Krieg und Ökozid konfrontieren: Lokale Resilienz vs. postkoloniale ‚Entwicklung‘

Demonstrant*innen versammeln sich vor einer militarisierten Grenze, die eine Ölplattform ‚schützt‘, aus der große Mengen Öl austreten. Artwork: Colnate Group, 2025 (cc by nc)
Artwork: Colnate Group, 2025 (cc by nc)

Kriege und Umweltverbrechen haben schon immer das Leben auf unserem Planeten geprägt. In einer Welt, deren grundlegendes Modell von Herrschaft und Profitmaximierung derzeit in der Krise steckt, leiten diese Formen der Gewalt eine neue Phase der Barbarei ein. Mit hehren Absichten, die die wirtschaftlichen Bedingungen der ‚internationalen Gemeinschaft‘ verschleiern, werden wir aus dieser Sackgasse nicht herauskommen. In seinem Beitrag zur Reihe „Pluriverse of Peace“ wirft Rahul Goswami einen persönlichen Blick zurück auf die vergangenen fünf Jahrzehnte, reflektiert Ereignisse in Indien und Europa und plädiert dafür, stattdessen auf lokalen Widerstand zu setzen.

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Es war das Jahr 1983, als ein 18-Jähriger nervös und zögerlich am Flughafen von Bombay ein Flugzeug bestieg, um zum ersten Mal sein Land zu verlassen. Nur zwei Monate zuvor waren in Indiens nordöstlichem Bundesstaat Assam bei kommunalistischen Auseinandersetzungen mehr als 2.000 Menschen ums Leben gekommen. Der junge Mann hatte Freunde, von denen er wusste, dass sie aus der Region geflohen waren. Würden sie Bombay erreichen? Oder einen anderen Ort? Das würde er erst wissen, wenn er einige Wochen später zurückkehrte.

Der junge Mann hatte viel zu lernen. Helmut Kohl war der Kanzler der Bundesrepublik Deutschland. Erich Honecker war das Staatsoberhaupt der DDR. Die lange, stark befestigte und mit Wachtürmen versehene Grenze zwischen den beiden deutschen Staaten sowie die gewaltige Mauer, die quer durch die Stadt verlief, die er besuchte, waren unerwartet starke und bedrohliche Symbole für schreckliche Konflikte, die auf andere Weise ausgetragen worden waren und weitergingen. Eines Tages, als er auf einer Aussichtsplattform in West-Berlin stand, stellte er fest, dass es auf beiden Seiten dieser Grenzen zwei Arten von Welten zu geben schien. Die eine war grau und braun und trostlos, die andere bunt und gut bestückt mit Waren aller Art, voll von Kunst und Musik. Es war verwirrend und verstörend.

Bomben verbinden die verschiedenen Welten

Dieser junge Mann war ich, und in jenem Jahr begann ich, was zu einem jährlichen Routinebesuch wurde, um einige Wochen mit meiner Mutter, die im damaligen West-Berlin lebte, und meinem deutschen Stiefvater (einem stolzen Berliner, einem Bauingenieur, der mein Lehrer und Führer in allen deutschen Dingen wurde) zu verbringen. Ich stellte fest, dass die Welt von Berlin aus ganz anders und ziemlich einschüchternd war als die von Bombay, wo ich meine Kindheit verbracht hatte. Diese asiatische Großstadt, der finanzielle Motor Indiens, war viel größer, hektischer und genauso kosmopolitisch wie West-Berlin. Aber es war vertrautes Terrain. Trotz der Osterdekoration auf dem Kurfürstendamm, der Drehorgelspieler, der Luxusautos und des politischen Neulands (die Grünen waren in den Bundestag eingezogen) hatte ich das ungute Gefühl, dass hinter der glitzernden Bühne der Ersten Welt mächtige und dunkle Kräfte am Werk waren. Ich hatte wenig Zeit, diesem Eindruck nachzugehen. Eines Morgens meldeten die Zeitungen – Tagesspiegel und Berliner Morgenpost – in großen Schlagzeilen, dass die US-Botschaft in Beirut von einem Selbstmordattentäter getroffen worden sei. Im Juni wurde die konservative Regierung Englands unter Margaret Thatcher mit einem Erdrutschsieg wiedergewählt: Im Jahr zuvor war Thatchers Großbritannien in den Krieg um die Falklandinseln eingetreten. Es schien, als sei der Krieg eng mit dem politischen Schicksal der politischen Elite verbunden. Damals ahnte ich noch nicht, wie oft ich das in den nächsten 40 Jahren erleben würde.

Zu Hause in Indien erreichten uns im Juli desselben Jahres schreckliche Nachrichten aus Sri Lanka. Es war der Beginn eines sehr blutigen und langwierigen Konflikts, des Bürgerkriegs in Sri Lanka. Er hatte begonnen, als die militanten Befreiungstiger von Tamil Eelam (LTTE) eine Gruppe von Soldaten töteten. Daraufhin brachen in Sri Lanka antitamilische Unruhen aus, bei denen bis zu 3.000 srilankische Tamil*innen ums Leben kamen, gefolgt von weiteren Repressalien durch die LTTE. Während unsere Zeitungen und das Fernsehen (immer noch in schwarz-weiß, immer noch nur wenige Stunden pro Nacht) eine düstere Nachricht nach der anderen aus Colombo brachten, kam ein Hauch von einem Krieg auf, von dem die meisten glaubten, er gehöre der Geschichte an: der Kalte Krieg. Doch weit gefehlt, denn im September wurde Flug 007 der Korean Air Lines von einem sowjetischen Kampfflugzeug abgeschossen. Einen Monat später richtete sich die Aufmerksamkeit der Welt wieder auf den Nahen Osten, als Selbstmordattentäter mit Lastwagen die Kasernen der französischen Armee und der US-Marines in Beirut zerstörten und mehr als 300 Menschen töteten.

Die Gewalt der Grünen Revolution

Aus Berlin kamen regelmäßig Luftpostbriefe. In einem schrieb meine Mutter über den sauren Regen, der in Teilen Deutschlands und Westeuropas eingesetzt hatte; die Kinder durften nicht zur Schule gehen und die Arbeiter, die im Freien arbeiteten, mussten spezielle Anzüge tragen. Für mich in Indien klang das völlig unwirklich. War das eine Krankheit der Ersten Welt? Ich beschloss, es so zu sehen.

Das Jahr 1984 erwies sich jedoch schnell als ebenso ereignisreich wie das Jahr zuvor, als die politischen und sozialen Unruhen im indischen Bundesstaat Punjab die Aufmerksamkeit des Landes auf sich zogen und auch anderswo für Unruhe sorgten, da militante Mitglieder der Sikh-Bevölkerung eine neue, unabhängige Region forderten. Es verging keine Woche ohne Gewalt im Punjab, einem Bundesstaat, der zusammen mit Haryana das Epizentrum von Indiens Grüner Revolution in den 1960er und 1970er Jahren war. Die Gewalt der Grünen Revolution, die zum Titel eines sehr populären Buches der Aktivistin Vandana Shiva wurde, begann als ein langsames, aber unaufhaltsames ökologisches Debakel, als eine Agrarwende, die wohlhabende Eliten hervorbrachte, die ihrerseits zu Trägern dessen wurden, was in den vielen kleinen und einer kolossalen Tragödie von 1984 gipfelte. Die Spirale der Militanz im Punjab drehte sich immer schneller, und im Juni 1984 befahl die damalige Premierministerin Indira Gandhi einen Armeeeinsatz, um die militante Führung aus dem Goldenen Tempel in Amritsar zu vertreiben. Dies war der Auslöser für die Ermordung Indira Gandhis im Oktober.

Im Dezember desselben Jahres ereignete sich die schlimmste Industriekatastrophe der Welt, als aus einer Chemiefabrik der Union Carbide in der zentralindischen Stadt Bhopal das tödliche Gas Methylisocyanat austrat. Mehr als 4.000 Menschen starben, schätzungsweise eine halbe Million erkrankten und litten unter zahlreichen Gesundheitsproblemen wie Blindheit, chronischen Atemwegserkrankungen und Geburtsfehlern.

Als ich Ende 1988 bei einer Tageszeitung in Bombay anfing, ging der jahrzehntelange sowjetisch-afghanische Krieg zu Ende, Tschernobyl hatte seine riesigen Wolken über Osteuropa geblasen, das Montrealer Protokoll war unterzeichnet, das Intergovernmental Panel on Climate Change (IPCC) gegründet worden, und in ganz Indien wurden große Staudämme gebaut, was mich sehr beunruhigte. Es gab ein ausgeprägtes neues Bewusstsein, das wir als junge Erwachsene in Indien in unserem eigenen Tempo spürten, über Konflikte und Kriege, über den Angriff auf das Gemeingut, über die ferngesteuerte Gestaltung unserer Wirtschaft (und damit unseres täglichen Haushaltslebens) durch die Weltbank und den Internationalen Währungsfonds, über Definitionen von Entwicklung und auch über Alternativen. Als Journalist konnte ich in der Presse über Entwicklungsideen diskutieren. Aber der Widerstand gegen Großstaudämme erforderte Bodenhaftung und Augen in den Dörfern. Die Bemühungen hunderter Menschen, kanalisiert durch die Narmada Bachao Andolan (die ‘Kampagne zur Rettung des Narmada-Flusses’, weil der zentralindische Fluss durch eine Reihe von Staudämmen eingedämmt werden sollte), führten 1992 zur ersten unabhängigen Überprüfung der Finanzierung von Großstaudämmen durch die Weltbank und nach dem Prüfbericht zum Rückzug der Bank aus dem Staudammprojekt 1992.

Aufbau von Widerstandskraft an der Basis

Ein Sieg war das nicht. Die Staudämme an der Narmada wurden gebaut. Die Menschen, die aus ihren Dörfern vertrieben wurden, die durch das aufgestaute Wasser überflutet wurden, erhielten jahrelang keine Entschädigung und wurden auch nicht als rechtmäßig Betroffene eines ‘Entwicklungsprojektes’ anerkannt. Aus Sicht der Umweltbewegung hat das Projekt bestenfalls viele andere Gruppen und Organisationen (nicht nur in Indien) inspiriert, ihre Flüsse und Gewässer zu schützen. Die direkte Erfahrung als Aktivist und die damit verbundene direkte Erfahrung, das Thema durch Journalismus auch für diejenigen relevant zu machen, die weit entfernt von den Staudammstandorten leben, zwang mich, neu über Krieg und militärische Konflikte nachzudenken. War es nicht auch eine Art Krieg, den der Staat denjenigen zufügte, die sich seiner Version von ‚Entwicklung‘ widersetzten? Und sind die Folgen solcher gewaltsamen Auseinandersetzungen – es gibt so viele, die Geschichte der Auseinandersetzungen zwischen Menschen und dem staatlichen Dogma von ‚Entwicklung‘ ist lang – nicht in vielerlei Hinsicht dieselben wie die Folgen eines Krieges?

Das sind Fragen, die vor einer Generation, glaube ich, als unbequem angesehen und deshalb beiseite geschoben wurden. Der Staat tat dies routinemäßig, was nicht überraschend war. Überraschend ist jedoch, und das habe ich in den letzten Jahren gesehen, dass der Meta-Staat (die Organisationen der Vereinten Nationen und multilaterale Organisationen) dies ebenfalls tut. Seit 2010 arbeite ich im Bereich Traditionelles Wissen und Lebendes Erbe, und die meisten meiner Kund*innen sind UN-Organisationen. Die Dokumentation und der Schutz traditioneller Wissenspraktiken und kultureller Ausdrucksformen des lebendigen Erbes findet oft unter schwierigen Bedingungen statt: Krieg und bewaffnete Konflikte (zwischen Staaten oder para-staatlichen Akteur*innen), ‚natürliche‘ Katastrophen (wie Überschwemmungen oder Erdbeben) oder ‚natürliche‘ Katastrophenprozesse (wie klimatische Dürren), erosive Globalisierung (in der es meist keine jüngere Generation gibt, die eine Tradition oder Praxis weiterführt).

Staaten und multilaterale Organisationen können sich nicht länger auf die Existenz von Gesetzen und Verordnungen, ordnungsgemäßen Verfahren, Konventionen und Instrumenten als Beweis einer Zivilisation berufen, die sowohl den Willen als auch die Mittel hat, Kriege zu beenden, Umweltkriminalität zu stoppen und Schäden zu beheben. Es hat nicht annähernd so funktioniert wie versprochen, und dies ist das 80. Jahr der UNO. Im Gegenteil, was ich in 42 Jahren erlebt habe, hat mich davon überzeugt, dass es auf die kollektive Stärke und die gemeinschaftlichen Kapazitäten vor Ort ankommt, ob es nun darum geht, auf einen drohenden Konflikt zu reagieren oder eine Umweltkatastrophe zu beseitigen. So wie ich in diesem kurzen Kommentar die Ereignisse der Jahre 1983 und 1984 skizziert habe, die mein Weltbild geprägt haben, so war jedes Jahr seither ein Paukenschlag von Kriegen, Konflikten, Umweltverbrechen und ‚menschengemachten‘ bzw. system-bedingten Umweltkatastrophen. Was den Überlebenden dieser Krisen geholfen hat, wieder auf die Beine zu kommen, waren nicht die wohlmeinenden, aber fernen internationalen Erklärungen und globalen Initiativen, sondern der lokale Wille und die lokale Widerstandsfähigkeit. Das ist die kollektive menschliche Qualität, die unsere Aufmerksamkeit und unseren Beifall verdient.

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