Linguistische Grenzverschiebungen

Ich leite seit 2002 das Goethe-Institut in den Palaestinensischen Gebieten. Unser Institut ist in Ramallah, dem politischen und geistigen Zentrum Palaestinas. Ramallah ist bei weitem nicht die groesste palaestinensische Stadt sondern nur etwa so gross wie Giessen. Die groessten Staedte sind Nablus, Al-Khalil [Hebron] und Gaza. Zumindest in Gaza veranstalten wir auch Sprachkurse und Kulturprogramme. Das Goethe-Institut Ramallah bildet seit Sommer 2004 mit dem >Centre culturel francais< das Deutsch-Franzoesische Kulturzentrum. Was unsere Sprach- und Programmarbeit erschwert, sind die Bedingungen der Okkupation unseres Gastlandes durch ein anderes Land. Checkpoints, Mauern und Strassensperren bestimmen das Leben. Unseren StudentInnen und Partnern ist das Recht auf Freizuegigkeit weitgehend verwehrt, und der Besuch eines Sprachkurses kann da leicht zu einer Odysee werden.

Diese andauernde Unfreiheit wirkt sich leider auch nachhaltig auf die Psyche der Menschen aus. Wir beobachten mit Sorge einen Trend zum Konservativismus und eine starke Rueckwaertsgewandtheit, die vor allem im Zusammenleben der Geschlechter ihren Niederschlag findet. In unseren Sprachkursen dominieren die Maenner, in vielen Kursen haben wir keine einzige Teilnehmerin. Junge Frauen koennen abends nicht mehr aus dem Haus. Abendkurse, wie sie an unseren Instituten in Damaskus, Beirut oder Kairo der Regelfall sind, sind hier undenkbar. Ich fuerchte, dass das Bildungsniveau langfristig darunter leidet. Bedauerlich, denn Palaestina hatte einmal eine Spitzenposition in der arabischen Welt inne. Sogar junge Maenner haben Bedenken, nach Sonnenuntergang den oeffentlichen Raum zu nutzen – dies hat sicher mit den Ausgangssperren der Vergagenheit und den dadurch entstandenen Aengsten zu tun.

Unser deutsch-franzoesisch-palaestinensisches Team spricht zum ueberwiegenden Teil Deutsch. Wir deutschen Kolleginnen und Kollegen haben, was Franzoesisch angeht, noch etwas Nachholbedarf. Englisch ist in Ramallah [nicht im ganzen Palaestina] fast eine Art Lingua Franca, die von vielen Palaestinensern und Palaestinenserinnen beinahe muttersprachlich beherrscht wird. Fuer unsere Publikationen und Oeffentlichkeitsarbeit verwenden wir Franzoesisch, Deutsch und Hocharabisch. Kindersendungen und Buecher produzieren wir in der palaestinensischen Variante der arabischen Sprache. Was die Landessprache angeht, muessen wir entsandten Mitarbeiter Nachholbedarf eingestehen: Wir sprechen, verstehen, lesen und schreiben sehr viel schlechter Arabisch als unsere palaesatinensischen Mitarbeiter und Partner Englisch, Deutsch oder Franzoesisch. Zu unserer Ehrenrettung sei vielleich vermerkt, dass Arabisch zu lernen eine Lebensaufgabe ist, wenn man nicht mehr ganz jung ist. Mein Sohn ist mir da bei weitem ueberlegen.

Die Foerderung der deutschen Sprache ist eines der Hauptanliegen unseres Zentrums. Im Unterschied zu anderen Instituten ist das Hauptmotiv unserer Sprachschueler ein Studium in Deutschland. Demzufolge haben wir eine grosse Nachfrage nach Anfaengerkusen. Wir haben seit Jahren nur einen einzigen Mittelstufenkurs und ueberhaupt keine fortgeschrittenen Lernenden. Nach dem Anfaengerkurs sehen wir die Sprachkursteilnehmer meist nicht wieder, da diese zum Studium nach Deutschland reisen; wir sind also eine Art >Durchlauferhitzer<. Wahrscheinlich infolge der restriktiveren Einreisepolitik der USA konnten wir dieses Jahr einen erheblichen Anstieg der Nachfrage nach Deutschkursen verbuchen. Franzoesisch spielt traditionell in unserer Region eine groessere Rolle und demzufolge haben wir bei Franzoesisch eine ausgepraegtere Kurspyramide mit vielen Anfaengern, aber auch vielen mittleren und fortgeschrittenen Lernenden. Bei Deutsch handelt es sich eher um einen Pyramidenstumpf. Der Zusammenschluss war die richtige Antwort auf eine chronische Unterfinanzierung der Goethe-Institute. Unser Zusammenschluss erlaubt uns, unseren kulturpolitischen Auftrag weitaus effektiver zu erfuellen und Projekte in Angriff zu nehmen, die zuvor nicht realisierbar waren. Unser Zentrum bietet Sprachunterricht in Deutsch und Franzoesisch, eine Bibliothek/Mediathek und Kulturprogramme in einem attraktiven Zentrum an. Dies haette kein Partner alleine bewerkstelligen koennen. Die Zusammenarbeit verlaeuft ausgezeichnet und illustriert den besonderen Charakter der deutsch-franzoesischen Beziehungen. Die Idee der deutsch-franzoesischen Kooperation kommt bei unserem Publikum sehr gut an, und den meisten Besuchern geht es weniger um franzoesische oder deutsche Kultur, als um alternative Ideen und Anstoesse aus Europa. Frankreich hat jedoch zugegebenermassen den Vorteil, dass arabischsprachige Autoren, Musiker, Filmemacher und Kuenstler lebendiger Bestandteil des franzoesischen Kulturlebens sind. Im Filmbereich stossen die vielen franzoesisch-maghrebinischen Koproduktionen hier auf grosses Interesse und sind wesentlich leichter zu rezipieren als etwa deutsche Filme. Uns fehlt es leider an den Mitteln, ausreichend Filme oder Literatur ins Arabische zu uebersetzen. Dies waere allerdings die Voraussetzung, um ein breiteres Publikum zu erreichen. Frankreich als ehemalige Mandatsmacht und mit seinem grossen Angebot an franzoesisch-arabischen Filmproduktionen hat hier so etwas wie einen >Heimvorteil<. Seit den neunziger Jahren koennen wir meiner Ansicht nach zwei gegenlaeufige Tendenzen beobachten: Zum einen ein Revival der Idee des Nationalstaates in der Form der Herausbildung neuer Staaten etwa auf dem Balkan und auf dem Gebiet der ehemaligen Sowjetunion. Auf der anderen Seite ist Kultur natuerlich internationaler geworden. Fast alle unsere Programme sind nicht rein Deutsch oder Franzoesisch. Am ausgepraegtesten ist das bei Tanz und Musik, wo Ensembles stets aus zahlreichen Nationalitaeten zusammengewuerfelt sind. Allerdings erfogt die Kommunikation dann meist auf Englisch. Was die Vermischung von Sprachen angegeht, so sehe ich sowohl Chancen als auch Gefahren. Aus der Vermischung kann etwas Spannendes entstehen. Das ist auch der Grund, warum das Goethe-Institut die weltweite Ausschreibung >Woerterwanderung< des Deutschen Sprachrates unterstuetzt. Ziel des Wettbewerbs ist es, all die urspruenglich deutschen Woerter, die sich in anderen Sprachen angesiedelt haben zu sammeln und etwas ueber Ihre Bedeutung und Verwendung in diesen Sprachen zu erfahren. Beispiele waeren etwa >Angst<, >Zeitnot< oder das schreckliche Wort >Blitzkrieg<. Umgekehrt ist Deutsch natuerlich noch groesseren Einfluessen aus anderen Sprachen ausgesetzt als dies umgekehrt der Fall ist. Laecherlich wird die Sprachvermischung meines Eachtens da, wo Eliten oder Menschen, die sich zu Eliten zugehoerig halten, auf manieristische Weise die eigene Sprache verleugnen. In unserer Region kann man oft hoeren, wie die Hautevolee in Nobelrestaurants statt Arabisch Englisch spricht. Ich bin allerdings gegen jeden Purismus in der Sprache und raeume ohnehin sprachnormativen Massnahmen keine Chance ein.

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