks und Autos in einer dicht besiedelten Stadt wie Piräus, ohne die besondere Art und Weise zu berücksichtigen, in der der Logistikkapitalismus daran arbeitet, die Verhandlungsmacht und das Leben der Hafenarbeiter*innen und Anwohner*innen zu brechen.

Der Hafen, so erinnert uns Juan De Lara (2018) am Beispiel von Los Angeles, „tötet buchstäblich Menschen“. Der Logistikhafen als Paradebeispiel für unser „terrestrisches Dilemma“ führt zu einer Form von Territorialität, die die Kommodifizierung des maritimen Raums mit prekären Arbeitsverhältnissen, Austeritätspolitik und der Neukonfiguration globaler Handelsrouten und chinesisch-griechischer Schifffahrtsbeziehungen verbindet. Diese sich abzeichnende Konstellation stößt auf Widerstände, die von sozial-ökologischen Mobilisierungen, wie sie in diesem Artikel beschrieben werden, bis hin zu ‚kontra-logistischen‘ Widerständen und Internationalismus reichen.

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