Die Krise ist ueberall – erst Recht in einer ueberfuellten S-Bahn. Wir befinden uns ja, wie gesagt, in einer Krise, und da rueckt man schon einmal zusammen, auch wenn man es wegen der sommerlichen Temperaturen nicht unbedingt will. Zum Sitzen kein Platz und zu eng, um im Stehen zu lesen, und so beobachtet man gezwungenermassen seine Leidensgenossen. Das rhythmische Rattern der Bahn vermischt sich mit dem babylonischen Sprachgewirr der Touristen, die in den Sommermonaten die Stadt fest im Griff haben. Die Bahn haelt an, ein junger Mann, etwa Anfang Zwanzig, steigt ein.
>Ich spiele Euch ein Lied vor, das ich heute Morgen komponiert habe< und greift in die Saiten seiner Gitarre. Heute ist es nicht der Tenor, der in letzter Zeit oefter seine Arien durch die S-Bahn hallen laesst. Die junge Dame neben mir wendet sich kurz von ihrem Handy ab und wirft dem Gitarristen einen knappen, irritierten Blick zu. Am Ende des Waggons, abgeschottet vom Rest der Welt, wippen zwei Teenager im Rhythmus der Musik ihrer MP3 -Player. Ein weiterer Fahrgast wirft dem jungen Musiker einen fluechtigen, abwesenden Blick zu, widmet sich aber schnell wieder der eigenen Lektuere. Es ist voll, der Gitarrist muss sich durch die Masse kaempfen und kommt nicht weit. Er steigt aus.Ein paar Stationen weiter. Ein Obdachloser betritt den Wagen, einige Ausgaben des Strassenfegers in seiner Hand. Ob man ihm nicht das ein oder andere Exemplar abkaufen moechte, fragt er. Eine kleine Spende tue es auch. Bereitwillig greifen die Reisenden in ihre Geldbeutel: nicht viel, aber ein bisschen. Ein paar Cent oder etwas Essen, um zu helfen. Warum fuer ihn, aber nicht fuer den Musiker? Vielleicht gibt es in Krisenzeit kein Geld fuer Kunst. Schade, denn viele Songs wuerden uns daran erinnern, dass keine Krise ewig waehrt.