Visuelle Medien prägen den Uni-Alltag, aber kaum jemand fragt nach den Ausmaßen. Wir haben es, wie Tom Holert zeigt, mit komplexen Mechanismen zu tun: Studierende nutzen visuelle Medien mit großer Selbstverständlichkeit beim Lernen, während die Institutionen Bilder von erfolgreicher Bildung produzieren. Der Kunsthistoriker berichtet darüber aus der Innenperspektive. Als reflektierter Prof. stellt Holert seine Rolle und die Machtstrukturen jener Institution in Frage, die heute umstritten ist wie kaum eine andere: die Universität.
An der Akademie der bildenden Künste Wien habe ich eine Professur für Epistemologie und Methodologie künstlerischer Produktion inne. Die Sache mit dem “Professor” ist für mich allerdings schwierig. Besonders im deutschsprachigen Raum, in Ländern wie der Bundesrepublik Deutschland und Österreich, spielen diese akademischen Titel weiterhin eine nicht zu unterschätzende Rolle bei der Reproduktion von Hierarchien im Bildungssystem.
Mit der Anrede, aber auch mit der Selbstwahrnehmung als “Professor/in” gehen alle möglichen problematischen Zuschreibungen und Ansprüche, haufenweise Erwartungen an Verhaltensweisen, Auftreten, Kompetenz, Autorität einher, aber natürlich auch konkrete symbolische und materielle Privilegien. Ich kenne viele Kolleg/innen, die die Rolle der Professorin/des Professors mit Bravour und Grandezza ausfüllen, im vollen Bewusstsein ihrer Macht und der mit dieser Macht verbundenen Möglichkeiten – auch im Sinne der strategischen Politik gegenüber anderen institutionellen Instanzen (Rektoraten, Ministerien usw.) und der Herstellung von Öffentlichkeit, hochschulintern wie -extern.
Titel, Hierarchie, Machtkritik
Ich spiele dieses Spiel wohl eher low key, wahrscheinlich nicht zuletzt wegen eines einerseits politisch motivierten, aber darüber hinaus auch im institutionellen Alltag immer wieder erzeugten Unbehagens gegenüber der allzu selbstverständlichen Inanspruchnahme der Prof.-Rolle. Ich mache mir jedoch keine Illusionen dahingehend, dass eine Rhetorik der flachen Hierarchien automatisch institutionell gesetzte Hierarchien überwindet; es funktioniert auch nicht einfach, den Forderungen nach professoraler Souveränität (so phantasmatisch diese sein mag), die nicht zuletzt von Studierenden gestellt werden, durch eine bloße Verweigerung jeder Souveränitätsperformance zu begegnen.
Trotzdem sollte es stets darum gehen, in der spezifischen, konkreten Situation die Möglichkeit offenzuhalten, gleichberechtigte Sprecher/innen-Positionen auszuhandeln, alle an einer pädagogischen Konstellation Beteiligten einzubeziehen und ihnen Raum und Zeit zu geben, sich zu artikulieren. In Lehrsituationen und anderen Interaktionen mit Studierenden, Forschenden, Lehrenden und anderen Mitarbeiter/innen an der Akademie bemühe ich mich, gegen die institutionell etablierte Architektur der akademischen Rollen zu arbeiten. Das gelingt natürlich nicht immer, manchmal erwischt man sich dabei, wie man die Zuschreibungen nur allzu gern annimmt, z.B. weil sie institutionelle Prozesse – vermeintlich – beschleunigen.
Die seit Oktober 2009 in Wien und anderswo laufenden Debatten und Aktionen zur Entdemokratisierung und Ökonomisierung der Universitäten und der Kritik an der Implementierung des Bologna-Abkommens hat in der Akademie zu spürbaren Veränderungen geführt. Die Analyse der bestehenden Hierarchien und Arbeitsbedingungen hat bei den Akteuren den Blick geschärft für die sozialen und ökonomischen Verwerfungen, die sich – auch durch die Finanzkrise bedingt – in den Universitäten abzeichnen, und die von der Politik nach wie vor mit einer neoliberalen Phraseologie von Effizienz und Exzellenz weggeredet werden. Auf diese Rhetorik der Sachzwänge und des Marktes fällt inzwischen niemand mehr rein.
Kunst und Wissensproduktion
Eines meiner Beschäftigungsfelder ist die Beziehung von “Kunst” und “Wissensproduktion”. Die beiden Konzepte bilden ein kompliziertes Paar. Es gibt gute Gründe zu argumentieren, dass diese Begriffe und das, worauf sie jeweils verweisen, auseinander gehalten und nicht zusammengefügt werden sollten. Ich würde das “und” (oder gar das “als”) zwischen Kunst und Wissensproduktion auch nicht als notwendige und bindende Verknüpfung ansehen wollen, sondern als Modalität einer Beziehung, die man eben auch abbrechen kann. So oder so ist zu konstatieren, dass in der Kunst und durch Künstler/innen und andere Produzent/innen in diesem Feld eine Arbeit getan wird, die sich nicht unabhängig von dem betrachten lässt, was man etwa seit den 1960er Jahren Wissensgesellschaft oder Wissensökonomie nennt.
So betrachtet ist die Kunst der Gegenwart eine Funktion (oder ein Symptom) gesellschaftlicher und ökonomischer Verhältnisse, die zentral durch die Produktion und der Markt von Wissen (von Zeichen, Symbolen, Images, Diskursen usw., aber auch von Patenten, intellectual property rights usw.) geprägt sind.
Wie sich die Akteure im Kunstfeld zu dieser Umwelt verhalten, ob sie sich als Forscher/innen, Pädagog/innen, Essayist/innen, Kritiker/innen oder Revolutionär/innen begreifen und ihre eigene Praxis als “Beitrag” oder “Widerstand”, entscheidet wesentlich darüber mit, welche Formen und Artikulationsweisen die “Kunst” entwickelt.
Grundsätzlich gehe ich davon aus, dass sich in einer Phase der Kunstgeschichte (der gegenwärtigen), in der die bildende Kunst eine nicht nur intermediale, sondern auch inter- und transdisziplinäre Angelegenheit geworden ist, der reflektierte und kompetente Umgang mit “Wissen” sowie eine forschende, analytische, diskursive Haltung ebenso wichtig geworden sind wie die Beherrschung künstlerischer Techniken an der Leinwand oder am Computer; mehr noch: die aktuelle und akute Verschränkung von analytischen, manuellen, entwerfenden und dokumentierenden Skills macht alte Unterscheidungen von Kopf und Bauch, wie sie den Kunstdiskurs bis heute gelegentlich heimsuchen, vollends obsolet.
Das Erziehungsbild als historische Kategorie
Mit Marion von Osten werde ich im Laufe dieses Jahres ein Buch zum “Erziehungsbild” herausbringen (bei Schleebrügge.Editor, Wien). Der Band versammelt Texte, die das Verhältnis von Pädagogik und visueller Kultur untersuchen. Motiviert war diese Arbeit auch durch die Frage, welche Begriffe von Bild und Bildung eigentlich gerade dort handlungsleitend sind, wo Kinder und Jugendliche in der Schule als Subjekte von visuellen Handlungen und als Teilnehmer/innen an einer weiteren, vermeintlich jenseits der Institution Schule anzutreffenden visuellen Kultur formiert und erlebt werden.
Wie Bilder und Bildmedien in den Unterricht integriert wurden und werden und wie andererseits die Bildung und die Institutionen der Erziehung Bilder von sich selbst hervor- und in Umlauf bringen – dem wird in historischen und aktuellen Fallstudien nachgegangen.
Diese Studien zeigen nicht zuletzt, dass Gesellschaften einerseits Bilder gelingender Pädagogik benötigen, um darüber bestimmte, normative Modelle von Subjektivierung zu legitimieren, die dann beispielsweise das lebenslang lernende, gut trainiert durch die audiovisuelle Medienkultur navigierende Prosumer-Subjekt entwerfen; sie zeigen andererseits aber auch, wie sich die Veränderungen der theoretischen Konzepte von Bild und Bildlichkeit (z.B. im kunst- und bildwissenschaftlichen Diskurs) sowie die veränderlichen Funktionen von massenkulturellen Bildern im Alltag der Schüler/innen und Student/innen auf die Gestaltung des Unterrichts auswirken. Insofern ist das “Erziehungsbild” eine historische Kategorie, das sich immer wieder neu konkretisiert. Der selbstermächtigenden Intervention in herrschende Erziehungsbilder steht jedenfalls nichts im Weg.
ich nehme an, die verhältnisse der bildproduktion sind nicht überall gleich. was sind sinnvolle, fruchtbare kategorien der unterscheidung? etwa der unterschied zwischen privater und staatlicher universität? kunsthochschule und hochschule? oder zwischen unis in deutschland und usa?
Erziehungsbilder – was für ein spannendes Thema! Vielen Dank für diesen Einblick in Ihre Forschung und Gedankenwelt! An einigen Stellen etwas weniger komplex, etwas weniger verschachtelt zu formulieren – kommt dieser Wunsch einem falschen Verständnis von anspruchsvoller Reflexion gleich?
Die Frage ist für mich, inwieweit man die Institutionskritik noch stärker zum Gegenstand von Lehre machen kann.
“Trotzdem sollte es stets darum gehen, in der spezifischen, konkreten Situation die Möglichkeit offenzuhalten, gleichberechtigte Sprecher/innen-Positionen auszuhandeln, alle an einer pädagogischen Konstellation Beteiligten einzubeziehen und ihnen Raum und Zeit zu geben, sich zu artikulieren.”
Das ist stark! Dem muss ich voll zustimmen. Leider wird in den Institutionen daran noch zu wenig gearbeitet. Auch die Professoren untereinander haben diesbzgl. noch viel Nachholbedarf. Zumindest, wenn man sich (interne) Tagungen und ähnliches ansieht. Da scheint das Auftrumpfen und Ausspielen des Egos wichtiger als Berufsethos hinsichtlich Kollegialität.
Was bedeutet es aber “gegen die institutionell etablierte Architektur der akademischen Rollen zu arbeiten”? Was heißt das konkret?
Es scheint auf der Hand zu liegen, dass “Gesellschaften Bilder gelingender Pädagogik benötigen, um darüber bestimmte, normative Modelle von Subjektivierung zu legitimieren”. Schulen wurden parallel zu Gefängnissen konzipiert. Es geht in beiden Fällen um Disziplinierung. Es bedarf, vor diesem Hintergrund, der Vorbilder. VOR-BILDER, das sind ja immer auch Bilder. Die Frage ist: Wie haben sich die Bedingungen der Bildproduktion geändert? Wie können die Menschen in diese Prozesse der (Vor-)Bildproduktion zwecks Selbstermächtigung eingreifen? Dass sie das können, deuten Sie ja am Ende an.
@solfrank: ich hatte auch manchmal Schwierigkeiten mit den “Artikulationsbedingungen” und ich glaube bis heute hat sich die Verwunderung darüber gehalten, mich selbst in Situationen zu erleben, in denen ich mich nicht artikulieren kann, wie ich es gewohnt bin und das ist glaube ich der Punkt. Gewohnheit.
Man ist bestimmte Rahmenbedingungen gewohnt. Sie sind Gewohnheit. Man ruht sich darauf aus. Dann ist mal plötzlich alles anders und man steht blöd da. Daher muss ich denken: Es hat wohl auch einiges mit einem selbst zu tun. und man muss auch stark an sich selbst arbeiten und nicht immer nur den anderen und dem System die Schuld geben. na ja, nur so ein Gedanke :)
Zunächst einmal vielen Dank für die interessanten und instruktiven Reaktionen auf das Protokoll! Wie man sich in institutionellen Architekturen transformierend, d.h. gegen Rollenmuster arbeitend, verhalten kann, ist kaum allgemein zu beantworten. Vieles mag intuitiv geschehen, auf der Basis von demütigenden oder hierarchisierenden Erfahrungen, oder einfach aus einem politisch begründeten Gefühl des Nichteinverstandenseins mit immer noch gängigen Lehrer/Schüler-Relationen. Aus der Lehre eine gemeinsame, kollektiv betriebene Forschung zu machen, ist sicherlich eine Maßnahme in dieser Richtung. Was die Frage nach den Möglichkeiten betrifft, in Bildproduktionen zu intervenieren, um so die Repräsentation von Bildung und „Erziehung“ zu verändern, muss man wohl auf mehreren Ebenen ansetzen. Wenn ich von Bildern spreche, meine ich eigentlich nicht automatisch Vorbilder oder Modelle, weder im Guten noch im Schlechten. Eher sind es Zusammenhänge von Visualität und Diskursivität, von Bild und Wort, die einen Handlungsraum definieren, und zwar über Manipulationen im sozialen Imaginären. Die Kultur der Pädagogik ist durchzogen von solchen oft unbewusst wirksamen Zusammenhängen der Normativierung. Sie zu entziffern, zu kritisieren und neu zusammen zu setzen, erfordert nicht unbedingt den Gebrauch avancierter Technologien, sondern eher so etwas wie ein kritisches Sensorium für stumme Zwänge und falsche Selbstverständlichkeiten. Eigentlich eine ganz alte Möglichkeitsbedingung von Einspruchnahme.