Kohlenstoffmärkte als Lösung? Über die Neuauflage von Emissionshandel und Clean Development Mechanism

Grüner Kolonialismus: Kachung-Plantage in Uganda. Photo: Carbon Colonialism Report, 2017.
Grüner Kolonialismus: Kachung-Plantage in Uganda. Photo: Carbon Colonialism Report, 2017.

Angesichts der sich multiplizierenden Krisen und Konfliktherde auf der Welt ist die Aufmerksamkeit für Klimathemen zumindest in Deutschland zurückgegangen. Unterdessen werden vermeintliche Lösungen wie der Emissionshandel und der Clean Development Mechanism weiterhin forciert. Ein folgenreiches Blendwerk, wie Maria Neuhauss argumentiert.

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Bereits im Januar des Jahres 2025 gab es schlechte Neuigkeiten: Das europäische Erdbeobachtungsprogramm Copernicus und die Weltorganisation für Meteorologie meldeten, dass die globale Durchschnittstemperatur des Jahres 2024 1,6 Grad Celsius über dem vorindustriellen Niveau gelegen habe. Damit lag die globale Durchschnittstemperatur eines Jahres erstmalig über dem 1,5 Grad-Ziel des Pariser Klimaabkommens.

Angesichts der sich multiplizierenden Krisen und Konfliktherde auf der Welt ist die Aufmerksamkeit für Klimathemen zumindest in Deutschland spürbar zurückgegangen. Während im September 2019 nach Angaben von Fridays for Future noch 1,4 Millionen Menschen in Deutschland für mehr Klimaschutz demonstrierten, kann inzwischen fast nicht mehr von einer Klimabewegung gesprochen werden. Das Fanal für den dritten deutschen ‚Bewegungszyklus‘ sprach zweifelsohne die Umbenennung der Letzten Generation im Dezember 2024, die in den Monaten zuvor durch staatliche Repression und mediale Hetze zerrieben worden war. Die Austrittserklärung der USA aus dem Pariser Klimaabkommen zu Beginn dieses Jahres machte ihrerseits überdeutlich, dass die Verteidiger*innen des fossilen Status Quo an Momentum gewonnen haben und ihre Ziele kompromisslos durchzusetzen beabsichtigen. Da die weltweiten Treibhausgasemissionen allerdings weiter steigen und die stoffliche Welt ihren eigenen Regeln folgt, ist zu erwarten, dass sich das Problem der Erderwärmung in absehbarer Zukunft zurück in das kollektive Bewusstsein drängen wird: Sei es durch Hitzewellen, Extremwetterereignisse, Wassermangel oder Waldbrände. Die Frage wird sein, ob und, falls ja, welche neuen Antworten und Vorgehensweisen eine wiedererstarkte Klimabewegung entwickeln wird, sofern sie sich nicht auf ‚solidarisches Preppen‘ beschränkt und tatsächlich den Lauf der Dinge beeinflussen möchte.

Von zentraler Bedeutung ist dabei nicht nur der entschiedene Widerstand gegen fossile Beharrungskräfte, sondern ebenso, das Agieren liberaler Akteur*innen auf den Prüfstand zu stellen. Während diese nämlich behaupten, das Problem des Klimawandels anzuerkennen und lösen zu wollen, sind die von ihnen getroffenen Maßnahmen nur allzu unzureichend oder bieten im schlimmsten Fall gerade jenen Industrien neue Profitmöglichkeiten, die eigentlich dringend abgewickelt werden müssten – von einer umfassenden Lösung der ökologischen Krise, die weit mehr als eine Klimakrise ist, ganz zu schweigen. Ein Beispiel, an dem sich dies gut zeigen lässt, sind der Emissionshandel und die damit verbundenen Offset-Mechanismen, die Teil der internationalen Klimaverhandlungen sind.

Klimamathematik‘ der flexiblen Mechanismen

Der Emissionshandel beruht auf dem Ansatz, dass Treibhausgasemissionen weiter möglich sind, aber mit entsprechenden ‚Verschmutzungsrechten‘ legitimiert werden müssen. In ihrer Anzahl absolut begrenzt, sollen die entsprechenden Zertifikate mit der Zeit reduziert werden, um so eine Minderung der Treibhausgasemissionen zu bewirken. Dabei sieht der Emissionshandel durch die Möglichkeit des Kaufs und Verkaufs von Zertifikaten eine grundsätzliche Flexibilität vor. Diese soll letztlich einen möglichst kosteneffizienten Klimaschutz bewirken, da zuerst dort emissionsmindernde Maßnahmen zu erwarten sind, wo dies schnell und günstig möglich ist. So kann anschließend vom Verkauf ungenutzter Emissionszertifikate profitiert werden, die sich andere Akteur*innen, die entsprechende Maßnahmen zunächst scheuen, solange zukaufen müssen, bis aufgrund der durch Verknappung gestiegenen Preise Emissionen derart teuer sind, dass emissionsmindernde Maßnahmen unumgänglich werden. Soweit zumindest die Theorie.

Der Emissionshandel ist eng verbunden mit dem Konzept der Klimaneutralität, das in der Welt der Klimapolitik von zentraler Bedeutung ist. Den Emissionen von Treibhausgasen werden dabei verhinderte Emissionen, natürliche Kohlenstoffsenken oder der Entzug von bereits emittiertem CO2 aus der Atmosphäre gegenübergestellt. Der Clou dieser ‚Klimamathematik‘: Auch wenn weiterhin Treibhausgase in die Luft geblasen werden, zählen diese quasi nicht, insofern die Emissionen entsprechend kompensiert werden – diese Kompensationsmaßnahmen werden dann ‚Offsets‘ genannt.

Die Logik, dass gar nicht unbedingt alle Emissionen einsparen müssen, sondern sich prinzipiell von dieser Pflicht freigekauft werden kann, sitzt nun historisch gewachsenen globalen Ungleichheiten auf, die das erste globale Klimaabkommen – das Kyoto-Protokoll von 1997 – bereits grundsätzlich strukturierten. So hatte das Protokoll dem Ansatz ‚der gemeinsamen aber differenzierten Verantwortung‘ gemäß nur Emissionsminderungen für die Industriestaaten vorgesehen, da diese in der Hauptsache für die hohe Treibhausgaskonzentration in der Atmosphäre verantwortlich waren. Allerdings konnten sich die Industriestaaten im Rahmen des sogenannten Clean Development Mechanism (CDM) über die Finanzierung von emissionsmindernden Maßnahmen in den Entwicklungs- und Schwellenländern von dieser Verantwortung teilweise freikaufen. Der CDM wurde daher bisweilen kritisch als moderner „Ablasshandel“ bezeichnet (Altvater/Brunnengräber, 2008). Dieser ermöglichte es den Industrieländern, den Widerspruch zwischen ihrer Form der Energiegewinnung und dem Erfordernis des Klimaschutzes abzufedern, während sie gleichzeitig Konflikte um die Energiewende wie bspw. um die Flächennutzung in den Globalen Süden auslagern konnten (Bauriedl, 2016).

Soziale und ökologische Defizite des CDM

Aus Perspektive des Klimaschutzes macht es allerdings nur dann Sinn, Emissionsreduzierungen in Entwicklungs- und Schwellenländern in die Emissionsbilanz der Industriestaaten einzubeziehen, wenn die getätigten Investitionen tatsächlich dabei helfen, Emissionen einzusparen – wenn also ohne die Investitionen aus dem Globalen Norden die jeweiligen Projekte nicht realisiert worden wären. Haben Projekte nach dem CDM dagegen keinen zusätzlichen Charakter, wäre beispielsweise ein Staudamm alternativ auch ohne die Investitionen aus dem Globalen Norden gebaut worden, können sich die Unternehmen der Industrieländer Emissionsgutschriften anrechnen lassen, ohne dass sie tatsächlich Emissionen einzusparen geholfen haben. Denn die Emissionsvermeidung hätte ohnehin stattgefunden. Damit wäre dann insgesamt einem Mehr an Emissionen stattgegeben worden.

Tatsächlich ist die Zusätzlichkeit zahlreicher nach dem CDM finanzierten Projekte über die Jahre infrage gestellt worden (Öko-Institut, 2016). Weniger Beachtung fand hingegen die Tatsache, dass es im Zusammenhang mit CDM-Projekten immer wieder zu Vertreibungen der ortsansässigen Bevölkerung und Landraub kam. Als Beispiel sei etwa ein Aufforstungsprojekt im Kachung Central Forest Reserve, Uganda, genannt, auf dessen Fläche viele angrenzende Dorfbewohner*innen früher Landwirtschaft betrieben und ihr Vieh hatten weiden lassen. Der von Lebensmittelunsicherheit, Hunger und Armut geplagten Bevölkerung wurde mit Pflanzung der nach dem CDM anerkannten Plantagen der Zugang zum Land verwehrt, was ihre Situation weiter verschlimmerte. Auch ökologisch hatten die Plantagen etwa durch ihre Anlage als Monokulturen negative Konsequenzen (zu diesem und weiteren Beispielen vgl. Carbon Market Watch, 2018). Somit schrieb der CDM auf mehreren Ebenen koloniale Verhältnisse fort. Zwar ist der Mechanismus mit Auslaufen des Kyoto-Protokolls 2020 an sein Ende gekommen. Bereits erfolgte Gutschriften können jedoch auch unter dem Pariser Klimaabkommen weiter genutzt werden.

Preisanreize statt Verbote

Auch im Falle des Emissionshandels wäre dringend eine kritische Bestandsaufnahme geboten. Dieser versagt nämlich gleich auf mehreren Ebenen als geeignetes Mittel des Klimaschutzes. Für das Beispiel des Europäischen Emissionshandelssystems (EU-ETS) lässt sich etwa festhalten, dass durch die weiterhin erfolgende, großzügige Vergabe kostenloser Zertifikate insbesondere an energieintensive Industrien gerade diejenigen, die für besonders hohe CO2-Emissionen verantwortlich sind, vor allzu strengen Vorgaben geschützt werden. Zudem krankt der Ansatz des Emissionshandels daran, dass prinzipiell nicht klar ist, ob und ab welchem Niveau der Preis von Emissionszertifikaten überhaupt Investitionsentscheidungen zugunsten des Klimaschutzes beeinflusst. Verschiedenen Studien zufolge wäre ein Preis von 140 bis 6.000 Euro pro Tonne CO2 notwendig, um das 1,5 Grad-Ziel zu erreichen (IPCC, 2018).

Allerdings klagt die hiesige Industrie schon jetzt (der durchschnittliche Zertifikatspreis lag 2024 bei 65 € pro Tonne CO2) über zu hohe Strompreise, was die Regierung in Sorge über die Attraktivität des Standortes versetzt. Ist angesichts dessen tatsächlich zu erwarten, dass die Politik die energieintensive Industrie mit höheren – sehr viel höheren – Zertifikatspreisen zu mehr Klimaschutz zwingen wird? An dieser Überlegung zeigt sich zuletzt der ganz fundamentale Mangel des Emissionshandels, nämlich seine bloß indirekte Wirkung: Statt über Vorgaben und Verbote, sollen Unternehmen über Preisanreize zu Emissionseinsparungen bewegt werden. Damit allerdings wird Klimaschutz Akteuren überantwortet, die primär dem Profitinteresse folgen und das Preissignal gar nicht notwendigerweise in Klimaschutzmaßnahmen übersetzen. So erklärt sich denn auch die wiederholt dokumentierte Praxis von Unternehmen, sich an Emissionshandel und Clean Development Mechanism zu bereichern, wo es nur eben ging (CE Delft, 2021).

Für diejenigen, die die Emissionshandelssysteme ins Leben gerufen haben, gestalten und steuern, sind die angeführten Kritikpunkte nur ein Grund, die einmal gewählten Mittel immer wieder neu zu reformieren und zu stützen. Das ist auch bei der EU der Fall, die – nach einer Phase, in der der Emissionshandel aufgrund zu niedriger Preise schon totgeglaubt war – das System Ende der 2010er Jahre bspw. durch die Einführung der sogenannten Marktstabilitätsreserve wiederbelebte. Dabei geht es stets auch darum, das öffentliche Vertrauen in die Wirksamkeit dieses Mittels aufrechtzuerhalten, ist es doch immerhin das globale Klimaschutzinstrument. Auswertungen zu dessen Wirksamkeit sind demgegenüber auffallend rar gesät und lassen wenig Optimismus aufkommen: Laut einer Auswertung verschiedener Studien bewirkt der EU-ETS gerade einmal Emissionsminderungen von 0 bis 1,5 % pro Jahr (Green, 2021).

Geschichte und Verantwortung werden ausgelöscht

Umso kritischer sind die laufenden Verhandlungen der UN-Klimakonferenzen zur Implementierung eines globalen Emissionshandels und eines neuen Clean Development Mechanism zu sehen. Neben der Frage, welche Hilfe finanzschwache Länder für klimabedingte Schäden und Verluste erhalten, beschäftigt die jährlichen COPs nämlich vor allem der Artikel 6 des Pariser Klimaabkommens. Dieser regelt die internationale Kooperation, also inwiefern sich ein Land Minderungsmaßnahmen oder die Vermeidung von Emissionen andernorts in seiner eigenen Klimabilanz anrechnen kann. Die COP29 in Baku im vergangenen Jahr hat die Operationalisierung dieses Artikels weiter vorangetrieben. Auf der Basis können nun alte CDM-Projekte unter bestimmten Voraussetzungen in den neuen Sustainable Development Mechanism überführt werden. Bereits das erste Projekt, das diese Hürde nahm, soll aber möglicherweise bis zu 26-mal höhere Emissionsminderungen angegeben haben, als laut wissenschaftlicher Auswertung davon zu erwarten sind (Mulder, 2025).

Trotz eindringlicher Warnungen scheinen die Weltklimakonferenzen also entschlossen, bereits begangene Fehler zu wiederholen. Im Vordergrund steht dabei der Profit; um das Klima, so resümiert auch Tamra Gilbertson im Interview mit Chris Lang, geht es dabei zuallerletzt. Immerhin sollen bei den Handelsprozessen zukünftig Abschläge anfallen, die in den internationalen Anpassungsfonds fließen. Dies hängt Gilbertson zufolge aber auch damit zusammen, dass die Klimakonferenzen bislang keine tragfähigen Vereinbarungen zur Finanzierung von Klimaschäden und Anpassungsmaßnahmen der ärmeren Länder zustande gebracht haben. Stattdessen würde nun vom Emissionshandel erwartet, die entsprechenden Summen zu liefern. „Dies ist der Punkt, wo der Ansatz ‚gemeinsamer aber differenzierter Verantwortung‘ getilgt wird. Geschichte und Verantwortung werden ausgelöscht, stattdessen wird der Kapitalismus in Form von Kohlenstoffmärkten an ihre Stelle gesetzt.“ (Lang, 2024)

Während die beschriebenen Prozesse für die Öffentlichkeit kaum mehr nachvollziehbar sind, wäre angesichts der sich zuspitzenden Klimakrise eine nur umso kritischere Aufmerksamkeit vonnöten. Die mit dem Emissionshandel und dem Clean/Sustainable Development Mechanism verbundenen Probleme müssen dringend aufgezeigt und als Ablenkung von der eigentlichen Aufgabe enttarnt werden: dem raschen Ausstieg aus den fossilen Energien.

Anm.d.Red.: Die Bibliographie des Artikels ist hier zu finden. Die Autorin verfasste gemeinsam mit Katja Wagner und Maximilian Hauer das Buch „Klima und Kapitalismus. Plädoyer für einen ökologischen Sozialismus“, das im Januar 2025 beim Schmetterling-Verlag erschien.

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