Was bedeutet Just Transition für die Arbeiter*innen in Stara Zagora?

Panoramaansicht der Stadt Stara Zagora mit schwarzem Himmel; städtische Demonstrant*innen in der bulgarischen Kohleregion mit Schildern, auf denen steht: „Schwarzer Staub bedeckt unsere Stadt – stoppt diese Hölle“; Architekturmodell eines neu gestalteten Hauptbahnhofs in Stara Zagora (Nova Zagora). Bildmaterial: Colnate Group, 2024 (cc by nc).
Artwork: Colnate Group, 2024 (cc by nc).

Der Maritsa Iztok-Komplex in Bulgarien ist der größte Kraftwerkskomplex in Südosteuropa. Die beiden nahe gelegenen Städte Stara Zagora und Galabovo, die viele der Arbeitskräfte stellen, sind stark verschmutzt. Für einen großen Teil der dort lebenden Arbeiter*innen ist der so genannte ‚grüne Übergang‘ jedoch nichts anderes als die letzte Phase des ‚Übergangs‘ zum Kapitalismus, der mit dem Fall des Sozialismus begann. Er hat nur Deindustrialisierung, Arbeitsplatzunsicherheit und verschärfte Ausbeutung gebracht, was zu Abwanderung und Entvölkerung geführt hat. Die Arbeiter*innen müssen mit den Folgen allein zurechtkommen, aber wie Tania Orbova in ihrem Beitrag zur Serie „Kin City“ zeigt, drücken ihre Proteste die Vision einer besseren Welt aus – während und nach dem Übergang.

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Im Herbst 2023 verbarrikadierten Bergbauleute und Kraftwerksarbeiter*innen aus Zentralbulgarien in der Nähe von Stara Zagora, wo sich die meisten Kohlebergwerke und Kraftwerke befinden, Autobahnen und Hauptverkehrsstraßen, um gegen die sogenannten territorialen Pläne für einen gerechten Übergang (TJTPs) zu protestieren, die die Regierung der Europäischen Kommission vorgelegt hatte. Die Arbeiter*innen behaupteten, dass diese Pläne ihre Anliegen nicht berücksichtigten und forderten eine Änderung. Ihre Forderungen gingen über das unmittelbare Interesse der Arbeiter*innen an ihren Arbeitsplätzen hinaus und beinhalteten auch die Verschiebung der Liberalisierung der Energiemarktpreise für Endverbraucher*innen, die, wenn sie umgesetzt würde, die Mehrheit der Bulgar*innen betreffen und die Energiearmut (die bereits zu den höchsten in der EU zählt) erheblich erhöhen würde. Während der Proteste wurden die Bergbauleute von den Medien als „egoistisch“, „unrealistisch“, „irrational“, „Leugner*innen des Klimawandels“ und als Hindernis für den Übergang des Landes zu null Emissionen bezeichnet. Die Gewerkschaftsführer*innen wurden sogar als „Terrorist*innen“ bezeichnet, weil sie sich zum Streik bereit erklärt hatten, so die bulgarische Ausgabe der Deutschen Welle.

Nach einer Woche der Blockaden lud die Regierung die Gewerkschaftsführer*innen zu Verhandlungen ein, und beide Seiten einigten sich. Die Bergbauleute räumten die Barrikaden jedoch nicht sofort, da sie behaupteten, dass die Vereinbarung ihre Probleme nicht löse. Im Frühjahr 2024 gingen die Arbeiter*innen wieder auf die Straße. Damals besuchte ich mit Kolleg*innen die Region und führte Dutzende Interviews mit Bergbauleuten und Anwohner*innen, um ihre Perspektive jenseits der verzerrten Darstellung in den Medien und der Stigmatisierung, die die am stärksten Betroffenen zum Schweigen bringt, zu verstehen. An den medialen Debatten über den ‚grünen Wandel‘ nehmen in der Regel Energieexpert*innen, Politiker*innen und Umweltschützer*innen teil, während die Arbeiter*innen als sprachlose Opfer des Kohleausstiegs zurückbleiben. Aber wie kann der Übergang ‚gerecht‘ sein, wenn die am stärksten Betroffenen ignoriert werden? Unsere Treffen mit Bergbauleuten und Arbeiter*innen im Maritsa-Iztok-Komplex in Zentralbulgarien (dem größten Energiekomplex in Südosteuropa) zeigten die erheblichen sozialen Kosten, die die Anwohner*innen infolge der geplanten Maßnahmen zu tragen haben. Darüber hinaus boten die Erzählungen der Arbeiter*innen durchweg starke alternative Visionen dessen, was wirklich gerechte Übergänge mit sich bringen könnten, im Gegensatz zu ihrer Darstellung als konservative Verteidiger*innen des Status quo. Die folgenden Zeilen sind lediglich Notizen, die zwischen die lange ignorierten Worte der Arbeiter*innen geschrieben wurden.

Disqualifizierende Umschulung

Die Hauptsorge der Arbeiter*innen im Maritsa-Iztok-Komplex ist eindeutig der Verlust ihres Arbeitsplatzes. Als Reaktion darauf bietet der Staat so genannte ‚Umschulungsprogramme‘ an. Ziel ist es, den Arbeiter*innen (mehr als 7.000 allein in den Bergwerken, ohne die Kohlekraftwerke in der Region) zu helfen, neue Fähigkeiten zu erlernen, damit sie nach dem Ende der Kohleförderung eine alternative Beschäftigung finden können. Unsere Gesprächspartner*innen gaben fast einstimmig an, dass diese Programme hauptsächlich aus grundlegenden „digitalen Fertigkeiten“ (z.B. Word und Excel) und Englisch für Anfänger*innen bestehen. Die Mitarbeiter*innen des Komplexes verfügen bereits über hochqualifizierte Abschlüsse in den Bereichen Ingenieurwesen, Mechanik oder anderen technischen Bereichen. Daher wird die angebotene Umschulung entweder als Verhöhnung ihrer tatsächlichen Kenntnisse und Fähigkeiten oder als staatlich finanzierte Vorbereitung auf die Auswanderung durch Spracherwerb empfunden. Für die meisten Arbeiter*innen bedeutet die Umschulung daher eine Dequalifizierung:

„40 Prozent der Belegschaft sind Ingenieure. Das sind kompetente Leute, die sich mit Wärme und Kernenergie auskennen“.

„Wofür wollen die mich umschulen? Ich habe eine technische Ausbildung als Elektriker, einen Bachelor in Maschinenbau und einen Master in Arbeitssicherheit.“

„Manche Fähigkeiten kann man auch außerhalb anwenden, aber einen Mann, der einen Baggerlader so groß wie ein achtstöckiges Gebäude gefahren hat, dazu zu bringen, Englisch oder Computer zu lernen …“

Die Arbeiter*innen schlagen zurück: „Es gibt keine Alternative“.

Das eigentliche Problem ist jedoch, dass es keine alternativen Arbeitsplätze gibt, so dass eine Umschulung praktisch sinnlos ist. Der Komplex, zu dem eine staatliche Mine, drei private und ein staatliches Kohlekraftwerk gehören, ist der größte ‚Arbeitgeber‘ der Region. Er ist auch die letzte Möglichkeit, da er relativ stabile und gut bezahlte Arbeitsplätze bietet, während andere Industrien in der Region während des Privatisierungsprozesses in den 1990er Jahren völlig dezimiert wurden. Von der glorreichen industriellen Vergangenheit der Region sind nur eine alte, bröckelnde Infrastruktur und eine Reihe von Kleinbetrieben mit schlechten, ausbeuterischen Arbeitsbedingungen und Hungerlöhnen übrig geblieben.

„Eine Umschulung ist sinnlos, wenn wir keine Arbeitsplätze schaffen“.

„… es ist ganz klar, dass die anderen Arbeitgeber – bis auf einen oder zwei – sehr niedrige Löhne zahlen. Und sie sind überall niedrig.

„Die Idee der Privatunternehmen ist es, dich mit Arbeit zu erschlagen, damit du keine Zeit zum Leben hast. Du arbeitest dein Leben lang und stirbst. Das Gute an den Minen und diesen Unternehmen [im Komplex] ist, dass du Zeit zum Leben hast. Du gehst zur Arbeit, machst deine Arbeit, hast Freizeit und bekommst etwas Geld zum Leben“.

Auf der anderen Seite werden landwirtschaftliche Nutzflächen, abgeholzte Flächen und sogar die Höfe verlassener Bäuer*innnhäuser in der Umgebung der Minen zunehmend mit Solarparks für grüne Energie bebaut. Diese sind jedoch nicht sehr arbeitsintensiv und stellen daher keine Alternative dar. Statt für die Arbeiter*innen ein Symbol für eine grüne und gerechte Zukunft zu sein, ist die Solarenergie zu einem Synonym für ihre Verarmung und Vernachlässigung geworden.

„Die Geflügelfarm auf der anderen Straßenseite wird zu einem Unternehmen, das Photovoltaikmodule herstellt. Aber am Anfang werden dort vielleicht nur 700 Menschen beschäftigt sein. Also 7.000 gegen 700. Die anderen müssen sich nach Alternativen umsehen und wahrscheinlich in andere Länder auswandern. Ich glaube, das ist der Grund, warum die Menschen fliehen, weil sie nirgendwo hin können.“

„Man kann nicht einen Wald abholzen und stattdessen diese Eisenpfähle aufstellen und sagen, wir denken an die Natur, wir denken an das Land, wir denken an alle. Für mich ist das eine totale Parodie. Die Leute aus den Minen haben jahrelang diese Bäume gepflanzt.“

Paradies für Unternehmer*innen: Gesellschaft ohne Arbeiter*innen

Neben ineffektiven Umschulungen und einem angespannten Arbeitsmarkt werden die Arbeiter*innen dazu gedrängt, selbst Unternehmer*innen zu werden. Viele haben uns von Kreditprogrammen für Unternehmen erzählt, die von öffentlichen Institutionen angeboten werden. Sie machten sich über die Idee lustig und teilten ihre tiefe Skepsis, dass dies entweder absurd oder nur ein Witz sei. Die meisten von ihnen sind bereits für Grundbedürfnisse wie Wohnen verschuldet, was ihre Zukunftsängste noch verstärkt. Die Erwartung, dass jede/r Unternehmer/in werden kann, könnte nicht weiter von der Realität der Menschen in Stara Zagora entfernt sein. Es ist nur eine weitere neoliberale bürokratische Illusion, ein perverser Traum von einer Gesellschaft ohne Arbeiter*innen.

„Die Vorstellung, dass 5.000 Menschen kleine Unternehmen gründen können, von denen 3.000 Friseursalons und 2.000 Nagelstudios sein werden, weil das die Optionen sind … in Stara Zagora, einer schrumpfenden Stadt, selbst mit dem umliegenden Industriekomplex? In einem Land mit 6 Millionen Einwohner*innen, von denen vielleicht vier Millionen in der Wirtschaft aktiv sind und zwei Millionen ausgegrenzt, wie viele Friseure brauchen wir dann?“

„Vielleicht haben mehr als 60% der Menschen im Bergbau irgendeine Form von Schulden oder Krediten. Das beunruhigt mich an der ganzen Situation am meisten. Was werden diese Leute nachher machen? Die Schuldensituation ist wirklich schlimm. Sei es für ein Auto oder ein Haus… Kürzlich habe ich erfahren, dass das Haus eines Kollegen abgebrannt ist. Er musste einen neuen Kredit aufnehmen, was er auch getan hat. Die Leute sind gezwungen, auf ihren Lohn zu warten, um ihre Schulden zu bezahlen und ihre Familien zu ernähren, und dann wird ihnen gesagt: „Wir schließen in einem Monat“. Es gibt Menschen, die aufgrund dieses ständigen Stresses psychische Probleme haben.“

Übergänge transzendieren

Für die Menschen in Stara Zagora ist die sogenannte grüne Transformation nichts anderes als die letzte Phase des ‚Übergangs‘ zum Kapitalismus, der mit dem Zusammenbruch des Sozialismus begann. Er hat nichts anderes gebracht als Deindustrialisierung, Arbeitsplatzunsicherheit und Ausbeutung, was zu Abwanderung und Entvölkerung geführt hat. Mit den Folgen müssen die Arbeiter*innen allein fertig werden. Staatliche und EU-Hilfen werden an die Großkonzerne weitergereicht, was deren Profite weiter steigert, anstatt die Menschen zu erreichen, die am stärksten betroffen sind und die Kosten des Übergangs tragen.

Aber in den Stimmen der Arbeiter*innen ist leicht eine alternative Vision für einen wirklich gerechten Übergang zu erkennen, statt der Klimaleugnung, die Mainstream-Expert*innen ihnen unterstellen. Bergbauleute und Energiearbeiter*innen sind diejenigen, die nicht nur die sozialen Kosten tragen, sondern auch am meisten unter den umweltverschmutzenden Industrien leiden, für die sie arbeiten. Ihre Geschichten wecken Hoffnung auf eine sozial gerechte und umweltverträgliche Zukunft.

„Warum sich auf private Unternehmen verlassen? Warum gründet der Staat nicht eigene Unternehmen, staatliche Unternehmen, um öffentliche Gelder zu nutzen und Arbeitnehmer*innen in neuen Unternehmen zu beschäftigen? Wenn wir den Weg der Europäischen Union gehen und uns strikt an ihre Regeln halten wollen, ist die Schließung der Bergwerke früher oder später unvermeidlich. Aber das muss schrittweise und ohne Schock geschehen, um soziale Spannungen zu vermeiden, mit einer klaren Kommunikation und einem strategischen Plan, der sich über drei, fünf oder sogar sieben Jahre erstreckt. Ich sage nicht, dass der Staat die alleinige Verantwortung für die Menschen übernehmen sollte … Aber die Gewerkschaften sollten in Partnerschaft mit dem Staat eine Rolle spielen. Gemeinsam sollten sie die Arbeitnehmer schützen, während die Gewerkschaften für Bildung und Ausbildung sorgen und der Staat für Beschäftigungsmöglichkeiten, die dieser Ausbildung entsprechen.“

Aber man muss nicht so weit gehen und sich eine massive neue grüne Industrialisierung vorstellen, die vom Staat gelenkt wird. Bei unserem Besuch trafen wir einen pensionierten Bergmann, der früher Lokführer bei der Staatsbahn war. Ende der 1990er Jahre wurde er nach einem Streik entlassen, so dass ihm nur noch die Arbeit im Bergwerk blieb. Da es sich um einen Tagebau handelt, ist ein Großteil der Arbeiter tatsächlich auf dem internen Schienennetz beschäftigt. Neben seiner Geschichte trafen wir auch mehrere 20-jährige Arbeiter*innen, die für die Instandhaltung der Eisenbahninfrastruktur in den Minen zuständig sind. Das bedeutet, dass diese Arbeiter*innen ohne Umschulung leicht zu grünen Arbeitsplätzen im Schienenverkehr wechseln können. Leider wurde die Eisenbahn in den letzten 30 Jahren an den Rand des finanziellen und materiellen Zusammenbruchs gebracht. Obwohl sie eine umweltfreundliche und grüne Alternative zum Auto oder Flugzeug darstellt, ist das öffentliche Unternehmen stark unterfinanziert, Strecken werden stillgelegt und die meisten Züge sind über 40 Jahre alt und in einem sehr schlechten Zustand.

Ein grüner und gerechter Wandel in der Zukunft bedeutet also nicht unbedingt brandneue (technologische) Lösungen, sondern könnte bedeuten, das wiederzuentdecken, was wir in der Vergangenheit begraben haben. Auf die Frage, wie er sich die Zukunft vorstelle, antwortete einer der sehr jungen Arbeiter*innen:

„Das Einzige, was helfen kann, ist das. Wir haben von der Vergangenheit und der Gegenwart gesprochen. Die Menschen müssen in die Vergangenheit zurückkehren, ihre Menschlichkeit und Einheit wiederfinden, hierher zurückkehren und kämpfen“.

Anmerkung der Redaktion: Die zitierten Interviews wurden im März 2024 im Rahmen der Initiative „Transition: Reloaded“ des in Sofia ansässigen Collective for Social Intervention geführt.

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