Die weitreichende Vermischung von KI als Fantasie des Kapitalismus und KI als Technologie des Kapitals konfrontiert uns mit einer dringenden Frage: Was passiert mit menschlicher Arbeit unter diesen Bedingungen? Dieser Frage geht das BG-Jahresprojekt 2020 SILENT WORKS nach. Im folgenden Interview liefert die Philosophin Janina Loh erste Impulse zum Thema.
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Unternehmen aus dem Silicon Valley haben seit den 1990er Jahren eine globale Expansion realisiert, die den Kapitalismus als solchen weitreichend transformiert. Wir sprechen im BG Jahresprojekt SILENT WORKS vom AI-driven Capitalism – einem Kapitalismus, der von KI als Fantasie und als Technologie getrieben wird. Sieht man hier die von Adam Smith befeuerte Rede von der unsichtbaren Hand und einem Markt, der sich selbst reguliert als Wegbereiter für künstliche Intelligenz als unsichtbare Hand, stellt sich die Frage, ob KI als Fantasie und als Technologie des gegenwärtigen Kapitalismus überhaupt noch von einander zu unterscheiden sind. Wie sehen Sie das?
Ich glaube, an dieser Stelle lässt sich in der Tat gut auf Karl Marx verweisen, der im Kapital die unterschiedlichen Stadien einer Entwicklung der Arbeitswelt hin zur großen Industrie nachzeichnet. Er beschreibt dort den Menschen als ein seit jeher die Technik nutzendes Wesen. Technik an sich ist nicht negativ, wohl aber ihre kapitalistische Instrumentalisierung. Im Kapitalismus verkehrt sich in der Industrie das Subjekt-Objekt-Verhältnis von Mensch und Maschine, indem die Menschen zu Objekten (ZuarbeiterInnen) der Maschinen werden, die selbst einen neuen Subjektstatus erlangen.
Ähnlich würde ich es auch mit Blick auf die Entwicklung künstlicher Intelligenz sehen, die derzeit de facto häufig mit kapitalistischen Intentionen entworfen wird. Aber künstliche Intelligenz ist ein Sammelbegriff für alle möglichen Technologien, die im Konkreten immer sehr unterschiedlichen Zwecken dienen und eben nicht notwendig nur kapitalistischen.
Die dem Profitstreben untergeordnete ‘digitale Revolution’ im Zeichen von KI hat von Anfang an auch Fragen zur Transformation der Arbeit aufgeworfen. Zunächst utopisch gefärbt, im Sinne eines Transhumanismus, der die Erweiterung des Menschen durch technologische Verfahren propagiert. In Ihrer Arbeit kritisieren Sie Transhumanismus als Kontroll-Ideologie. Wie lässt sich diese Kritik am Transhumanismus im Kontext des AI-driven Capitalism konkret verstehen? Anders gefragt: Was bedeutet Kontrolle von menschlicher Arbeit im Kontext des AI-driven Capitalism?
Um jemanden oder etwas kontrollieren zu können, muss es zunächst verstanden werden, es muss vollkommen durchleuchtbar und transparent sein. Deshalb schlagen Transhumanismus und Kapitalismus (konvergierende) Vorstellungen vom Wesen des Menschen vor. Der Mensch ist eine (Konsum-)Maschine, eine sehr komplexe Maschine – vermutlich die komplexeste, die wir kennen, aber immer noch eine Maschine, deren Inneres sich mit hinreichend Einsatz erschließen und in eine Reihe Prinzipien übersetzen lässt. Das ‘Innere’ dieser Maschine, die ‘der’ Mensch ist, besteht aus Daten und Informationen. Wer diesen ‘Code’ des menschlichen Wesens einmal entschlüsselt, hat die ultimative Macht, denn sie* kann kontrollieren, welche Daten und Informationen in welcher Weise bewertet und hierarchisiert, welche Daten und Informationen geflissentlich übersehen werden und kann darüber auch das mögliche Verhalten von Menschen prognostizieren.
Dieses Denken, dass Menschen lediglich komplexe Maschinen sind, dass sich alles, was am menschlichen Wesen von Belang ist, auf Daten und Informationen zurückführen lässt, die transparent, kalkulierbar, bewertbar, hierarchisierbar und prognostizierbar sind, ist nicht nur ein trauriger Reduktionismus, sondern leider auch ziemlich real. Denn es liegt einerseits bereits ganzen Konsumbereichen zugrunde wie etwa dem Self-Tracking (der Slogan der Quantified Self Bewegung lautet passenderweise “Self knowledge through numbers”). Es bestimmt zu großen Teilen den Gesundheitsbereich, wenn wir etwa an digitale PatientInnen denken. Nicht zuletzt gelangt es in den Köpfen von Transhumanisten wie Stefan Lorenz Sorgner, der sich für ein europäisches Social Credit System ausspricht, in unsere Arbeitswelt.
Transhumanismus löst immer wieder problematische Reflexe in den Debatten aus – etwa die Rede vom Verschwinden der Arbeit. Problematisch daran ist, dass die Rede vom Verschwinden der Arbeit, das Unsichtbar- und Unhörbarmachen von Arbeit und von Arbeitsbedingungen bewerkstelligen und verschleiern hilft, indem beispielsweise die Erweiterung ins Transhumanistische als reine technologische Leistung zelebriert wird: hier arbeiten nicht mehr Menschen, sondern Technik allein. Was lässt sich – kritisch auf die Transformationsprozesse im Zeichen des Transhumanismus blickend – in puncto Arbeit und Arbeitsbedingungen hörbar- und sichtbarmachen?
Die Arbeitswelt des transhumanistischen Kapitalismus klingt von Seiten ihrer BeführworterInnen verführerisch: Menschen haben, gänzlich befreit von der Arbeit, genug Zeit und Muße, um sich mit den wirklich wichtigen Dingen im Leben zu beschäftigen, während die Technik uns von allem Anstrengenden und Nervigem erlöst. Denn die Technik wird uns von den Arbeiten befreien, die aufgrund der sogenannten drei Ds für uns eh uninteressant sind; Arbeiten, die “dull, dangerous, and dirty” sind. Ich frage mich, wer ernsthaft an diese Mär – insbesondere aus dem Mund eingefleischter KapitalistInnen – glaubt?! Denn wer entscheidet denn darüber, welche Arbeit hinreichend langweilig, gefährlich und schmutzig sind, dass Menschen sie nicht mehr machen wollen? Und warum dürfen wir auf Wunsch nicht auch solche Arbeiten ausführen?
Arbeit hat in unserer Gesellschaft einen sehr viel höheren Status als dass sie lediglich der Absicherung des Lebens dient. Durch Arbeit bekommen wir soziale Anerkennung, für viele Menschen ist sie sinnstiftend und ermöglicht eine Teilhabe an der Gesellschaft. Wir sollten eher der alten (Marxschen) Frage nachgehen, unter welchen Bedingungen wir bereit sind, welche Arbeiten auszuführen, sprich: Wann etwas gute Arbeit ist und wann entfremdete.
Arbeitskämpfe erscheinen heute als gemeinsamer Nenner bzw. als entscheidender Verbindungspunkt unter den AkteurInnen aktueller politischer Bewegungen – ob nun in Hongkong, New York und Berlin, oder am Rande der neu entstehenden Silk Road rund um das Schwarze Meer. Was bedeutet es für Sie Marx’sche Kategorie ‘Labor’ heute politisch zu denken bzw. zum Ausgangspunkt politischen Handelns zu machen?
Ich muss gestehen, dass ich ja eigentlich Arendtianerin bin. Und Arendt hat die Arbeit in den Bereich des Privaten verlegt, wohingegen es im Öffentlichen, im Raum des Politischen, um die Welt und nicht um das Überleben des Individuums geht. So nah ich aber auch ihrem Denken stehen, kann ich die Welt nicht in einzelne, klar von einander zu differenzierende Bereiche unterscheiden. Arbeit ist politisch, so wie Wissenschaft auch immer politisch ist und das Politische auch immer eine ökonomische und auch eine ethische Seite hat. Diese Kategorien sind untrennbar mit einander verzahnt.
ArbeiterInnen können sich nur vor einem ganz konkreten politischen, gesellschaftlichen, ökonomischen und auch moralischen Hintergrund als solche verstehen! Das, was wir als Arbeit verstehen, ist auch immer ethisch, politisch, ökonomisch usw. geframet. Umgekehrt können wir nicht politisch (als BürgerInnen) aktiv sein, ohne uns unserer ökonomischen (als KonsumentInnen), aber auch ethischen und in unserer jeweiligen Arbeit rollengebundenen Verantwortung bewusst zu sein. Und unsere Tätigkeiten in unserer Arbeit haben immer auch ethische, soziale und politische Konsequenzen.
Die veränderte Wahrnehmung und Valorisierung von Arbeit in Zeiten des AI-driven Capitalism geht nicht zuletzt mit einer veränderten Wahrnehmung und Valorisierung von kognitiver Arbeit einher, wie sie u.a. WissenschaftlerInnen und PhilosophInnen verrichten. Wie lassen sich die bisherigen Überlegungen, die Sie im Interview entwickelt haben, auf Ihre eigene Arbeit übertragen?
Auch der Wissenschaftsbetrieb ist Teil dieser kapitalistischen Gesellschaft und ist auf Konsum, Mehrwert und Akquirierung von Kapital ausgerichtet. Wir kommen zu Wissen, wir schaffen und produzieren Wissen (Fakten, Tatsachen, Theorien) immer vor dem Hintergrund einer spezifischen Gesellschaft, die uns spezifische Mittel zur Verfügung stellt, uns im Wissensbetrieb unter bestimmten Bedingungen fördert, unter anderen nicht. Der Wissensbetrieb ist natürlich nicht neutral, auch wenn sich die in ihm wirkenden Menschen gerne so sehen. Auch hier zeigt sich wieder, dass sich diese ganzen Bereiche nicht unabhängig von einander sehen lassen: Wissenschaft – also die Erschaffung und Produktion von Wissen – ist immer auch politisch, ökonomisch und ethisch. Und die Ökonomie ist umgekehrt auch beeinflusst von Politik, Ethik und Wissenschaft bzw. lässt sich genauso wenig wie die Wissenschaft als autarker Bereich sehen.
Ließe sich unter dem Strich sagen, dass white und blue collar unter den Bedingungen des AI-driven Capitalism neu zusammenfinden? Oder werden vielmehr die Grenzen zwischen den Arbeiterklassen neu verlegt? Wenn ja, worin bestehen sie?
Ich denke, dass wir eine Revolution der Disziplinen brauchen, was sich vermutlich erst mal ganz schön akademisch anhört, aber sehr weite Kreise zieht. Eine Revolution, die diesen leidigen Streit zwischen Geistes- und Naturwissenschaften endlich beendet, die dazu führt, dass wir mehr von Problemen oder Herausforderungen sprechen – etwa “Wie können wir mit dem Klimawandel umgehen?”, “Was machen wir mit Blick auf transnationale Fluchtbewegungen?” usw. – als von bspw. der Soziologie, die einen bestimmten Auftrag hat, von der Politik, die einen bestimmten Auftrag hat, von den Unternehmen, die einen bestimmten Auftrag haben usw.
Denn wenn wir weiterhin in diesem Schubladendenken verharren, können wir Verantwortung immer auf andere schieben – von einer akademischen Wissenschaft in eine andere, von dort in die Industrie, von dort in die Politik, von dort ins Gewissen der einzelnen moralischen Individuen. Das alles hilft uns nicht weiter. Wir müssen lernen, die Herausforderungen der Gegenwart als etwas zu begreifen, dass sich nur transdisziplinär angehen lässt. Entsprechend muss sich auch unsere Schulbildung und (zumindest zum Teil) auch unsere Arbeitswelt, also die Definition bestimmter Professionen und Berufszweige, ändern. Ich befürchte allerdings, eine solche Revolution wird es im Kapitalismus schwer haben.
Wie können wir – trotz neuer und alter Grenzen und über diese hinweg – als ArbeiterInnen neu zusammenfinden? Welche Rolle spielt das Hörbar- und Sichtbarmachen von Arbeit hier?
Wir brauchen einen möglichst inklusiven und kritischen Dialog über all die Herausforderungen, vor denen wir in unserer Gesellschaft stehen. Ein Diskurs, der möglichst viele Menschen verbindet, der möglichst transparent und verständlich geführt wird und in dem möglichst jede Stimme gehört wird, die bereit ist, an diesem Diskurs mitzuwirken. So verstehe ich auch meine Arbeit als Philosophin, nämlich mein Möglichstes zu tun, um einen solchen inklusiven und kritischen Diskurs mit zu gestalten, mit dem ernsthaften Anliegen, mein Gegenüber zu verstehen, und frei von Arroganz und Überheblichkeit zu einer gemeinsamen Antwort zu gelangen.
Dieser Diskurs kann und muss an vielen Stellen geführt werden, damit er möglichst inklusiv ist – in den Schulen, in den Familien, in Gremien, in Verbänden, in Gewerkschaften, aber vor allem überall dort (und hier bin ich wieder ganz bei Hannah Arendt), wo sich Menschen im öffentlichen Raum begegnen, um gemeinsam über die Welt zu diskutieren, in der sie leben wollen.
Anm.d.Red.: Janina Loh hält im Rahmen des SILENT WORKS-Auftakts bei der transmediale einen Vortrag über die Fragestellungen dieses Interviews. Ebenfalls auf der Bühne: Der Filmemacher und Medienkünstler Benjamin Heisenberg. Moderiert von Magdalena Taube und Krystian Woznicki. Sprache: Englisch. Ort: Volksbühne – Roter Salon. Datum: 31.1.2020. Uhrzeit: 19:30 Uhr.