Brennende Häuser, ziegelsteinwerfende Jugendliche, brutal vorgehende Polzeikräfte: Hatten wir das nicht alles schon mal? Die jüngsten riots rufen Erinnerungen wach – an eine lange Geschichte von Aufständen in Großbritannien. Der Kulturkritiker und Berliner Gazette-Autor Dietrich Heißenbüttel erzählt diese Geschichte anhand von Popsongs nach.
Wem käme bei den aktuellen riots nicht „London’s burning“ in den Sinn, einer der bekanntesten Titel der Punk-Band The Clash, veröffentlicht 1977 auf ihrem ersten Album? „London’s burning with boredom now“, heißt es da allerdings nur. Andererseits: War nicht „White Riot“ die erste Single?
„Schwarze Menschen haben viele Probleme / aber es macht ihnen nichts aus, Ziegelsteine zu werfen / Weiße gehen zur Schule / wo man ihnen beibringt, dumm zu sein“, sehnt Joe Strummer den Aufstand herbei. Worauf bezieht sich die Textzeile? Die LP wurde am 4.8.1977 veröffentlicht, neun Tage bevor in der Battle of Lewisham, in der erstmals in England Polizisten mit Helmen und Schilden auftraten, um einen Aufmarsch der rechtsradikalen National Front zu schützen, tatsächlich Ziegelsteine flogen.
Die wahrsagerischen Fähigkeiten von “The Clash”
„Nun, da der Krieg erklärt ist und die Schlacht begonnen hat“, geht es zwei Jahre später in „London Calling“ weiter. Der Text liest sich eher wie eine Kampfansage an die Generation der 1960er-Jahre: „All that phoney beatlemania has bitten the dust …“. Dennoch: Ist der Name „The Clash“ (Widerstreit, Zusammenprall) nicht selbst Programm? Beschreiben nicht viele Songs der kurzen frühen Punk-Ära genau jene Misere, die nun dreißig Jahre später wieder ans Tageslicht kommt?
Etwa das sprichwörtliche no future der Sex-Pistols-Hymne „God Save the Queen“. Oder der nach der Nachrichtenagentur benannte Song „Reuters“, der das erste Album von Wire eröffnet: „Unser Korrespondent bedauert, von einer unsicheren Zeit zu berichten, in der nicht alles gut geht. An den Grenzen gibt es Bewegungen, in den Hügeln Unruhen, die Lebensmittel sind knapp, die Zahl der Verbrechen hat sich verdoppelt“.
Näher an den tatsächlichen Ereignissen scheint der Clash-Bassist Paul Simonon zu liegen, der, ebenfalls Ende 1979 auf „London Calling“ veröffentlicht, „Guns of Brixton“ schrieb – mehr als ein Jahr, bevor im Süd-Londoner Stadtteil tatsächlich „Unruhen“ ausbrachen. Immerhin: Simonon war selbst in Brixton aufgewachsen. Der Text orientiert sich allerdings eher am populären jamaikanischen Mythos des Rude Boy, wie er durch Jimmy Cliffs Film The Harder They Come weite Verbreitung gefunden hatte: „Wenn sie an deine Tür klopfen, wie wirst du herauskommen: mit den Händen über dem Kopf oder mit dem Finger am Abzug?“
Die Erfahrung der Jamaikaner in England bildet einen wesentlichen Subtext der Riots, die im April 1981 in Brixton und danach an vielen Orten in England ausbrachen, aber auch für viele Punk-Titel wie „Jah War“ oder „S.U.S.“ von The Ruts: letzterer anspielend auf ein unter Schwarzen besonders verhasstes Gesetz, das es Polizisten erlaubte, „verdächtige“ (suspected) Personen willkürlich zu kontrollieren und festzuhalten.
Schon 1833 waren riots an der Tagesordnung
Keiner hat die Aufstände und die Lebensverhältnisse der dunkelhäutigen Bevölkerung Londons besungen wie Linton Kwesi Johnson: „Di Great Insohreckshan feiert und erinnert ein bedeutendes Ereignis in der Geschichte der Schwarzen in Großbritannien, die Brixton Riots vom April 1981, als junge Schwarze, unterstützt von Weißen, sich in gewaltsamen Protesten der britischen Polizei entgegenwarfen“, heißt es auf dem Plattencover. „It is no mystery, we’re making history. It is no mystery, we’re winning victories“, lautet der Refrain des Titelsongs der 1984 erschienenen LP.
„Im Anschluss an die Konfrontation zwischen der Masse junger Asiaten gegen die Faschisten der National Front in Southall 1979, die Bristol Riots 1980 und die Brixton Riots im Jahr darauf zeigten sich britische Politiker fassungslos angesichts des Ansturms eines Teils ihrer Bevölkerung“, kommentiert dazu das Plattencover. Maggie Thatcher, 1979 ins Amt gekommen, trat damals den riots mit äußerster Härte entgegen. Das änderte sich erst, als 1985 beim Broadwater Farm Riot im Stadtteil Tottenham erstmals seit 1833 ein Polizist ums Leben kam.
Um 1833 waren Riots an der Tagesordnung, Großbritannien von einer Revolution nicht weit entfernt. Die 1829 ins Leben gerufenen Polizeikräfte, nach ihrem Erfinder Robert Peel „Bobbies“ genannt und beheimatet im Scotland Yard, waren als ebenso undiszipliniert wie rücksichtslos bekannt. Über die Great Transformation des Landes zu einer Industriegesellschaft mit Lumpenproletariat, die für Europa vorbildlich wurde und Karl Marx‘ Kritik herausforderte, hat Karl Polanyi geschrieben.
In Tottenham wurde nach 1985 einiges investiert. Kaum ein anderes europäisches Land hat seither so viel für die kulturelle Teilhabe von Migranten und ärmere Mitbürger getan wie England. Dies hat David Cameron nun alles kassiert. Ist es ein Wunder, dass sich erneut die Wut entlädt?
Anm. d. Red.: Weitere Beiträge in der Berliner Gazette zu den jüngsten Unruhen in Großbritannien: Ein Erlebnisbericht, ein Streifzug durch die Landschaft der sozialen Medien und der Kommentar Kapitalistische Stabilität. Das Konzertfoto stammt von Helge Øverås (cc-by-sa-3.0).
es brennt in springers zeitunswald … das waren noch zeiten … da wird der strassi auch wieder jung …
und der schily schwor: heute habe ich meine brücken zur bürgerlichen gesellschaft abgebrochen, wo ist der dann eigentlich geblieben ..
dass es brennt, haben sie gesehen, aber warum es brennt, das wollen sie nicht wissen ..
die Popkultur erzählt eine Wahrheit, die in der Geschichtsschreibung und im Tagesjournalismus häufig unter den Tisch gekehrt wird. Wir sollten ihr mehr Gehör schenken.
Guter Artikel. Ganz soweit muss man auch gar nicht zurückgehen, denn schon in den letzten Jahren wurde die britische Musik wieder ein bisschen politischer, beispielsweise Gallows mit ihrem Album Grey Britain.
Aber ich würde weiterhin den Aufständen keine politische Motivation unterstellen und sie daher nicht mit The Clash in Zusammenhang bringen.
großartig die Lyrics von “Di Great Insohreckshan”:
it woz in April nineteen eighty-wan
doun inna di ghetto af Brixtan
dat di babylan dem cause such a frickshan
an it bring about a great insohreckshan
an it spread all ovah di naeshan
it woz a truly an histarical okayjan
it woz event af di year
an I wish I ad been dere
wen wi run riot all ovah Brixtan
wen wi mash-up plenty police van
wen wi mash-up di wicked wan plan
wen wi mash-up di Swamp Eighty-wan
fi wha?
fi mek di rulah dem andahstan
dat wi naw tek noh more a dem oppreshan
an wen mi ckeck out
di ghetto grapevine
fi fine out all I coulda fine
evry rebel jussa revel in dem story
dem a taak bout di powah an di glory
dem a taak bout di burnin an di lootin
dem a taak bout smashin an di grabbin
dem a tell mi bout di vanquish an di victri
dem seh: di babylan dem went too far
soh wha?
wi ad woz fi bun two kyar
an wan an two innocent ge mar
but wha?
noh soh it goh sometime inna war
een star
noh soh it goh sometime inna war
dem seh: win bun dung di George
wi coulda bin di lanlaad
wi bun dung di George
wi nevah bun di lanlaad
wen wi run riot all ovah Brixtan
wen wi mash-up plenty police van
wen wi mash-up di wicked wan plan
wen wi mash-up di Swamp Eighty-wan
dem seh: wi commandeer kyar
an wi ghaddah aminishan
wi buil wi barricade
an di wicked ketch afraid
wi sen out wi scout
fi goh fine dem whereabout
den wi faam-up wi passi
an wi mek wi raid
ow dem run gaan
goh plancountah-hackshan
but di plastic bullit
an di waatah canon
will bring a blam-blam
will bring a blam-blam
nevah mine Scarman
will bring a blam-blam
damke
Interessanter Rückblick. Und wer hat die aktuellen Riots in einem Song vorhergesehen?
Vor 30 Jahren gab es ein Gefühl, daß im Protest etwas eigentlich politisches passiert. D.h. man handelt, als ob es eine Alternative gäbe an die man glaubt und die man verwirklichen könnte. Das gibt es nicht mehr. Der Plünderer, als GangstaR…apEpigone, verhält sich konform zum christlichen Kapitalismus. Er nimmt sich einfach was er will, wenn es die Situation erlaubt. Entsprechend wird es auch keine ‘Lieder’ über diesen Aufstand geben.
@Mattias Steingass: wenn sich die Gesellschaft ändert und auch der politische Feind, dann ändern sich auch die Formen des Protests. Die Menschen sind anders sozialisiert worden als vor 30 Jahren, das äußert sich auch in ihren aufständischen Ausdrucksformen. In diesem Sinne dürfte auch die Popindustrie anders darauf reagieren als vor 30 Jahren…
@.andi: ich denke, der ausgangspunkt der riots war auf jeden fall ein politischer (die demo, die nach dem tod von Mark Duggan stattfand) und plündern kann auch eine form des protests sein. siehe der text von dario azzelini http://berlinergazette.de/kapitalistische-stabilitaet und das wunderbare zitat, dass es ein größeres Verbrechen ist, eine ShoppingMall zu errichten als diese zu plündern (super line für einen Songtext!)
@Sarah Curth#6 : siehe der Kommentar #3 von andi :)
tolles video! (http://www.dailymotion.com/video/x26u6u_lkj-di-great-insohreckshan_music) ich habe LKJ zum ersten Mal 1983 im Radio gehört, seine Poesie hat einen unbeschreiblichen Rhythmus, selbst ohne Begleitung. Er hat am nächsten Tag in Tübingen gespielt, das erste Konzert in Deutschland. Wir sind natürlich hin. So jemand muss es erst mal geben. Aber LKJ hat vor allem, lange vorher und auch hinterher, Poesie gemacht. Musik war nur ein Mittel, diese weiter zu verbreiten. Mit der wohl besten Band die es damals in England gab. Und dann muss es jemand veröffentlichen: und das war in dem Fall sein eigenes Label. Das ist der Knackpunkt. Also 1. wo sind die Poetenm, die Underground Culture? nud 2. welches wären heute die geeigneten Kanäle?
@magdi, naja politischer Protest war es dann aber nicht bzw. unterstellen wir den Plünderungen eine politische Note, wie man sie auch den Sex Pistols unterstellt hat. Aber es wird ja auch kritisiert, dass die britischen Punkbewegung mehr eine Modebewegung als politische Bewegung war. Klar, kann die Subversivität der Mode auch politisch sein, aber einfach zu sagen: die aktuellen Riots in London sind politisch und mit den Gedanken von Joe Strummer zu vergleichen finde ich unfair Joe Strummer gegenüber. ;)
Der Auslöser der Proteste war mit den Tod von Mark Duggan vielleicht ein politischer, aber bei den Aufständen kamen auch Menschen um und es gab keine einzige politische Botschaft, wenn ich das bisher mitbekommen habe.
Den Text von Dario Azzelini fand ich sehr gut, aber die Aussage mit den Shopping Malls habe ich eher in einer globalen kapitalistischen Kritik gesehen und nicht mehr unbedingt auf die Plünderungen bezogen.
Der 1. Mai in Berlin ist ja auch keine politische Aktion mehr, sondern nur noch ein bisschen Rumgekloppe mit der Polizei.
Es ist ja auch ein bisschen kurios, dass wir in die LondonRiots eine politische Botschaft hineininterpretieren, aber das nicht in die Autobrände hier in Berlin.
Für mich ist ist politischer Protest immer noch mit einer Message verbunden und ohne diese Message ist es einfach nur Randale, die auf keinen Fall zielführend ist, sondern eher konservative Kräfte bestärkt, die dann wieder eine stärke Überwachung, schärfere Strafen etc. fordern dürfen und dafür dann noch Applaus erhalten.
Ironischer Weise haben nämlich die Randalierer in England auch ein Warenhaus angezündet in dem die Musik von Independent-Labels gelagert war: http://www.pastemagazine.com/articles/2011/08/london-riots-attack-independent-music.html
@andi #12 and all: die frage ist ja, was heute überhaupt noch politisch ist (es an eine “message” zu knüpfen finde ich ein bisschen zu werbermäßig gedacht, denn die unzufriedenen verfügen meist nicht über den background, um sich zusammenzusetzen und kampagnen auszuhecken). doch ich will auch nicht vom gemütlichen berlin aus, einfach nur den randalieren applaudieren.
deswegen finde ich die frage von dietrich (#11) interessant: was sind heute die geeigneten kanäle und wo sind die poeten des protests?
@Magdi, politisch kann für mich nur das sein, was auch eine Message hat, weil es sonst leider zu viel Raum für Interpretation lässt: ist jemand der ein Auto klaut schon ein Antikapitalist, ein Robin Hood oder einfach nur ein Autodieb?
Ich kann leider nicht sagen wer heutzutage Poeten des Protests sind, weil ich mich dafür nicht so sehr interessiere, ob nun Wolf Biermann oder Konstantin Wecker auf einer DGB-Kundgebung irgendwas singen.
Ich höre mir lieber Künstler an, die versuchen Gesellschaftskritik zu vermitteln ohne den erhobenen Zeigefinger, wie beispielsweise Markus Wiebusch von Kettcar, Muff Potter oder auch Morrissey.
Marx, Lenin, Che … stammten alle aus großbürgerlichen Verhältnissen. Auch Joe Strummer, Diplomatensohn. Diejenigen, die wirklich nichts zu lachen haben, haben immer nur in größeren oder kleineren Abständen um sich geschlagen. Das nennt man in England Riots, es hat da Tradition, weil nach Zeiten wie unter Gordon Brown immer wieder die Thatchers und Camerons zurückkehren und die soziale Ungleichheit aggressiv verschärfen. Die Riots selbst waren auch früher nicht unbedingt politisch. Aber Joe Strummer hat sich auf die Seite der Aufständischen gestellt, das war politisch. Das ist etwas anderes als genau so, wie es die englischen Mainstream-Medien vorerzählen, die Riots als unpolitisch zu verurteilen und sich nach den guten alten Zeiten der politischen Kämpfe zurückzusehnen.
noch ein ergänzender Kommentar:
http://www.thenewsignificance.com/2011/08/25/billy-bragg-why-music-needs-to-get-political-again/
“Die wahrsagerischen Fähigkeiten von The Clash”……..
selten so eine gequirlte Scheisse gelesen.
The Clash sind wie alle Rockbands Teil des sog. “social engineering” und die Texte der Songs werden von Leuten geschrieben/beeinflusst, die genau das was in der Realität passieren soll in den Songtexten beschreiben – das ist keine hellseherische Fähigkeit das ist Zukunftsplanung.
Und die weißen Kids werden zwar in der Schule teilweise verdummt, das ist vom System so gewollt aber die Schwarzen sind die Oberdeppen. Denn die machen ihre eigene Umgebung in der sie wohnen kaputt und zusätzlich die Existenz anderer armer Menschen. Die Schwarzen sind nicht benachteiligt, die sind einfach nur hohl. Überall auf der Welt wo die Schwarzen leben herrscht Gewalt, Armut und Zerstörung. Bevor diese Typen nach UK kamen war das Land schön, friedlich und die Menschen konnten in Ruhe leben.
Die Schwarzen sind so oberhohl, daß sie nicht verstehen, daß sie den Politikern an den Kragen müssen und nicht den weißen Mitbürgern. Den wenn die hohlen Schwarzbirnen erst mal die weiß Bevölkerung umgebracht haben – was denken die was die Regierung dann mit Ihnen macht?
Dreimal Raten……………