Die Künstlerin Monika Linhard wurde während ihrer Internatszeit unfreiwillig zur Autodidaktin. Damals unternahm sie einsame Wissensreisen unter der Bettdecke. Heute reist sie lieber mit anderen zusammen und betreibt einen Salon, in dem das gemeinsame Lernen im Vordergrund steht.
Lernen würde ich gerne Basiswissen und Grundlagen der Elektronik. Mich faszinieren nicht nur die rätselhaften Platinen, die vielfarbigen Widerstände, Kondensatoren und Verstärker. Auch, dass, wie von Geisterhand sich Abläufe regeln, Geräte anspringen, Lichter sich verdunkeln – dass diese unsichtbare Miniaturwelt unser Leben regelt, leitet, sichert und ordnet. Die Diktatur des Unsichtbaren, die keine Beunruhigung schafft, oder?
Da ich ein langsamer Mensch bin, es liebe ausschweifend zu lernen und zu üben, zu betrachten, zu spielen, benötige ich Freiräume, die unbeabsichtigte Entwicklungen und Kreationen zu lassen. Ergebnis meiner Leistungsverweigerung in den 70er Jahren war, dass meine verzweifelten Eltern für mich ein Internat suchten. Schließlich sollte ich das Abitur machen – einen Beruf ergreifen, der mir eine sichere wirtschaftliche Grundlage bot.
Traum und Alptraum von Lernumgebungen
Meine Aussage zur Internatsschule lautete: Lebensfern und Kopflastig. Abends um 21 Uhr war unter der Woche Zapfenstreich. Wir mussten in unseren Zimmern sein, um 22 Uhr wurde das Licht gelöscht. Eines meiner Lieblingsbücher war ein abgegriffenes dünnseitiges Lexikon. Gespickt mit unzähligen Merkzetteln, Lesezeichen, Eselsohren.
Ich verkroch mich mit meiner Taschenlampe unter die Bettdecke und sobald die letzte Kontrolle der Heimleiterin beendet war begann “meine Lernreise“. Zufällig aufgeschlagen, hangelte ich mich an Querverweisen kreuz und quer durch das Buch. Was mich besonders ansprach, verfolgte ich intensiv und besorgte mir weiterführende Literatur.
Alptraumhaftes Szenario am Beispiel einer Gesamtschule, in der ich in den 80er Jahren unterrichtete: Betonarchitektur in mehreren Etagen versetzt gebaut, die Wände verschmierten unzählige Schichten Graffiti, düstere Gebäudeübergänge, schlecht beheizte Funktionsräume, das Mobiliar angeschlagen, gestaltlose Außenräume , Flure und Treppenhäuser. Die Unübersichtlichkeit verstörte, das Ungegliederte stumpfte ab, das Fehlen von haptischen, visuellen und architektonischen Reizen verarmte. Ebenso betrübte der Mangel an natürlichem Licht, Verschattungen und Farben.
Aus diesem Alptraum kann ich meinen Traum für eine Lernumgebung entwickeln: Flexible Räume leiten natürliches Licht, übersichtliche Baukörper die mit Brücken, Treppen, offenen und halboffenen Gängen verbunden sind, bepflanzte lichte Höfe, mit Nutzgärten und Obstbäumen, einer Bibliothek, Sporträumen und einem Schwimmbad, die immer zugänglich sind, ebenso Werkstätten und Ateliers.
Der Salon für intersubjektive Reisen
Fachwissen eigne ich mir am liebsten in Kursen an – gemeinsam lernen macht Spaß und motiviert. Meine besondere Freude aber ist der “Salon für intersubjektive Reisen“. Wir, das sind ca. zehn Wissenschaftler, Künstler, Wissenshungrige und Freunde, treffen uns einmal im Monat. Persönliche Themen wie Männer/Frauen, Träume, Alter, gemeinsames Kochen stehen dabei meist im Vordergrund. In größeren Abständen veranstalten wir offene Abende (bis zu 50 Gästen) und laden einen Referent oder eine Referentin, In zu einem natur-/wissenschaftlichen Thema ein. Da gab es zum Beispiel schon die Themen Spieltheorie, monoteistische Religionen, Urknall oder der Egotunnel. Oberstes Gebot – es gibt keine dummen Fragen!
Unser Salon ist immer, und ich meine damit wirklich immer, mit Genuss, also mit frisch zubereitetem Essen und einer Vielfalt von Getränken verbunden. Jeder findet sich hier wieder mit seinen persönlichen Vorlieben und Essgewohnheiten. Und an der großen Tafel ist der geeignete Ort um in der Pause, vor oder nach dem Vortrag zu diskutieren, neue Gäste kennen zu lernen, mit dem Referenten zu sprechen. Die Veranstaltungen, die konkrete Themen beinhalten, funktionieren hervorragend, hier spüre ich den Wissenshunger und die Freude am Neuen, das ist aufregend.
Die internen Veranstaltungen sind wiederum sehr persönlich. Da besprechen wir Themen, zu denen wir uns bewusst entschieden haben, um uns als Gruppe zu stärken und uns untereinander besser kennen zu lernen. Ich werde im Herbst zum Thema “Alter” einen Salonabend vorbereiten, und dieses Treffen zu strukturieren und zu moderieren, habe ich mir vorgenommen.
Elektronik als Diktatur des Unsichtbaren, das keine Beunruhigung schafft – sehr interessanter Randgedanke! Und viel Glück für Ihren Salonabend!
mich würde interessieren: schlägt sich Ihre Internatszeit auch irgendwie in Ihrer Kunst nieder?
Arno Schmidt hat bereits in seiner Kindheit angefangen haufenweise Bücher zu lesen, dann muss ich auch an die Hauptfigur aus “Die Blechtrommel” denken, die sich der Erwachsenenwelt und ihren Verblendungen entziehen will und auch in einer gewissen Weise unter eine Bettdecke kriecht und dort nicht mehr rauskommt, auf ewig klein bleibt.
Wissen wollen, fliehen wollen — ist da nicht ein leiser Widerspruch?
An Mark, doch es verschafft Beunruhigung, ich hatte es mit einem “oder, versehen, mir um so mehr ich das nicht verstehe. Die Zeil, der Bahnhof, immer größere Teil des öffentl. Raums sind überwahcht….
Für Shondra, In meiner Kunst beschäftige ich mich den Dingen. Mit den Materialen der Dinge, deren Geschichte und Bedeutung und auch der Bedeutung für mich entwickle ich Objekte und Rauminstallationen. Wenn sie schauen mögen unter http://www.monikalinhard.de, und wäre neugierig auf ihre Meinung.
Für mich sind meine pers. Erlebnisse und Geschichten
und an Rainald: Wo meinen sie, ist da der Widerspruch?
Monika
Schöner Artikel! Die moderne Lernumgebung klingt äußerst verlockend! :) Leider bisher noch unerreicht.. greifen wir an. :) VG
Oberstes Gebot: Es gibt keine dummen Fragen ! Prima, da könnte ich ja auch teilnehmen.
ja liebe Verena, “greifen wir an” ist bayerisch gut, handgreiflich direkt …
und liebe rehse,
die chance zu fragen ist immer eine chance für dich selbst
also packs an:))
Monika