150% „American Dream“: Wie in US-Gefängnissen Rassismus floriert – und bekämpft wird

In kalifornischen Männergefängnissen herrscht Ausnahmezustand. Die Gefängnisse sind zu 150% gefüllt und die Hautfarbe entscheidet über die Art und Weise der Bestrafung. Farbige Plaketten weisen die Häftlinge bestimmten Ethnien zu. Rassismus ist Alltag. Doch die Häftlinge wehren sich. Immer mehr Klagen laufen gegen die Strafvollzugsanstalten im Land des „American Dream“ ein. Journalistin Christie Thompson kommentiert.

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In kalifornischen Männergefängnissen hängen farbige Plaketten an den Zellentüren: Blau für schwarze Häftlinge, grün oder pink für hispanische und weiß für weiße Gefängnisinsassen, gelb bekommen alle Gefangenen zugewiesen, die keiner der obigen Gruppe angehören. Obwohl es keine offizielle Vorgehensweise ist, wird dieses Farbcodierungssystem in mindestens fünf kalifornischen Gefängnissen angewendet. An manchen Tagen entscheidet die Farbe der Plakette darüber, ob man im Gefängnishof seine Übungen machen darf oder in der Zelle bleiben muss. Wenn Inhaftierte Gefängnisaufseher oder Mitgefangene angreifen, gestattet Kalifornien seinen Vollzugsbeamten die Bestrafung aller Gefangener der gleichen Ethnizität, um weitere Gewalt zu verhindern.

Kalifornien ist so stark wie kein anderer Bundesstaat von rassistischer Ganggewalt geplagt. Erst Anfang April wurden mindestens vier Häftlinge ins Krankenhaus gebracht, nachdem ein Kampf zwischen über 60 schwarzen und hispanischen Häftlingen in einem Gefängnis ausgebrochen war. Die Plaketten böten visuelle Unterstützung für Beamte, um Diebstähle, Angriffe und rasse-bedingte Schikane zu verhindern, sowie gang-basierte Gewalt zu minimieren und zu verhindern, argumentierte die kalifornische Strafvollzugsbehörde als Antwort auf eine Gerichtsverfahren gegen diese Methoden.

Aus rechtlicher Perspektive sind diese Praktiken allerdings sehr problematisch. „So etwas habe ich seit der Rassentrennung nicht mehr gesehen, als es noch farbig markierte Trinkbrunnen gab,“ so Rebekah Evenson, eine Anwältin mit der gemeinnützigen Anwaltskanzlei für Inhaftierte. Eine bundesweite Sammelklage, die 2011 durch die Evensons Kanzlei gestellt wurde, bezeichnet die Bestrafung anhand der Hautfarbe als eine ineffektive und ungerechte Methode die Sicherheit der Häftlinge herzustellen. „Statt wirkliche Gangmitglieder ins Visier zu nehmen, wird angenommen, dass jeder Insasse entsprechend seiner Hautfarbe einer bestimmten Gang angehört.“

Kalifornien sei zudem der einzige Bundesstaat, der zu dieser Art von Bestrafung greift. Verschiedene bundesstaatliche Gerichte haben mehrfach gegen diese Vorgehensweise entschieden. Ein Gericht schlussfolgerte 2002, dass die Behandlung von Häftlingen auf Grundlage ihrer Ethnizität widersinnig sei und stattdessen nur die Feindseligkeiten zwischen Insassen verstärke.

Ausgangssperren nur für bestimmte Ethnien

Evensons Kanzlei wertete kürzlich Berichte der Strafvollzugsbehörde aus, und kam zu dem Schluss, dass fast die Hälfte der fast 1500 Ausgangssperren von Gefängnisinsassen im Zeitraum von Januar 2010 und November 2012 bestimmte ethnische Gruppen betraf. Hispanische Insassen waren am meisten betroffen, als „sonstige“ identifizierte Insassen hingegen am seltensten. Laut Terry Thornton, Sprecherin der Strafvollzugsbehörde, gehöre rasse-basierte Bestrafung nicht zum Regelwerk der Abteilung. Die Richtlinien betonten vielmehr, dass Ausgangssperren nicht ohne ein triftiges strafrechtliches Interesse eine spezifische Rasse oder ethnische Gruppe betreffen sollten. Sicherheit sei ein legitimer strafrechtlicher Grund.

Gefängnisanwälte sind der Meinung, die rasse-basierten Ausgangssperren könnten eine weitere Konsequenz der Überfüllung kalifornischer Gefängnisse sein. Im Jahr 2011 bestätigte der oberste Gerichtshof, dass eine Überfüllung einschneidend genug sei, um als grausame und unübliche Bestrafung bezeichnet werden zu können. Das Gericht legte Kalifornien auf, seine Gefängnisbevölkerung zu verkleinern. Vollzugsbeamte geben dieser Überfüllung die Schuld daran, dass es zu einer Zunahme an Aufständen und Störungen komme. Laut Rechtsexperten steige mit zunehmender Zahl der Häftlinge in einem Gefängnis auch die Wahrscheinlichkeit, dass Angestellte auf Gewalt mit pauschalen Sicherheitsmaßnahmen reagieren. Die Übervölkerung der Gefängnisse ist kürzlich zurückgegangen, liegt aber immer noch bei etwa 150 Prozent ihrer geplanten Kapazität.

Auch die Gewerkschaft der Vollzugsbeamten bekräftigte, dass Überfüllung die Fähigkeit kompromittieren würde, ein Gefängnis effektiv managen zu können und damit zu einem enormen Anstieg der Ausgangssperren führe. Bestimmte Sicherheitssituationen haben zur Folge, dass Häftlinge nicht in den Hof können, keine Besucher empfangen dürfen oder von Unterricht und Drogenrehabilitierung fern bleiben müssen – diese Bedingungen nennt der Fachbereich „modifizierte Inhaftierung“.

Klagen gegen Bundesstaat Kalifornien

Hanif Abdullah ist ein Häftling, der den Bundesstaat Kalifornien verklagt. Er sitzt zur Zeit in einem kalifornischen Gefängnis und behauptet, nur wegen seiner Hautfarbe mehrere Male unter modifizierte Inhaftierung gestellt worden zu sein. Als frommer Muslim sei es ihm nicht erlaubt gewesen, an Gottesdiensten teilzunehmen oder angemessene Gesundheitsvorsorge zu erhalten.

Ein anderer Gefangener, Robert Mitchell, sagt aus er sei fast anderthalb Jahre in Sicherheitsgewahrsam gewesen, weil die Plakette an seiner Zellentür ihn als Schwarzen identifizierte. Mitchell gab an, dass er an Muskelschwund und starken Schmerzen gelitten habe, weil es ihm nicht möglich war seine Beinverletzung zu trainieren und auszukurieren. Auch die Klage der Kanzlei für Häftlinge besagt, dass ein Sicherheitsgewahrsam oft länger als nötig andauert. Etwa 40 Prozent Ausgangssperren dauerten länger als eine Woche, über 15 Prozent überdauerten einen Monat. Angeblich wären manche sogar 10 Jahre lang gewesen.

Kalifornien bestreitet, dass Ausnahmesituation wie Ausgangssperren rasse-basiert seien und länger als nötig anhalten würden. Es müsse aber die Sicherheit des Gefängnisses gewährleistet sein und der Auslöser für die Gewalt erforschen werden. Die Beamten würden nicht zurück zum normalen Alltag gehen, bevor sie davon überzeugt seien, dass die Häftlinge nicht wieder versuchen würden einander zu töten, so Thornton. Rassebasierter Sicherheitsgewahrsam wird vermutlich angewendet, weil nicht eindeutig klar ist, wer ein Gangmitglied ist und wer nicht. Während eines Kampfes könnten sich Häftlinge auch zu Mitgefangenen der eigenen Rasse oder Ethnizität stellen, um Schutz zu erhalten, ohne zwangsläufig Teil einer rassistischen Gang wie der Arischen Bruderschaft zu sein.

Fragwürdige Identifizierung der „Antreiber“

Sharon Dolovich, Professorin für Recht an der UCLA, hat bereits vor Gericht gegen den rassebasierten Sicherheitsgewahrsam ausgesagt. Die Identifizierung der Antreiber von Gangs sei eine viel effektivere Methode zur Gewaltabschreckung, als komplette ethnische Gruppen wegzuschließen. Auch in den Augen von Thornton, der Sprecherin der Strafvollzugsbehörde, hat die Gewalt einiger weniger Gefangener eine große Auswirkung auf das gesamte Gefängnis. Viele Häftlinge kommen ins Gefängnis mit dem Ziel ihre Strafe abzusitzen und wieder nach Hause zu gehen. Die Identifizierung der Antreiber ist keine leichte Aufgabe. Eine zielgerichtetere Methode erfordert stärker geschultes Personal, was womöglich etwas viel verlangt ist für Kaliforniens überlastetes System.

Eine weitere Klage zugunsten von kalifornischen Gefängnisinsassen führt an, dass trotz kürzlicher Verbesserungen die Gefängniswärter nach wie vor mit fraglichen Beweisen wie Tätowierungen oder bestimmten Büchern arbeiten würden, um einzuschätzen, ob Insassen Gangmitglieder seien. Im Hochsicherheitsgefängnis Pelican Bay im Norden Kaliforniens verfolgte man nach der erfolglosen Berufung gegen ein Urteil, das gegen die rasse-abhängige Bestrafung entschieden hatte, einen neuen Ansatz. Die Vollzugsbeamten begannen die Gefahr durch einzelne Gefangene einzustufen, um über Sicherheitsmaßnahmen zu entscheiden. Ein Sprecher des Gefängnisses sagte der Zeitung Sacramento Bee, dass die Gewalt aufgrund dieser neuen Richtlinie zurückgegangen sei.

Im Jahr 2005 entschied der oberste Gerichtshof erneut, dass rasse-basierte Entscheidungen sehr spezifisch zugeschnitten sein müssen, um einen besonderen Nutzen für den Bundesstaat zu haben. Den kalifornischen Gefängnissen wurde auferlegt, dass sie ihre nach Ethnizität getrennten Aufnahmezellen auflösen müssten, in denen die Insassen bis zu zwei Monate nach ihrer Ankunft im Gefängnis bleiben. Richterin Sandra Day O’Connor schrieb dazu: „Wenn Regierungsbeamte die Erlaubnis besitzen Rasse stellvertretend für Gangzugehörigkeit und Gewalt zu nutzen, dann leidet die Gesellschaft als Ganzes.“

Laut Aussage zweier Gefängnisbeamter kehrte Pelican Bay 2009 dennoch zur rasse-basierten Ausgangssperre zurück. Ein ungenannter stellvertretender Direkter befahl ihnen das neue System zu stoppen, da es nicht im Einklang mit den Richtlinien sei. Aber die alte Richtlinie wurde erst im Januar diesen Jahres wieder gestoppt. Ein Berufungsgericht entschied, dass es kleinteiliger zugeschnittene Möglichkeiten gebe, Gewalt zu kontrollieren, als eine komplette ethnische Gruppe einzuschränken. Die Kanzlei für Häftlinge strebt eine einstweilige Verfügung an, um diese Vorgehensweise im ganzen Staat zu stoppen. Evenson: „Der Staat hat sich daran gewöhnt eine praktische Abkürzung zu nutzen und Häftlinge leiden, nur weil sie ein bestimmte Hautfarbe haben.“

Anm.d.Red.: Der Text erschien in englischer Sprache auf ProPublica und wurde von Anne-Christin Mook ins Deutsche übersetzt. Das Foto oben zeigt das Gefängnis in Tacoma. Es wurde von shingst aufgenommen und steht unter einer Creative Commons Lizenz.

5 Kommentare zu “150% „American Dream“: Wie in US-Gefängnissen Rassismus floriert – und bekämpft wird

  1. Maybe get rid of the rampant racism in Germany (see recent knife attack in Berlin) before pointing fingers elsewhere. So sick of besserwissende Deutsche who ignore the problems at home. You should be working at Spiegel. They’re the kings of this bullshit.

  2. @Dave: “besserwissende Deutsche” the text was written by US author (we translated it). / der Text wurde von einer US-Autorin geschrieben (wir haben ihn übersetzt)

  3. @ Dave Stohler #3: I think the article is a very good excample of how the mechanisms of racism work. in that sense it is more than simply showing racism problems in the U.S. Very recently the Berliner Gazette published an article about the racist murders of the NSU and the problems with that trial:

    http://berlinergazette.de/helmut-roewer-schattenseiten-staatsapparat/

    also we run a Dossier on the “Terror von Rechts”: http://berlinergazette.de/feuilleton/dossiers/terror-von-rechts/

    feel free to contribute any time to our Dossier when you have a view point about racism in Germany you would like to share!

  4. Dave you are very rush by judging others…aren’t you?!?! Now the Deutche need apologize of you!!!!

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