Koennen Sie sich noch an die Klassensprecherwahlen waehr- end Ihrer Schulzeit erinnern? In meiner Klasse war das eigentlich immer eine klare Sache: Da ich die einzige war, die sich zur Wahl stellte, bekam ich auch immer alle Stimmen. Doch in der achten Klasse aenderte sich ploetzlich etwas.
Es muss das erwachte politische Interesse meiner Mitschueler gewesen sein oder einfach nur Ueberdruss an meiner Person. Die Wahl wurde ploetzlich zu einem richtigen Kampf mit boesen Worten und vielen Emotionen. Meine bisherigen Leistungen wurden in Frage gestellt und am Ende konnte ich nicht genug Striche hinter meinem Namen vereinigen. Ich war abgewaehlt!
Wenig nostalgische Gefuehle kamen auf, als am letzten Montag im Radialsystem V der Rat fuer die Kuenste neu gewaehlt wurde. Ungefaehr 120 Berliner Kulturschaffende waren zusammen gekommen, um die neuen Mitglieder des Rates zu bestimmen. Der Rat versteht sich als eine unabhaengige Einrichtung, die die Interessen der Berliner Kulturschaffenden, ob sie nun frei arbeiten oder in Institutionen, Landesfoerde- rung erhalten oder Geld vom Bund, vertritt. Bevor es zur Wahl kam, gab es ein kurzes Aufbegehren wegen des Wahlverfah- rens. Danach stellten sich die 40 Kandidaten vor jeder hatte nur 30 Sekunden Zeit seine Position zu praesentieren.
Wahl. Auszaehlung. Ergebnis. Und schliesslich Verkuendung. Erneut kurzes Aufbegehren: >Und was ist mit den Bildenden Kuensten?< wollte eine Frau aus dem Publikum wissen. Doch ihr Einwand wurde nicht mehr gehoert. Ich verliess die Veran- staltung mit einem aehnlich mulmigen Gefuehl wie die Klassen- sprecherwahlen damals: Repraesentieren diese 20 Leute da wirklich die Berliner Kulturschaffenden? Oder geht es wieder nur um einen weiteren Titel hinter dem Namen? Und: Bei einer Waehlerschaft von 120 Personen, von denen 40 selbst kandidierten kann man da ueberhaupt von repraesentieren sprechen? Was sagen die restlichen Kulturschaffenden Berlins?
Man darf nicht vergessen, dass dieser Rat noch ganz neu ist, also als Institution noch nicht so etabliert wie das Klassensprecheramt ; )
Man darf beim Werden natürlich nicht den Zaungast spielen, hier geht es um was.
Wer stellt sich zur Wahl?
Wer wählt?
Die Antwort auf beide Fragen lautet im Augenblick: Es sind v.a. Institutionen und deren Vertreter, NICHT Kulturschaffende wie Künstler oae noch nicht einmal welche, die in Initiativen oder semi-institutionalisierten Organsiationen tätig sind.
Der Rat gibt vor für die Kulturschaffenden Berlins zu sprechen, im Augenblick spricht er vor allem für sich selbst.
Hier sollte man ansetzen.
Da gibt es Widersprüche, mit denen man, fürchte ich, leben muss. Der eine ist, dass – Stichwort ‘be Berlin’ – es klar ist, dass die Kultur einer der wesentlichen Standortfaktoren von Berlin ist, ohne den es z.B. den ganzen Tourismusboom nicht gaebe, dass aber andererseits in diesem Bereich Einsparungen am leichtesten durchzusetzen sind, und darum wird das auch gemacht.
Dann ist ‘Kultur’ freilich ein sehr grosses Wort, bei dem nicht klar wird, ob man institutionalisierte Kultur meint oder Bildungsinstitutionen wie die Universitäten oder Off-Kultur oder meinetwegen auch Club-Kultur. Und was davon macht das ‘Flair’ (vielleicht ein schöneres Wort als ‘Standortfaktor’) von Berlin aus? Der Rat für die Künste steht eindeutig für institutionalisierte Kultur. Off-Kultur wäre wohl überhaupt nicht in der Lage, sich zu artikulieren, weil das Feld viel zu heterogen ist und hier viele auch gar kein Interesse haben, institutionalisiert zu werden. Gelegentlich schaut man natürlich mit etwas Neid auf die Leute, die jeden Monat zuverlässig vierstellige Summen für ihre ‘Kulturarbeit’ erhalten, und dann wieder genießt man doch die Freiheit im Off-Bereich, wo man sich nicht ständig mit Administration und den Mühen der Repräsentation herumschlagen muss.
Dann wieder ist es quälend, wieviele gute Ideen im Off-Bereich versanden, weil oft genug nur winzige Summen fehlen. Würde man den Etat einer Oper hier in einen Fond für Kleinprojekte geben oder dafür z.B. jedem Hartz-4-Empfänger monatlich 10 Euro abziehen oder die Beamtenpensionen um ein paar Prozent kürzen würde, wieviel ließe sich hier erreichen und wie sehr ließe sich das ‘Flair’ noch verstärken. Aber da hat natürlich kein Politiker Interesse, weil Effekte hier womöglich länger als eine Legislaturperiode brauchen bzw. weil’s eben nicht so deutlich repräsentativ ist bzw. weil die Hartz-4ler eine deutlich größere Wählerschaft stellen als die ‘Kulturschaffenden’.
Ich habe auch erstmal keine Idee, wie sich diese Probleme lösen lassen. Schön wäre es, wenn man nicht dauernd lesen müßte, dass wieder irgendwelche Unsummen aufgrund von Schlamperei (Mauschelei?) in irgendwelchen Bauskandalen à la Spreedreieck versenkt werden. Und das Geld stattdessen in echte Investitionen gesteckt würde und auch nicht in konsumptive Ausgaben.
Frage, ob und in welchem Maße man die institutionalisierte Kultur für wichtig hält und haben möchte. Ich weiß es nicht.
bravo, der minus 10euro h4 vorschlag ist ein ziemlich guter. da käme eine schöne summe zusammen. die wäre sicher ausreichend, die pensionsansprüche der 40 kandidatInnen und eventuell auch noch weiterer ausgesuchter mitglieder des ‘kunstrates’ langfristig zu sichern. und sollten die jährlichen subventionen wieder mal gekürzt werden, müssten sie nicht am hungertuch nagen, da fürs ‘be berlin’ kuratieren überbrückungshilfen ausgezahlt werden könnten. die kunsträte könnten dann unbeeindruckt weiter nach bestem gewissen schalten, walten und büros mit sekräterInnen führen.
als ausgleich könnte man ja den h4lerInnen 10% ermässigten eintritt bei subventionierten kunstrat-veranstaltungen gewähren, das lässt sich sicher verkraften ohne verlustängste bei den mitgliedern zu schüren. der oper sollte man auf keinen fall geld wegnehmen, die müsste sonst zusperren oder massenentlassungen vornehmen bzw. bei der deko sparen. wo bliebe da die berlin-kunst? die unabhängigen künstlerInnen zu fördern halte ich für keine gute idee. dann wären sie ja nicht mehr unabhängig und müssten sich sorgen um die nächstjährliche subvention machen, was sicherlich ihrer kunst schaden würde.