Aus dem Reisetagebuch: Nachdem wir zwei schier unendlich lange Wochen quer durch die Serra da Estrela in Portugal gekrochen sind und in einer im wahrsten Sinne des Wortes zwoelfstuendigen Nacht-und-Nebelaktion die Strecke von Coimbra nach Gig-da nach Foz bewaeltigt hatten, lag er morgens um sieben Uhr vor uns – der Atlantik.
Hier sollten unsere Qualen ein Ende haben. Nachdem man 350 Kilometer ueber Stock und Stein gestiefelt ist, scheint eine Entfernung von nur noch 120 Kilometern bis nach Porto fast schon belustigend, dazu der Atlantik, der uns jede Sekunde die Moeglichkeit eines erfrischenden Bades bietet und immerhin noch zwoelf Tage Zeit. Grosse Entdeckungsfahrten nahmen hier an der portugiesischen Kueste ihren Anfang und auch fuer mich sollte sie noch einen Schatz bereit halten.
Voellig entkraeftet von den vorherigen Tagen und vor allem der letzen Nacht, wollten wir uns erst einmal ausruhen. Vor allem als wir feststellten, dass fuer die noch zu bewaeltigende Strecke viel zu viel Zeit uebrig war. Unsere Knochen laechzten mittlerweile nach 30 Kilometern Bewegung am Tag. Die restlichen drei bis vier Sonnenstunden verbrachten wir mit dem Lageraufbau, dem Zubereiten des Feldessens, entspannen, Eindrueckeverarbeiten oder, so wie meine Freunde, zu lesen. Ich jedoch hatte mich dagegen entschieden, ein Buch mit auf die Reise zu nehmen. Bezweifelte sogar, dass ich ueberhaupt Zeit finden wuerde, um ein wenig zu schnoekern. Doch nun, da wir unerwartet einige Stunden Freizeit jeden Tag hatten, fuehlte ich mich doch immer mal wieder von Langeweile geplagt.
Ich lag also am Strand, lebte die ostdeutsche freie Koerperkultur im wohl westlichsten Land Europas und liess die Gedanken schweifen. Doch auch hier stellte sich nach einigen Tagen Routine ein, der Geist fordert neue Impulse. Mein Geist, er schrie manchmal nach Telefon, Internet, Fernsehen irgendeinem Medium und neuen Ideen. Als es dann zwei Tage regnete wurde der Hunger nach neuen Impulsen immer groesser, die Biografie Fidel Castros war es, die diesen Hunger dann stillen konnte. Einer meiner Freunde hatte dieses Buch mitgenommen und heute schon scheint es mir raetselhaft, warum ich solange kein Buch gelesen hatte. Fidel Castro als ehemaliges Staatsoberhaupt ist sehr umstritten, aber seine Verbindung zur Natur und sein eiserner Wille haben mich sofort beeindruckt und die auf die Plane prasselnden Regentropfen haben mich auch die ein oder andere Situation in der Sierra Maestra nachempfinden lassen.
Ich moechte jetzt keine Rezension des Buches abgeben oder gar die Persoenlichkeit Castros beurteilen, aber mir hat er in gewisser Weise geholfen, sich auf wenige Dinge zu besinnen. So schaetze ich ein Buch heute viel mehr als noch vor einigen Wochen, ja Lesen ist Luxus und der Computer bleibt viel oefter aus. Es war wohl der Ueberfluss an Informationen aus Internet, Funk und Fernsehen, der mich in seinem Strom mitriss und so waren es vier Wochen Wandern die mir geholfen haben, mich aus diesem Strom freizuschwimmen um am Strande des Atlantiks wieder zu entdecken, wie mitreissend lesen sein kann. Schwimmt mit, gegen den Strom! gegen den STROM!